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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.06.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000601028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900060102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900060102
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-06
- Tag 1900-06-01
-
Monat
1900-06
-
Jahr
1900
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VeMgO-PreM c' Hallptexp^ttto« od« d«l i» St»v»- -«zirk nutz dar Vororte» errichtet« Au«- Vveftellm abgeholt: vierteljährlich «ri »wetmaliger täglicher Zustellung in« Han« K.ÜO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ü.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung io- Au-laud: monatlich 7.SÜ. Di« Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abeud-AuSgabt Wochentag« um b Uhr. Le-action und Erpeditiou: JohanuiSgafie 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend- 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vonn. v. Klemm'» Sortim. Universitätsstraße 3 (Paulinum„ «-ui» Lösche, Kattzarlmnsst. 1», pari, und König-Platz 7. Abend-Ausgabe. MpMcr TlMblatt Anzeiger. Ämtsölatt des Hömgkicherr Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Ruthes und Natizei-Nmtes der Ltadt Leipzig. AnzeigemPreiS die ögespalleue Pcritzcile 20 Pfg. Neelamea unter dem Redactionsstrich (4a» spalten) LO-<, vor den Famitteunachrichten (6 gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem PreiS- verzeichnib. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Srtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuna 60.—, mlt Postbesörderung 70.—. .'Ännahmeschlllß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richt«. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Freitag den 1. Juni 1900. 91. Jahrgang. Die Dorer. -p. Die fremdenfeindliche Bewegung in China hat einen bedrohlichen Charakter angenommen und erfordert das energische Eingreifen der Mächte. Was die Sckle der Boxer betrifft, so gehört diese zu den zahlreichen Geheimgesell schaften in China, welche gewissermaßen einen Staat im Staate bilden. Ihr chinesischer Name lautet „Iholschuan". Das bedeutet im Deutschen etwa „Fäuste der redlichen Eintracht", woraus die in China ansässigen Ausländer kurzweg „Boxer" gemacht haben. Die „Times" erinnern daran, daß die Boxer sich vor der Welt zur Pflege von Leibesübungen bekennen, also eine Art Turnverein sind, insgeheim aber politische Zwecke verfolgen, die jedoch im Gegensatz zu den deutschen Turn vereinen unter der Reactio» auf die Erhaltung deö Bestehenden und die Unterstützung der Negierung gerichtet sind. Gebeimniß- volle Bräuche, Satzungen voll schöner, religiöser, philosophischer und menschenfreundlicher Worte, gegenseitige Unter stützung, schwere Strafen im Falle des Berrathö, geschickte Ausnutzung des Aberglaubens und der Neiz, den auf den Chinesen die Geheimbündelei überhaupt auöübt, sichern dieser Secte", so lesen wir in der „Köln. Ztg.", „wie auf einem anderen Gebiete auch den kaufmännnchen Gilden, Lands mannschaften und gemeinnützigen Bereinen eine große Gewalt über ihre Mitglieder und eine nicht zu unterschätzende politische Macht. DaS Mutterhaus der Iholschuan, der Herd der ganzen Bewegung, ist Shantung, der deutsche Zntercssenbczirk, und auch hier ist sie von Peking aus dadurch genährt worden, daß hohe Beamte, vor allein der berüchtigte frühere Gouverneur Lipingheng, die unter dem Druck der deutschen Negierung ihres Amtes enthoben werden mußten, weit sie die Boxer insgeheim und öffentlich begünstigt hatten, auf höhere Posten befördert wurden. Die