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die Tränen herauf, und der Körper erbebte, so daß ich mich schämte, Mutter könne etwas von meiner Schwachheit merken. An der Wegegabelung ruckste der Schlitten heftig über die Steine. Der Wind hatte dort die hochgelegene Straße bloßgefegt. Dann tanchten wir in den ruhigen Wald. Eine göttliche Pracht, eine wohlige Stille! Mutter konnte jetzt die Decke ganz beiseiteschieben und nach den schneeschweren Zweigen schauen, die in der Höhe wie große Arme über den Weg griffen. Nun ging die Fahrt den steilen Berg hinab, und schon waren wir unten im nächsten Dorf. Auf der andere« Seite stiegen wir wieder sacht bergan, fuhren am Waldrande lang, vorbei an dem neugerodeten Acker land, und jetzt blinkten die Lichter des Städtchens im Grunde. Links abgebogen! Plötzlich hatte das Pferd Mühe, durch den Schnee zu kommen, und schon saßen wir fest. Ein Ruck —, ein paar Schritte zu — und nochmals! Dann war's ans. Das Pferd stand unbeweglich bis an den Bauch in der Wehe. Sollte hier kurz vor dem Ziel noch alles fehlgehen?! Jedes Antreiben und Zureden blieb vergeb lich. Die Kräfte gaben es nicht her. Wie gut, daß wir noch in letzter Minute auf Tantes Rat eine Schaufel mitgenom men hatten! Nach einer Viertelstunde war der Schlitten bis zu den Kufen freigemacht, das Pferd ausgespannt und der Schlitten von uns auf das flache Feld geschoben. Mut ter tat nicht eine Frage. Ihr Vertrauen zu mir ging einen geraden Weg und kannte kein Hemmnis. „Hat's lange ge dauert?" — „Nein," klang ihre Antwort gütig und zu frieden. Und nun ging's gner über die Felder und die steile Bergstraße hinab. Es war derselbe Weg, den ich im Herbst als fahrender Schauspieler gezogen, von jung und alt jubelnd begrüßt. Heute strömten die frommen Katho liken nach der hellerlenchteten Kirche zur Neujahrsnacht und wunderten sich über das einsame Gefährt. Endlich stand ich vor dem alten freundlichen Sanitäts rat. Er sagte, in der Klinik sei schon alles bereit. Noch ein Stück hin und dann über die Schwelle des Gartentorcs! Nach eineinhalbstündiger Fahrt! -!« Die Schwestern waren zur Stelle, und der junge Arzt eilte herbei. Dann kam das Schwerste für meine Mutter: auf demselben Lager, auf dem sie seit Wochen gelegen und auf dem sie in den Schlitten gewandert war, mußte sie jetzt die Treppe hinauf nach ihrem Zimmer in ein neues Bett gebracht werden. Bei jeder ungeschickten Bewegung und Änderung der Lage verging sie fast vor Schmerzen. Endlich war auch bas vorüber. Der Körper, dessen einzig Erhaltendes die Willenskraft war, hatte die Probe be standen. Der junge Arzt fühlte, worum cs ging. Er hatte selbst eine kranke Mutter daheim, und Menschen mit gleichem Schicksal verstehen einander besser und empfinden stärker und tiefer für einander. Dann sagte er sehr ernst, er könne mir keine Hoffnung geben. Die Operation selbst lei das Geringste, der weitere Verlauf erst könne entscheiden. Ich saß wieder allein bei meiner Mutter. Das Ge fährt hatte ich heimgeschickt. Des Arztes Worte hatten mich nicht erschreckt. Ganz ruhig war ich jetzt) denn meiner Mutter Zuversicht war groß und unerschütterlich, und ihr Geist wollte, was da geschehen mußte. Man hatte ihr eine Einspritzung gegeben, damit sie einschltefe. Aber noch konnte ich mich mit ihr unterhalten. „Nun wird bald alles besser sein! Und vielleicht