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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020402028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902040202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902040202
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-04
- Tag 1902-04-02
-
Monat
1902-04
-
Jahr
1902
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Molizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzetgen-PrelS die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. kieclamen unter dem RedactionSstrich (-gespalten) 75 H, vor den Familiennach. richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zisfernsaß entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 165. Mittwoch den 2. April 1902. 86. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Chamberlain s Art, z« bettel«. Das „von Begeisterung getragene Anerbieten" C a n a - das, weitere 2000 Mann zurBerstärkung des englischen Heeres nach Südafrika zu senden, er hält eine eigene Beleuchtung durch die Depesche Chamberlain's an Lord Minto vom 18. März, die, ein klassisches Muster für den Wink mit dem Zaun pfahl, folgenden Wortlaut hat: „Die vaterlandsliebende That Neu-Seelands, das ein zehntes Contingent von 1000 Mann angeboren, hat die Mittel -er Regierung, den Krieg baldigst zu Ende zu bringen, verstärkt. Die Regierung will nicht auf weitere Angebote -ringen, aber wenn Ihre Regierung dem Borbilde von Neu-Seeland zu folgen wünschen sollte, dann werden wir mit Genugthuung eine Verstärkung von 2000 Mann, unter den früheren Bedingungen, an nehmen" Cecil Rhodes s. Die „Daily News" schreiben: „Rhodes' berühmter und oft angeführter Ausspruch „Landbesitz ist Alles", er klärt den ungeheueren Fehler. Dieser Grundsatz ist nicht nur von Grund aus falsch, er zeugt von einer unheilbaren Blindheit in Bezug auf Alles, was eine Nation wirklich groß macht. Kein Wunder, daß Rhodes durchaus nicht verstehen konnte, weshalb die Bocren eigentlich für Frei heit und Unabhängigkeit ihrer kleinen Republiken kämpfen sollten. Wenn Länderbesitz Alles bedeutete, so wäre das römische Reich niemals untergegangen. Die Wahrheit ist, daß Rhodes sich mit Dingen beschäftigte, die ihm zu hoch waren. Er verstand Geldgeschäfte. Die Welt ist aber nicht nur von gierigen und selbstsüchtigen Menschen be völkert, die versuchen, einander zu überbieten. Das größte Unternehmen Rhodes' war die britisch-südafrikanische Gesellschaft. Für diese erhielt er von der Regierung Lord Salisbury's einen königlichen Freibrief. Dieser Gesell schaft und diesem Freibriefe verdanken wir die Kriege mit den Matabele nnd den Maschona, die dem englischen Namen nicht zum Ruhme gereichten. Der wirkliche Werth des heute Rhobesia genannten Gebietes, aus dem man jene Stämme gewaltsam verdrängte, wird jetzt wahrschein, lich leichter festgestellt werden können, als dies bei Leb zeiten Rhodes' möglich war. Als Premierminister der Capcolonic war Rhodes auf die Unterstützung der Afri- canderbonds angewiesen, aber sein großer Gegner war Präsident Krüger. Seine ersten Gänge mit diesem Gegner waren für ihn erfolgreich. Er hatte das Betschuanaland und das Charterland für sich erworben. Er überlistete den Präsidenten in der Angelegenheit der niederländischen Eisenbahn und besiegte ihn, selbst auf die Gefahr eines Krieges hin, in der Streitfrage über die Driften. Dann kam der Einfall Jameson's. Mit dem Einfall selbst, dem dummen und nutzlosen