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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.07.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020728020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902072802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902072802
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-07
- Tag 1902-07-28
-
Monat
1902-07
-
Jahr
1902
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Die näheren Bedingungen gebe ich im Termin bekannt, jeder Bieter hat 1000.— Laution vorzuzeigen. Leipzig, den 26. Juli. Paul Gottschalck, Konkursverwalter. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Juli. Aus Berliner eonscrvativeu Kreisen wird der „Schles. Zig." über partcitactische Fragen geschrieben. Zunächst wird betont, daß kein Anlaß vorhanden sei, den Wechsel im Generalsekretariat der conservativen Partei so aufzufassen, als beabsichtige die conservative Partei, einen Wandel iu ihrer Politik herbeizuführeu. Ueber die Vorgeschichte dieses Wechsels wird gesagt: Das Sekretariat der conservativen Partei besteht seit nun fast fünfundzwanzig Jahren. Der jetzige Generalsekretär Frhr. von Seckendorfs, der diesen Posten seit seiner Gründung inne hat, ist allerdings vielfach nicht in erwünschtem Maße in die Oessentlichkelt getreten; wer aber thatsächlich mit der Central stelle der Partei Fühlung hatte, wer der Centralorganlsation, dir den Namen „Wahlverein der deutschen Conservativen" führt, angehört«, wußte auch bisher schon die Thätigkeit deS Partei sekretärs zu schätzen. Nunmehr ist diese Persönlichkeit zu dem Entschlüsse gelangt, iu deu Ruhestand zu treten, und an seine Stelle ist iu der letzte» Sitzung des Elfer-Au-schusseS, die kurz vor Landtag-schluß stattgefundea hat, Major a. D. Strosser gewählt worden. Das ist alles. In dem OrganisationSplan der conservativen Partei hat sich dadurch nichts geändert; daß aber mit einem neuen, thatkräftigen Parteisekretär neues frisches Leben in die Organisations- und Agitationsthätigkeit für die konservative Partei kommen wird, ist selbstverständlich und auch sehr wünjchenswerlh. Die Zuschrift bestreitet sodann entschieden, daß die Be rufung Strosser's mit dem Rücktritt deS Frhrn. v. Wangen heim vom Vorsitze des Bundes der Landwirthe in irgend einer Verbindung stehe: Die beiden Thalsachen haben natürlich nicht das Mindeste mit einander zu thun. Frhr. v. Wangenheim war als Vorsitzender des Bundes nicht nur Mitglied der conservativen parlamenta rischen Fractionen, sondern auch des Centralvorstandes; er hat sich in dieser Stellung stets als treues Parteimitglied erwiesen und genoß daS volle Vertrauen der gesammien Parteileitung. Wer nun an seinen Platz treten wird, ist noch un sicher. vr. Rösicke, der der Nächste hierzu sein würde, ist als Parlamentarier „wild"; er hielt zwar mit den konservativen Parteien Fühlung, hat sich auch früher einmal als konservativer Candidat aufstellen lassen, ist im Grunde genommen aber kein konservativer Parteimann, sondern ausschließlich „Agrarier". Er ist wohl auch als das Haupt der extremen Richtung Vom Bunde der Landwirthe und als Inspirator der scharfen Kundgebungen in den Preßorganen des Bunde- anzusehen. Daß in der conservativen Parteipolittk in irgend einer Weise die Richtlinie verändert werden könnte, ist vollständig ausgeschlossen. Von konservativer Seite wird unter den obwaltenden Umständen keinesfalls die Initiative zu einer „reinlichen Scheidung" mit dem Bunde der Landwirthe ergriffen werden. Es heißt für sie in dieser Beziehung: Abwarten, was der Bund der Landwirthe unternehmen und in welcher Richtung Lessen neue Leitung einlenken wird. Wie bisher die conservative Partei gegenüber dem Bunde stets ihre