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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.02.1905
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190502191
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19050219
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19050219
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-02
- Tag 1905-02-19
-
Monat
1905-02
-
Jahr
1905
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.02.1905
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Abend-AuSgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind siet« an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen. Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. vr. B„R. L W. Klinkhardt). Nr. 91. Sonntag den 19. Februar 1905. 99. Jahrgang. Var Aiedtigrte vom Lage. * Ter Nat der Stadt Lciv - iq dar^t der Be wohnerschaft Leipzigs für die bei dem Besuch des Königs bewiesene Haltung, die den Monarchen gerade- zu beglückt habe. (S. Amtl. Anz.) * Der Deutsche Kronprinz hat gestern die Rückreise von Florenz nach Deutschland angetreten. (S. Deutsches Reich.) * Die Novelle zum preußischen Berg gesetz ist dem Abgeordnetenhaus«: zugegangen (S. Deutsches Reich.) * Im ungarischen Reichstag wurde gestern ein königliches Reskript verlesen, wonach der Monarch das Parlament nicht persönlich eröffnen wird. (S. Ausland.) * Bei dem mutmaßlichen Mörder des Groß. fürsten Sergius ist ein Paß auf den Namen des Witesbker Kleinbürgers Gerassimow gefunden wor den. (S. Ausland.) * Am Schaho haben die Russen sich auf derRechten verstärkt, auf der Linken gegen Kuroki eine starke Streitmacht konzentriert: sie haben Oyamas Zentrum angegriffen. (S. russ.- fap. Krieg.) * In Katalonien herrscht eine A r b e i t s k r i s is: 150 000 Mann feiern unfreiwillig. (S. Ausland.) politische Wochenschau. Auch die letzte Woche bot wieder reichliche Gelegen- heit, über unsere Beziehungen zu England nachzudenken. Die ungeschickte Drohrede des englischen Zivilmarinelords Sir Arthur Lee war fa seit den be friedigenden Erklärungen des Botschafters Lascelles nach amtlicher Sitte erledcgt. Aber das Volk lmt nicht nötig, mit derselben Fixigkeit einen Stoß vor die Brust zu vergessen: und die englische Regierung Hot nicht das geringste getan, um über die Pflichten des internatio nalen Höflichkeitskodex hinaus den fatalen Vorfall wieder gut zu machen. Man könnte im Gegenteil einen neuen Affront darin erblicken, daß die Thronrede, mit der dos englifche Parlament eröffnet lvurde, von dem deutsch-englischen Schiedsgerichtsvertrag überhaupt keine Notiz nahm. Muß man doch daraus schließen, daß die englische Regierung diesen Vertrag für eine Bagatelle hält, nicht wert, in einein feierlichen Augenblicke auch nur erwähnt zu werden. Ebenso war die Verteidigung, die der leitende Staatsmann Mr. Balfour Herrn Lee persönlich zuteil werden ließ, etwas viel Ehre für diesen jungen Mann. Mag immer bei solchen Debatten das Partsiinteressc ein wesentliches Wort mitfprecherz, so - kommen wir doch um den Schluß nicht herum, daß es für ein Mitglied der englischen Regierung recht ver dienstlich ist, das Deutsche Reich zu provozieren. Er kommt „einen rauf". Unter diesen Umständen konnte Sir Thomas Barclay, der nun als Friedensmissionar über den Kanal gekommen ist, von vornherein nicht auf besondere Empfangsfreudigkeit rechnen. Er ist trotzdem mit allen Ehren ausgenommen worden und hat auf dem deutschen Handelstage und in der Berliner Handelskammer seine Ideen zum besten geben dürfen. Und zweifellos, wenn alle Engländer so dächten, wie Herr Barclay redet, dann wären wir