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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.03.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-03-01
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050301026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905030102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905030102
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-03
- Tag 1905-03-01
-
Monat
1905-03
-
Jahr
1905
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Aunatzmefchluß für Aazeisen: Abend-Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen find stet- an die Expedition zu richten. Extra-Beilagen (nur mit der Morgen- Ausgabe- nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist wocheuraaS ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig (Inh. I)r. B., R. L W. »liukhardtl. Nr. HO. Mittwoch den 1. März 1905. SS. Jahrgang. Vas Mcdtigrte vom Lage. * In Brest haben 2000 Hafenarbeiter be schlossen, die Arbeit niederzulegen. * Der italienische Ministerpräsident Giolitti hat gestern mit vier Fachmimstern über die Ersenbahnpolitik konferiert; die Obstruktion hat in Rom und Mailand abgenommen. (S. Ausland.) * Das englische Unterhaus hat gestern einen oppositionellen Antrag aufKün-digung der Zuckerkonvention abgelehnt. (S. Ausl.) * General Stössel hat gestern inMoSkau vor einer Delegation der Stadt die Uebergabe von Port Arthur gerechtfertigt; er ist abends nach Peters burg abgsreist. (S. Russ.-jap. Krieg.) »ursche« heraus!" Unter der Ueberschrift: „Burschen heraus!" bringen die „Wartburgstinrmen" (Thüringische Verlags-Anstalt Eisenach. Leipzig und Berlin.) in ihrem Februar-Heft einen herzstärkenden Zornesruf ihres Schriftleiters Ernst Clausen. Darin heißt es wörtlich: „Das tanzt und flirrt in der Lust. Schnee. Eis und Regen in wildem Gemisch vor dem Weststurm her treibend, der von der Wartburg herüber fledert und mit voller Wucht gegen die Gesteinquadern des Burschen schaftdenkmals tobt. Ich gedenke des Tages, als dieses Denkmal geweiht wurde. Auch damals prasselten schwere Boien aus West herüber, aber die Frühlings- sonne brach doch immer wieder durch. Von unten herauf kamen sie mit wallenden Fahnen in Koller und Kanonen, die deutschen Burschenschafter. Ich hörte die Reden an: Denkmal und die Reden beim Festkommers, schöne Ansprachen, aber vorsichtige Ansprachen, und ich gedenke meiner eigenen Stimmung damals, meiner Stimmung als eines Mannes, der nichts wußte vom Leben der Studenten und auch beute ivenig davon weiß. Mir erschien das alle? so merkwürdig, ja beinahe lächer lich, es schien alles gar keinen Sinn mehr zu haben. Mir kam es vor, als bemühte man sich krampfhaft, einen Leichnam zu galvanisieren mit Reden und nnt Erinne rungen, die sich an die Zeit knüpften, wo der jetzt tote Körper noch strotzte von Blut und Leben und Mut. Die Schlachten waren geschlagen von 1815 bis 1871, es war erreicht, und wenn ich die Schnurrbärte betrachtete bei solchen, die deren sich erfreuten, sie alle verkündeten: „Es ist erreicht!" Ich sage es ganz offen, ich habe ge lächelt damals. Farben, Koller und Kanonen, Bier trinken und viel Hurrapatriotismus! Das waren also deutsche Burschen! Manche geschniegelte und gebiegelte Herrchen, viele bierverdunstete, indolente Gesichter! — Das ganze Wesen mit dem Drum