Aufthcilung Chinas und das Ein dringen der „fremden Teufel" in das Land, die allenthalben ansingen, Bahnstrecken abzumessen und Schienenwege zu legen, mögen die Bewegung gefördert haben; aber wie unberechtigt es ist, den Aufruhr als besonders gegen die Deutschen gerichtet varzustcllcn, zeigen die ernsten Ereignisse der letzten Tage, die sich nicht in dem deutschen Ein flußgebiete, sondern in der nächsten Nähe von Peking, an der sogenannten Luhanbahn, der im Ban be griffenen Strecke Peking-Hankau, zngetragen haben. Dort mußten die fremden Ingenieure, wohl meist Belgier und Franzosen, vor den andringenden Horden der Boxer flüchten, und sogar der Bahnverkehr von Peking und Tientsin mußte eingestellt werden. Seit Monaten bereits treiben die Boxer in dieser Gegend, in dem Regierungsbezirk Paoling, ihr Unwesen, morden und berauben die einheimischen Christen und brandschatzen die Beamten. So zwangen sie vor Kurzem den Bürgermeister der kleinen Stadt Hsintscheng, sich durch ein Löscgeld von 400 TaelS von ihnen loszukaufen. Solche Erfolge und das lustige Näuberleben treiben ihnen ein ganzes Heer brod- loser und verzweifelter Gesellen zu, und eS scheint, daß die regulären Truppen, die der Eiceköniz von Tschilr gegen sie gesandt hatte, nichts anszurichten vermochten. Während noch vor wenigen Wochen eine gemeinsame Kundgebung der Großmächte vor Taku nicht zustande kam, weil die eine oder andere, wie eS hieß, gewisse Bedenken äußerte, hat die jetzige Nothlage in der Umgebung Pekings alle in Ostasien interessirt en Mächte veranlaßt, sich nicht mit einer bloßen Demonstration vor dem Seehafen Pekings zu begnügen, sondern ihre Seemacht der Hauptstadt des chinesi schen Reiches möglichst nahe zu führen, so daß sie im Falle der Noth in kürzester Frist in Peking eingreifen können." Heute meldet man uns: * Tientsin, 31. Mai (Meldung des „Ncntcr'schen Bnrcans") (Sine Abt Heilung russischer Truppen bat Pente die Forts von Takn passirt und wurde heute Nachmittag in Ticntsi» erwartet. Als die russischen Truppen sich gestern in Booten den Forts näherte», eröffneten die Chinesen ein Feuer, worauf die Nnsscn sich jurück;ogcu. Wie sich jetzt hcransstcUt, galt das Feuern nicht den Nüssen, sondern war lediglich ein Salut für einen chinesischen Mandarmerz auf einem autzcrhalb der Barre befindlichen chinesischen Kriegsschiff. Französische nnd italienische Truppe» sind gleichfalls den Pciho herauf nach Tientsin unterwegs; 150 englische Truppe» sind heute hier eingctrosfcu. Bis jetzt find noch keine Mann schaften nach Peking abgegangcn, da der Bicekönig nicht gestattet, das; sic die Eisenbahn benutze». I» Tong- scha» sind zum Schutze des dort befindliche» wcrthvollc» Eisenbahn-Materials 300 chinesische Soldaten angckommcn. * Tientsin, 31. Mai. („Ncnlcr's Bureau".) Heute Nachmittag ist eiu Sonöerzng mit englischen» amerikanischen, italienischen, japanischen, fran zösischen und russischen Trnpvcn, in» Ganze» mit 22 Lfficicrcn, 334 Mann nnd fünf Schuellsenergeschützen nach Peking abgcgangcu. Ist die chinesische Regierung nicht Willens oder nicht im Stande, die Boxcrbcwegung sofort zu unterdrücken, so wird sich aus dem Eingreifen der Mächte sehr bald die Noth- wendigkeit der endlichen Lösung der ostasiatischen Frage ergeben, eine Situation, auS der leicht internationale Conflicte schlimmster Art erwachsen können. Bor allen Dingen wird eine Garantie dafür verlangt werden, daß das Tsung li ?)amen die Rebellen weder activ noch passiv unterstützt. Eine derartige Gewähr bietet die gegenwärtige Negierung durchaus nicht, im Gegentheil, wenn irgend jemand dircctc Schuld an dem Ausslammen