Volltext Seite (XML)
K Mußestunden H sWochrubetlago des »Heiliger Tageblattes". ,>>,»».— - - . M - > , > 'M — ' »— > I > ! ' Eß — I 'I: I I. Jahrgauls. IS Dezember ISS4 Nr. 46. Anhalt: Kt« Brief von Adöle Schopenhauer. Mitgeteilt von Dr. Gustav Adolf Müller (Eisenack). Mn Blatt aus der Schöpfungsgeschichte der alte« Aegypter. Bon A. von Wernersdorf. Schwarze Diamanten. Eine Plauderei von M. Ko stak. Kreuude. Eine Novellette von Heinrich Goeres. Ein Brief von Adöle Schopenhauer. Mitgeteilt von Dr. Gustav Adolf Müller (Eisenach). Ein interessanter Brief kam jüngst in meine Hände. Er ent hüllt aufs Neue mit einem Schlag eines der merkwürdigsten Ka pitel aus Weimars „noch klassischer Zeit" und erinnert an ein trübes, bedeutsames Stück Familienleben, das nicht ohne Einfluß auf Arthur Schopenhauers äußere Entwickelung, sowie auf fein Urteil über das — Weibliche geblieben ist. Den Brief schrieb die feinsinnige Schlvester des Philosophen, Aböle Schopenhauer, aus der Schweiz an Fräulein Luise Kirsten in Weimar, und zwar im Jahre 1818. Seine Bedeutung erhellt schon aus äußeren, mehr noch aus inneren Momenten. Wie bald Arthur Schopenhauer das mütterliche Heim zu Weimar verließ, wie frühe er den schöngeistigen Kreis der Mutter Johanna, der geistvollen Freundin Goethes und Wielands, mied, um halb vergrämt, halb in Entrüstung für sich allein zu leben, ist bekannt genug. Der Mutter war er immer unbequemer ge- lvorden, seitdem die unverwüstlich lebenslustige Frau ihren um vierzehn Jahre jüngeren Freund und Geliebten, den Regie- rungsrat Friedrich Konrad Ludwig von Gerstenbergk ins Haus aufnahm (1813) und vom Sohn verlangte, er sclle diesem, angeblich auch als Charakter wenig bedeutenden Mann einen Re spekt bezeugen, dessen Wärme ihren: eigenen Verhältnis zu dem „Eindringling" entspreche. Schopenhauer hat es selbst — wenn auch ziemlich schonend — ausgesprochen, daß er bei seinem Ein treffen in Weimar, im Mai 1813, im Harste seiner Dftrtter ab gestiegen, daselbst gewisse häusliche Verhältnisse vorgefunden habe, die ihn bestimmten einen anderen Zufluchtsort zu suchen. Erst dls ihn die Mutter rnit Tränen bat, bei ihr zu wohnen und versicherte, daß er sich eine falsche Idee von ihrer Beziehung zu Gerstenbergk mache, blieb er zunächst gegen einen vereinbarten Pensionspreis bei ihr, gleichzeitig einen armen Unversitätsfreund zu sich nehmend. Sehr bald aber wurde das Verhältnis zwischen Arthur und Gerstenbergk so unleidlich, daß der letztere bereits nicht mehr an der gemeinsamen Mittagstafel er schien, sondern in seinen Räumen verblieb. . . . Am April 1814 kündigte die Mutter dem Sohne Plötzlich, im Mai schrieb sie ihm den „Scheidebrief" und atmete auf, als er, wie Eduard Griesebach in seiner gewissenhaften Schopenhauer-Bicgraphie sagt, „ihr nicht mehr als moralischer Stellvertreter des Vaters vor ihr auftrat". Freunde. Eine Novellette von Heinrich Goeres Nachdruck verboten. Das Fenster, an dem der kleine Wilhelm saß, schaute auf einen steingepflastorten Hof. Ringsherum reckten sich geschwärzte Mauern. Muh der Straßenseite öffnete sich ein Doppeltor. Mitunter gab es etwas zu schen. Das Tor öffnete sich und starke Männer schleppten Kisten, Körbe und Betten herein. Die Sachen verschwanden in dem Eingänge zum Lager des großen Kolcnialwarenhändlers, bei dem Wilhelms Eltern zur Miete wohnten. Mit dem Wilhelm trug die Bahnwärtersfamilie ein rechtes Kreuz. Bei der Geburt schon war er so erbärmlich und schwach ge wesen, daß man ihn wochenlang in Watte einwickeln mußte. Das Kind kam auch später nicht zu Kräften. Bleich und blutleer blieb es und wuchs kümmerlich. Mit vier Jahren konnte das armselige Kerlchen noch nicht laufen. Als man endlich dachte, aus dem Elend heraus zu sein und den Jungen in die Schule schickte, kam das Schlimmste erst. Eines Tages brachte inan ihn mit zerschlagenem Bein heim. Ein ungebärdiger Mitschüler hatte Wilhelm bedroht, er floh angstvoll und stürzte über die Schultreppe — ein schlimmer Fall war es. Der Doktor kam und kam, schnitt und pflasterte und ließ ein reiben. Aber das Bein blieb wund und krank und der blasse Junge erholte sich nicht. Er lernte schließlich mühsam mit Krückchen und Stock durch die Stube humpeln. Das wat alles Der Arzt blieb aus, die Mutter besorgte das Einwickeln allein«. Vielleicht wäre noch Besserung in der Heilanstalt möglich gewesen, von der der Arzt sprach. Woher aber das Geld nehmen. Der Haushalt mit den hungrigen Mäulern der vier Geschwister verschlang den Bahn- Wärterslohn im Handumdrehen. Daran war nicht zu denken. Wenn nur der liebe Gott den Kleinen zu sich genommen hätte, Während ihrer ganzen ferneren Weimarer Zeit lebte Johanna Schopenhauer