und Dran war kein Leben mehr mit großen Zukunftszielen und mit Zukunftsarbeit, sondern mhhr ein Leben, das sich noch mühsam von »den paar Tropfen Blut nährte, die von den großen Blutwellen übrig geblieben waren, welche einst mals durch junge deutsche Herzen rollten. Kürzlich las ich wieder einmal Fritz Reuters „Ut mine Festungstid." Ta stckht ein Satz: denn „was ist deS Deutschen Vaterland" is en schön Lid, un ik heww't ok ost sungen, aewer mein Dag nich funnen, un bin nu doch ok all binah twei und föftig Johr darin 'rümmer wannert, ok dorin 'rummsr stött worden." Paßt das heute nicht mehr? Jst's vielleicht in Elsatz- Lothringen, wo man sich darum zankt, ob ein deutscher Christ mit dem Makel protestantischen Bekenntnisses be haftet, nicht den Gottesacker und Friedhof verunglimpft, auf dem die Würmer nur ein Anrecht auf deutsche Tote haben mit dem Vorzug, „katholisch" gewesen zu sein. Jst's vielleicht in Berlin beim Kultusministerium, hockt es vielleicht verstaubt hinten den Aktenstößen der Kanz leien deutscher Allergeheimster Räte, vielleicht auch in deutschen Schulen, wo die Jugend so viele patriotische Wasser- und Phrasensuppen einfiltriert bekommt, daß sie gar nicht mehr weiß, wa- Vaterlandsliebe ist, oder hockt es in deutschen Kirchen und zupft den Prediger am Talar, wenn es ihm einfallen sollte, ein ehrlicher Mann zu sein, oder haben eS die Kompagnien Jesu in Erbpacht genommen? Irgendwo muß eS hocken und schlafen 'des „Deutschen Vaterland". Aber wenn ich an die Zeit denke, wo man Fritz Reuter zum Lode verurteilte und zu 24 Jahnen Festung begnadigte, dann geht mir's bang und zornig durch die Seele: TaS will ja alles wieder kommen! Zwar äußerlich hat es ein anderes Gesicht, ein modernes Gesicht, aber innerlich ist's ganz dasselbe. Ist nicht wieder die große Reaktions-Glasglocke über des Deutschen Vaterland gestülpt, daß kaum noch ein Mensch frisch, froh und mutig zu atmen, zu sprechen und zu handeln wagt? Doch sei es so, mau hat etwas wie eine grimmige Freude 'dran! Wir werden wieder auf die Probe gestellt. Und ich glaube, die Burschenschaften haben noch immer Sinn, deutsche Burschenschaften im allorweitesten Sinne genommen. Mir ist eS, als be gänne die deutsche Jugend wieder zu leben, als gäbe es wieder ganz leichte Anzeichen, daß nicht alles Wollen und jeder Sinn fm Taten fehlte. Bei allein Zorn im Herzen, das freut mich, freut mich von Herzen. Jawohl, deutsche Jugend und deutsche Studenten, es gibt wieder frische und feste Arbeit in deutschen Landen, wollt ihr dabei sein? Oder sitzt euch der Geheimratsgeist auch schon im Blute und das Karrieremachen, und seid ihr mit 20 Jahren scl>on vorsichtige diplomatische Herren ge- worden? Dann haltet den Mund und redet nicht! Werft lieber das ganze Paradczeug mit Farben und Koller una Kanonen in die Rumpelkammer. Das ist ja alles nur Anputz. Es heißt, die alten Symbole mit neuem Geist füllen! Es sieht zwar anders aus äußerlich, aber im Grunde ist's doch wieder so wie damals in der Politik, in der Schule, in der Kirche. Ja, der Ruf „Burschen heraus!" hat neuen Sinn bekommen, und es gibt manchen Weißhaarigen in deutschen Landen, 'der mit diesen Burschen gern noch hinaus ginge. Seltsame Zeit! Diese Petition deutscher Dichter und Journalisten, um zu protestieren gegen die Verhaftung des russischen