des FrcmdeuhasseS trägt, so ist es eben die Kaiser in-Wittwe, die durch den zu Anfang dieses Zahres bekannt gewordenen Gcbeimerlaß die Aufregung im Lande geschürt und eS den Beamten un möglich gemacht hat, die Boxerbewegung, selbst wenn sie dazu den nöthigen Muth besessen hätten, im Keime zu ersticken. Das geheime Circular schloß mit den Worten: „Denkt nickt an den Frieden, denkt vielmehr daran, wie ihr eure Heimath und die Gräber eurer Ahnen vor der frevlen Hand eines eindringendcn Feindes bewahrt. Macht diese Worte jedem Einzelnen in euren Bezirken bekannt!" Die Geister, die die Kaiserin hier gerufen hat, können für sie und ihre Herrschaft leicht verhängmßvoll werden. Rußland ist als erster aus dem Plan erschienen und hat ein stattliches Geschwader vor der Peihomündung zu sammengezogen, ein Zeichen, daß es gewillt ist, seine Interessen mit allem Nachdruck zu schützen. Es heißt, Ruß land habe sich sür den Schutz der Arbeiten an der Luhan- bahn verbürgt; ist das richtig, so wird cs sich vermuthlich berufen fühlen, bei dem Vorgehen der Mächte die führende Stelle zu übernehmen und bei der etwa folgenden Ab wicklung seine Interessen entsprechend in den Vordergrund zu rücken. Das deutsche Geschwader unter Vice- Admiral Bendeman dürfte übrigens, der Absicht Deutschlands entsprechend, sich dem Vorgehen der Mächte anzuschlicßen, bald ebenfalls vor Taku erscheinen. Bis jetzt liegt nur die Nachricht vor, daß daS Kanonenboot „Iltis" am 29. Mai von Tsingtau dorthin abgegangcn ist. Gerade an jenem Tage aber wüthete in Tschantung ein furchtbarer Taifun, der ver schiedentlich Schaden anricbtctc, und man kann sich bei dem Gedanken, daß der „Iltis" gegen diesen Wirbelsturm zu kämpfen hatte, nicht der trüben Erinnerung erwehren, daß das Kanonen boot, das vor ihm mit Ehren diesen Namen trug, in einem solchen Orkan an eben derselben Küste zu Grunde gegangen ist. Hoffentlich ist es dem neuen „Iltis" gelungen, dem ver heerenden Element, dem sein Vorgänger zum Opfer gefallen ist, glücklich zu entkommen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. Juni. Fürst Bismarck bat vor langen Jahren einmal erklärt, man werde über manche Forderung deö EentrumS sich mit diesem verständigen können, wenn es aufhöre, sich ablehnend gegen solche Forderungen zu verhalten, von deren Bewilligung die Sicherheit deSNeiches abhänge. Später, als er den Charakter des Centrumö genauer kennen gelernt halte und als er sah, daß sein Nachfolger,derben nationalen Charakteraller Parteien entdeckt zu baden glaubte, mit den Clericalcn auf Tauschgeschäfte sich einließ, warnte der getreue Eckart nachdrücklich davor, dem Centrum einen maßgebenden Einfluß auf die Geschicke und die Gesetzgebung des Reiches gewinnen zu lasten oder gar einzuräumcn. Diese Warnung scheint bei denen, welchen sie galt, vergessen zu sein, um so weniger aber ver gißt das Centrum jenen alten Ausspruch des großen Kanzlers. Hat es in der Flotten-Angelegenheit zu namhaften Bewilligungen fick entschlossen, so geschah daS sicherlich nicht lediglich aus Rücksicht auf seine Wähler und die Sickerbeit des Reiches, für die es doch früher kein Herz hatte, sondern ganz wesentlich auch aus Rücksicht auf die Erhaltung und das Wacksthum seines Einflusses. Es will national erscheinen, um Kerrschen zu können. Daß «S noch nicht kann, waö es möchte, hat ihm die „schwächliche Hal tung" der Regierung gegenüber der lex Roer en bewiesen. Aber aus halbem Wege stehen zu bleiben, ist nicht Sache des Centrums. Um sich noch mehr zu insinuiren, läßt die reichsländischen Gegner der theologischen Facultät in Straßburg im Stich. Die „Germania", die doch sicher lich im innerste» Herzen die Ausbildung der jungen Theologen in einem Priesterseminare der Ausbildung in einer theologi schen Facultät vorzieht, fährt trotzdem gegen den Canonicus Guerber, den früheren Abgeordneten,wegen scinerGegnerschaft gegen die Facultät los, als wäre er ein Reichsseind! Herr Guerber siebt in der Facultät nur ein Werkzeug der Germa- nisirung. „Der wälsche Teufel sitzt im Seminar, die Facultät treibt ihn aus und setzt an dessen Stelle den deutschen Geist." Das will Herr Guerber nicht und will auch die Mehrheit deS reichsländischen Klerus nicht. Die „Germania" aber sieht in den Ausführungen des Kanonikus eine „frivole Heraus forderung" und bedauert, daß „grundlose Beschuldigungen" gegen sie von einem Glaubensgenossen geschleudert werden; sie spricht von dem „traurigen Ruhm", den sich Herr Guerber erworben habe, und versickert, daß sie es peinlich vermieden habe, die Straßburger Angelegenheit mit der Politik in Verbindung zu bringen. Aber sie will nicht leugnen, „daß in die Facultätssache auch die Politik hinein spiele", obwohl sie cs ablehnt, die im Priesterseminar herrschenden Verhältnisse zu beleuchten, wozu ihr „ver schiedenes Material" zu Gebote stände. Dagegen geißelt die „Germ." französische klerikale Blätter wie den „Univers", deren Fcbde gegen die Errichtung einer katholischen Facultät an der Straßburger Hochschule nur dem deutschfeindlichen Chauvinismus entstamme. Die „Herren vom „Univers" mögen sich doch gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern". Indem die „Germ." bemerkt, daß der deutsch feindliche Geist auch in Elsaß-Lolhringen noch nicht ganz aus gestorben sei, fährt sie fort: Wenn die kaiserliche Negierung sich vielleicht von dem Gedanken hat leiten lassen, daß durch Errichtung einer Facultät zu Straß burg der zukünftige Klerus des Elsasses der deutschen Geistes arbeit auf theologischem Gebiete näher gerückt und zum engeren Anschlüsse an das Reich empfänglicher gemacht werde, so könnten wir, denen die Facultät in erster Linie ein« Frage des kirchlichen Unterrichts ist und blcibeu wird, uns doch nur von Herzen freuen, wenn diese Hoffnungen sich erfüllten. Ten Deutschseinden ist die Facultät aber gerade um deswillen ver haßt, nnd daher erklären wir uns die Aeußerungen der französischen Chauvinistenblätter. Sollten das nicht auch die patriotisch ge sinnten geistlichen Kreise des Elsasses einsehen? Die „Voss. Ztg." ist über den Zweck dieses Feldzüge« der „Germania" nicht im Zweifel. Sie schreibt: „Indem sich das Centrum Germanisirungszweckeu dienstbar macht, kann es hoffen, die letzten Hindernisse, die der Anerkennung seiner Regierungssähigkeit bisher entgegeustandeu, zu überwinden. Wie lang« ist e« her, seit sich bei der Versagung de« Ge burtstagsgrußes an den Fürsten Bismarck volle Schal« nationaler Entrüstung über das Centrum ergossen? Aber das war nur ein Zwischenfall von vorübergehender Bedeutung, Schon vorher waren Windthorst, Franckenstein, Schorlemer-Alst als Männer von echt deutscher Gesiunung gefeiert wordeu und Graf Ledochowski läßt die kostbare Dos« mit dem Bildniß de« Kaisers durch seine wohlgepflegteu Finger gleiten. Herr v. Hertling, einer der Centrumsführer, hat als Bevollmächtigter der Reichsregierung mit der Curie verhandelt. Das Centrum ist eine „nationale Partei" geworden. Weshalb sollte da nicht Herr v. Hertling Bot schafter, Herr Roeren Staatssekretär des Reichsjustiz- amtS"Vder Cultusminister werden?" DaS haben andere Leute sich schon längst gefragt, am wenigsten leider die, die der „Boss. Ztg." recht nahe stehen. Wer hat denn bei den letzten Wahlen