gut daran. Denn an sich ist es gewiß richtig, was er ausführte, daß nur professionelle Soldaten und Kriegsmaterialfabrikanten ein Interesse am Krregführen haben: gewiß ist der Krieg die unproduktivste Ausgabe, die es gibt: gewiß liegt auch beim Handel und bei der Industrie der stärkste Wille zum Frieden. Wenigstens soweit das Deutsche Reich und das deutsche Volk in Be tracht kommt, trifst das alles zu bis auf das Lipfelckien auf dem i. Auch wäre es vielleicht ganz gut, wenn die internationalen Beziehungen nicht immer nach dem schwerfälligen Schema der Diplomatie, sondern auf kauf, männische Art geregelt würden. Aber leider werden wir das Gefühl nicht los, daß Herr Barclay mit seinen An- schauungen gerade in der englischen Geschäftswelt recht vereinsamt dasteht: wenn er auch betonte, daß die Welt groß genug für unS beide sei, so will es uns umgekehrt bedünken, als wollte England den unbequemen Kon kurrenten auf jeden Fall los sein, sai es auch um den, Preis eines verheerenden Krieges. Ist es doch schon recht bezeichnend, daß die englischen Korrespondenten in Berlin von ihren Londoner Auftraggebern die Weißung empfingen, über die Tätigkeit und den Empfang Barclays so kurz wie möglich zu berichten. Man will eben in England die Stimme der gesunden Vernunft nicht hören, ja, man sucht.Herrn Barclay durch die Nach rede zu diskreditieren, daß er bei seinen Friedensbestre- bringen nur fein Fabrikanteninteresse im Auge habe. Wenn aber der Prophet im eigenen Vaterlands so wenig gilt, dann werden wir auf seine Worte erst recht kein Gewicht legen dürfen. Zum mindesten darf darunter der weitere Ausbau unserer Scerii st ung nicht leiden. In dieser Be ziehung hat ja der Staatssekretär des Reichsmarine amtes v. Tirpitz in der Budgetkommission des Reichs- tages jetzt einige Aufklärungen gegeben. Daß sie aber als befriedigend anzusehen wären, kann nicht behauptet werden. Soweit sich bis jetzt übersehen läßt, soll die für den Herbst in Aussicht genommene Marinevorlage nicht mehr enthalten als die alte Forderung der Ausland- kreuzer, die vor fünf Jahren abgelehnt worden ivar. Aber seit jener Zeit haben sich die Verhältnisse gründlich geändert: die Rüstungen sind überall mit solchem Eifer betrieben worden, daß wir völlig ins Hintertreffen ge raten müßten, wenn wir uns noch auf das alte Flotten. Programm binden wollten. In dieser Beziehung kann cs jedenfalls nichts fänden, N>cnn die Regierung etnns vorwärts geschoben wird, wobei selbstverständlich das Maß des Notwendigen durch das fachmännische Urteil zu bestimmen ist. Die sieben Handelsverträge sind nun wenigstens von der Kommission angenommen worden. Man gab der Negierung zivar noch allerlei gute Wünsche und Ratschläge mit auf den Weg, aber schließlich ent- schied sich die Kommission unter dem Zwange „Annehmen oder Ablehnen" mit großer Mehrheit für die Annahme. Wenige Tage vorher war auch der Deutsche Handelstag zu demselben Resultat gelangt. Es zeigte sich dabei ein merkwürdiger Geg-ensatz zu den Ge pflogenheiten des Bundes derLandwirte. Man erinnere sich, wie vor zwölf Jahren, als die Eaprivischen Handelsverträge zu Stande gekommen waren, Herr Ruprechl-Ransern schrie und die Hähne krähten und die Minister machten seltsame Gesichter zu einer sehr respektwidrigen Aufforderung. Ja, selbst am letzten Montag war die Ave«': ?nuug die dem neuen Bülow kurs im Zirkvs Bu'ch gespendet wurde- sehr modifiziert. „AlS Vorletzter versetzt", attestierte Herr v. Oldenburg. Ianuschan dem jetzigen Reichskanzler. „Ein kleines Plus", das lvar das Urteil des Herrn Oertel über die neuen Verträge. Und wenn man auch