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Verordnungsblatt der Kreishauptmannschaft Bautzen als Konsiftorialvehörde der Oberlausitz. Amtsblatt der Amtshauptmannschaftcn Bautzen und Lvbau, deZ Landgerichts Bautzen und der Amtsgerichte Bautzen, Schirgiswalde, Herrnhut und Bernstadt, des Hauptzollamts Bautzen, ingleichcn der Stadträte zu Bautzen und Bernstadt, sowie der Stadtgcmeindcräte zn Schirgiswalde und Weißenberg. Organ der Handels- und Äewerbekammer zn Zittau. Erscheinungsweise: Täglich abends mit Ausnahme der Sono- und Feierlage. Schriftlcitung und Geschäftsstelle: Bautzen, Innere Lauenstraße 4. Fernsprecher: Nr. 51. — Drahtnachricht: Amtsblatt, Bautzen. Bezugspreis: Monatlich I Marl. Einzelpreis: 10 Psenoige. Anzeigenpreis: Die 6gespaltcne Petiizeile oder deren Raum 15 Pfennige, in geeigneten Fällen Ermäßigung. Schwieriger Satz entsprechend teurer. Reklamen: Die 3gespaltene Petiizeile 50 Pfennige. 129. Jahrgang. «r. 197. Freitag, den 26. August 19lv, abends. Tas Wichtigste vom Tage. Der sächsische Staats- und Justizminister vr. v. Otto ist von seinem Urlaube zurückgekehrt und hat die Geschäfte des Justizministeriums wieder übernommen. Der Kaiser stattete gestern in Königsberg dem Rathause und dem Landes Hause Besuche ab. So wohl auf die Ansprache des Oberbürgermeisters Körte wie auf die des Grafen Dohna-Schlobitten erwiderte er in län geren Entgegnungen. * Die Borkumer Spionageaffäre stellt sich als viel ernster heraus, als bisher angenommen wurde. Bei Brandon und Trench, die jetzt nach Leipzig trans portiert werden, wurden zahlreiche Photographien der Be festigungswerke, große Geldmittel und kompromittierende Briefe aufgefunden. Sie beabsichtigten, sämtliche deutsche- Nordseebefestigungen zu photographieren und verweis gern jede Auskunft über sich. * Die Türkei rüstet gegen Griechenland.! Zum Oberkommandanten an der griechisch-türkischen Grenze wurde Torgut Pascha ernannt. Der 11. Internationale Eeologen-Kon- g r e ß zu Stockholm ist gestern geschlossen worden. Der nächste Kongreß findet 1913 in Kanada statt. Im türkischen Wilajet Diarbekir sind am 21. Aug. nachts infolge eines Erdbebens 1500 Häuser be schädigt worden. 100 Häuser sind vollständig zerstört. " In Michigan, einem der nördlichsten der Ver einigten Staaten von Amerika, ereignete sich nachts ei» schweres Eisenbahn-Unglück. 18 Reisende wur den getötet, 20 verwundet. * Wetteraussicht für Sonnabend: Heiter, warm, trocken, örtliche Störungen nicht ausgeschloffen. * NiiWihrllchkS sieht an anderer Stelle. Was geht in Marokko bork Die in den letzten Tagen aus Marokko eingetroffenen Nachrichten kennzeichnen dieses Land mehr denn je als einen Brennpunkt der Weltpolitik, als einen Hexenkessel, in dem Streitfragen und Interessengegensätze zu einem explosiven Gemisch zusammengebraut werden. Die Fäden der Marokkopolitik, die nun schon seit 1904, dem Jahre des englisch-französischen Abkommens, Diplomaten und Zeitungsleser in Spannung erhält, erfahren immer neue Verschlingungen. Die wichtigsten unter den neuerlichen Nachrichten, soweit sie den Stempel der Glaubwürdigkeit tragen, ist die Neuter-Meldung, daß ein Amerikaner Be sitztitel von unberechenbarer politischer und strategischer Bedeutung im Andjera-Distrikt, also im Hinterlande von Tanger, Ceuta, Tetuan erworben habe. Daß diese Nach richt in diplomatischen Kreisen Tangers ein lebhaftes In teresse erweckt und in Spanien mit Unruhe ausgenommen wurde, läßt sich wohl verstehen. Denn einmal liegt h-er ein sehr geschickter diplomatischer Schachzug Mulay Hafids vor, sodann bedeutet ein amerikanisches Interessengebiet in unmittelbarer Nähe der Straße von Gibraltar eine