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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.07.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020721014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902072101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902072101
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-07
- Tag 1902-07-21
-
Monat
1902-07
-
Jahr
1902
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Anzeigen.PreiS die e gespaltene Petitzeile rs Reelame» mrter dem Redactiou-strich l-gespalten) 75 vor de» Familiennach- richtea (S gespalte») 60 Tabellarischer «ad Zlffernsatz eutsprechead hoher. — Gebühre« für Nachweisungen uub Offrrteaammhme LS (exrl. Porto). Extra-Beilage» (gesaM »»r urU der Morgea-Au-gabe, oh»e Postbefürderung ^l SO.-, Wit Postbefördewlg ^5 Annahmrschluß für Alyeige«: >b«»d-A»-gar«r vormittag- IS Uhr. Mor-o-Lu-gabo: Nachmittag- L Uhr. Anzeige» ß«d stet» a» dt» Expedttiv» P» richte». -- Die Expeditlo» ist Wochestag- mnmterbrocheo geüffaet voa früh S bis «be»d- 7 Uhr. Drillt «ud Verlag vo» E. Pol- t» Leipzig. Montag den 21. Juli 1902. Nr. 365. 96. Jahrgang. Aach Landsberg und Delitzsch. „Unkraut zwischen dem Weizen!" Es ist ein langer Weg von Leipzig nach Landsberg. Felder und Wiesen. Wiesen und Felder. Zur ersten längeren Besichtigung fühlten wir uns veranlaßt im Dorfe Kölsa. Nicht waren es die an der Straßenseite der Häuser befindlichen eckigen, kastenförmigen Backöfen, die besonders gefesselt hätten, son dern derKirchthurmdeSOrts übtedieseAnziehungskraftaus Ein alter Wartthurm, wie man ihn z. B. an den Ruinen des überaus malerisch gelegenen Städtchens Kohren sehen kann, rund wie ein Fabrikschlot, aber von so dicken Wän den, daß getrost ein Erntewagen darauf fahren könnte, ist in Kölsa zu dem Thume der Kirche verwendet worden. Schon das sonderbar einfache Dach wirkt anziehend und sagt, daß man vor einem Bauwerke von nahe an tausend Jahren steht. Nicht minder verlockend zur Einkehr ist die in roher Gvthik gehaltene Kirche. Sie ist laut einer Zahl in Sandstein wohl 1522, nicht, wie man wohl mich zu lesen geneigt ist, 1122 erbaut worden. Das Innere der Kirche zu Kölsa bietet des Kunsthistorischen in überraschender Menge. Der Altar zeigt inmitten dicker Palmcnschäfte eine tiefe Nische mit einem gekreuzigten Christus, darüber in Wolken ein Symbol der Dreieinigkeit, in noch c-rößerer Höhe den Auferstandenen mit dem Teufel zu seinen Füßen «Gen. 3, 15). Die Außenwände der Emporen sind mit kleinen feinen Oelbilderchen geschmückt, die für eine Land kirche recht passend gewählt sind, hier ein Süemann, dort ein Schnitter über seiner Arbeit. Längere Zeit lenkt noch in diesem Gotteshause den Blick auf sich die Kanzel, die sammt Treppe und Schalldach aus Sandstein gefertigt ist,' dieses zeigt nämlich nicht nur den Aufcrstandenen, sondern auch einen erschrocken zu Boden gestürzten Kriegsknechi in nicht unbeträchtlicher Größe. Außerhalb des Ortes Kölsa nach Landsberg zu hat man über die weite Ebene hin ein prächtiges Panorama vor sich: zunächst längs desWcgcs Kirschbäume, in den Straßen gräben hier und dort die billigen Fahrräder jener Maurer- und Zimmerleute, die nur des Sonntags aus den nahen Großstädten Leipzig und Halle nach Hause kommen können nnd ihren kleinen Besitzungen einige Stunden widmen. Auf demRad nach dein Kartoffelfeldc, weich' treffendes Bild modernen Fortschrittes! Vor dreißig Jahren noch hätte das Keiner für möglich gehalten! Auf anderen