parlamentarische Selbstständig keit gewahrt hat, so wird das auch in Zukunft geschehen. Bor allen Dingen wird «S jetzt Sache der Rechten sein, darauf hinzu wirken, daß die Zolltarisberathungen zu einem guten Ende gelange». Auf die Entwickelung im Bunde der Landwirthe wird der Ausgang der Tarifreform gerade jetzt den größten Einfluß haben. Käme es zu Neuwahlen unter der „Brodwucherparole", fo würde vermuth- lich die extrem-agrarische Richtung die Oberhand gewinnen. Darum ist eS für die ganze Entwickelung unserer inneren Politik — dessen wird man sich auch in leitenden Regierungskreisen bewußt sein — unbedingt nöthig, daß der Zolltarif rechtzeitig unter Dach gebracht wird. Die conservative Partei wird es jedenfalls an selbstloser Mitwirkung zu einem solchen Ergebnisse jetzt weniger als je fehlen lassen. Wie eö mit der conservativen Selbstständigkeit bestellt ist, haben wir in letzter Zeit eingeheno besprochen; von ihr ist rein nichts übrig geblieben. Die conservative Partei hat sich bis auf den letzten Mann terrorisiren, d. h. aqrarisiren, lassen: sie ist in der Canalfrage in die schroffste Opposition gedrängt, sie wird in der Zolls rage in dem Bundeslager fest gehalten, gegen ihre eigene Ueberzeugung zur bessern Einsicht, denn sie weiß, daß sie va bangus spielt und drauf und dran ist, den letzten Rest ihres ehemaligen Einflusses und ihres WertheS bei der Regierung zu verlieren, Vie einfach ge zwungen wird, sich auf andere Schultern als die unzuver lässigen conservativen zu stützen. Die paar konservativen Leute, die auS dieser Situation die Folgerung zogen und sich und die Partei ermannen wollten, wurden bei Seite geschoben und die „selbstständige" conservative Partei wurde nach wie vor vom Frhrn. v. Wangenheim und der wieder, wie eS scheint, von Dr. Rösicke regiert. Nun wird es, so sagt man, sogar dem nominellen Bundeshaupte zu bunt, Herr v. Wangenheim will gehen, noch vvr der Zolltarifentscheidung, aber die con servative Partei will ruhig „abwarten", waö nämlich vr. Rösicke mit ihr zu thun für gut befinden wird. Was sollen denn die Rede» von der selbstlosen Mitwirkung am Zustandekommen deS Zollgesetzes, wenn das Einzige, was die Partei dazu thun kann, nicht gethan wird? Warum sagt die „Schles. Ztg." nicht, daß sie den Getreidezoll sätzendes Entwurfs zustimme? Ohne diese Erklärung haben alle Betheuerungen von Selbstständigkeit gar keinen Sinn. Man könnte ja annehmen, daß die Emancipation der Partei verschoben worden ist, bis ihr neuer Generalsekretär die Reorganisation durchgeführt hat. Dann wäre Herrn Slrosser große Eile zu empfehlen; eS könnte sich sonst ereignen, daß auch die reuigste Rückkehr zu spät käme. lver Hinweis auf den vom Erzbischof vr. von Stablcwsky geleisteten Bischofscid gelegentlich der kirchlichen Feier der Schlacht von Tannenberg ist anscheinend an den betroffenen Stellen überaus peinlich empfunden worden. Das Polenblatt am Rhein wendet geradezu verzweifelte Künste an, um die Berechtigung jenes Hinweises abzustrciten. „Hat denn der Erzbischof", so fragt die „Köln. Bolksztg.", „etwa dem Orden der Deutschrittcr den Homagialeid geschworen? Man könnte ja mit demselben Rechte die Pastoren des Gustav Adolf - Vereins auf ihren Diensteid Hinweisen, in welchem sie dem Vaterlande Treue geloben, was sie aber nicht abhält, einen ausländischen Eroberer und Feind des deutschen Reiches zu feiern." — Indem die „Köln. Bolksztg." mit den vorstehenden Sätzen die Erinnerung an den Eid des Erzbischofs von Posen zu entkräfte» unter nahm, versah sie sich nur in einer Kleinigkeit: darin näm lich, daß sie das Wesen der Tannenbergfeier einerseits, der Gustav Adolf-Sache andererseits auf den Kopf stellte. Bei der kirchlichen Feier der Schlacht von