Unternehmen des vr. Jameson, hatte Rhodes nichts zu thun. (?) Aber er war eifrig be- müht gewesen, einen ungesetzlichen Angriff auf Trans vaal zu veranlassen, und hat absichtlich dem Vertreter der Königin seine Treibereien verheimlicht. Der Jameson'schc Einfall bedeckte alle Betheiligtcn mit Hohn und Spott, Rhodes ging aber straflos aus. Gleichwohl verlor er dadurch das Vertrauen der holländischen Bevölkerung und mußte seine Stellung als erster Minister aufgebcn. Als Factor in der südafrikanischen Politik hatte er damit zu zählen aufgehört. Er war es, der mit bedauerlicher Un- kenntniß die Streitkräfte der Boercn als lächerlich hin stellte. Man hörte nicht auf die Stimme des klugen Mannes, der betonte, daß Südafrika der Ruhe und nicht einer Operation bedürfe. Was folgte, ist bekannt. Rhodes hatte nichts mit der Führung des Krieges zu thuu — ab gesehen davon, daß er in Kimberley belagert wurde — und beschäftigte sich seitdem hauptsächlich mit dem Plane einer Eisenbahnlinie von Capstadt nach Kairo. Für diese Linie hatte er das Interesse des deutschen Kaisers zu gewinnen gewußt, der einer seiner begeistertsten Bewunderer war. (?) Rhodes war ein Mann von bemerkenswertster Thatkraft und großer Entschlossenheit, der mit Geld that, was sich mit Geld tstun läßt. Es giebt aber Dinge, die sich nicht mit Geld erreichen lassen, und diese konnte auch Rhodes nicht erreichen. politische Tagesschau. * Leipzig, 2. April. Die „Aerienreisc" de» Staatssekretärs Grafe» Posa- SotvSky nach Dresden und München giebt natürlich den zahlreichen Tagesschriftstellern, denen «S infolge der parla mentarischen Ruhepause an Stoff gebricht, erwünschte Gelegen heit, ihre Vermuthungen über den Zweck dieser Reise in einer Weise zu äußern, als ob sie zu den Intimsten des Staats sekretärs gehörten, oder im Gedankenlesen das Wunderbarste leisteten. So will ein Berliner Mitarbeiter der Chemnitzer „Allgem. Ztg." ganz genau wissen, was der Graf Posadowsky in Dresden gesollt, aber nicht erreicht habe. Der Staatssekretär soll nämlich als bedeutendster Amtsgenosse und Stellvertreter des Reichskanzlers von diesem auch den Auftrag gebabt haben, in Dresden wegen der Kritik, welche die Herren v. Watzdorf und Ox. Rueger im sächsischen Landtage an der Finanz- wirthschaft deS Reiches geübt, vorstellig zu werden und dahin zu wirken, daß man „in Zukunft die an sich berechtigte Kritik über Mißstände in der Reichsverwaltung nicht an die große LandeSglocke bange". In dieser Hinsicht aber habe Gras Posadowsky nichts erreicht. Aber brühwarm hat er natürlich diesen Mißerfolg einigen Reportern vorgesetzt und sie dadurch in die Lage gebracht, der Welt kund zu thun, daß er in Dresden, wie man zu sagen pflegt, abgeschlitzt sei. Nun, wer in Sachsen so köblergläubig ist, mag sich der Genugthuung darüber, daß die sächsischen Minister sich vom Reichskanzler nicht den Mund verbieten lassen, hingeben. Wir glauben weder an eine solche Mission, noch an ihren Mißerfola, am wenigsten aber daran, daß ein solcher zur öffentlichen Kenntniß gebracht werden würde. Viel wahrscheinlicher ist cs jedenfalls, daß die Reise des Staats sekretärs deS Innern nach Dresden und München lediglich mit den Zolltariffragen im Zusammenhänge stehe, die ja dem Staatssekretär des Innern am nächsten liegen. Aber daß er, wie die „Köln. Volksztg." und die „Kreuzztg." mit Bestimmtheit annchmen, beauftragt sei, die Regierungen von Sachsen und von Bayern zur Zurücknahme ihrer Erklärungen