dieses kleine Plus gönnerhaft in Empfng nahm, so konzentrierte man doch die ganze Lungenkraft auf die Forderung weiterer agra- rischer Konzessionen. Sie schreien weiter. Dagegen klang es aus dem DeutschenHandels- tag in zartestem Moll. Alles nar temperiert und sorg- sani abgemessen, nm nur ja die zarten Ohren der regierenden Herren nicht zu verletzen. Viel Stöhnen, aber kein Schrei. „Wir haben ja unsere Erziehung nicht auf dem Kasernenhofe erhalten", sagte ein Redner bil- dungSprotzig. Und danach war denn auch die Resolution. Die Negierung wird sich dieser artigen Kinder freuen. Aber sie wird sich auch in aller Gemütsruhe sagen: Artige Kinder fordern nichts, artige Kinder kriegen nichts. In Rußland wird das Volk allmählich weniger geduldig. Die offene Empörung ist so ziemlich überall niedergeschlagen worden, aber die Forderungen nach größerer politischer Freiheit werden nur umso lebhafter erhoben. Und es sind nicht bloß die Arbeiter, die neben dem Koalitions. und Versammlungsrecht auch politische Forderungen stellen, sondern selbst die Fabrikanten sehen ein, daß nur soziale und politisä>e Reformen ein besseres Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern schaffen können. Bezeichnend dafür ist der Beschluß der Warschauer Fabrikanten, die neben -em verbesserten Schulunterricht auch das Recht der Vereins- und Ver sammlungsfreiheit forderten. Auch der Zar scheint all mählich einzulehen, daß es seine Kräfte übersteigt, zu gleich gegen die Japaner und gegen das eigene Volk Krieg zu führen. Vielleicht würde er am liebsten Frieden mit den Japanern schließen, wenn er sich nur nicht sagen müßte, daß das Prestige Rußlands durch einen solchen halb erzwungenen Friedensschluß auf lange Jahre hinaus geschädigt werden müßte. So wird denn jetzt der Ge- danke des Semski Sobor, eines allgemeinen Reichstages, in die Massen geworfen. Natürlich ist dabei nicht an eine aus Wahlen hcrvorgegangene Versammlung, sondern an ein« Vertretung der Stände gedacht, wie sie ja in der früheren russischen Geschichte eine Rolle gespielt hat. Indessen wird man abwarten müssen, ob überhaupt etwas Ersprießliches aus diesem Plane herauSspringt. Der Zar und seine Regierung haben schon zu oft zu Reformen angesetzt, ohne daß sie verwirklicht wurden, als daß man dem SemSki Sobor jetzt ein günstigeres Prag- nostikon stellen könnte. Vorläufig liegt auch -er Ukas des Zaren zur Einberufung der Versammlung nicht vor: wird er überhaupt erlassen werden? Die Ermordung des Großfürsten Sergius wird diese Art Pläne schwerlich günstig beeinflussen. Die Krisis in Ungarn ist gleichfalls noch un gelöst. Kaiser Franz Josef empfängt nach seiner Art einen ungarischen Politiker nach dem anderen, ohne sich zu entscheiden. Doch scheint sich allmählich auS der all gemeinen Verwirrung, die der Sieg der Opposition im Gefolge hatte, wenigstens der Umriß der neuen Gestal tung der Dinge herauszukristallisieren. Es ist offenbar ein Koalitionsministcrium, in dem die Szell und Wekerle neben Andrassy und Kossuth sitzen werden, auf das die Entwickelung lossteuert. Anscheinend hofft Kaiser Franz Josef, daß sich auf diese Weise die brüllenden Löwen selbst verzehren werden, besonders wenn ihnen einige Konzessionen als Zankäpfel vorgeworfen werden. Jeden falls wird auch Herr Kossuth bald genug die Erfahrung am eigenen Leibe spüren, daß Kritisieren leichter ist, als Bessermachen. Huickava. Vie klmslaung cles glosslürsten Sergius. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt zu der Nachricht von dem Moskauer Attentat: „In der ganzen ge sitteten Welt wird man die Kunde von der ruchloien Blut tat in Moskau mit Entrüstung ausnehmen. Nur solche Elemente, deren moralisches Empfinden völlig abgestumpft ist, vermögen anders als mit Abscheu auf das grausige Verbrechen zu blicken, das gestern in der alten Hauptstadt veS russischen Reiches begangen wurde. Mord ist Mord, daran gibt es nicht« zu drehen und zu deuteln. Hoffentlich werden durch diese Untat denjenigen Kreisen in Rußland vollend« die Augen geöffnet, die zwar eine Besse rung der Zustände anslrebrn, aber mit den ruchlosen An hängern der Propaganda der Tat nichts gemein haben wollen." Die Stimmung in Petersburg. Der „Regierungsanzeiger", das „Journal de St. Peters- bourg" und der „Swjel" sind, wie die „Boss. Ztg." von gestern aus Petersburg meldet, mit Trauerrand er- ichienen. Die übrigen Blätter bringen tiefernste Be trachtungen über die Lage in Rußland, und es wirb von ihnen darauf hingewiesen, daß keine Schutz- m.ißregcln, nur schöpferische Reformen Abhülfe zu ichrfsen vermöchten. Die „Nowoje Wremfa" meint, du- Frage nach der Persönlichkeit de« Mörders sei weniger wichtig als die, wie cs möglich gewesen sei, daß da« Ver brechen nicht verhindert wurde. Seit Jahrzehnten wirte die revolutionäre Partei durch Terror, Erlasse, offene Proklamationen, sie veröffentliche Todesurteile, und ter Polizei wolle es nicht gelingen, die Schreckenstaten zu verhindern. Nur durch die zwischen der Staatsgewalt und der Gesellschaft eingetretene Entfrem dung sei Vies erklärlich. Der „Ruß" weist daraus bin, daß zur Zeit des Ministers Swiatopolk- Mirsky die revolutionäre SchreckenSpartei ihre Tätigkeit eingestellt hatte. — Gestern trat nach amtlichem Telegramm der Reichsrat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Der Großfürst Konstantin ist gestern früh aus Petersburg in Moskau eingetroffen. Der Mord. Nach einer Pariser Meldung erzählt der Moskauer Polizist Leontiew, der dem mit einer Taillenblouse und blauer Hose bekleideten Attentäter etwa 200 Meter vom Tat- orte den Weg verlegte, noch folgendes: Mein erster Griff war nach dem rechten Arm des Fliehenden, wodurch dieser verhindert wurde, den Revolver zu ziehen. Einer meiner Kollegen packte ihn dann am Halse. Nachdem ihm Handschellen angelegt waren, sagte er böhnilch: „Ich gratuliere euch zum Avancement, aber jenen macht ihr koch nicht mehr lebendig." Man glaubt, daß die Bombe gleich der zu den, Attentat auf Pleh we verwendeten, über Finiandnaw bei Tatorte gelangte.—Der Schauplatz des fürchterlichen Verbrechens befindet sich nach der „Schics. Ztg." in dem nördlicdenTeile desKreml, der hier mit dem Arsenal im Westen und dem Iufiizpalast im Osten in einen spitzen Winkel ausläuft. Zwischen dem Arsenal und dem Iustizpalast befindet sich der Senatsplatz, der nach «Norden in dem Nikolaitor einen Ausgang nach dem Roten Platz (XrassugsL PIoiwdtscdLä) außerhalb des Kremls bat. Großfürst Sergius hat, seitdem er den Posten als Generalgouverneur niedergelegt hatte, das Nikolauspalais im Kreml be zogen, das an dem großen Zarenplaye gegenüber dem be rühmten Glockenturme Iwan Wellst liegt. Da er nur in das Historische Museum wollte, das dicht an die Nordecke des Kreml grenzt, hatte er unter Benutzung des Nikolaitore« nur einige Hunderte von Schritten zu fahren. Aber ehe er noch das Tor erreichte, hatte ihn die Bontbe deS Meuchelmörders niedergestreckt. Daß bei der Explosion nur der Großfürst und sein Kutscher umkamen, erklärt sich daraus, daß dieser Teil deS Kremls gewöhnlich verödet daliegt, während der Verkehr durch da« Hauptlor (Spasskaja Tor) in der Regel sehr lebhaft ist. — Nach einer Depesche der „Voss. Ztg." wurde bei dem