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und Tageblatt. Amtsblatt für die Nützlichen md städtischen Behörden zu Freiberg Md Brand. Verantwortlicher RÄaktem: Iuliu« Brau« tu Freiberg. 1 > 87. Fnbraang > - — i Erscheint jeden Wochentag Abends'/.? llhr für beu Inserate werden bisBormittaa Ullbr anaeuvm« » 39. i l Dienstag, den 17. Februar. 100^- Naluralverpfleg - Stationen. i. In den weiteren Kreisen unseres Vaterlandes hat sich die Ueberzeugung Bahn gebrochen, daß man dem die öffent liche Sicherheit gefährdenden und mit schweren sittlichen Nachtheilcn verbundenen Bettler- und Landstreicher-Unwesen gegenüber nicht länger ruhig zusehen und abwarten dürfe, ob es vielleicht der Gesetzgebung gelingen werde, Mittel und Wege zur Abhilfe zu finden. Es erscheint vielmehr als Aufgabe der freien Liebesthätigkeit, beziehentlich unter thätiger Mithilfe der Gemeinden und erweiterter Kommunal verbände, dem Vagabondenthum ebensowohl als der Vagabondennoth durch zweckmäßige positive Maß regeln und Einrichtungen wirksam entgegen zu treten. In dem Band 5 der von Herrn Amtshauptmann vr.OttoFischer in Freiberg herausgegebenen „Zeit schrift für Praxis und Gesetzgebung der Verwaltung, zu nächst für das Königreich Sachsen" ist ein gediegener Auf satz über die Organisation der öffentlichen Armenpflege enthalten, in welchem die verschiedenen Versuche kurz aufqe« Alt werden, welche neuerdings nach dieser Richtung von freien Vereinigungen, Gemeinden und Bezirksvertrctungen unter nommen worden sind. Die erwähnte Abhanolung bezeichnet in Uebereinstimmung mit der zur Zeit herrschenden öffent lichen Meinung als das wirksamste Mittel zur Bekämpfung des Uebels die Schaffung eines über das ganze Land ver breiteten Netzes von Naturalverpfleg-Stationen Seiten der Provinzial- und Kommunalverbände (alfv in Sachsen der Bezrksverbände) und zur Ergänzung dieser Einrichtung die Bildung einer Arbeiterkolonie nach dem Muster der in einzelnen preußischen Provinzen bestehen den Anstalten dieser Art. Wie aus einem zweiten, im Band 6 der erwähnteu Zeitschrift enthaltenen Aufsatz „Ueber die Errichtung von Natural verpfleg-Stationen" hervorgeht, ist neuerdings auch das Kgl. Ministerium des Innern dieser wichtigen Frage näher ge treten und hat das Ergebniß seiner Erwägungen in einer an die Kreishauptmannschasten unter dem 19. August 1884 erlassenen Verordnung zusammengefaßt, deren Wortlaut wir zunächst folgen lassen: „Das Ministerium des Innern hat von jeher mit be sonderem Interesse die mit ebenso großem Gemeinsinn als Nachdruck geltend gemachten Bestrebungen verfolgt, welche nach und nach in fast allen Theilen des Landes mit Be kämpfung der seit einer langen Reihe von Jahren bestehen den Bettler- »md Vagabondennoth sich beschäftigt haben. Obwohl von dem Einflüsse der Behörden nicht unwesentlich unterstützt, sind als die Träger dieser Bestrebungen zeither doch in der Hauptsache theils völlig unabhängige und freiwillige Vereine, theils der Selbstverwaltung angehörige lokale Organe anzusehen gewesen, denen es gelungen ist, einen großen Theil des Landes mit sogenannten Gabenstellen zu versehen. Wenn auch der mit dieser Einrichtung Anfangs erzielte Erfolg sich nicht allenthalben als ein nachhaltiger erwiesen hat, so ist doch der Nutzen dieser Bestrebungen in sofern ein unzweifelhaft bedeutender gewesen, als durch sie die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf diesen Gegenstand gelenkt und der Kreis Derer, welche sich mit diesem nicht unwichtigsten Bestandtheile der sozialen Fragen praktisch be schäftigen, wesentlich erweitert worden ist. Immerhin hat sich mit der zunehmenden Erkenntniß der in dieser Be ziehung bestehenden wirthschaftlichen und sozialen Schäden m der Gegenwart die Ueberzeugung mehr und mehr Bahn gebrochen, daß mit der ins Leben gerufenen angegebenen Einrichtung