bezüglich der Minim al sätze für Ge treide zu bewegen, würden wir nur glauben können, wenn diese Erklärungen weniger bestimmt gelautet hätten. Die „Kreuzztg." meint zwar, „man spreche in den ersten Commissionsberathungen kein unabänderliches „Niemals", am allerwenigsten bei solchen geringfügigen Differenzen, wie sie hinsichtlich der Mindestsätze für Getreidezölle vorliegcn." Wenn man sich nun aber wider gewöhnlichen Gebrauch dazu hat drängen lassen, in der ersten Commissionsberaihung ein „Niemals" zu sprechen, so kann man auch, wenn man nicht will, daß künftig kein Mensch mehr an eine solche Ver sicherung glaube, hinterher nicht zurücktreten. Die „Köln. Volksztg." veröffentlicht allerdings eine Zuschrift aus parlamentarischen Kreisen, die so gefaßt ist, als ob sie sich auf die genauesten Informationen gründete. Und in dieser heißt es bezüglich des bundeSrätblichen „Unan nehmbar" zu den Mmdestzöllen für Getreide: Der Streit drehe sich hier bei Roggen, Weizen und Hafer um 25 für den Centner, bei Gerste um 1 Er werde ernstlich nur um die Gerste geführt werden; denn bei den andern Ge treidearten sei infolge der niedrigen Sätze deS Compromisses der Unterschied nur zu gering geworden, als daß um seinetwillen den Vertragsverhandlungen mit dem AuSlande ernstliche Schwierig keiten gemacht werden könnten. Da nun aber der Reichstag jedenfalls über die Mindestzölle der Vorlage hinausgehen werde, so sei nur im Wege der Verständigung des Bundesrathes mit dem Reichstage auf ein Zustandekommen der Zolltarif reform zu rechnen. „Daß der BundeSrath diesen Weg zu betreten versuchen wird, ist nicht mehr zu be zweifeln, nachdem er sich bereit gefunden hat, den Commissionsmitgliedern eine Entschädigung für die außerhalb des Zusammenseins des Reichstages stattsindenden Commissionssiyungen zu gewähren. Deut licher als durch diesen Beschluß konnte er dem deutschen Volke nicht zeigen, daß er eine sackgemäße Erledigung der Tarifvorlage in der Commission fördern wolle und auf sie rechne. Schlagender konnte aber auch vom Bundesrathe das Unannehmbar, daS in der Commission erklärt worden war, nicht zurückgenommen werden." Schon dieser Schluß aber beweist, daß der parlamentarische Verfasser lediglich seinen Wünschen nach dem Munde redet und nicht dem BundeLrathe, der bei der Gewährung einer Entschädigung für die Commissionsmitglieder sicherlich an alles Andere, nur nicht an die Zurücknahme seiner Erklärung gedacht hat. Wenn übrigens die Differenz zwischen Bnndesrath und Mehrheit der Tarifcommission ein so geringer ist, warum soll dann der BundeSrath nicht daran glauben, daß diese Mehrheit, die ja von der Stellung des Auslandes zur Frage der deutschen Getreidezölle nichts wissen kann, nicht am Ende der nachgiebige Theil sein werde? In Dresden glaubt man dies jedenfalls, dürfte aber nicht abgeneigt sein, den berecktigten Wünschen der Landwirthsckafl nach anderer Richtung Rechnung zu tragen. Und warum sollte die Reise des Grafen Posadowsky nicht den Zweck haben, mit den Regierungen von Sachsen und Bayern sich darüber zu verständigen, waS der Landwirthschast gewährt werden könne, um sie für die Nichterfüllung ihrer Wünsche bezüglich der Minimalsätze für Getreide zu entschädigen? Es fällt uns übrigens nicht ein, uns den Kopf des Staats sekretärs des Innern zu zerbrechen; wir möchten nur den Versuchen entgegentreten, sehr wenig begründete Ver- mulhungen für Thatsachen auszugeben. Es herrscht Ver wirrung genug, als