Schriftstellers Maxim Gorki! Gibt es nicht in Deutschland selbst mehr und wichtigeres, wo gegen deutsche Dichter protestieren müßten, aber nicht mit Petitionen, sondern mit Taten, mit Dichtertaten, aber Taten, bei denen man seine eigene Haut zu Markte trüge, wie Freiligrath und andere. Tausende, deutsche ehrliche Männer es damals taten. Beneiden sollten deutsche Dichter einen Gorki vielleicht, daß er der Ehre teilhaftig wird, von Staats- wegen verhaftet zu werden. Aber ich vergaß, er ist ja Ausländer, und im Namen der „Kultur" muß protestiert werden. Es kostet ja nichts, nur einen Feder- und Namenszug, und alles ist geschehen? Deutsche Dichter, sorgt lieber dafür, -aß solche Petitionen in Deutsckstand nötig werden. Hier gibt cs viel mehr zu protestieren. Mit ein bißchen Sarkasmus im „Simplicissimus" ist's nicht getan, sondern mit Begeisterung und Dichtertaten. Es gibt Zeiten, wo die Dichter kein Recht haben, etwas anderes zu dichten, als ein „politisch" Lisd, und solche Zeiten sind wieder gekommen. Es gibt Zeiten, wo ein Volk kein Recht hat, sich für neurasthenische Männer un hysterische Weiber in Dramen ustd Romanen zu inter essieren, wo cs keine Zeit hat, auf Frühlings- und Herbststimmungen und Liebesgeflüster zu lauschen. Die Dichter werden unS kommen, ich glaube daran, die Dichter, die wir brauchen, die keine Tantiemen schlucken und nichts verdienen wollen, aber schäften wollen, die mit eisernen Worten an ihre Volksgenossen herantreten und dann ein Recht haben, auch in Rußland zu protestieren gegen Vergewaltigung. Ist Gorki der Mann, der er sein soll, ein begeisterter Kämpfer für seines DoNeS Rechte, dann muß er es beinahe bedrücken empfinden, daß für ihn petitioniert wird von deutschen Gelehrten, Literaten und Künstlern, die gegenüber der Reaktion im eigenen Lande sich bisher auszuschweigen wußten Das Recht, nach außen zu protestieren, kann nur erwachsen durch mannhaften Protest im eigenen Hause. Aber nach außen loach sein und nach innen schlafen, ist einfach unsittlich. Es kann ja nicht so bleiben! Man hört Gewitter in lder Ferne. Unter der akademischen Jugend scheint hier und da ein Wirbelwind starken frischen Sturm onzuzeigen un einige deutsche Professoren lassen wieder etwas ver spüren von furchtlosem Geiste besserer Zeiten. Ich denke nicht an Burschenschafter allein. Aber ich rufe doch: Burschen heraus! Da hier oben am Denkmal pfeift es wie Sturm von der Wartburg herunter und gegen die Steinquadern des BurfchenfchoftsdenkmalS heult der Wind: „Burschen heraus!" Vie fflirir in burttaiul. Der Belagerungszustand irn Eisenbahnbetrieb. Wie über Paris aus Petersburg berichtet wird, hat die Verhängung deS Belagerungszustandes über die Eisen bahn bisher nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Der Betrieb der sibirischen Bahn wird nur jenseits von JrkutSk ausrecht erhalten. Die TranSbaikalbahn ist schwer beschädigt; seit 3 Tagen ist nichts mehr nach der Mantschurei abgesandt worden. Wie ein Telegramm au« Warschau behauptet, wurden nach einer Schlußkonferenz der Weichselbahndirektion die Bedingungen der Beamten und Arbeiter angenommen. Die Genehmigung de« Eisenbahnministers wurde nachgesucht; in einer Woche dürste nach dieser Depesche der Betrieb vollständig wieder ausgenommen sein. Der Streikschaden beträgt dis jetzt 300 000 Rubel. Eine