gründliche Durchquerung insbesondere der spanischen Mr- rokkopolitik, die ersichtlich auf die territoriale Erweiterung und Zusammenschließung der Presidos an der Küste des Mittelmeeres gerichtet ist. Mulay Hafid, der nirgends einen Stützpunkt gegen Frankreich findet, hat sich unter das Joch des Herrn Pichon, des erfolgreichen Leiters der französischen Auslandspolitik, beugen müssen. Die Erklärungen, die jüngst der neue ma rokkanische Minister des Auswärtigen, El Molri, einem französischen Publizisten gab, klingen wie eine offizielle Bestätigung dieser Tatsache. Aber die „Freundschaft" zwischen Marokko und Frankreich kann natürlich beider seits nur eine konventionelle Lüge sein. Mulay Hafid hält es für klug, dem französischen Wolf, der Marokko ver schlingen möchte, aber durch die Besorgnis politischer In digestionen im Tempo behindert wird, ein freundliches Ge sicht zu machen. Zugleich bemüht sich der Sultan von Ma rokko, ausländische Interessen in seinem Lande festzulegen, um für den Fall des weiteren Vordringens Frankreichs Widerstände und Reibungen zu schaffen, die ihm non Nugen sein könnten. Die Handhabe einer solchen Politik bietet Artikel 60 der Algecirasakte in Verbindung mit der Madrider Konvention vom 3. Juli 1880. Die Be stimmung dieser Konvention, daß zum Landerwerb durch Ausländer die Genehmigung des Sultans erforderlich sei, ist in die Algecirasakte übernommen und dahin erweitert worden, daß in den dem Handel geöffneten Städten und im Umkreis von 10 Kilometern der Sultan allgemein die Ge nehmigung erteilt. Wurde diese Genehmigung des Sultans im Sinne der Madrider Konvention schon vorher unter den verschiedensten Vorwänden nicht erteilt, so wacht Mulay Hafid seit der Offenbarung der französischen Ab sichten in Marokko erst recht über den Landerwerb von Aus ländern in seinem Lande und setzt besonders dem Land erwerb durch Franzosen oder französische Protegierte zähen Widerstand entgegen. Dagegen ist es deutschen Staats angehörigen nicht schwer geworden, ausgedehnten Land besitz in der Echauja zu erwerben und bis in die neueste Zeit hinein zu erweitern — ein Pfahl im Fleische von Französisch-Marokko. Die politische Bedeutung dieses deut schen Landbesitzes wird aber weit übertroffen durch den eben gemeldeten amerikanischen Landerwerb im Hinterland der Meerenge von Gibraltar, dem politisch bei weitem wichtigsten Teile des Sultanats. Auch Englands politi sche Interessen kommen bei diesem Landerwerb stark in Frage. Da die Vereinigten Staaten bekanntermaßen die Interessen ihrer Staatsangehörigen im Auslande muster haft vertreten, so darf man auf die weitere Entwickelung dieser Angelegenheit gespannt sein. Eine neue Verein barung unter den Algecirasmächten, zu denen auch die Vereinigten Staaten gehören, liegt nicht außerhalb des Bereichs der Wahrscheinlichkeit. Spanien, das das Hinterland der Meerenge von Gib raltar als seine besondere Jnteressenzone betrachtet, ent faltet in Marokko eine so rege Tätigkeit, daß in der fran zösischen Marokkopreffe bereits vor längerer Zeit der Ruf ertönte: „Spanien stiehlt uns Marokko!" Seit eben so langer Zeit plädiert die französische Marokkopresse für ein schnelleres Tempo der französischen Marokkopolitik. Die Rede des Ministers Pichon in Chalons-sur-SLüne bei Ein weihung des Mauchamp-Denkmals und noch mehr der ein schlägige Kommentar des „Temps" enthalten keine Ab lehnung dieses Vorwärtsdrängens, sondern sprechen im Gegenteil von der „Verteidigung der französischen Ex pansion" und einer Regierung der „n ationalen Aktio n". Bedenkt man zu alledem die von der Tangerer „Deut schen Marokkozeitung" festgestellte Zunahme des Europäer- Haffes in Marokko, der