mit jenem (vielleicht manchmal doch zu hart be urteilten) Manne zusammen. Diesen Umstand muß man zu besseren Verständnis gewisser Stellen des hier mitzuteilenden Briefes in Er innerung behalten. Adöle Schopenhauer, die gemütvolle Schwester Arthurs, bildete für eine Reihe von Jahren die einzige Brücke, die den Bru der und Sohn mit dem Elternhause verband. Die Briefe, die Grisebach von ihr mitteilt, verraten das herzliche Bemühen Adöles, auszuglssichen, zu vermitteln, wenigstens Unerträgliches erträglich zu machen. Sie selbst fügte sich in die Verhältnisse man muß sagen, mit feinem Takt und Geschick — und litt im Stillen. Auch dafür legt der folgende Brief mehrfach beredtes Zeug nis ab/ Er darf indessen noch eine besondere Wichtigkeit in Anspruch nehmen: denn er ist im bedeutsamen Jahre 1813 geschrieben, wo die von Adele gefürchtete Gefahr drohte, daß Gerstenbergk, der in badische Dienste zu kommen trachtete, die Mutter von Weinwr mit sich zöge. Adele hat diese Eventualität dem Bruder gegenüber als das „Schlimmste" bezeichnet, „was ihr hätte begegnen können". Tatsächlich sind Frau Schopenhauer und Adele mit dem Genannten im Sommer 1818 zu längerem Aufenthalt in Baden-Baden gewesen. In Karlsruhe wurde Varnhagen von Ense besucht, der sich, übrigen vergeblich, für Gerstenbergk, der später Kanzler in Eisenach wurde, verwandte. „Den Damen hatte es im Süden so gefallen, daß sie leicht ihren jetzigen Aufenthalt wechseln würden", schreibt jener an Varnhagen. ... Auch hierüber unterrichtet unser Brief, unmittelbar. Ueber gewisse andere Aufschlüsse, die wir dem Schreiben entnehmen und die schr interessant mit Ausführung korrespondieren, welche Adöle im März 1819 an ihren Bruder gerichtet hat, unterrichtet unser Nachwort: Genau nach der Urhandschrift, die leider an drei Stellen lädiert ist, lautet der Brief von der Südreife im Jahre 1818 folgender maßen: Schwietz in der Schweitz, den 27ten Juli. Ich schäme mich halb und halb — und dann muß ich mich doch selbst ganz entschuldigen, denn die 3 Wochen, die wir getrennt sind, waren soreich, daß ich kaum 3 Minuten frei, und ruhig, für mich hatte. W i r wissen fa zum Glück, wie wir zusammenstehen, so kannst Du mein Schtveigen nicht misdeutet haben, nicht wahr, liebe, alte Louise? Ich habe nie ein so pünktliches genaues Tagebuch geführt als jetzt, der Gedanke, daß ihr wissen müßt, was ich doch nie erzählen werde giebt mir immer gehörig die Feder in die Hand — daher Heute keine beschreibung laß mich den Zeitungsschreiber spielen, damit Du nur weißt, w o ich tvar und bin und alles Uebrige bleibe bis zum Wiedersehen. Wir blieben ziemlich lange in Würzburg dann in Stutt- gard, wo ich viele Menschen fand — nicht nur Leute. sagten alle Nachbarn. Vielleicht dachten die abgerackerten Eltern ' ebenso. Es war eine Plage ohne Ende. ' ' So kroch Wilhelm in dem Hinteren Zimmer unter. Da saß er in einem Stühlchen, vor sich den dreibeinigen Tisch. Im Zimmer, aus dem das Halbdunkel auch beim hellsten Sonnenschein nicht wich, schliefen die zwei ältesten Kinder im gemeinsamen Bett. Do- Lauer des Kranken stand neben dem Stuhl an der Wand. Der Raum nebenan diente als Küche und Wohnzimmer, daß Vordergelaß wurde von dem Ehepaar mit den beiden Kleinen zur Nachtruhe benutzt. Die Muttev wirtschaftete so ziemlich den ganzen Lag, die Brüder gingen zur Schule oder spielten auf der Gasse. Niemand fanÄ Zett, lange bei dem stillen Unglücksjungen in der Hinterstube zu hocken. Er saß ganze Tage und Wochen fast verlassen. All mählich gewöhnte er sich an das Stillsitzen und Alleinsein und fühlte sich zufrieden, wenn die Schmerzen im Beine nicht gar so schlimm brannten. Da waren einige abgegriffene Bücher mit bunten Bildern. Braune Männer sprangen darauf wild umher und schwangen scharfe Beile und Messer. Und sonst allerlei Merkwürdigketten. DaS liebste Bild zeigte ein Mädchen in blauem Kleide. Das Mädchen hatte in ein Körbchen eine Menge roter Beeren gepflückt und schlief nun unter nickenden Zweigen und Mockenblumen. Die kleine Beorensucherin sah so hübsch und gut auS. Wilhelm gewann sie recht lieb und gab ihr den Namen Johanna. Wenn er sie lange anschaute, fing er Wohl mit offenen Augen an zu träumen und blickte zur Tür, ob Johanna nicht einträte mit ihrem Körbchsn. Auch ein Messer und eine Schere besaß Wilhelm. Mit dem Messer schnitzte er den Brüdern zierliche Stöckchen. AuS alten Schulheften schnitt die Schere vielerlei seltsame Figuren, Garten zäune, Blumen, Bäume ^darunter die schlafende Johanna. Das war eine enge WÄt — wenn nicht ein guter Freund gleich nebenan gehaust hytte. Der wohnte draußen auf dem Hofe, gan- nahe. Das Fenster war so niedrig, daß er bequem hmeinsehen