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Abend-Ausgabe. Np;igtr TiigMalt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rattzes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Nr. 311. Sonnabend 21. J.mi 1902. 96. Jahrgang. Proclaiiiation des Königs. * Dresden, 21. Juni. Die Proclamation des Königs Georg lautet: „Wir Georg von Gottes Gnaden, König von Lachsen u. s. w., thun hiermit knnd und zu wissen: Nachdem durch Gottes uncrforschlichen Nathschluß des Allerdurchlauchtigsten Königs und Herr» Albert, Königs von Lachsen, Unseres vielgeliebten Herrn Bruders Königliche Majestät zum grünten Lchmcrze Seines Hauses, wie Leiner gesammten Unterthancn aus diesem Leben abgcruscn worden ist, haben Wir die Negie rung des Königreiches Lachsen vermöge des nach der ver fassungsmäßigen Erbfolge an Uns geschehenen Anfalles der Krone übernommen. Wir versehen Uns daher zn Unseren getreuen Ständen, den königlichen, sowie den sonstigen in öfsentlichen Diensten angestellten geistlichen und weltlichen Beamten nnd Dienern, auch zn allen Unterthancn und Einwohnern Unseres Königreiches, daß sie Uns, als dem rechtmäßig angestammten Landesherr«, die schuldige Dienstpflicht, Treue und Gehorsam so willig als pflichtmäßig leisten werden. Dagegen versichern Wir sie Unserer auf die Handhabung von Necht und Gerechtig keit nnd Beförderung der Wohlfahrt nnd des Besten des Landes unausgesetzt gerichteten landcovätcrlichc» Fürsorge, werden auch die Bcrsassung des Landes in allen ihren Bestimmungen während Unserer Negierung beobachten, aufrecht erhalten und beschützen. Damit der Gang der Staatogeschäftc nicht unterbrochen wird, ist Unser Wille, daß sämmtlichc Behörden ihre Verrichtungen bis auf Unsere weitere Bestimmung pflichtmäßig fort- sctzen. Gegeben zn Libyllcnort, am 20. Juni 1902. Gcz. Georg. Gcz. v. Mctzsch. v. d. Planitz, v. Leydewitz. Nuegcr. Otto.". Politische Tagesschau. * Leipzig, 2l. Juni. Der Kaiser unv immer wieder der Kaiser! Auch der Correspondent des „Berliner Tageblattes", der dem Ober» Präsidenten von Hannover bereits die Entlassung ge geben und an Stelle desselben den Herrn Baron v. Rheden als kommenden Mann bezeichnet hatte, beruft sich jetzt in allerhand dunklen Redensarten auf den Kaiser, als ob dieser die Frage eines Nachfolgers für den Grafen Stolberg- Wernigerode bereits gelöst habe, ohne die maßgebenden Per sonen, d. h. seine verantwortlichen Nathgeber, darüber gehört zu haben. Also abermals die alte Treiberei, die nur darauf berechnet ist, die Person des Kaisers mit ins Gerede zu bringen und die Räthe des Kaisers als Drahtpuppen erscheinen zu lassen, die einfach mit dem Kopfe zu nicken haben, sobald die eine Person, die das ganze Puppenspiel dirigirt, dies zu verlangen für an gebracht erachtet. So war es noch jedes Mal, wenn wichtige Aemter neu besetzt werden sollten. Man darf sich nicht ein mal wundern, wenn es jetzt genau wieder so betrieben wird. Diese unterirdische Geschäftigkeit mag lediglich die Specialität einiger Berliner Zeitungscorrespondenten sein, — im ein- geweihten Kreise wird man über die Namen dieser Sensations macher kaum einen Zweifel hegen. Aber daß sie ihr Hand werk so unbehindert weitertreiben können und daß eS immer wieder Zeitungen giebt, die sich gern den Beinamen „große" geben lassen und doch an dieser Treiberei sich mitschuldig machen, ist das Charakteristische unserer Tage. ES wäre an der Zeit, daß die verantwortlichen Räthe des Kaisers mit ihm selbst und andererseits auch mit den „großen" Blättern ein Einvernehmen herbeiführten, wie es im freien Lande England