in der Tat in mehreren neuer lichen Untaten der Eingeborenen zum Ausdruck kommt, so stellt sich die politische Situation in Marokko keineswegs als beruhigend dar. Die marokkanische Frage ist noch lange nicht gelöst. Sie bietet der Geschicklichkeit der Diplomaten andauernd die schwierigsten Aufgaben. Politische Nachrichten. Deutsches Reich. Der sozialdemokratische Sieg i» Zschopau-Marienberg. Bei der N e i ch s t a g s e r s a tz w a h l im 20. sächsischen Wahlkreise Zschopau-Marienberg hat Göhre, der Kan didat der Sozialdemokraten, 14 831 Stimmen, Brodaus, der von den Freisinnigen aufgestellte und von den Natio nalliberalen unterstützte Kandidat, 4717 und der Reformer Fritzsche, für den auch die Konservativen eintraten, 4630 Stimmen erhalten. Auf die zwei bürgerlichen Mandats bewerber sind nur 9347 Stimmen gefallen, sie sind also um zirka 5500 Stimmen von den Sozialdemokraten über flügelt worden. Der Kontrast zwischen dem Stimmen verhältnis der Parteien bei der letzten, für die bürger lichen Parteien siegreichen Wahl im Jahre 1907 ist auf fallend groß. Vor drei Jahren wurden für den Sozial demokraten, es war gleichfalls Göhre, 11281, für den Re former Zimmermann 14 732 Stimmen abgegeben. Die Zahl der bürgerlichen Stimmen hat sich demnach um rund 5400 Stimmen vermindert, die der sozialdemokratischen ist dagegen um mehr als 3500 gewachsen. Die Gesamt zahl der bürgerlichen Stimmen ist noch unter die bei den Wahlen von 1893, 1898 und 1903 gesunken, während die sozialdemokratische Stimmenziffer die bisher höchste im Jahre 1903, als Sachse» das rote Königreich wurde, noch um 1200 übertroffen hat. Sehr richtig weist die „Leipz. Ztg.", das offiziöse Organ der sächsischen Regierung, übrigens darauf hin, daß die Enttäuschung auf der rechten Seite noch größer sein müsse, als auf der linken, da die der letzteren zugehörigen Wähler die starke Partei der Mittel ständler und Konservativen auf den dritten Platz ge drängt haben. Das ist um so bemerkenswerter, als der 20. Wahlkreis eine nicht unbedeutende landwirtschaftliche Bevölkerung aufweist und früher, vor dem Antisemiten Zimmermann, von einem Rittergutsbesitzer im Reichstage vertreten gewesen ist. Mit Genugtuung hebt daher auch die sozialdemokratische „Leipz. Volksztg." hervor, das Wahlergebnis bedeute mit Rücksicht auf die 4500 liberalen Stimmen, daß 19 000 Proteststimmen gegen den schwarz blauen Block abgegeben worden seien. Allerdings seien die für Göhre abgegebenen 15 000 Stimmen noch lange keine 15 000 überzeugte Sozialdemokraten, aber tausende von Angehörigen des Mittelstandes in Stadt und Land hätten das Gruseln vor der Soziademokratie verlernt und es gelte, diese Wühler durch Aufklärung über die soziali- Uschen Ziele zu bewußten Sozialdemokraten zu machen. Halte die Stimmung des Volles an — und daran sei an gesichts des Zoll- und Steuerdrucks, der drohenden neuen Steuern und Heeresvermehrungen nicht zu zweifeln —, so werde Sachsen im Jahre 1912 ein „k n a l l r o t e s Königrei ch" sein! Der gleichen Zuversicht geben auch die Chemnitzer „Voltsstimme" und die „Dresdener Volks zeitung" Ausdruck. Letztere bekennt, daß einen so über wältigenden Sieg auch der größte Optimist nicht erwartet hatte. Und das Chemnitzer sozialdemokratische Blatt meint: „Wir wüßten nicht, welche sächsische Atandate nach diesem Triumph die bürgerlichen Parteien noch behaupten sollten." Von den bürgerlichen Blättern Sachsens ver langt das „Leipz. Tagebl." von der Regierung konkrete Zugeständnisse in fortschrittlichem Sinne: „Eine ver nünftige, die Lasten wirklich gleichmäßig verteilende Steuerreform, eine besonnene, aber wirksame Erweiterung der Volksrechte im