daß man ruhig zusehen dürfte, wenn sie durch derartige Ausstreuungen noch vermehrt wird. Dem verstorbenen Ccntrumsführer vr. Lieber widmen die Blätter aller Parteien Nachrufe, die indessen auf be sondere Beachtung nicht Anspruch machen können. Uns selbst geht von befreundeter Seite eine Betrachtung zu, die dem Wirken des Geschiedenen wohl am meisten gerecht wird und die Lege, in der er seine Partei zurückläßt, am treffendsten schildern dürfte. Sie lautet: „Der Tod des Führers der Ccntrumspartci, des Reichstags- und Land- lagSabgcordnctcn vr. Lieber, kommt unmöglich irgend einem Politiker unerwartet, man wußte ja seit mehr als Jahresfrist bereits, daß die Auflösung des hochbegabten Mannes langsam, aber sicher ihren Fortgang nahm. Dennoch wird auch außerhalb der Ccntrumspartei dieser Verlust im gegenwärtigen Augenblicke schmerzlich em pfunden werden. Herr Or. Lieber war der Führer der jenigen Partei, die nach ihrem Einfluß und nach der socialen Bedeutung ihrer Wählcrmasscn ohne Zweifel uns gefährlicher erscheinen muß, als die unpraktisch drein fahrende, ans den Kinderschuhen ihrer revolutionären Abstammung noch immer nicht herausgetretene Sveial- dcmokratic. Herr Ist-. Lieber hat der Ccntrumspartci zehn Jahre lang als Führer unermeßlich reiche Dienste geleistet, das will sagen: er ist uns an der Spitze dieser Partei ein besonders gefährlicher Gegner gewesen. Es wäre eine ganz verfehlte Sentimentalität, dies nicht vorauSschickcn zn wollen, wenn man von unse rem Standpuncte aus heute dem Verstorbenen im Nach rufe gerecht werden soll. Die Verdienste Or. Licbcr'S sind, wie gesagt, in allererster Linie Verdienste um seine Partei gewesen. Wie weit der schroffe Gegensatz seiner Partei, überhaupt des ganzen Ultramvntanismns, zum modernen Staate nnd insbesondere zum neuen deutschen Reich auch in Dr. Lieber lebendig war, mag heute noch auf sich beruhen. Sicher ist jedenfalls, daß er die Bedeutung der Ccntrumspartci von Stufe zu Stufe emporhob, indem er zwischen der Reichs- und preußischen Staatsrcgicrung einerseits, der Curie »nd der Ccntrumspartci andererseits Beziehungen von solcher Art zu knüpfen und zu pflegen wußte, daß die Rcichsmaschine nicht cinzurostcn brauchte, sondern sogar große nnd neue Lenningen zu vollbringen vermochte. Ein unsägliches Maß von Schwierigkeiten innerhalb der eigenen Partei und namentlich auf Seiten der Jesuiten im Cavdinalscollcgium zu Rom stand ihm im Wege. Dennoch hat er über alle diese Schwierigkeiten hinweg das Ccntrum zusammcngehaltcn und ist nirgends in einen unlösbaren Conflict znm Vatikan gerathen. Die Folge war, daß man sich im deutschen Reiche mehr und mehr daran gewöhnt hat, Herrn Di-. Lieber als den un entbehrlichen Mitrcgcntcn im Reich und seine Partei als die wesentliche Stütze der Rcgierungspolitik zu schützen nnd überall von vornherein in Betracht zu ziehen. Die Folge war anch, Laß man in R o m ihn vielfach gewähren ließ, auch wo man ihm tiefstes Mißtrauen cntgcgenbrachte. Der aus welfischeu Anschauungen hcrvorgegangenc und im wclfischcn Trotz verbitterte W indthv r st hat vor seinem Tode zwei Mal in demonstrativer Weise auf I)r. Lieber als den einzigen fähigen Nachfolger in der Führung der Ccntrumspartci hingcwiesen. Ein zweiter Otto von Sachsen hat er damit gewissermaßen das Inter esse der Partei, das er selbst aus den vändcn geben mußte, au die fränkische Linie anfallen lassen. Nur daß Lieber zunächst in der Zügclführung glücklicher