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erklärte es sich als eine Überreiztheit seiner Nerven, als eine natürliche Folge der seelischen Aufregung und körper lichen Überanstrengung. Sie hoffte, daß dieser Zustand vor übergehend sei. Mit Liebe nahm sie sich des Kindchens an. Das gedieh, seine kleinen Äuglein blickten täglich klarer und ließen er kennen, wie es aus dem Dämmerdasein nach und nach er wachte. Wenn es schlief, mit leise geröteten Wangen, sah es so zufrieden und lieb aus. Es ahnte nichts vom Jammer dieser Welt. Es erfuhr Liebe und entfaltete sich wie ein Blümchen in freundlicher Sonne. Wenn die Großmutter spät abends ihre Arbeit beendet hatte, saß sie gern noch am Korbe, sie konnte sich nicht satt sehen an dem lieblichen Kinde. Und auch die alten Webersleute hatten ihre Freude an ihm. „Mei liebes Kindel!" sagte die Mutter Liebschern und küßte die zarten, zierlichen Händchen. „Gott behüt's!" Aber dann seufzte sie: „Ach ja, es kennte olles su schiene senn . . .!" Und die Nachbarsfrauen kamen und sahen das Kind an und priesen es einen lieben Engel. Nur der Vater sah es nicht an. Die Mutter fragte täglich nach dem Kinde. Von Jo hann erhielt sie keine Antwort als: „Es ist alles gut, liebe Elsa! Sorge Dich nicht!" Aber die Großmutter brachte ihr frohe Botschaft und zauberte ein schwaches Lachen auf das bleiche Gesicht der Kranken. Dann trat eine Besserung ein, das Fieber schwand. Johann vergaß, daß er seine Gebäcke im Ofen hatte — sie wären verbrannt, wenn der Lehrbub sie nicht gerettet hätte — und saß an Elsas Lager. „Ist Dir ganz gut. Liebste? — Wirklich, ganz gut?" Sie mußte ihm vielmals beteuern, daß sie keinerlei Schmerz, keinerlei Beschwerde hatte. „Gott sei Dank!" rief er, stand auf und trat ans Fenster. Sie hatte aber seine Tränen gesehen — und seine heiße Gattenliebe. Dann kam er wieder zu ihr. „Elsa, hast Du irgend einen Wunsch? Wünsche Dir was Großes!" Er wollte ihr seine Freude zeigen, daß er sie behalten durfte. Er hielt ihre weiße Hand in der seinen. „Wünsch Dir was, Liebste!" Da glänzten ihre Augen. „Bring mir das Kind!" Denn sie hatte es noch nicht sehen dürfen. Johanns Gesicht hatte sich im Augenblick verfinstert, und ihre Hand ließ er aufs Bett niedergleiten. „Elsa. Laß es! Es ist nicht gut!" „Das ist mein einziger Wunsch, Johann. Bringt mir das Kind!" Da ging er hinunter und sagte es Frau Alwinen, die nahm das Kind tm Büschebett und trug es zu seiner ver langenden Mutter. Er aber machte sich in öer Backstube zu schaffen. Dann besann er sich, zog eine Jacke über, setzte sich die Mütze auf und eilte das Dorf hinauf zum Gärtner. Mit einer Azalia kehrte er zurück. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß das Kind wieder in seinem Korbe lag, brachte er die Blumen seinem Weibe dar. So reich war der Stock an zarten, weißen Blüten und Knospen, daß er wie eine einzige riesige, seidig schimmernde Blüte aussah. Und die Augen der Kranken fanden Wohl gefallen an diesem schönen Zeichen der Liebe und sagten dem Gatten innigen Dank. Als er dann aber wieder neben ihr saß und ihre Hand streichelte, fragte sie in bittendem Tone: „Freust Du Dich nicht über unser Kind, Johann? Es ist doch so lieb!" „O ja. Eine kräftige Stimme hat er auch schon. Wenn er so weiter macht, wird er mal ein tüchtiger Sänger!" antwortete er, bemüht, den glücklichen Vater zu spielen. Und er erschrak, als die Frau sich aufrichtete und ihn a>it einem Blicke