Parlament sind Ziele, die eine Ver söhnung ermöglichen können, die wieder Freude am Staatsleben zu erwecken und die jetzt übermächtige Ver drossenheit zu dämpfen vermögen." Die nationalliberale „Allgemeine Ztg." in Che m n i tz sagt zu dem Wahlausfalle: „Gewiß kann alle Verstimmung das sichtbare st a r k e U e b e r l ü u f e r t u in nicht rechtfertigen. Aber die Pollsmasse in ihrer Leiden schaftlichkeit hat niemals über den unmittelbaren Effekt ihrer Handlung hinaus sich philosophischen Betrachtungen hingegeben. Jedes Volk läßt sich eine Regierung selbst bei Betonung einseitiger Parteipolitik gefallen, solange das Regiment mit Geist, Kraft und Glück gehandhabt wird. Das aber ist nicht der Fall gewesen in diesen letzten Jahren. Wenn wir fragen: Wie lange dauert es, ehe ein großes Kapital von nationaler Begeisterung und bei Be ginn der Finanzreform unbedingt vorhandener Opferfreu digkeit des Volkes aufgebraucht ist —, das Wahlergebnis in Zschopau-Marienberg ist die unerfreuliche, ernste A nt- wort des Erzgebirges auf diese Frage." Bemerkenswert sind die Ausführungen des „Vor wärts", des führenden Blattes der Sozialdemokratie, welches schreibt: „Der Wahlausfall bedeutet die denkbar schärfste Verurteilung der Politik, die im Zeichen des Schnapsblocks in Deutschland getrieben wurde und noch immer getrieben wird. Das Urteil wird um so markanter, weil auch die Stimmen der Fortschrittler als gegen die Konservativen gerechnet in Rechnung gestellt werden müssen. Das Wahlresultat bedeutet aber noch mehr, näm lich auch die schärfste Absage an den Liberalismus, der sich einbildetc, im trüben fischen zu können. Vor allem aber ist diese Wahl gewissermaßen eine kleine P robe für den Ausfall der allgemeinen Wahlen gewesen, die im nächsten Jahre stattfinden. Die bürgerlichen Parteien werden die Hoffnungen, die sie hegten, wesentlich redu zieren müssen. Sachsen ist auf dem besten Wege, wieder das roteKönigreichzu werden. Nascher, als man vermuten konnte, haben die bürgerlichen Parteien ab gewirtschaftet. Das vorliegende Wahlresultat ist der beste Beweis dafür, daß die Sozialdemokraten mit der Haltung, die sie im Reichstag eingenommen haben, auf dem rechten Wege waren und in steigendem Maße gewinnen sie das Vertrauen der Massen, die immer mehr erkennen, wie sie von den bürgerlichen Parteien am Narrenseil gegängelt worden sind. Auf den Höhen des Erzgebirges weht wieder die rote Fahne der Sozialdemokratie. Die Niedergerittenen reiten." Der 51. Genosse im Reichstage. Paul Göhre, der sich zuerst auf sozialem Gebiete einen Namen machte durch seine Schrift „Drei Monate Fabrikarbeiter", ist Uber die Nationalsozialen Naumannscher Observanz zu den Sozial demokraten hingeglitten; er hat auf der Reise vom Irrtum zur Wahrheit — wie Herr von Gerlach sagt — zuerst die letzte Etappe erreicht. Und schon einmal ist er in den Reichs tag gewühlt worden: im Jahre 1903 im süchsischen Wahl kreise Mittweida-Lorbach. Aber er war eine etwas sensible Natur, die sich an das robustere Wesen seiner Genossen nicht gleich zu gewöhnen vermochte. Auf dem Dresdner Partei tage kam es zum Bruch; als Bebel gegen seinen jungen Kollegen ausfällig wurde, wehrte sich dieser energisch seiner Haut, legte aber dann sein Mandat nieder, noch ehe er über haupt im Reichstage erschiene» war. Man glaubte, daß er den Geschmack an der parlamentarischen Tätigkeit verloren haben und sich auf journalistische und schriftstellerische Ar beiten beschränken würde, aber schon im Jahre 1907 stellten ihn die Sozialdemokraten wieder auf; aber er unterlag gegen den gemeinsamen Kandidaten der bürgerlichen Par teien in demselben Wahlkreist', in dem er jetzt Verhältnis-