war, als der Kranke Conrad, sowohl im Kampfe, den er sofort gegen Caprivi aufnahm, wie in der Diplomatie, deren Künste er nachher nach allen Seiten hin spielen ließ. Der wclfischc Geist ist jedenfalls unter Lieber im Ccntrum erloschen. Auch ist jetzt nach seinem Tode kein junger Sachscnhcrzvg vorhanden, der das Regiment übernehmen könnte, das der greise Welfe ans den Händen gegeben hat. Vielmehr sind cs rheinische Demokraten und schlesische Aristokraten, westfälische Banernhäuptlingc und bayerische Fanatiker jeglichen Standes, die hinter dem Sarge Liebcr's einher gehen, sich gegenseitig daraufhin mustern, ob sic weiterhin zn einander passen und wer den Andern unter das Joch bringen kann. Dieser Widerstreit ist schon entbrannt, seitdem vr. Lieber sich als kranker Mann selbst in den Eva oder Anneliese?. 2j Roman von Ern st Georg y. Nachdruck «crbotcn. Um zwölf Uhr legten die Stettiner Dampfer am Bodden, dicht bei Zibell's Hotel, an. Um ein Uhr, als die Gäste im ganzen Orte zu Mittag speisten, konnte man schon die verschiedensten Neuigkeiten besprechen. Der Graf Brandau sollte in einen Ort zur Ncrvenstärkung gehen, der dem Getriebe der eleganten Welt möglichst fern lag. Nach langem Suchen hatte man Dicvcnow aus findig gemacht. Der Acrmstc schien sehr krank. In einem Rollstuhle hatte ihn sein Wärter in sein neues Heim überführt. Die Gräfin, sehr groß und in sehr abweisend stolzer Haltung, war neben dem Leidenden ge schritten. Ihr folgte ein kleiner Knabe und ein etwas kleineres Mädchen mit der Erzieherin. Der Hausmeister, die Kammerfrau, ein Koch und zwei Dienstmädchen. Hinterdrein trippelte ein Groom, der drei Rassehunde an der Leine führte. Vier Familienmitglieder und acht Personen zur Bedienung, das impontrte unsäglich. Sv oft wie heute wurde der Strandweg wohl selten benutzt. Sämmtliche Gäste machten ihre Promenade an der Billa Seebltck vorbei. Man spähte scheu oder auch keck nach dem Hause. Aber viel gab cs nicht zu sehen. Der Balcon war durch weitere leinene Wände noch mehr gegen Zugluft und Neu- gier geschützt worden. Nur undeutlich erkannte man eine hohe Fraucngestalt, die am Tisch saß und in die Ecke hineinsprach, wo der Graf in seinem Krankcnstuhl zu liegen schien. — Um vier Uhr öffnete sich das Thor. Die beiden Kinder kamen mit ihrer Gouvernante, dem Groom und den Hunden zum Vorschein. Mit höflichen Grüßen schritten sic schnell an den Neugierigen vorbei und wanderten weit hinaus nach Ost-Dicvcnow zu. Dort lagerten sic am Rand der Haide. Man hörte sic von Weitem jauchzen und tobcn. Man sah ihre leichten Ge stalten mit den Hunden nm die Wette hernmtollcn. Das laute Jubeln und das wilde Gebell der Thierc schreckte selbst die muthigstcn Altersgenossen von einer An- nähernng zurück. Franz und Paul Ncubcrt, acht und sieben Jahre alt, schaufelten am Strande mit anderen Gefährten eine Festung. „WaS gehen uns die fremden Jähren an!" — meinte Franz verächtlich. — „Wenn sic nicht mit uns spielen wollen, lassen sic cs bleiben!" „Na eben!" schloß sich ihm der kleinere Bruder an. Gegen die Vor herrschaft der Profcsiorsjungcn kamen die anderen nicht auf. Sic fügten sich und vergaßen bald, daß außer ihnen noch neu angclangtc Kinder am Strande weilten. Inzwischen hatte der Professor mit seiner Gattin einen weiten Spaziergang unternommen. Arm in Ann wanderten sie an der Küste entlang. Sic gab sich ihren Gedanken hin. Er suchte mit seinen Augen den Horizont. Vorhin hatte er im Vorbeieilcn