maßlosen Erstaunens ansah. „Aber, was machst Du, Elsa! Du überanstrengst Dich!" Er wollte sie an den Schultern sanft zurnckdrücken. Aber ne hielt ihm stand. „Von wem redest Du?" fragte sie, ihn immer noch an starrend. „Na aber, von unserm Kinde." „Er wird — er ?" Da erschrak er noch heftiger. Diesmal über sich selbst. Hatte er es nicht mehrfach schon gehört im Hause: ein hübsches Mädel? „Ach Gott, na, ich hab mich versprochen! Ein fideles Mädel ist's doch!" Das war eine schmerzliche Enthüllung für sie gewesen. Sie tat ihm leid. „Sieh mal, Elsa, ich weiß manchmal nicht, wo mir der Kopf steht!" entschuldigte er sich. Und er wollte sich mit dem kleinen Wesen aussöhnen, seinem Weibe zuliebe. Als er hinunterkam, ging er selbst an den Korb und zog sacht den grünen Satinvorhang zu rück. „Meine liebe, kleine Magda," wollte er sagen; denn diesen Namen hatten sie in den Tagen der Hoffnung ge wählt für den Fall, daß ihnen ein Mädchen geschenkt wer den sollte. Aber er brachte diese Zärtlichkeit nicht über die Lippen und ging rasch hinaus. In den nächsten Tagen war das Kind sehr unruhig. Frau Alwine gab ihm Tee, sie suchte es durch Büschen zu beruhigen, und als das alles vergeblich war, sprach sie da von, den Arzt um Rat zu fragen. Die Mutter aber hörte die schrille Stimme und sorgte sich. So war es ihr ein Trost, als Frau Alwine ihr er zählte, daß der Vater sehr lieb zu dem Kinde sei, daß er es abends eine Stunde laug in der Stube getragen habe. Als der Arzt die Wöchnerin besuchte, zeigte man ihm auch das Kind. Er nahm 's nicht schwer und meinte, es handle sich höchstens um eine kleine Verdauungsstörung, die sich schon bald wieder beheben werde. Er hatte auch recht. Das Kind befand sich nach wenigen Tagen wieder wohl. Indessen aber hatte sich der Zustand der Mutter wieder verschlimmert. Fieber war wieder eingetreten und nach kurzer Zeit schon in gefährliche Höhe gestiegen. Johann wich nicht vom Lager der Kranken, wenn er nicht unbedingt unten sein mußte. In seinem Gesicht stand die Angst geschrieben, die Angst vor dem schlimmsten. Eines Morgens kam er gerade durch die Stube, als seine Mutter das Kind' badete. Sie winkte ihn heran: „Sieh mal, wie sie sich wohlfühlt! Wie sie strampelt!" Der Vater sah's. Ja, es triumphierte, das Kiud! Es triumphierte! Und das Weib unterlag! Es triumphierte, das Kind; es gelang ihm wohl doch noch, dem Vater das Weib zu rauben. Er sagte nichts und kehrte den beiden den Rücken. Aber als er wieder neben dem brennenden Weibe saß, nach dem der Tod die harte Hand streckte, da wiederholte er's noch hundertmal: Das Kind triumphiert über die Mutter! Es raubt mir das Weib also doch noch! Es will also auch über mich triumphieren! Warum, Gott im Himmel, wenn eins von beiden gehen muß, kann's nicht das Kind sein? Warum dies treffliche, liebe Weib? Und einmal wurde sein Gedanke Wort. Als seine Mutter ihm wieder das Kind zeigte, damit er an seiner Munterkeit, an seinem frohen Lebenswillen Trost schöpfe, wies er sie zurück: „Ach laß! Was liegt daran!" „Johann!" „Verwundere Dich nicht, Mutter! Dergleichen Liebes worte hast Du an meiner Wiege wahrscheinlich nicht ver nommen! Ha, das ist wohl auch eine andere Wochenstube gewesen! Aber hier, wo das Schicksal wieder mal plump danebenhaut . . ." Frau Alwine hatte tiefer in seine zerrissene Brust ge schaut, als er ahnte, und legte seine Worte nicht ans die Goldwage, aber sie ermahnte ihn doch, den Verstand zu behalten.