Stellen der Landsberger Straße grasen Schafheerdcn die Gras flächen ab, welche den Fahrweg rechts nnd links mitunter an die 2 Meter einfassen, ein Anblick, der gleichfalls nicht allzu häufig cntgegcntretcn dürfte. In weiterer Ferne zeigt sich nach Halle zu Glessin mit seinem formenschönen Kirchthurme, im Osten aber Delitzsch mit seinen zahl reichen, weithin bemerkbaren Bauten, im Nordwesten der zngespitztc Petersberg mit den ältesten Erinnerungen an die Anfänge der sächsischen Geschichte, im Nordosten endlich als östlichster Ausläufer einer vom Westen herüber kommenden Hügelkette das erste Ziel unserer Wanderung, der Capcllcnbcrg bei Landsberg, nicht unähnlich unserer Insel Helgoland, gleich ihr sich scharfkantig schroff erbebend über eine weite Ebene. Kurz vor Landsberg liegt der Ort Gollma, der Sitz einer Superintendent»! und weit hin bekannt durch die vorzügliche Küche seiner Gasthöfe. In diesen Landgasthöfen kann man ein starkes, gemüthlichcs Bauernvolk kennen lernen, wahre SiegfriedSgcstalten sind eS. Ihr geistiges Leben ist getheilt in Liebe zur Landwirtbschaft und zur unvergessenen großen Vergangenheit ihrer Gelände. Man liest hier „Die Feld post", eine billige Zeitung für Landleute, blickt voll Hoff, nnng auf die bevorstehende Ernte, und so trübe Erinne rungen auch arge Hagelschäden jüngstvergangener Jahre wachrnfcn mögen — die Landsberger Pflege gilt für eine Hagelgcgcnd —, unmittelbar bevorstehende „Nvsenfcstc" helfen nicht wenig die Sorgen bannen. Endlich steht man vor dem Ziele, dem Eapcllenbergc. So müde auch der Fuß durch die fast sechsstündige Wan derung von Leipzig her ist, so beflügelt wird der Schritt angesichts dieser lieblichen Anhöhe aus Feldspat-Porphyr. Warnende Stimmen machen rechtzeitig aufmerksam auf -en oben anwesenden Polizisten, und so fügen wir uns uns gern den bestehenden Vorschriften: nicht geraden Wegs geht's bergauf, wie es wohl unserer Freude darüber, am Ziel zu sein, als das Zweckmäßigste erscheint, sondern in weitem, weniger anstrengendem Bogen. Hier tummeln sich gern muntere Knaben in größerer Zahl,' einen der ältesten frug ich: „Habt Ihr in der Schule von Eurem be rühmten Dietrich von Landsberg*) gehört?" und erhielt die entzückende Antwort: „Nee, -er sitzt nicht in meiner Elaste N Recht dankbar ist eine Betrachtung der verschiedenen Thürgewände, die aus Sandstein hergestellt sind; das süd liche zeigt im Giebelfelds und — eine Seltenheit! — auch in den Kehlungen systematisch gruppirte geschmackvolle Ornamente **), das nördliche aber einen sitzenden Christus mit -em Kreuz ***) in der einen Hand, die andere wie zum Segnen erhoben, zur Rechten und zur Linken um standen von Engels- und Heiligenfiguren. Weniger deut lich als diese Gestalten des nördlichen Giebelfeldes sind die an den Außenseiten des Thürgewändcs; an der einen ist der Schmuck im Laufe von nahezu 700 Jahren fast völlig verloren gegangen, an der anderen aber ist in groben Um rissen noch ein Ritter mit Speer und Schild zu erkennen. Mit tiefer Andacht erfüllt der Eintritt in die St. Kruzis» capelle. Entstanden in der zweiten Hälfte des 12. Jahr hunderts, trägt sie in dem romanischen Stile des Ganzen völlig den Charakter jener Bauperiodc. Genannt ist die Capelle nach einem Splitter vom Kreuze Christi, der in dem Altäre der oberen Capelle vermauert worden sein soll; sie besitzt auch in der einzigen Marmorsäule des gan zen Baues, einem Geschenke des Papstes Alexander IH., eine Reliquie, die aus dem heiligen Lande