dem entgegengesetzte Meldung sagt, der Streik dauere noch an, da die Angestellten die sofor tige Erfüllung ihrer Forderungen verlangte», während die Direktion für die Einholung der Genehmigung deS Ver- kehrsministerS 14 Tage beanspruche. Die Beschlüsse -er rNs»ka«er Duma. Wie au« Moskau gemeldet wird, beschloß der Stadtrat sich wegen der administrativen Aufhebung deS Be schlusses der Stadtverwaltung vom 12. Dezember de« vorigen Jahre«, worin eine Staatsreform gefordert wird, an den Senat zu wenden. Von anderen Plätzen. AuS Rostow am Don wird telegravhiert: Die Einwohner der Stadt sind stark beunruhigt durch Gerüchte, daß Unruhen bevorstehen, weil unter den Hafenarbeitern und anderen Arbeiter» Proklamationen mit der Aufforderung zum Plündern verteilt werden. — Nach einer Meldung aus Zarizyn sind die Hüttenarbeiter der Ural-Wolga-Ge- feilsch ast in den Ausstand getreten. Die „Ynmanit6" der Herrn Jaurd» veröffentlicht einen zweifellos fingierten Aufruf de« Priester« Gapon an die Petersburger Arbeiter, sowie einen offenen Brief an den Zaren, welcher als Stilübuna wiedergeaeben sei und laulet: „An Nikolaus Romanoff, früheren Zaren und jetzigen Mörver d«S russischen Kaiserreich«. Boll Ver trauen in dich als Vater deines Volke- kam ich zu dir, fried lichen Schrittes in Begleitung der Kinder deine« Bolte«. Du mußtest es wissen und du wußtest e«. Trotzdem ist da« Blut der Arbeiter, Frauen uud Kinder geflossen. Dieses Blut wird dich in Zukunft für immer von deinem Volke trennen; nicht- wird da« moralische Baud »wischen dir und dem Volke wieder zusammenknüpfen, den schwellenden Strom wirst du nicht wieder einvämmen können, weder durch halbe Maßregeln, noch durch da» Versprechen der Einberufung einer Voltsvertretung. Dqnamitbomben de- kollekivisti- schen und individualistischen Terrorismus de« Volksausstandes erwarten dich, deine Familie und alle Mörder de« Volke«. Ich sage e« und eS wird geschehen. Es werden vielleicht Ströme Blute« fließen, wegen dir wird vielleicht Rußland in« Verderben gestürzt. Versuche mich zu verstehen und laß e« dir ein für allemal gesagt sein; verzichte viel mehr io schnell wie möglich mit deiner ganzen Familie auf den russischen Thron vor dem Gericht deS russischen Volkes. Gib deinem Lande den Frieden, den du den übrigen Völkern angeboten hast. Gapon." ver rurrftch-japanische Weg. Di- Kehiffrverkänfe -er Hamburg-Amerika-tinie. Aus Hamburg wird gemeldet: Die Besatzungen der von der Hamburg-Amerika-Linie verkauften Ozean dampfer werden letzt auf dem russischen Konsulat angemustert. Vorläufig werden nur die Besatzungen für die Dampfer „Balesia" und „Belgravia" angenommen. Beide Schiffe hatten gestern dierusstschcFlaggegehißt. General Stöffel in Markau. Der General Stössel und seine Gattin wohnten, wie ein halbamtlicher Bericht besagt, gestern im Tschudow-Kloster einer Seelenmesse für den Großfürsten Sergius bei: auch die Großfürstin Elisabeth war zugegen. Eine große Menschenmenge belagerte den -nnzen Tag da« Hotel Stössels. Einer Delegation der Stadt Moskau mit dem Bürgermeister an der Spitze, die Brot und Salz dar brachte, erklärte General Stössel nach einer Ansprache des Bürgermeisters: „Es war nicht unsere Schuld, daß Port Arthur fallen mußte; wir leisteten so lange wie möglich Wider- stand. Schon seit Oktober hatten uns die Japaner