bist Du zum Geburtstag schon wieder daheim. — Mir ist, als müßten wir noch eine ganz große Freude erleben. Weißt Du, Mutter, eine ganz große Freude! — Nicht wahr, Du hast keine Furcht?" — „N —ein . . .!" hauchte sie leise lächelnd im Einschlummern. Wie sie da lag, das gute Ge sicht von den schlohweißen dünnen Strähnen umrahmt! ' „Großmutter", hatten die Schwestern zu ihr gesagt. — Ich ! wollte ihr ganz heimlich einen Kuß auf die faltige Stirn ! drücken, aber da scheute ich mich. Unser hartes Geschlecht ! empfindet anders. Nicht bis in die frühste Jugend kann s ich mich zurückerinnern, daß mich meine Mutter geküßt halte, und doch war sie gütiger als alle Frauen, die ihre Kinder fast mit Küssen ersticken. Ob meine Lippen je dies Antlitz berühren werden, ehe die Augen für immer ge schlossen sind? Auch wohl der größte Schmerz wird letzte Weichheit nie enthüllen. — Wohl mir, daß ich dich meine Mutter nennen darf, du beste aller Frauen! * Als es getan wurde, wartete ich vor der Tür. Alles ging in gewohnter Ordnung. Dann sagte mir der junge Arzt, ohne auch jetzt eine Hoffnung zu geben, einfach und sachlich, der allerschlimmste Fall sei es nicht. Das war ein besserer Trost als ihn hundert klagende Weiber geben können. — Meine Mutter schlief einen guten Schlaf, als ich mich auf den Heimweg machte. Durch die Schneenacht ging ich, halb ein Träumer. Wie, weiß ich eigentlich Hente noch nicht recht. Manchmal geriet ich seitab in tiefen Schnee. Meine Gedanken waren bei der, die ich zurückließ, und meine Gedanken waren bet dem einsam harrenden Vater. — Ihre Zuversicht war so fest, und in mir war es ganz feierlich. Ja, ich weiß, eine ganz große Freude wird es nvch geben. An ihrem Geburtstag im Januar.... Ob sie dann schon daheim sein wird? — „Mit dem Kaiser habe ich ihn," so hat sie immer gesagt, als ich noch klein war. „Mit dem Kaiser," spricht sie noch heute) denn meine Mut ter ist eine alte Frau.... Ich weiß, es muß eine ganz große Freude sein . . . Dann war ich daheim. Durchs Fenster fiel ein Licht schein. Ich sah Vater, sinnend seinen Kopf in die Hände gestützt, am Ofen sitzen. Ganz allein. . . . Da schüttelte ich den Schnee ab, öffnete die Tür und trat durch den Flur ins Zimmer. „Guten Abend, Vater! — Nun wollen wir uns ein gutes neues Jahr wünschen!" Unsere Hände ruhten in einander, und wir wußten, daß es nur einen Wunsch gab: ein ganz großes Glück! * Schwere Wochen und Monate sind seit jener Nacht noch vergangen, aber als der Sommer kam, als die Ähren im Goldglanz der Reife leuchteten und die Sense im Korn feld rauschte, da stand meine Mutter draußen im Ernte segen mit neuer Kraft, noch einmal dem Leben zurück gegeben, noch einmal der Schönheit des Sommers und dem stillen Herbst ihrer späten Jahre. V^eiknacbten O Weiknacbtszeit, nun bringst du wieder Vas sckönste Slück, das uns verließ, Und lieblick zittern deine Lieder Im ksimallicken Paradies. Siek in den kleinsten Sutten scbmücken vis 6rmen ikren Weiknacbtsbaum, Um dann mit kindllcbem Entzücken Verträumt ins Licbtergold zu sckaun. Und alles, was vom Weitgetrisbs Im Lebens-lUltag ward zerstört, Vas blicket keut im Meer der Liebe, vis nur die Weiknacktsbotsckakt kört: O, Menscbkeit, laß aucb dein (Zemüte Vergessen, was es nocb betrübt — Nur dann ist wakrsr Wsiknacbtskrieds, Wenn man aus Liebe gern vergibt! Watt» A-inhold, Swickou.