stammen und im nächsten Zusammenhänge mit dem Leiden unseres Er lösers gestanden haben soll. Fühlt sich auch der protestan tische Beschauer dieser sagenumwobenen Reliquien nicht veranlaßt, wie es noch im vorigen Jahrhundert zwei Mönche gethan haben sollen, von früh bis Abends vor ihr zu beten, bis sie zum Zeichen der Erhörung Blut schwitzte, so erfüllt doch auch ihn das hohe Älter und die weihevolle Harmonie dieses Baues mit Andacht und er zeugt in ihm etwas von jener Stimmung, welche der be kannte Spruch wachruft: „Ziehe deine Schuhe aus, denn das Land, darauf du stehst, ist ein heiliges Land!" Auch dem Lutheraner ist die St. Cruciscapelle auS besonder«: Gründen lieb nnd wcrth, hat doch unser Reformator be kanntlich auf seinem Todesgange nach Eisleben am 24. Januar 1546 hier übern achtet.-f) Noch heute erinnert nicht nur eine im Jahre 1883 von F. Fritzsche gewidmete würdige Gedenktafel an jene Ehrung, sondern auch das „Lutherzimmer" im oberen Gcstock; jene enthält die Worte: „Hier stand Luther und schrieb: „O großer Gott von Ewig keit, erbarm Dich Deiner Christenheit. Dieses bittet mit Herz und Mund MartinnS Luther!"", in diesem aber liegt nicht nur das Fremdenbuch aus, in welches sich erst kürz- lich an einem Tage ein Siamese, ein Schwede nnd ein Wiener cintrugen, sondern eS befindet sich auch darin ein großes Lutherbild, den Glauvcnsheldcn auf dem Reichs tage zn Worms darstellend. Eine größere Reparatur, welche in Folge eines Blitzschlages an der ganzen Capelle vorgenommcn werden mußte, veranlaßte ferner unsere *) Hob bekanntlich die Leipziger Messen durch seinen Schntzbrief vom 1. März 1268 außerordentlich. **) Puttrich und Genfer, Mittelalterliche Bau werke zu Halle, Petersberg und Landsberg, Leipzig, bei F. A. Broctbaus, 1845, halten sie Seite 30 für die Schweife pfauen ähnlicher Vögel. **') Bei Puttrich nnd Gehser „ein Scepter in Form eines Lilienstcngcls" (S. 32). -f) Köhler, Luther's Leben «n seinen Reisen. Eisenach, Bacmcistcr. Seite 308. hochherzige Kaiserin zur Stiftung einer werthvollen Altar bibel. In einem höchst kostbaren Holzkästchen liegend, trügt sie auf dem vordersten Blatt in eigenhändigen, ge wandten kräftigen Zügen folgende Widmung der hohen Frau: „Der Capelle St. Crucis in Landsberg 1887. Epheser 3,16: Daß er euch Kraft gebe nach dem Reichthum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen! Augusta Victoria I. R." Nunmehr traten wir hinaus auf den Alta«: der Südseite. Das war die rechte Stunde, denn, die man seit 14 Jahren umsonst gesucht, heute lagen sie deutlich vor uns: die 7 Thürme deS Domes zu Merseburg; auch die Hohburger Berge bei Wurzen, die man überhaupt noch gar nicht beobachtet hatte, zeigten sich deutlich mit ihren« reichen Wechsel der verschiedensten Formen. Durch ein leichtes Gewitter ließen wir uns sehr gern zu einer kurzen Rast im Gasthause „zum Pelikan" nöthigen. Daß wir hier hörten, Leipzig sei einst, als Landsberg noch Residenz der Markgrafen gewesen, ein Vorort von Lands berg gewesen, das brachte uns so recht den Wandel der Zeiten zum Bewußtsein. Hier in einem Vereinsztmmer die Bilder sämmtlicher Regenten auS dem Hause Hohen- zvllern erblickt zu haben, daS soll uns zu passender Ge- legenheit ein nachahmenswertheö Vorbild sein. Vor« Neußer« aus, das etwa Vr Stunde südwestlich von Landsberg liegt, fuhren wir mit der Halle-Svrau-Gubener Bahn nach Delitzsch, wo wir vor der Rückkehr nach Leipzig noch eine,« zweistündigen Aufenthalt hatten. Die Besich tigung