Tan nenberg kommt irgend ein religiöses Interesse des katholischen Glaubens oder der katholischen Kirche auch nicht im Mindesten in Frage; es handelt sich lediglich um ein national - polnisches Interesse, das seinem Ursprünge nach dem religiös- und kirchlich-katholischen insofern direct entgegengesetzt ist, als der Steg von Tan nenberg über einen katholischen Orden durch ein thcilwcise he idnisches Heer errungen wurde. Umge kehrt handelt es sich bei der Gustav Adolf-Sache auch nicht im Geringsten um ein national - schwedisches, sondern ausschließlich um ein religiös- und kirch lich - prote st antisch es Interesse. Nicht einem ein zigen Pastor des Gustav Adolf-Vereins fällt eS ein, in Gustav Adolf den schwedischen Eroberer zu feiern, nur als Protestant, der den deutschen Protestantismus vor dem Untergänge bewahrt hat, wird der Schwcdenkönig von deu deutschen Protestanten, insbesondere vom Gustav Adolf- Verein, gefeiert. Sollte der Vergleich der Tannenberg- fcicr mit der Gustav Adolf-Sache auch nur einen Schatten von Berechtigung haben, so müßte cs im deutschen Reiche Leute geben, die in derselben Weise g ro ß s ch w e d is ch e Bestrebungen verfolgen, wie die preußischen Polen grotz- polnische. Solche Deutsche gtebt es auf diesem Plane ten nicht. Darum ist jener Vergleich der „Köln. Bolksztg." nicht weniger sinnlos, als ihre Frage, ob vr. v. Stab lewski dem Orden der Deutschritter deu Homagialeid ge leistet habe. Die colonialcConfercnzin London wird nach etwa sechswöchigen Bcrathungen Anfang August auscin- andergehen. Hält man mit diesem langen Zeiträume noch die Thatsache zusammen, daß die bedeutendsten Männer Englands und der Colonien beisammen gewesen sind, so erscheint cs auf den ersten Blick um so cigenthümlicher, daß das Resultat aller dieser Bcrathungen im Großen und Ganzen gleich Null sein wird. Weder wird sich aus Groß britannien und den Colonien ein wirthschaftlich völlig ge schlossenes Gebiet Herstellen lassen, noch wird der mili tärische Zusammenschluß zur Wirklichkeit werden. Eng lische Blätter rechnen mit einiger Bitterkeit den be deutendsten Colonien, wie beispielsweise Australien, nach, daß sie auch nicht annähernd so viel materielle Auf wendungen für die Wehrmacht, insonderheit die Flotte machen, wie Staaten von nicht größerer Bevölkerungszahl, beispielsweise Argentinien und Chile, die jährlich etwa das Sechsfache für ihre Flotte ausgeben. Wenn die Colo nien auf solche Vorhaltungen „sauer reagiren", so haben sie ganz Recht, denn sie können einrcdcn, daß Chile oder Argentinien weder einen Pfennig noch einen Menschen darauf wende», daß ciue andere Macht in Südafrika Er oberungen macht, von denen sie selbst nichts haben. Auch kann es für die Colonien wenig ermuthigend sein, daß eben jetzt wieder argeMitzstände in der britischen Armee zuTage treten. Einmal ist der Bericht des Ausschusses über die Ausgaben im südafrikanischen Kriege ein geradezu nieder schmetternder Beweis für die skandalöse Nachlässigkeit -- zum Theil war es noch etwas Schlimmeres —, mit der Millionen zum Fenster hinausgcwvrfen worden sind; zum Zweiten ist es ein Beweis einer übel angebrachten Nach sicht, daß die Cadetten, die in Sandhurst die bekannte Re volte veranstaltet hatten, bis auf zwei vollständig begnadigt worden sind und ihr Officiersexamen machen dürfen. Wenn solche disciplinlose Gesellen Officiere werden dürfen, wie soll es dann mit der Disciplin der gemeinen Soldaten aussehcn? Angesichts dieser offenkundigen Schäden sollten die Engländer lieber erst ihre Armee inner lich vollkommen reorganisiren, ehe sie wieder active Politik treiben. England scheint aber schon wieder gute Lust zu haben, andere Mächte vor den Kopf zu stoße». Anders kann man sich