dafür gesorgt, daß daS Centrum zur mächtigsten Stellung im Reichstage gelangte und hier die Flottenfrage nach eigenstem Belieben „lösen" durfte,, wenn es die Freisinnige Vereinigung nicht war, deren Dictator nun einmal nicht erkennen will, waß da- Reich zur Erhaltung und Befestigung seiner Stellung bedarf? Es ist nicht zu verkennen, daß der Machtstellung des CentrumS auch von weit einflußreicherer Seite Vorschub geleistet worden ist, aber ein wesentlicher Schuldantheil daran, daß die Polen- und Welfenschützer überhaupt in den wichtigsten nationalen Fragen den Ausschlag geben und dadurch sich unentbehrlich machen können, fällt dem „wahren" Liberalismus zu. Wir geben uns auch der Hoffnung nicht bin, daß der von der „Voss. Ztg." an die Wand gemalte Eintritt klerikaler Größen in die wichtigsten Reichs- und Staatsämter Herrn Richter zur Einsicht bringen werde. Das Centrum wird erst in der Lage sein müssen, einen großen Tbeil von dem zu verwirklichen, was es plant und wovon die lox Roeren nur ein kleines Pröbchen war, bevor dem radikalen Michel die Augen aufgehrn. Die plötzlich auS zahlreichen Städten zu gleicher Zeit ge meldete Bewegung der Stratzenbahnangestelltcn legt die Be- 24j Anter egyptischer Sonne. Roman aus der Gegenwart von Katharina Zitelmann. Nachdruck verboten. So interessant es ihm unter anderen Verhältnissen gewesen wäre, den viceköniglichen Hof kennen zu lernen — das Mädchen, das er suchte, raubte ihm den Wunsch, Feste mitzumachen. „O ja", bemerkte Mrs. Summers, „achthundert Amerikaner allein sollen um Einladungen gebeten haben, und nur sechzig Karten sind von dem Consulat für sie zur Verfügung gestellt." „Dann muß der Oberst von Wangen mit!" rief die Um sattel. „Der geht mit mich", entgegnete Daisy kühl. Auch nach Mary Salinas fragte sie nun endlich, aber in einem so gleichgiltigen Geschäftston, daß Harald ihr ziemlich kurz antwortete, womit sie auch zufrieden war. Ihr Interesse für das arme kleine Mädchen, mit dem sie so Schreckliches durch gemacht, war bereits im Erlöschen. Und als er nun heimging, erschien ihm Mrs. Summers auf ihrer Lebensreise wie die Zu schauerin vor einem Kaleidoskop. Wechselnde Bilder zogen an ihr vorüber, das eine löste das andere ab und verlöschte es. Tieferen Eindruck hinterließ ihr keines, und so gelangte sie von Station zu Station, weiter und weiter, und würde einst am Ziele sein, dieselbe, als die sie ausgezogen, Herz und Geist nicht bereichert von dem, was sie unterwegs gesehen, erlebt und gelernt, sondern nur leidend und krankend an dem Bewußtsein, daß mit Jugend und Schönheit auch ihre Anziehungskraft geschwunden. Diese egyptische Reise, die für ihn einen unendlichen Gewinn, eine Stufe der Entwickelung, eine zurückgelegte Classe in der Schule des Lebens bedeutete, an ihr war sie spurlos vorübergegangen. Kaum, daß sie eine flüchtige Erinnerung den Menschen schenkte, die sic begleitet, den Ereignissen, die sich abgespielt. * * * Am Nachmittag fuhr Harald abermals nach HelwLn hinaus. Heute gab es keinen Chamsin, keinen Staub, und der Ort schien nicht so öde und vereinsamt, wenn auch die vielen Villen, in denen die vornehmen Türken ihre Haremsdamen untergebracht hatten, durch ihre Fensterlosigkeit einen merkwürdig todten Eindruck machten. Nur hinter hohen Mauern durften die von Eunuchen bewachten Frauen Luft schöpfen. Er sah ein paar dieser wider lichen Gesellen in den Thüren stehen, die Equipagen erwartend, die ihre Gebieter von Kairo heranführten. Wie feist und brutal und heuchlerisch sie aussahen. Diesmal traf Harald den deutschen Badearzt zu Hause. Wie klopfte ihm ungestüm das Herz, als der