unserer überaus freundlichen nördlichen Nachbar- stadt Delitzsch, die sich vom Westen nach dem Osten hin ausbrettet, bot des Interessanten die Fülle. An die älteste Zeit des OrteS erinnern noch Straßennamen; wie Münze und Töpfergaste, an die neuere Zeit eine wohlerhaltene Meilensäule, die sich, gleich der in der rüstig vorwärts strebender« Stadt Frohburg, durch farbige Hervorhebung der cingegrabcnen Schriftzüge wohl noch hübscher aus nehmen würde, an die Gegenwart bas wohlgelungene Denkmals des Begründers der deutschen Consumveretne, deS vr. Schulze-Delitzsch. An der ehrwürdigen Stadtkirche lenkt manches Kunstwerk aus alter Zett den Blick auf sich. Nur ein wenig über der Straße befindet sich eine inter essante Darstellung deS betenden Christus im Garten Geth semane; so groß diese schöne Sandsteinftgur ist, so wir kungsvoll auch ein Tröster aus dem Gewölk hervortritt, so erheiternd wirken die Gestalten der drei schlafenden Jünger: in ihrer Kleinheit, mit ihren verkürzten Beinen, gelten sie weit und breit als ein seltenes Künstlercüriosum. Zunächst gerades«« beängstigend wirken aus den Fremd ling jene zwei Gestalten, die sich in halber Körperlänge in sommerlicher Gewandung über das große Zifferblatt der hchen Thurmuhr heranSzubeugen scheinen. Beruhigend aber wirkt sofort die heitere Erzählung eines freundlichen Ortsbewohners, daß jene scheinbar überaus waghalsigen Personen nur Holzfiguren sind, die Adam und Eva bar stellen, an« Peter-Paulsmarkte l28. Juni) so in Bewegung gesetzt werden, daß Eva ihren Herrn Gemahl zu den ein zelnen Schlägen der 12. Stunde je einmal in einen Apfel beißen läßt, und mit diesein uralten Schauspiele jedes Mal Tausende von Neugierigen herbeigelockt werben. Die Rückkehr nach dem Bahnhofe verstärkte den angenehmen Eindruck, den unsere Nachbarstadt bereits gemacht hatte, noch mehr: daS zweckmäßige Trottoir, die schmucken Läden, die Aninnth der Hausfaqaden, die Gefälligkeit ihrer Be wohner kann der Fremde nur in gutem Gedächtniß be halten. Halt «nachten wir noch einmal an der alten Gottesackerkirche. Das Hauptportal derselbe» an dem Westgiebel hatte in seiner wirkungsvollen Schönheit in früherer Zeit wohl nur wenige Concurrenten. ES zeigt sich hoch üßer der Thür daS überlebensgroße Brustbild des 1730 gestorbener« Professors Christian Schulze in der im- posanten Tracht Ludwig s XIV., und auch die Seitenwände zieren außerordentlich schöne Sandstetnarbeiten. Eine ge- krönte Maria mit dem Christu-kinde auf dem Arme und eine uralte Gedenktafel, die wohl Nachrichten über die Erbauung jenes Gotteshauses enthält, lenkten zuletzt die dankbaren Blicke der Scheidenden auf sich. I>r. Krebs. Der Chai. Bon Karib. Aus dem Armenischen übersetzt von K. Abovian. Nachdruck verboten. Es war kalter Winter, ein heftiger Orkan brauste und die Nacht war so dunkel, daß die Leute im Gebirgsdorfc O. sich kaum erinnern konnten, je Tag und Sonne, Licht und Wärme, Hellen Himmel gesehen zu haben. Der Wind wehte wie auS Toütengefilden und hatte in seinem Sausen etwas Schauererregendes. Er spielte mit dem Schnee, aber das Spiel war dämonisch, sei«: Hauch tödtend. Nicht nur die Menschen froren, sondern das ganze Dorf O. schien mit allen seinen Hütten, mit seinen Heufeimen und Atharhaufer« (Brennmaterial, wird durch Trocknen aus Biehmist bereitet) zu beben, es schauerte in der dichten Dunkelheit vor diesem höllischer« Wind und es war schwer zu unterscheiden, ob dieses Beben von Angst oder von der Kälte herrührte. Das