da oben eine Dame sitzen sehen. Sic wandte ihm ein fcingcschnittencs Profil zu. Er erblickte den schlichten, starken Haarknoten über dem weißen Nacken. Ganz wie früher. — Und da war in ihm ein sonderbares Gefühl emporgewallt. Eine Furcht, die sich mit bangender Freude mischte. Diese unbehagliche Erregtheit aber mußte cingcdämmt werden. Er wollte nnd mußte zur Ruhe kommen, sich sogar auf ein Wieder sehen gefaßt machen. Auge in Auge! — Die klare Luft, das Brausen des Meeres that ihm wohl, beruhigte wirk lich seine leise zitternden Nerven. Der Wind blicö ihnen entgegen und fuhr durch seinen dichten Bollbart, kühlte seine brennenden Wangen und Lider. Wie wohl das that! Wie angenehm war auch das Schweigen! Plötzlich fuhr er entsetzt zusammen. Seine Gattin ließ seinen Arm los und schrie auf. Der riesige Neufund länder hatte ihn, die dänische Dogge sic zähnefletschend gestellt und hinderten sie am BorwärtSschrcitcn. Eine Secunde überschaute er die Sachlage, dann sah er nach der Seite. Die gräflichen Kinder jagten, von dem Groom gefolgt, heran. „Rufe Deine Hunde fort, mein Junge!" rief Neubert dem Knaben gebietend zu. „Ihr müßt die Thiere besser in Zucht halten, sonst werden sic noch Un heil anrichtcn. Und das dürfen sic nicht, Ihr seid hier nicht auf Euerem Gute, sondern in einem Badeorte. Der Strand gehört allen Gästen nnd Fischern!" Der junge Graf war eine Secunde etwas betroffen stehen geblieben. Dann aber erhob er seine Helle Knaben stimme und schrie in kurzem Befehlstone: „TyraS — Leo, hierher, sofort! — Knurrend und langsam gehorchten die Hunde, welche der kleine Diener sogleich am Halsband packte. Der dritte, ein Teckel, war neben der Erzieherin sitzen geblieben. „Entschuldigen Sie, mein Herr, cS soll nicht mehr Vorkommen!" sagte der zehnjährige kleine Kerl jetzt verbindlich. Seine Gefährtin dagegen starrte die Fremden aus weitaufgcrifscncn Bergißmctnnichtaugen an. — „Wie heißt Du?" fragte Neubert freundlicher. Wieder traf ihn bei dem „Du" ein erstaunter Blick. „Ich heiße Bernd von Brandau und bin Graf!" — „So, da bist Du nicht viel, wenn Du nicht nebenbei ein guter, tüchtiger Mensch bist!" entgegnete Ncubcrt lächelnd. — „Das meint meine Mutti auch!" versetzte der Knabe darauf kindlich. — „Aber mein Papa sagt, da wäre ich sehr viel, mehr als die Meisten!" — Der Professor hatte keine Lust, sich auf weiteres Ausspinncn dieses Themas cinzulasscn. „Ist das kleine Mädchen da Deine Schwester?" fragte er ablcnkcnd. Ein lautes, fröhliches Lachen war die Antwort. Dann rief Bernd eilig: „Nein, das ist doch Anneliese Blaumüllcr, aber meine Mutti sagt: Sic wäre meine Pflcgeschwcstcr. Ich muß sic sehr lieb haben, schon weil ihre Eltern todt sind, sagt Mutti. — Aber wenn Papa und ich allein sind, dann darf ich finden, daß sic ein Dummclchen ist. Aber Mutti will es nicht hören. Sic sagt, kleine Mädchen müßten immer so schüchtern sein, dann würden sie später doppelt niedlich!" — „Bernd kann französisch und englisch!" zirpte die Kleine ängstlich und voller Stolz. — „Kannst Du das nicht, Anneliese?" sagte Fran Neubert gerührt.