längst besteht, damit wenigstens das Ansehen des Monarchen und seiner Negierung nicht immer wieder durch böswillige Ausstreuungen vor dem Jn- lande und dem Auölande herabgesetzt wird. Es bleibt auch dann noch ein hinreichend weites Feld für Diejenigen übrig, die das Bedürsniß haben, die Mühlen der gewerbsmäßigen Opposition mit Wasserkraft zu versorgen. Ein heilloser Schreck ist der „Köln. BolkSztg." ob eines Artikels des „Kuryer Poznanski" über das Ver- bältniß des Centrums zur Polrnfractton in die Glieder ge fahren. Das polnische Blatt beklagt sich bitter über das Ver halten des EentrumS während der letzten Polen-Borlage, vor Allem darüber, daß der Antrag v. JazdzewSki aus nament liche Abstimmung nicht einmal die nöthige Unterstützung ge funden hat und deshalb durchsiel. Während nun der „Kuryer" eine Revision des Verhältnisses der Polenfraction zum Centrum in dem Sinne einer Loöreißung der ersteren von dem Einfluß und der Führerschaft des Centrums be treibt, fleht die „Köln. VolkSztg." die Polenfraction an, eS müsse von beiden Seilen darauf hingearbeitet werden, um zwischen deutschen und polnischen Katholiken wieder ein erwünschtes Einvernehmen herzustellen. Und diese würdelose Kriecherei des Centrums vor dem Polenthnm, obgleich doch fast jeden Augenblick aus dessen Reihen die Parole erschallt: „Fort mit dem Centrum!" Auf diese Stimmung und Absicht unter Len Polen stetig hinzuweisen, ist ein Verdienst der „Polenstimmen", der bekannten, von Justizrath Wagner nnd Gerichtsreferendar Vosberg soeben in zweiter, vermehrter Auflage erschienenen Sammlung von Aeußerungen der polnischen Presse. Wir finden dort ein Citat auS einer Broschüre über die national polnische Sache: „Unsere (polnischen) hohen Politiker im preußischen Landestheil predigen uns beständig von einem Bündniß mit der Centruins partei und sie beißen uns unser Heil in der Anlehnung an diese Partei suchen. Sie vergessen, daß, so lange die Welt besteht, der Deutsche des Polen Bruder nicht werden wird! Sie vergessen, daß das Centruin eine deutsche Partei ist und als solche Interessen haben muß, die von Len unseren abweichen . . . . Darum müssen sich auch die Bande, die uns mit dem Centrum verknüpfen, lösen, denn sie drohen, unsere nationale Existenz zu knebeln". . . . Zum Schlüße heißt es: „Und für die verworfene Ccntrumspartei, für die Abgeord neten, die uin Wahlstimmen bitten, Versprechen aber nicht halten, ... für alle diese unsere Scheinsreunde haben wir nur ein Wort, das in dem alltäglichen und unausgesetzten politischen Kampfe und um so mehr beiden nicht mehr fernen Wahlen unsere Losung werden muß: Fort mit dem Centrum!" Daß diese Losung bei den nächsten Neichstagswablen wirklich werde ausgegeben und befolgt werden, bezweifeln wir allerdings; um so würdeloser aber erscheint die Kriecherei des Centrums und umsomehr muß man darauf gefaßt sein, daß es bindende Versprechungen bezüglich des künftigen WahlverhaltcnS geben werde. Ter bekannte Apostel der NauicnSmagharisirung Simon TelkeS geb. Rubin veröffentlicht, wie alljährlich, auch jetzt wieder seinen Bericht darüber, wie viele Bürger Ungarns im Jahre 1901 ihren ererbten Namen weggeworfen haben. Was ihn dabei nut Betrübniß erfüllt, freut uns im Namen der Vernunft, des Anstandes und des guten Geschmacks: der Unfug des Namenswechsels ist stetig im Abnehmen begriffen. Das geht auS folgenden Zahlen hervor: Wahrend im Jahre 1898, d. i. im Jahre des Drucks auf den kleinen Verkehrsbeamten, 6722 Menschen sich magyarisirten, waren es im Jahre 1899 nur halb so viel, 9240, im Jahre 1900 noch weniger, 