wenigstens die Nachricht nicht erklären, wo nach England und Japan ein vollkommenes Pro tektorat über Korea übernommen haben. Es ist kaum anznnehmcn, daß Rußland es sich gefallen lassen wird, wenn England und Japan daran gehen, sich selbst in Korea festzusetzen und den russischen Einfluß vollständig zu beseitigen. Die von französischer Seite auS erfolgte Wieder belebung der armenischen Agitation war anfangs seitens der Regierung begünstigt worden, da nach einer Verein barung mit Rußland darauf hingcarbeitet werden sollte, die Armenier aus -em Bannkreise Englands Hera nszu ziehen. Die französische Regierung hat die Absicht, in den armenischen Provinzen mehrere Cvn- sulate einzurichten, welche dort gemeinsam mit den russischen Cousuln arbeiten sollten. Der in Brüssel abge- haltenc Congreß -er Armenicrfreunde hat jedoch gezeigt, daß die Angelegenheit den Händen des Herrn Delcassä be reits völlig entglitten ist und von den Socialisten für ihre besonderen Partcizwecke ausgebentet wurde. — Bc- merkenswerth hierzu ist, daß augenblicklich von englischer Seite die Lage in den armenischen Bezirken zur Abwechse lung als eine sehr befriedigende dargelegt wird. Sv hat das große armenische UntcrstützungScvmitö in London soeben einen Bericht veröffentlicht, wonach der allgemeine Verkehr in Wan feine normalen Können wieder ge wonnen habe und -aß auch iu -er Umgegend die allgemeine Sicherheit wieder hergestellt sei. Deutsches Reich. Berlin, 27. Juli. (Die Socialdemokratie und der Zolltarif.) Die gestrigen Ausführungen des socialdemokratischen Abg. Hoch, die sich durchaus mit deu Ansichten des Staatssekretärs Grafen Pvsadowsky decken, mutzten selbstverständlich den „Vorwärts" sehr pein lich berühren. Er weis; sich deshalb nicht anders zu helfen, als daß er sie den Genossen einfach unterschlügt. In breiter Ausführung wird dagegen ein kleiner Zusammen stoß des Abg. Hoch mit dem Vorsitzenden der Commission, Abg. Rettich, geschildert, dann aber in Entstellung des In halts der beiden Reden Hoch s nur gesagt: „Die weiteren Ausführungen des Redners gelangen zu dem Schluß, daß die Zollfrcihcit der Industrie diene, der Zoll sie schädige." — Das ist die objektive, wahrheitsgetreue Berichterstat tung der Socialdemokratie, wenn cs sich darum handelt, ihre Blöße und Schwäche den Genossen gegenüber zu ver decken und zu verheimlichen! Dann muß die socialdemo- 8j Zwei Welten. Roman von Arthur Sewett. Nachdruck verboten. „Wer sagt Dir das?" „Nicht das Geringste", wiederholte sic unbeugsam. „Nicht nur unsere Anschauungen sind so grundverschieden, unsere Lebenswege laufen in so entgegengesetzter Richtung auseinander, daß sic sich in keinem Punct treffen können — unser Blut ist ein ganz anderes. Und selbst da, wo ich mir vielleicht einmal einbilden wollte, ich hätte einen ge wissen Einfluß auf dieses Mädchen geübt, würde in der nächsten Secunbe ihr Blut, ihr Naturell nur um so urwüchsiger durchbrechen und alles daS über den Haufen werfen. Ich glaube nicht an eine solche Beeinflussung/. „Was sollte ich dann sagen?" „Das ist Deine Sache. Vielleicht kommst auch Du noch einmal zur gleichen Erkenntnitz." „Niemals", sagte er entschieden, „gerade jetzt nicht, wo ich glaube, die richtige Art gefunden zu haben, dem Herzen dieses Mädchens näher zu kommen, wo ich die sichtbarsten Erfolge gesehen habe." „Ich gönne sie Dir. Aber ich fürchte, die Grenze, über die Du hier nie htnauskommst, wir- sich auch Dir noch offenbaren." Eine kurze Pause trat ein. „Gabriele", sagte er dann mit schnellem Entschluß, „bas Alles, was Du vorgiebst, ist es nicht, was Dir die Er. füllung meiner Bitte unmöglich macht. Es muh etwas Anderes sein." Sie blickte ihn einen Augenblick betroffen an. „Ja", sagte sie