ihm freundlich die ge wünschte Auskunft gab. Herr Doctor Schmidt sei so schwer leidend von Theben zurückgekehrt, erzählte er, daß von einer Ucbersiedelung nach HelwLn habe Abstand genommen und der Kranke im deutschen Diakonissen-Hospital untergebracht werden müssen, wo er die beste Pflege und Behandlung genieße. Er selbst, der Arzt, sei gestern dort gewesen, um sich nach den Geschwistern umzusehen. Leider gehe es dem Doctor so schlecht, daß seine Auflösung nahe bevorstände. „Und die Schwester?" fragte Harald bestürzt. „Ist bei ihm natürlich. Schon ihretwegen ist ein baldiges Ende zu wünschen, denn an Rettung ist nicht mehr zu denken und das junge Mädchen reibt sich gänzlich auf bei der Pflege, abgesehen von der Ansteckungsgefahr, die ja leider bei der Schwindsucht größer ist, als wir früher gewußt haben. Sind Sie ein Verwandter oder nur Bekannter der Geschwister?" „Ein Freund", entgegnete Harald. „Das freut mich unendlich für Fräulein Erna! So ist doch Jemand da, sich ihrer anzunehmen, ihr beizustchen, wenn das Schlimmste eintritt. Sie hängt so sehr an dem einzigen Bruder und steht, wie sie mir sagte, so allein auf der Welt, daß der Verlust für sie noch schwerer sein muß, als er es in anderen Fällen sein würde." Erna! Wie der Name Harald durchzuckte. Er wiederholte ihn sich in Gedanken unablässig; er liebkoste ihn förmlich. „Sie haben Fräulein — Erna näher kennen gelernt?" fragtr er. „Als Arzt ihres Bruders freilich haben Sie dazu die beste Gelegenheit gehabt." „Gewiß! Und ich verehre das Fräulein von ganzem Herzen. Eine Heldin ist sie, so zart sie auch erscheint. Mit welcher un ermüdlichen Geduld und Ausdauer hat sie den Kranken gepflegt, der ihr oft das Leben recht schwer machte durch seine Miß stimmung, und mit welcher Energie hat sie daneben ihre Arbeit fvrtgescht. So lange es dem Bruder noch leidlich ging, arbeiteten sie gemeinsam. Seine- ganze Seele hängt an dem Werk, und nun treibt er die Schwester rastlos weiter. Noch gestern hat er mir von Ptah Hotep gesprochen und Fräulein Erna genöthigt, mir ihre letzten Uebersetzungen vorzulesen. Mit fieberheißen Wangen und leuchtenden Augen hörte er zu, während ihr die Stimme fast versagte. Es war ergreifend." „Wie konnte denn der Schwerkranke noch nach Theben gehen?" fragte Harald. Der Arzt zuckte die Achseln. „Natürlich wäre es besser ge wesen, er wäre hier in Ruhe geblieben. Allein seinem leiden schaftlichen Wunsche gegenüber war nichts zu machen. Er hatte sich's in den Kopf gesetzt, die Gräber dort kennen zu lernen — und da er doch verloren war — warum hätte man ihm die Freude versagen sollen? Sein Leiden hat sich allerdings durch die Strapazen, die er sich auferlegt, außerordentlich schnell ver schlimmert, aber er scheint das kaum zu ahnen, spricht von Ge nesung und allen den Arbeiten, die er plant, und beweist einmal wieder, wie sehr der Geist den Körper zu beherrschen vermag. Es ist sehr schade um den hoffnungsvollen jungen Gelehrten!" „So weiß er gar nicht, daß er sterben muß?" fragte Harald. „Es scheint nicht so, doch hat er seine Schwester verpflichtet, seine Arbeiten, namentlich aber die gemeinsame Uebersetzung des Ptah Hotep, herauszugeben, wenn er nicht mehr dazu im Stande sein sollte. Ich fürchte indeß, das arme Mädchen wird erst an ihre Existenz denken müssen. Ihr kleines Vermögen wird wohl bei diesem egyptischen Aufenthalt draufgegangen sein. Er kam noch mit der Hoffnung her, zu gesunden. Sie aber wußte durch meinen deutschen Kollegen, daß wenig Aussicht auf Rettung sei, und hat trotzdem ohne Zögern Alles geopfert, um den Bruder zu begleiten und ihm die Reise zu ermöglichen, die