in der Gewalt. Nachdem sie alle wichtigen Forts aus einer Strecke von 4 Kilometern genommen hatten, konnten sie jeden Augenblick in Port Arthur eindringen. Mit schmerzerfüll- tem Herzen sah ich mich gezwungen, Port Arthur zu über geben, weil ich es für m e > n e P f l i ch t hielt, ein sonst un- ausbleibliches Blutbad zu vermeiden. Die Japaner erober- tcn Port Arthur nicht ohne große Opfer, wie mir General Nogi selbst zuaestanden hat. Wir hatten auf 680 Offiziere 317 Tote; alle waren verwundet, mehrere bis achtmal. Von 1F000 Mann Truppen sind unS nur 4000 einschließlich der Verwundeten geblieben. Von der Flotte hatten wir k e i n e H ü l f e; sie wurde durchdas feind liche Feuer vernichtet. Die letzte Depesche, die wir von General Kuropatkin am 30. Oktober erhielten, versprach uns Hülfe; chinesische Kundschafter kündigten uns das Herannahen der Ruffen an, aber die Japaner zer- störten unsere Illusionen durch die Nachricht, daß die Flotte Roschdjestwenskvs noch bei Madagaskar und Kuro- patkins Truppen bei Mulden waren, wo sie noch jetzt sind. So konnten wir uns beim Mangel an Munition und Lebensmitteln nicht länger halten." Der General Stössel ist dann abends nach Peters burg abgereist. Feuilleton. Frauchen. Roman von Felix Freiherr von Stenglin. NaLdruck derdote«. „Mit der Tante?" fragte Agnes erstaunt. Doch es war nicht nötig, Tante Lotte zu rufen, eben trat sie ins Zimmer. „Ach, Tante!" rief Agnes freudig, ging auf Frau Lotte zu und umarmte sie. Dock; diese war sehr zurück- haftend. „Guten Tag, Agnes", sagte sie ruhig, ohne den .Kutz der Nichte zu erwidern, so daß Agnes gleich wieder von ihr forttrat. „Das ist ja sehr hübsch, daß du auch einmal wieder kommst", begann darauf die Tante mit vollkommenstem Ernst, während ihre Nasenflügel sich blähten. „Aller dings eine sehr unpassende Zeit, denn ich lege eben die letzte Hand ans Mittagsessen —" „Ich habe auch gar keine Zeit", bemerkt, Agnes flein laut, „ich wollte dir nur gerne sagen, datz ick) nicht mehr hingehe, — da in die.Kanzlei." „So!" machte Tante Lotte. Agnes wunderte sich nun doch, datz sie sich gar nicht freue. „Ich weiß, man wird über mich räsonnieren, mich auSlachen. mir Feigheit vorwerfen, mich mißachten — ich nehme alles auf mich." Tante Lotte nickte nur. Es wurde Agnes ganz jämmerlich zu Mut. Hatte sie sich denn noch nicht deutlich genug ausgesprochen? „Ich will jetzt zu Hauke bleiben —" erklärte sie. Abermals nickte Tante Lotte nur. „Und die Wirt schaft lernen!" setzte Agnes fast weinerlich hinzu. „Wo denn?" fragte die Tante. „Ich weiß noch nicht", antwortete Agnes und sah Tante Lotte scheu an. „Möglichst hier in der Nähe", meinte sie hierauf und sah der Tante noch immer mit demselben scheuen, fragenden Blicke ins Gesicht. Und plötzlich rief sie laut und ärgerlich: „Aber so sei doch nicht so scheußlich zu mir, Tante Lotte!" zog das Taschentuch hervor und fing an zu weinen. Da war aber Tante Lotte schon bei ihr und umfaßte sie. „Nun man nicht wieder heulen, dumme Dirn! Hab' ja nur so getan, weil ich mich zu sehr über Euch geärgert hatte. Mein Gott, das ist ja doch alles wie Posaunenge- klinge in meinen Ohren! Still, still! Nicht heulen! Und kommst natürlich zu mir, zu meinem Jungbrunnen, nicht wahr? Wer du kannst mich für dumm^iusschreien, — verstehen tu' ich'S nicht." Agnes lehnte