Attentäter ein Paß auf den Namen des WitebSker Kleinbürgers Gerassimow gesunden. Lharakter «n- Tätigkeit -e» Lrm»r-eten. Zu den gegen den Großfürsten erhobenen Anwürfen ge körte nach den liberalistischen Korrespondenzen von Wiener Blättern auch, kaß er jahrelang keine genügende Kontrolle über da« Gebahren de« Roten Kreuze« i« Moskau übte, da« gegenwärtig Gegenstand einer strafgerichtlichen Untersuchung ,st. Vor mehreren Wochen forderte der Groß fürst die Vertreter der Bürgerlchaft Moskaus zu reich licheren Spenden für die Verwundeten in Ostasien aus und versprach, daß jede tausend Rubel betragende Gabe durch ein persönliche« Dankschreiben seiner Gemahlin quittiert werden würde. Die Subskription war febr zahlreich, aber keine Spende überschritt den Betrag von 999 Rubeln. Während der Moskauer Amtstätigkeit de« Großfürsten Sergiu« brachte die im AuSlande blühende freie Presse Rußland« unablässig Mitteilungen über die Vorgänge »n den Moskauer Ge fängnis» en, für die allerdings der Großfürst nicht in vollem Maße verantwortlich gemacht werden konnte. Wiederholt kamen in Moskau Hungerstreik« politischer Gefangener vor, und zwei Fälle wurden bekannt, in denen eingekerkerte Studenten durch Selbstverbrennung ihrem Leben ein Ende setzten. Einsr dieser Unglücklichen war der 22jährige Wladimrr Nikiforow, der Sohn eines mit Tolstoi befreundeten Publizisten; er über goß mit dem Petroleum seiner Zellenlampe seine Kleider, zündete sie an und starb nach dreitägigen Qualen. Wieder holt soll der Großfürst der Vollstreckung von Leibeszüch tigungen an politischen Arrestanten und Arrestantinnen bei- gewohnt haben. Die Wirksamkeit des Großfürsten in Moskau fand besonders in den letzten Monaten vielfachen Widerstand von Seilen der reichen, liberal gesinnten Fabrikanten und Kauf leute. Ebarakteristisch für diese Opposition war ein Zwischenfall, den der Fabrikant Morosow hervorrief, weil er in einer öffentlichen Versammlung erklärte, er habe 20 000 Stück Wolldecken, die er in seiner Fabrik als Spende für das Rote Kreuz hatte anfertigen lassen, zwei Wochen später auf dem Markte in Moskau unter seinem eigenen Selbstkostenpreise aufgekauft. Der Groß fürst wollte den Fabrikanten zur Zurücknahme dieser Erklärung veranlassen, doch Morosow verweigerte eine solche Ehrenrettung deS Moskauer Roten Kreuzes und wies alle Versuche, ihn um- rustimmen, mit der Drohung zurück, er werde lieber seine Fabrik schließen, die 8000 Arbeiter in die Straßen von Moskau schicken und selbst auswandern, ehe er einer Pression uachgebe. AuS seiner früheren Amtstätigkeit wirb eine Anekdote erzählt, die zeigt, daß ihm die Uebergriffe der Moskauer Polizei persönlich nicht unbekannt geblieben sind. Der Großfürst liebte es damals gleichwie Harun al Raschid verkleidet durch die Straßen von Moskau zu wandern. Eine solche Wanderung während der durch die Hungersnot vom Jahre 1891 hervorgerufenen Brotteuerung wurde von ihm unternommen, um sich zu überzeugen, ob sich tatsächlich die Bäcker weigern, daS Brot kopckenweise abzugeben. Der verkleidete Generalgouverneur konnte für feine drei Kopeken kein Brot erhalten, fingierte einen Exzeß und wurde in brutaler Weise zur Polizei geschleppt, wo er sich sodann zu erkennen gab. Großsürst Lergius war ein ungewöhnlich hochgewachsener, schlanker Mann. Besonders sielen seine klaren blauen Augen und sein außerordentlich scharfer Blick auf. Der blonde Spitz bart war in den letzten Jahren bereits stark meliert. — Nach einem Darmstädter Brief der „Frkf. Ztg." hatte sein Gang etwas Hastiges; die ganze Haltung und der Ausdruck des blaffen Gesichtes verriet