2582, und im letzten Jahre (1901) nur 2375. Ein Beweis dafür, daß die NamenSmagyarisirung der Sport der geistigen Unreife ist, ist der von Telkes angeführte Umstand, daß unter den Magyarisirten an erster Stelle die minderjährigen Schüler stehen, und zwar haben im zweiten Halbjahr allein 446 Minder jährige für ihre Person, d. h. nicht als Anhängsel ihrer Eltern (!), den Namen gewechselt, so daß die erbauliche Erscheinung ofl genug vorkommt, daß der Vater den „fremden" Namen hat, während der noch die Schulbank drückende Sohn mit einem „patriotischen" Namen paradirt. Die Hauptstadt Pest marschirt in diesem „Culturfortschritt" ter Ungarn an der Spitze, indem sie ein Contingent von 397, d. i. 16,71 vom Hundert, zur Schaar der Verleugner ihrer Väter gestellt bat. In den anderen Städten sieht es schwach aus: nach Pest kommt gleich Klausenburg mit nur 20 Mann. In Kron stadt haben sich drei, in Hermannstadt zwei umtaufen lassen. Nach der Religion geordnet stehen die Juden mit 764 Ma- gyarisirungen voran; daß die Griechisch-Orientalischen nur 14, die Griechisch-Katbolischen nur 10 Individuen beigestellt haben, gereicht den ungarischen Romänen, Serben und Nuthenen zur Ehre. Der Ausweis der Berufe nach zeigt, daß besonders kleine Beamte aus Rücksichten auf die Carriöre in den saueren Apfel der Namensänderung beißen mußten, insbesondere kommen Eisenbahner in Betracht. Auch verhältnißmäßig viele selbstständige Kaufleute kommen in Betracht. „Das Volk", so klagt Telkes, „hält sich noch immer fern von der NamenSmagyarisirung". In deutschen Kreisen Ungarns, namentlich in Siebenbürgen, glaubt man, daß es auch immer so bleiben wird. Hoffen wir es mit unseren Wackern Blut brüdern im Lande der Karpathen. Deutsches Reich. lH Berlin, 20. Juni. WaS ist Wahrheit? In Aachen, der alten KrönungSstavt der deutschen Kaiser, hat bekanntlich vor einigen Tagen Kaiser Wilhelm II. in einer feierlichen Ansprache die Mittheilung gemacht, daß ge legentlich der Gesandtschaft des Generalobersten von Loö als Vertreter deS Kaisers zum Papstjubiläum der Papst diesem Gesandten im intimen Gespräche den formellen Auftrag er- theilt habe, dem Kaiser zu bestellen: „Das Land in Europa, wo noch Zucht, Ordnung und Disciplin herrsche, Respect vor der Obrigkeit, Achtung vor der Kirche, und wo jeder Katholik ungestört und frei seinem Glauben leben könne, das sei das deutsche Reich, und das danke er dem deutschen Kaiser." Zwei Wochen vor dem Bekanntwerden dieser päpstlichen Acußerung, die in dem stark protestantischen Deutschland den Hort für religiöse Toleranz erblickt und dieses Reich gewisser maßen als einzige Zufluchtsstätte des überall bedrängten katholischen Glaubens hinstellt, erließ die Conferenz der deutschen bayerischenBischöfe einen gemeinsamen Hirten brief, der die Sachlage im feierlichen Schlußworte folgender maßen darstellt: „Wir Katholiken sind in unserem bisherigen ruhigen Besitz- Ihume widerrechtlich durch zahllose und freche Angriffe ge stört und können nicht mehr wie bisher nur für den Ausbau und die Ausschmückung unseres Hauses Sorge tragen, sondern sehen uns, da wir von keiner Seite den genügenden Schutz erhalten, gezwungen, das Schwert aus der Scheide zu ziehen, um unser Heiligthum gegen die anstürmenden Feinde zu vertheidigen. Wir werden uns hüten, Jemand persönlich zu verwunden, aber wir werden das Schwert führen für die Wahrheit gegen den Jrrthum und am Schlüsse des Kampfes triumphirend verkünden: Voritas vielt!" Was ist Wahrheit? rd. Berlin, 20. Juni. (Arbeitersekretariate.) Auf dem jetzt in Stuttgart tagenden Gewerkschaftskongreß