Dorf hatte dock Angst vor der Natur und welch' eine Angst! lrö erschrak. Donner und Blitz, Win- und Sturm sind ihm doch nicht flüchtige unbe deutende Spiele der Natur, sondern sie kommen mit be stimmten abscheulichen Absichten. Das weiß der Bauer, wie soll er da nicht beben? Es ist wenigstens gut, daß «««an gegen den Blitz ein Kreuzeszeichen und gegen den Orkan einen warmen Stall-Saku hat leine Erhöhung im Stall, worauf die Bauern die Winterabende unterhaltend verbringen). Hu . . i Hu r . Hu . - i heulte derWind und bei jedem Heulen hörten die Gäste Melik Dchahin'S, die im Stalle in zwei Reihen saßen, auf zu sprechen, nahmen die Pfeifen aus dem Munde, sahen einander ins Gesicht und fühlten ein inneres Verlangen, einander näher zu rücken und sich aneinander zu schmiegen. Mein Gott, Schnee im Ueber- fluß, in Ueberfülle und Sülle hinreichend, — aber der Wind, was wollte der abscheuliche Gesell? WaS sagte er? Niemand wagte die Sprache dieser schrecklichen Elemente zu deuten, aber sie verstände«: sie wohl. Es war für jeden das Riesenlied deS Schicksals, das der Wind, der ewige Wanderer, erklingen ließ von -en Schmerzen -er Welt, vom Seufzer des Schwachen, vom Geschrei des Machtlosen, von den Thränen der Unterdrückten, vom Flehen desArmen Keine Schmerzensstimme ist in der Unendlichkeit gestorben, von dem leisen, herzzerreißenden Gemurmel bis zum berg, erschütternden Geschrei, Alles hat der Wind al« treuer Be wahrer in seinen luftigen Schooß ausgenommen, er kreist um die Spitzen der höheren Berge, schleicht in die dunklen Höhlen und läßt jene Stimmen los, damit sie, herunterkvmmend erschallen durch die Welt, schmerzliche und schreckliche Töne bringen und brausen, hinein in der Menschen bangende Ohren, erzählend von dem unab wendbaren Schicksal . . so meinten die auf -em Saku ängstlich gedrängten Bauern. Deshalb war das Heulen -eS Windes für jeden ein schauerliches Concert, bestehend aus Tvdtenjammer, Teufelsgeschrei, schrecklichem Heulen hungriger Wölfe, welche wohl gern bet solchem Orkan aus ihren Schlupfwinkeln herauSkommen, um mit ihrem Ge heul das Toben der Natur noch furchtbarer erscheinen zu lasten. Was für ein Lärmen! Wie sträubten sich die Haare, die Zunge vertrocknete, der Athem stockte. Hu ... Hu ... Hu... Hu ., i Der Wind wurde noch stärker, das Dach deS Saku knirschte und manchmal schien eS, als ob Jemand mit dem Fuß darauf klopfte. „Ach, draußen ist die Hölle", sagte einer der Sitzenden, um etwas zn sprechen, „meinen ärgsten Feind möchte ich jetzt nicht auf dem Berge misten." „Auf dem Berge?" sagte ein anderer ironisch. „Würdest Du den Muth haben, nur bis in unsere Gärten zu gehen. Feuilleton. In hohen Regionen. Eine Sommcrgeschichte von Nein hold Ortmann Nachdruck verboten. Um die Mittagszeit waren die beiden Freunde ans den: gastlichen Hanse des Unterrvirths zu Längenfeld ansgc- brvchen, nnd der Abend brach herein, als sie nach rüstiger Wanderung die Gries-Alpe erreichten. Sie hatten keinen Führer nnd nicht einmal einen Träger mitgenommen; den«: der Amtsrichter Berger rvar ein so geübter Tourist nnd so ganz zu Haus in den Oetzthaler Älpen, daß der jüngere Weggenosse, der praktische Arzt vr. Heinz Rocholl, sich getrost seiner Führung anvertrauen durfte, zumal wenn cs sich um ein so wenig gefahrvolles Unternehmen bandelte, wie es die für morgen beabsichtigte Besteigung des Schrankogls war. Es war ein schwüler Tag gewesen, und gegen Abend ballte sich denn auch richtig über dem Sulzthal ein schweres