die Sehnsucht seines Lebens war. Doch das wissen Sie wahrscheinlich ebenso gut wie ich." Harald mußte alle Kraft der Selbstbeherrschung aufbieten, um die Bewegung, in der er sich befand, nicht zu verrathen. Alles, was er hörte, bestätigte ihm nur, daß der Jnstinct seiner Liebe ihn recht geführt, und daß, wenn es ihm gelingen sollte, Erna's Neigung zu gewinnen, er der glücklichste Sterbliche sein würde. Aber wie konnte er der Schwester eines Sterbenden werbend nahen? Mit größter Vorsicht nur durfte er eine An näherung versuchen. Als Harald sich verabschiedete, fragte er den Arzt, ob er nicht einen Auftrag an Doctor Schmidt oder dessen Schwester aus zurichten habe. Da holte Doctor Seiler eine Zeitung aus der Tasche. Es sei ein Vortrag darin abgedruckt, den der Egyptologe Ermann in Berlin gehalten habe, sagte er. Vielleicht interessire cs Fräulein Erna, ihn zu lesen. Er bäte den Herrn von Sperber ihr Vas Platt mit bestem Gruß zu geben. '«»HW' Während Harald nun Kairo zuführ, »ersuchte er noch einmal mit ruhiger Besonnenheit, sich den Schritt zu überlegen, den er zu thun vorhatte. Er verhehlte sich nicht, daß Erna's spieß bürgerlicher Name, ihre Armuth, ihre Verwandtschaft mit einem Lungenkranken schwer gegen seine Verbindung mit ihr ins Ge wicht fielen. Aber sein Herz glaubte nicht an die Gründe, die sein Verstand gegen seine Wahl anführte. Im Gegentheil, sie verwandelten sich in lauter Beweise, daß nur dieses Mädchen für ihn geschaffen sei. Ihren Namen, — nun, den sollte sie ja mit dem seinen vertauschen. Ihre Armuth? Welch' eine Seligkeit für ihn, die Zukunft der Geliebten sorgenfrei gestalten zu können! Der lungenkranke Bruder? Im Glück, in guter Pflege würde sie gesund bleiben — und wenn — was Gott verhüte — auch bei ihr das Leiden sich entwickeln sollte — so war ec neben ihr, sie zu lieben bis ans Ende, ihr schweres Loos ihr zu er leichtern, den kurzen Weg mit Rosen zu bestreuen. Doch fort mit so traurigen Gedanken. Die Zukunft lag in Gottes Hand. Für das Jetzt nur wollte er sorgen, Erna's Liebe sich erringen. Und wenn er ihr helfend, tröstend nahe sein, ihr beweisen durfte, daß sie in ihm einen Freund besitze, der jeden Tropfen seines Herzblutes für sie hinzugeben bereit sei — so mußte es ihm ge lingen, das Vorurtheil, das sie gegen ihn hegte, zu überwinden. Dies war fürs Erste sein Ziel. Vom Bahnhof aus fuhr Harald sofort in das in der Neu stadt Jsmailiya gelegene Diakonissenhaus, wo er Fräulein Schmidt zu sprechen begehrte. Er ließ sagen, er habe eine Be stellung des Arztes aus HelwLn auszurichten. Wie bang pochte ihm das Herz, während er in dem kleinen Sprechzimmer wartete. Die Minuten dehnten sich ihm zu Stunden. Endlich öffnete sich die Thür und das blasse, kummer volle Gesicht des geliebten Mädchens erschien in derselben. Sie zuckte zurück, als sie ihn erkannte; doch er ließ ihr nicht Zeit, ihrem Befremden über seinen Besuch irgend welchen Aus druck zu geben, sondern faßte ihre Hand, die auf dem Drücker lag, und sagte in großer Bewegung: „Ich lasse mich nicht wieder ab weisen, wie in Theben, gnädiges Fräulein! Gott sei Dank, daß ich Sie endlich gefunden habe! Sie haben es mir schwer gemacht!" „Was — wünschen Sie von mir?" stammelte sie unsicher hervor. „Ich kam, weil ich eine Botschaft von Doctor Seiler empfangen sollte. Ich muß zu meinem Bruder zurück." „Hier, diese Zeitung sendet Ihnen der Arzt mit bestem Gruße", entgegnete er, ihr das Blatt reichend. „Ich war zweimal in HelwLn, um Sie aufzusuchen, und erfuhr endlich von Doctor Seiler, daß Sie hier zu finden seien." »-
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