ist das Thema der Arbeitersekretariate in Gegenwart einer Anzahl von Vertretern der würtiembergischen Regierung aus führlich zur Sprache gekommen. Wir haben bereits vor Jahr und Tag auf den bedauerlichen Umstand hingewiesen, daß in einigen Fällen eine Rechtsunsicherheit in Beurtheilung der Arbeitcrsekretariaie insofern eingetreten war, als die Frage ihrer Gewerbsmäßigkeit von den Gerichten in Beuthen und Posen bejabt wurde, entgegen der authentischen Definition deS Staatssekretärs Graf Posadowsky im Reichstag. Der preußische Justizminister stellte sich ebenfalls auf den Stand- punct des Staatssekretärs und hat die Staatsanwaltschaften angewiesen, die Arbeitersekretariate nicht mehr als gewerbs mäßige zu betrachten. Seit jener Zeit scheinen sich die Arbeitersekretariate eines größeren Entgegenkommens der Behörden zu erfreuen; ihre Zahl ist jetzt auf 27 gestiegen. Der Gewerkschaftscongreß bat nun gestern einen Antrag auf Gründung eines „Reichs-ArbeitersekretariatS" angenommen, welches die Necurse, die von Mitgliedern der Gewerkschaften bei dem Reichs-Versicherungsamt anhängig gemacht werden, zu bearbeiten und für mündliche Vertretung der Recurse in der Verhandlung vor dem Reichs-Versicherungsamt zu be sorgen hat. — In der Begründung dieses Antrages erging sich der Referent in sehr scharfer Kritik gegen die Spruch- Praxis deS Reichs-Versicherungsamtes, die den Begriff des „Betriebsunfalles" so eng auslege, daß dem Arbeiter die Vertretung seiner Rechte ungemein erschwert werde und eigentlich die ganze Unfallversicherungs-Gesetzgebung werthlos mache. — Diese schweren Anklagen, die auch schon früher von der Reichstagstribüne durch den socialdemokratischen Abgeordneten Stadthagen herab ertönlen, werden hoffentlich baldigst von competenter Stelle aus eine nachdrückliche Widerlegung erfahren, damit nicht die von socialdemokra- tischer Seite aufgestellte Behauptung von der Werthlosig- keit unserer socialen Gesetzgebung weiteren Boden gewinnt und neues Agitationsmaterial für die Socialdemokraten bietet. — Die vereinigten Ausschüsse des Bundesrathes für Eisenbahnen, Post und Telegraphen und für Rech nungswesen hielten heute Sitzung. — Wie der „Berl. Localanz." erfahren baben will, hat in politischen Kreisen der Plan des Gouverneurs vr. Sols von Samoa, chinesische Kulis nach Samoa zu Land arbeiten beranzuziehen, nicht geringes Befremden hervor gerufen. Es wird auS verschiedenen Gründen als aus geschlossen betrachtet, daß hierzu die Zustimmung gegeben werde. — Für das zweite transatlantische deutsche Kabel sind die ersten Lothungen bereits vorgenommen worden. Nach einer zwischen der deutsch-atlantischen Telegraphengesell- schast und dem Reichspostamt getroffenen Vereinbarung wird der Bau des zweiten Kabels in zwei Abschnitten erfolgen. Die erste Strecke Borkum-Azoren muß spätestens am 3l.De- cember 1903 und die zweite am 31. December 1905 fertig gestellt sein, so daß der Betrieb auf der ganzen Linie am 1. Januar 1905 ausgenommen werden kann. — Für das zweite Kabel zwischen Deutschland und Amerika sind bereits die ersten Lothungen vor genommen worden. Nach einer zwischen der Deutsch- Atlantischen telegraphischen Gesellschaft und dem Reichs postamt jetzt getroffenen Vereinbarung wird die Legung deS Kabels in zwei Abschnitten erfolgen. Die erste Strecke zwischen Borkum und den Azoren muß spätestens am 31. December 1903 und die zweite Strecke zwischen den Azoren und New Aork am 3l. December 1904 fertiggestellt sein, so daß der Gesammtbetrieb am 1. Januar 1905 ausgenommen wrrden kann. In denjenigen ameri-