Nervosität und ließ eine gewisse Verschlossenheit und Härle vermuten. Aber wie sein viel jovialerer kaiserlicher Neffe, interessierte sich auch Groß fürst Sergius lcbkaft für die deutsche Kunst, be sonders für die aufstrebende Darmstädter kunstgewerb liche Bewegung. Manche Bestellung gelangte vom russischen Hofe gerade an die Mitglieder der Künstler- kolonie. Architektonische Entwürfe, plastische Werke, keramische Arbeiten und Erzeugnisse der modernen Gold- schmiedckunst wanderten in reicher Fülle nach dem Osten in die kaiserlichen Paläste. Und wie ein Dokument für diese Beziehungen, stehl auf der Darmstädter Mathildenhöhe mit den Häusern der Künstlerkolonie iu orientalischer Farben pracht eigenartig kontrastierend, die russische Kapelle. An dem Gottesdienst, der in dieser Kirche stets während der Aiiwesenbeit des russischen HofeS abgehalten wurde, nahm Großfürst Sergius mit besonderen» Eifer teil. Noch jüngst war er mit seiner Gemahlin zu der Hochzeit des Großherzogs erwartet worden. Aber die schweren Zeiten im eigenen Lande vereitelten die Reise. Man fragt sich in Darmstadt, ob nun wohl, nachdem ihr Gemahl den Revolutionären zum Opfer gefallen ist, die kinderlose Groß fürstin Jelissaweta Feodorowna, die einstige Prinzessin Elisabeth, in da« Hessenland zurückkehrt. — Wie dein „H. C" aus Paris gemeldet wird, führt der ehe malige Pariser Sicherheitschef Goron den Groß fürsten Sergius, der für die Tour entsprechend gekleidet und bewaffnet war, anläßlich seines letzten Besuches in Paris durch die dunkelsten Stadtteile der Seinestadt. Beim Besuche der berüchtigten Verbrecherherberge Ckaleau, die kürzlich abgerissen worden ist, wurde der Großfürst von seinem Begleiter getrennt und mußte durch einen regelrechten Boxerkainpf sich zweier Angreifer erwehren. Sergius be hielt eine rote Halsbinde eines dieser Gesellen in den Händen und zeigte diese Trophäe am anderen Mittag lächelnd im Jockey-Klub. Großfürst Sergius interessierte sich bei seinem Pariser Besuche sehr für alte Waffen und byzantinische Bijoux. Die Antiquare rühmen seine Sachkenntnis. Vie ffmis in fiusslancl. Die Peterrbnrger Telegraphen,Agentur erklärt, daß die auswärts verbreitete Nachricht über Zu sammenstöße von Militär mit Arbeitern in Peters burg jeder Begründung entbehren. In Warschau Nach derselben Agentur baten die Warschauer Redak teure den Vorsitzenden der Kommission für die Prcsse- und Zensurgel etzgebung, Kobeko, telegrapbyw, ferne Aufmerksamkeit den Bevürinissen der polnischen Preise zuzuwenven; sie bedürfe der Preßfreiheit. Es fei notwendig, daß Vertreter der polniichen Presse zu der von Kobelo geleiteten Kommission zugezogen wurden. — Die Angestellten der Apotheken stellten gestern ihre Forderungen an die Besitzer mit der Bemerkung, daß sic bei Nichterfüllung der Forde rungen heute nachmittag in den Ausstand treten würben. Vie Auestand«bewegung. Den offiziellen Angaben zufolge ist der Ausstand in den Orlen Tomafchow, NoworadomSk und Zawiercie beendet, in Czenstochau, Sosnowice und im Dombrowarayon dauert er noch an. In Lodz sind 75 Proz. der Arbeiter ausständig. Line englische j)iratendepefche. Wie dem „Daily Expreß" au- Odessa telegraphiert wird, soll im Kaukasus der allgemeine Ausstand auSgebrocken sein. DaS ganze Gebiet stebt angeblich unter der Herrschaft gutbewaffneter BolkSbaufen, die den Bahnverkrbr bereit- zum Stillstand gebracht haben. Die Telsgraphendrähte sind zerschnitten und die Arsenale geplündert. Wie es heißt, wiegeln die Banden auch die Bergbevölkcrung auf, an der Rebellion teilzunehmeu. (??)
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