—„Mutti sagt, ich würde es bald lernen. Aber Bernd meint, ich wäre ein Schäfchen. Schlagen thut er mich nie!" Dem Professor schnürte etwas die Kehle zu. „Ihr habt wohl Eure Mutti sehr lieb?" meinte er gepreßt. „Mutti ist ein Engel!" schrie der Junge mit strahlendem Gesicht, und das Mädel nickte eifrig ihre Bestätigung. — „Dann gehorcht ihr nur und seid immer recht artig zu ihr!" fuhr er in demselben heiseren Ton fort. Seine Gattin blickte ihn erstaunt an. Er war blaß, als der kleine Graf seine Gedanken unbefangen zum Ausdruck brachte: „Wir sind auch artig zu Mutti. Sie sagt, wir seien ihre Sonnenstrahlen. Der Papa schilt den ganzen Tag und quält sic. Weil er so krank ist, sagt Mutti. Wir beten mit ihr für den armen Papa; aber der liebe Gott hilft ihm nicht!" — „Eoma störe, ckarlinns!" rief jetzt die Erzieherin von ihrem Sitz herüber. Die Beiden verab schiedeten sich und sprangen davon. Hunde nnd Groom folgten. „Welch wunderschöner, kluger nnd guter Junge! Ich habe noch nie ein so schönes Kind gesehen! Der hat wirk lich Rasse!" sagte die Professorin und legte ihren Arm in den seinen. „Ja, das ist ein herrliches ^schöpf!" er widerte er kurz. — „Ich habe ein wenig Kopfschmerzen, Emmchen!" — „Darum sahst Du auch so blaß aus!" Sie schwieg nothgedrungcn und ließ ihn in Ruhe; weil ihm das am schnellsten half. Zum ersten Male hatte er seinem treuen Weibe eine Unwahrheit gesagt. Er war gesund, aber nicht im Stande, jetzt ein Gespräch mit ihr zu führen. Seine Gedanken waren vollauf beschäftigt. Tic kurze Unterhaltung mit ihrem Sohne hatte ihm das Bild ihrer Ehe gegeben. Sic war unglücklich mit dem Gatten, von ihm gequält und in Anspruch genommen. Der Licht punkt in diesem öden goldenen Käfig war ihr Bernd. Aus den Reden des Kindes ging deutlich hervor, was sie ihrerseits ihm mar, wie sic ihn beeinflußte. — Er wollte nicht mehr an sie denken. Das war vorbei! Tic Ver gangenheit sollte nicht mehr Rechte über ihn bekommen. Auf dem Rückwege mied er Villa Lceblick. Am anderen Morgen schien die Sonne so heiter wie selten. Das Meer lag unbewegt wie ein glatter Spiegel vor dem weißen, schimmernden Strand. Unter einem großen Schirm lagerte Neubert im warmen Lande. Vor ihm spielten barfuß seine prächtigen, wohlgerathcncn Söhne, sein Stolz und seine Freude. Die Professorin war mit einigen Bekannten in den Ort zum Baden gegangen. Die Damen wollten Einkäufe machen. — Vorhin war der Graf Brandau im Rollstuhl vorbcigcfahrcn worden. Sein (Besicht war noch faltiger und hochnäsiger als früher. Neben ihm schritt der Hausmeister mit einer Handtasche, einem Pack Zeitungen und einem Schirm. — Und dieser hinfällige Greis war der Peiniger der jugendlichen, kraft vollen Marie. Um seinetwillen hatte sic ihn ausgcgcben! Es mar kaum z» verstehen! Allerdings der Titel und die Millionen! — Jetzt knirschte der Land von nahenden Schritten. Stimmen erschollen. Die Erzieherin mit den beiden Pflcgcgeschwistcrn kam zum Vorschein. Die hagere Dame ließ sich mit einer Handarbeit ans einem Klappstnhl nieder. Die Kinder erkannten ibn und begrüßten ihn unbefangen. Dann eilten sic einige Schritte vorwärts nnd hielten vor Franz und Paul an. Ungerührt „buddelten" diese weiter und sahen kaum ans. Aber Bernd war ein Mann der That. „Mutti hat gesagt, wir sollen mit Euch spielen!" - „Mit uns?" knurrte Franz mißtrauisch. „Ja, mit Kindern, die nett ausseben. Ihr seht nett ans!" Ncubcrt hörte lauge Stunden hindurch unbeweglich dem Gespräche der Kinder zu. Es schien ihm eine fast märchenhafte Fügung, daß seine Knaben da so friedfertig nnd vergnügt mit ihrem Sohne spielten. Mit innigem, liebevollen Gefühle kehrten seine Blicke immer wieder zu dem schönen Bernd zurück. Ter Wunsch, dieses Geschöpf, in welches sic bereits so viel Gutes nnd Liebes gepflanzt,
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