schwarzes Gewittergewölk zusammen. „Ganz trocken werden wir wohl schwerlich bis zur Am berger Hütte gelangen", meinte der Amtsrichter. „Möge nur -er Himmel geben, daß wir da oben nicht allzuviel Ge sellschaft vvrfinden. — Aber da ist ja der Tobias Gstrein von Sölden. Der wird uns gleich Auskunft darüber geben können." Der bärtige Führer, der eben mit einem Kübel frischer Milch ans der Sennhütte auf der Griesalp trat, erwiderte treuherzig den Gruß deS ihm wohlbekannten Amtsrichters, nnd während sie nun gemeinsam durch den mit großen, eiskalten Tropfen beginnenden Regen zur Schntzhütte cmporstiegen, stand er bereitwillig Rede auf die an ihn gerichtete«: Fragen. Uebcrvoll war's ober: nun eben nicht. Es waren keine anderen Touristen da, al- die betbenDamen, die berTobiaS von Gries hcraufgeführt hatte, und für die er eben die Milch zum Nachtmahl geholt. Aber cs hatte mit der Aussicht auf ein bequemes Nachtquartier doch so seine eigne Bcwandtniß, denn der einen der beiden jungen Franc«:, die zu des ehrliche«: Tobias kaum verhehlter Ver wunderung ohne ihre Männer in den Bergen herum streiften, war kurz vor der Hinteren Sulzthal-Alp ein Un fall Angestoßen, dessen mögliche Folgen für den Augenblick noch gar nicht abzusehcn waren. Sie hatte sich bei einen« Fehltritt auf dem losen Geröll den Fuß verstaucht oder verrenkt, so daß mar: sie nur mit großer Mühe bis zur Schutzhütte hatte hinaufschleppc«: können, und sie litt nach der Schilderung des Führers jetzt so arge Schmerzen, daß man wahrscheinlich in der Frühe einen Tragstuhl würde heraufschaffe«: müssen, um sie wieder zu Thal zu bringen. „Daun wüsten mir also doch ins Heu hinaus", brummte der Amtsrichter mißvergnügt, „denn der Gedanke, eine ganze Nacht in den« nämliche,: Raume mit einem wimmern de«: weiblichen Wesen zu verbringen, wäre doch gar zu wenig verlockend." Ein grell aufzuckender Blitzstrahl tauchte eben die ein same Schutzhütte unterhalb des großen Sulzthaler Ferners in ein Meer von bläulichem Licht, als die drei Männer, schon tüchtig durchnäßt trotz der kurzen Wanderung, die Schwelle der niederen Thür überschritten. Und so gc- waltlg rollte der Donner über ihren Köpfen dahin, daß er ganz und gar den Ausruf der Uebcrraschung verschlang, der da gleichzeitig von den Lippen zweier jugendlicher Menschenkinder gekommen war. Der Doctor Heinz Rocholl «var das eine von ihnen ge wesen, und daS andcre «var die auffallend hübsche, wenn auch etwas schmerzensblciche junge Dame, die auf der Bank hinter dem Tische saß und den mit einem Plaid be deckten rechten Fuß auf einen Schemel gelegt hatte. Mit großen erstaunten Augen und mit einen« GcsichtSauSdruck, von dem man nicht recht hätte sagen können, ob es Freude oder mehr Verlegenheit war, daS er widerspiegelte, sahen sie einander an. Und eS war recht gut, daß der lang, anhaltende Donner ihnen etwa- Zeit ließ, das erst« Er staunen abzuschütteln, bevor sie genöthigt waren, einander auch mit Worten zu begrüßen. „Ich weiß nicht, ob Sie sich meiner noch erinnern —" wollte der Doctor beginnen. Aber die junge Krau reichte ihm mit einem reizenden Lächeln über den Tisch hinweg ihre Hand. „Gewiß, Herr Doctor! Aber darauf, baß wir uns hier oben wieder begegnen würden, war ich allerdings nicht gefaßt. Sie waren ja seit einem Jahre gänzlich verschollen." Wenn er bis dahin noch einen Zweifel gehegt hätte hinsichtlich ihres Familienstandes, so würde der schlichte goldene Reif am Ringfinger ihrer Rechten ihm volle Ge wißheit gegeben