dann ruhig, „Du hast Recht. ES ist ein anderer triftigerer Grund." „Und dieser andere und triftigere Grund?" Sie zögerte. Erst als er in sie drang, sagte sie langsam: „Weil ich die Berührung mit diesem Mädchen fürchte." „Gabriele!" rief er außer sich. Die gewohnte Fassung hatte ihn jetzt verlassen. Er fühlte, wie ihm die Ader an der Stirn anschwoll. Sie aber blieb bet seiner heißen Erregung ganz rubig. „Ja, Fritzi^ sagte sie traurig, und zum ersten Male nannte sie ihn bei seinem Vornamen. „Es thut mir leib, Dir das sagen zu müssen, warum zwingst Du mich dazu? Es gicbt solch' eine unbestimmbare Scheu der Frau. Sie weiß nicht, weshalb; sie vermag sich keine Rechenschaft darüber zu geben. Instinktmäßig meidet sie gewisse Be rührungen. Und Niemand kann ihr diese Furcht auS- reden. Selbst ein Beweis, daß sie Unrecht hat, würde ste nicht überzeugen. So geht es mir mit dieser Kunst reiterin. Sie mag das bildungsfähigste Geschöpf sein, ich fürchte ihre Berührung." „Und eins noch! Glaubst Du, daß Deine Mutter meinen Verkehr mit Deiner Schülerin gern sähe?" Der Doctor athmete tief, er antwortete aber nicht. Auch Gabriele sprach kein Wort weiter. Auf Fritz aber machte diese Unterredung eine un erwartete Wirkung. Statt ihn irre zu machen auf der einmal begonnenen Bahn, trieb sie ihn nur um so rastloser auf ihr weiter. Als er gleich nach dem Abendessen in sein Arbeitszimmer trat, empfand er, daß diese stolze Ab weisung ihn inniger, als er je gedacht und gewollt, soli darisch fast, mit -er verbnnden hatte, in deren Seele er sich so schmerzlich beleidigt fühlte. Mochten sie Alle sich von ihr wenden, mochte Gabriele ihre Berührung fürchten, von jetzt ab würde er nur um so treuer zu ihr stehen. Mit dem Idealismus, der ihn zu der unermüdlichen Arbeit an der Hebung dieses Mädchens trieb, vereinte sich jetzt noch eine Bundeögenossin: der Ehrgeiz! Der Gesellschaft, seiner Mutter, vor Allem aber der hoch- müthigen Gabriele wollte er beweisen, wie schmählich ihr kleinlicher Argwohn sie getäuscht habe. Zu der Erkcnnt- niß jedenfalls, von der sic vorhin gesprochen, würde er niemals kommen. Ein Kampf war es, den er führen wollte um dieses Mädchens Seele. Der Feind aber, mlt dem er sich in der Erregung seines Herzens in heiße Gegnerschaft hinetnredete, war weder die Gesellschaft noch seine Mutter. Den Feind, den er schlagen wollte und demüthigen, hieß Gabriele. Wer würbe siegen, er oder sie? Der Herbst hatte dem Winter Platz gemacht. Mit grimmigem Ernst war er schon im November auf den Plan getreten. Draußen pfiff ein scharfer Nordost und wirbelte die ersten Schneeflocken griesgrämig durch einander. Sie aber kümmerten sich um seine schlechte Laune nicht, sie freuten sich ihres Daseins und tanzten langsam und behaglich zur Erde herab. In seinem gut geheizten Arbeitszimmer saß Doctor Mollinar und erwartete seine Schülerin. E» war daS zweite Mal, daß er mit ihr allein sein sollte, denn seine Mutter zwang eine Erkältung, der Stunde fern zu bleiben; lebhaft stand jene frühere vor seiner Seele, da es zu der unvergeßlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und Miß Ellida gekommen mar. Und auch heute sah er der kommenden Stunde nicht ohne ein gewisses Zagen entgegen. Fürchtete er das Alleinsein mit seiner Schülerin? Er hatte nicht Zeit, sich darüber Rechenschaft zu geben, denn in der Eßstube schlug die Uhr die vierte Stunde; sofort erscholl auch da draußen das gewohnte energische Läuten, und Miß Ellida trat ein. Schneeflocken lagen auf dem kurzen Jacket, das für die heutige Witterung etwas leicht erschien und schimmerten von der rvthen Hutfeder herab. Die zarten Hände in den engen grünen Glacehandschuhen waren erstarrt. „Guten Tag, Herr Doctor. Puh, was für