ikuen Kopf an die Schulter der Tante und drückte ihre Hände. „Liebe Tante! Ich habe ge kämpft ... ich glaubte, ich müßte es durchsetzen, aber nun hab' ich mich durchgerungen. Da« erzähl' ich dir alles noch in Ruhe, jetzt mutz ich nach Haufe. WaZ wird Walter sagen! Ob er sich freut? Und Valeska! Und Willy! . . . Und dann komm ich zu deinem Jung brunnen, liebe Tante Lotte! Ich werde ja alle« falsch machen, — auch später noch, wenn ich manches von dir gelernt haben sollte — aber das macht nichts, ich mach' es, so gut ich kann. Wieviel Zeit hab' ich jetzt wieder bei all' den langweiligen Briefen und Adressen verloren! Für die Welt draußen pass' ich nicht, aber eine Null will ich auch nicht mehr sein." Sic hob den Kopf, sah die Tante mutig an uud setzte hinzu: „Uud der Hausdame wird heute noch abgeschriebcn." Tante Lottes Augen leuchteten auf. „Schade, daß ich nicht dabei sein kann, wenn dieses Ungetüm von Walten-äie Nachricht erfährt. Aber du erzählst mir, wie es war." Sie umfaßte Agnes und drückte sie an sich. „Und jetzt ein einziges Tankgebct zum Weltendirektor da oben!" sagte sie bewegt. AgneS wollte sich von, Onkel verabschieden, da nahm er ihre Hand, wandte sich an seine Frau und begann in seiner geniächlickien Sprechweise: „Ich habe ihr gesagt, datz ich dich erst fragen müßte, denn cs ist dir ja bekannt, daß wir jetzt in vollkommenster, geistiger Gemeinsck-aft leben, so datz eine Tätigkeit und Entscheidung des einen ohne den anderen undenkbar ist —" Uebcr die Brille hinweg schaute er auf sie hin. „Sieh' mir nur einer den alten Fuchs an! Mit der Miene heuchlerischer Ehrbarkeit will er mir wieder einmal einen Hieb versehen! . . . Indessen will ich doch AgneS nicht vorenthalten, zu welchem Schluß ich durch eifrige« Nachdenken gekommen bin. Die geistige Gemeinschaft liegt gar nicht so sehr in der Gleichartigkeit der Anschau- ungen und de« Wissens, auch nicht bloß darin, daß man jede Angelegenheit miteinander durchhechelt, sondern — im Gefühl der Zusammengehörigkeit. Punktum!" — Frauck»en kam nach Hause, ungefähr zu derselben Zeit wie sonst, da sie ja eine halbe Stunde früher die Kanzlei verlassen hatte. Je mehr sie sich ihrem Heim näherte, desto aufgeregter wurde sie. Nun war sie ja frei, wirklich frei, war ihre Stellung los, Gott sei Dank! Ein ganz anderer Jubel in ihr, als damals, da Walter ihr den Weg in die Welt freigegeben batte. Immerhin hafte sic auch damals eine Erlösung gefühlt. Und jetzt wieder. Wie seltsam war das doch! Nichts Wetterwen- discheres als die Ueberzeugungen des Menschen. > Sie stürmte die kleine Treppe zur Wohnung hinauf so sclmell sie konnte, außer Atem klingelte sie wieder. Nun kam jemand, Minna öffnete. „Guten Tag, Minna!' sagte Agnes so recht freundlich und nickte ihr zu. Dann eilte sie an ihr vorbei und rief laut: „Willy! Willy!" Die Tür zum Eßzimmer öffnete sich, Willys Kopf sah heraus. „Mein lieber Junge! Wo steckst du denn!" Sie war schon bei ihm, kniete an ihm nieder und preßte ihn fest au sich. „Mein lieber Junge! Mein Junge! Deine Mutter ist da!" Jetzt erhob sie sich wieder und sagte in munterem, ausgelassenen Ton: „In der Stube bist du. Liebling? Bei dem Herr- lichen Wetter draußen? Geh', tummle dich, mein lieber Junge! Nachher arbeiten wir zusammen. Und Sonn-
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