haben. Und es schien, daß eS gerade der Anblick dieses Trauringes war, der ihm seine bedenklich ins Wanken gerathene Sicherheit wiedcrgab. Er berührte die schmale, ein wenig sonnenverbrannte Hand leicht mit den Lippen und erwiderte: ,^Jch rvar bis vor wenig Wochen als GchiffSarzt zur See, gnädige Frau. Wollen Sie mir übrigens erlauben, Ihnen meinen Freund, den Amtsrichter Berger, vorzu- stellen?" Die junge Frau nickte freundlich und «nachte ihrerseits die beiden Herren mit ihrer eifrig an dem kleinen Kochherd beschäftigten Gefährtin, einer Frau Professor Ltngner, be kannt. Dan«: wandte sich, ehe eS zum Austausch irgend welcher Erinnerungen oder sonstiger verbindlicher Redensarten kommen konnte, daSGespräch natürlich sogleich dem fatalen Unfall zu, der die von ihrer Freundin mit Martha angeredete Frau betroffen hatte. Und der Doctor sagte: „Ich hoffe, daß Sie mir acstattcn werden, den verletzten Fuß zu untersuchen und Ihnen ärztlichen Beistand zu leisten, so weit die Umstände eö eben gestatten." Fran Martha wurde sehr roth und meinte, die kalten Umschläge, bi« sie schon seit drei Viertelstunden gemacht, würben wohl genügen, bas Glied wieder gebrauchsfähig zu machen. Die junge Frau Professorin aber verlangte sehr nachdrücklich, baß ihr« Freundin von dem Anerbieten des Herrn Doctvr-, den der allerglücklichste Zufall hierher -«führt habe, ohne Widerspruch Gebrauch mache. Der Führer und der Amtsrichter zogen sich auf Heinz Rocholl's Wink discret in den anstoßenden Schlafraum zurück; die bergende Hülle wurde vo«: dem weißen, erbarmungs würdig geschwollenen Füßchen entfernt, und die Unter suchung begann. Sie mußte recht schmerzhaft sein trotz der Behutsamkeit und Zartheit, mit der der junge Arzt zu Werke ging; aber Frau Martha biß tapfer die Zähne zu sammen und es kam kein Schmerzenslaut über ihre Lippen. „Es ist Gott sei Dank nichts Gefährliches", meinte der Doctor nach einer Weile. „Sie werde«: fortfahren, kühlende Umschläge zu machen, und ich denke, daß wir dann morgen früh einen festen Verband anlegen können, der Ihnen das Auftreten gestattet. An einer« Abstieg aber ist selbstverständlich unter keinen Umständen zu denken. Ter Führer muß vielmehr bei Tagesanbruch einen Tragstuhl und ein paar Leute von Gries hcranfholen. Bis zu ihre: Ankunft werben Sie sich wohl oder übel hier als Ge fangene betrachten müssen." Dagegen ließ sich nichts einwenden, und dement sprechend wurden denn auch die Dispositionen getroffen. Sobald bas Unwetter ein wenig nachlieb, zogen sich die beiden Dame«: nach eingenommenem Nachtessen in den Schlafraum zurück, der ihnen von den Herren selbstver ständlich zur alleinige«« Benutzung überlasten worden war. Als sich die Thür hinter ihnen geschlossen hatte, sagte Doctor Rocholl: „Ich will Dir gleich gute Nacht wünschen, lieber Max, denn ich möchte es doch vorziehen, die Nacht hier unten zu verbringen, damit ich im Nothfalle bei der Hand bin." „Na, Heinz, höre mal, diese aufopfernde ärztliche Thcilnahme scheint mir denn doch ein bischeu verdächtig", neckte der Amtsrichter. Aber der andere zeigte ihm Plötz- llch ein sehr ernstes Gesicht. „Du würdest mich zu Dank verpflichten, Max, wenn Dl« auf derartige Scherze verzichten wolltest." «Meinetwegen — es war ja auch nicht böse gemeint. Du wirst eine wenig erbauliche Nacht haben hier unten. Es ist ja kaum «in« ordentlich« Bank hier, auf der Du Dich in Deiner ganzen vüng« au-str«ck«n könntest."
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