eine Kälte! Im Circus ein entsetzlicher Zug und zu Hause hatten sie schlecht geheizt. Aber hier, hier ist es so schön, so wann, so mollig." Ste hatte Hut und Jacket abgelegt und Beides sorgsam auf einen Stuhl dicht au der Thür gelegt, das Jacket aus gebreitet, damit die Nässe nicht von ihm auf den Teppich tropfe. Jetzt stand sic am Ofen und wärmte die ver- klammten Hände. „Ach, Herr Doctor, wie gut haben Sie es doch! Wie gut!" Ihr Seufzer klang so kindlich ,md so wahr, und um die rvthen Lippen huschte ein sinnender, nachdenk licher Zug. Mit einem Male fiel ihr Blick auf -en Sessel, auf dem gewöhnlich Fran Mollinar saß, er war leer. „Aber die Madame, Herr Doctor?" fragte ste in sicht barem Erstaunen, „kommt die denn heute nicht?" „Meine Mutter ist krank, sie kann heute leider nicht hier sein." „Die arme Madame! Wie schade für sie! Und gerade jetzt mutz sie so viel versäumen, wo die Stunden so hübsch sind!" Es war ein aufrichtiges Bedauern, daS aus ihren Worten sprach. Der Doctor sah in fragendem Erstaunen zu ihr hinüber. War dies nun wirklich Naivität, oder war cs «ar versteckte Bosheit? „Meine Mutter kommt nicht in diese Stunden, um zu lernen", sagte er schlietzlich. „Nein, nicht -um Lernen! Aber doch um zuzuhören all' dem Schönen, was Sie mit mir burchnehmen. Wes halb sollte sic sonst kommen?" Und wieder dieselbe Aufrichtigkeit in ihren Worten, daß der arme Doctor immer verlegener wurde und der Frage auszuwcichen suchte. „Ich kann Ihnen das nicht auseinaudersetzen, Fräulein Elli. Wir müsse» auch jetzt an unsere Arbeit gehen." „Aber ich möchte cs doch so gern wissen, Herr Doctor, bitte, sagen Sie es mir doch, weshalb die Madame immer hier ist, wenn sie nicht zuhören will. Bitte, bitte, Herr Doctor." Sie konnte so rührend bitten. „Weil es so schicklich ist", brummte er vvr sich bin. Aber kaum waren die Worte von seinen Lippen gekommen, da klang durch das stille Zimmer ein so Helles, so übcr- müthigcs Lachen, wie diese Räume es wohl noch nie ge hört hatten. Das junge Mädchen hatte ihren Platz am Ofen verlassen und durchmaß die Stube, ab und zu den schlanken Oberkörper nach vorn neigend und die Hände in einander schlagend, unbekümmert um das finstere Ge sicht ihres Lehrers. „Weil es schicklich ist, weil cs schicklich ist!" rief sic da zwischen in ersticktem Ton. „Und deshalb muß die arme alte Madame Stunde um Stunde hier sitzen und aufpasse», ja, worauf denn aufpaflen, Herr Doctor? Daß ich Ihnen nichts thue oder Sie am Ende mir?" Jetzt war cs Fritz denn doch zu viel: „Ich muß Sie bitten, Fräulein Ellida, jetzt endlich dies unbegreifliche Lachen zu lassen. Wir haben hier Ernsteres zu thun. Wollen Sie, bitte, nun Ihren Platz einnehmen?" Schweigend gehorchte Miß Ellida. Aber als sic auf ihrem Stuhl saß, da zuckte und zuckte es um ihre Lippen und ihre ganze Gestalt zitterte in »rnterdrücktem Lachen, bis alle Beherrschung vergeblich war und der Doctor, der eben seinen Vortrag beginnen wollte, plötzlich aus seiner Ueberlegung aufgeschreckt wurde durch dasselbe über- müthige Lachen. Und als er nun noch finsterer zu ihr hinüberblickte und sah, welch' einen verzweifelten Kampf das arme Mädchen kämpfte, wie sie erst die Mundwinkel zusammenkntff und dann mit den Zähnen die Lippen fast blutig biß, indcß ihr die bellen Thräncn über die Wangen liefen, und dabet doch lachen mutzte und immer lachen, da konnte auch er nicht mehr an sich halten, und zu seinem grötzten Acrgcr mutzte er kopfschüttelnd mitlachen. „Sie sind ein komisches Mädchen, Fräulein Elli", sagte er, nachdem er wieder ernst geworden. „Komisch? Ja, so erscheine ich Ihnen, Herr Doctor", erwiderte Ellida, „und Tie ahnen gar nicht, wie komisch
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