nur erst eine Vorstufe erreicht sei und haben insbesondere die aus den Schöpfungen des Pastor von Bodelschwingh gewonnenen Erfahrungen neue Gesichtspunkte für die Behandlung der Frage erschlossen. In welchen Beziehungen die öffentliche Meinung auf diesem Gebiete zu neuen Anschauungen übergegangen ist, das haben namentlich die in verschiedenen Orten Deutsch lands abgehaltenen Versammlungen von Armenfrcunden erkennen lassen, deren Resolutionen sich übereinstimmend in den Sätzen vereinigen, daß einmal das System der Verab reichung von Gaben in natura, im Gegensätze zur Geld gewährung das bei Weitem zweckentsprechendere sei und daß weiter ohne Mitwirkung des in dem Bchördenorganismus thätigen Bestandtheiles der Volkskräfte zu einer nach haltigen Förderung der anzustrebcndcn Zwecke und Ziele nicht wohl zu gelangen sein werde. Das hierin enthaltene Resultat des Üebergangcs von den Gabenstellen zu als Bezirksinstitute bestehenden Natural-Verpslegstationen be zeichnet nicht allein eine Vervollkommnung der schon bestehenden Einrichtungen, sondern weist auch den Staats behörden eine von der bisher eingenommenen wesentlich verschiedene Stellung an. Auch diesem Entwickelungsgange der Dinge gegenüber ist nun zwar das Ministerium des Innern nicht gemeint, seinen bisherigen Standpunkt in der Sache zu verlassen, von dem aus dasselbe davon ausgeht, daß die in der vorliegenden Richtung zu treffenden Maß nahmen der freien Entschließung der Selbstverwaltungs organe und bcz. der Vereinsthätigkeit zu überlassen sind, und sieht dasselbe deshalb auch gegenwärtig davon ab, in der angedeuteten Beziehung eine direkte Anordnung zu treffen. Insoweit jedoch unter Wahrung dieses Standpunktes den mehrfach, zuletzt durch den Vorstand des Landesvereins für innere Mission im Königreiche Sachsen an das Mini sterium des Innern gerichteten Wünschen und Gesuchen um seine Mitwirkung entsprochen werden kann, ist dasselbe gern bereit, zur Herbeiführung einer Einrichtung beizutragen, von welcher das Ministerium, so lange als nicht auf dem freilich in erster Linie in Frage kommenden Wege der Ge setzgebung, vor Allem durch eine Abänderung der Bestim mungen des Unterstützungswohnsitzgesetzes eine gründliche und dauernde Abhilfe zu schaffen sein wird, eine Verbesse rung der Zustände auch seinerseits erhofft und durch welche sicherlich manches Gute im Großen und im Einzelnen wird geschaffen werden können. Das Ministerium uimmt daher nicht Anstand, seine an gelegentliche Befürwortung dafür eüttreten zu lassen, daß Seiten der Bezirksvertretungen insoweit, als nicht von ein zelnen derselben schon jetzt vorgegangen worden ist, die Frage der Natural-Verpflegstalionen in reifliche Erwägung gezogen und soweit thunlich zur allseitigen Einführung der selben in ihren Bezirken verschritten werde und beauftragt die Kreishauptmannschaften, demgemäß das weiter Erforder liche an die Amtshauptmannschaften ihrer Bezirke zu ver fügen. Ueber den weiteren Verlauf der Angelegenheit wünscht das Ministerium in fortlaufender Kcnntniß er halten zu werden und sieht daher binnen Jahresfrist einer Erfolgsanzeige der Kreishauptmannschasten entgegen, welche von Seiten der Kreishauptmannschaft Dresden, Leipzig und Zwickau auf eine gleichzeitige Darlegung der entsprechenden Verhältnisse und Einrichtungen in' den exemten Städten erstreckt werden wolle." Im Anschlusse hieran hat ferner das evangelisch-lutheri sche Landeskonsistorium in einer im Konsistorialblatte Jahr gang 1884 S. 82 veröffentlichten „Mittheilung" vom 25. Oktober 1884 die Diözesanversammlungcn und Kirchen vorstände zur Mitarbeit an den großen Liebesaufaaben der Zeit anermahnt, auf die der Bekämpfung der Vaga bondennoth geltenden Bestrebungen hingcwiesen und dabei bemerkt, daß, falle auch die Errichtung der zu diesem Zwecke vorzugsweise in dasAuge gefaßtenNatnralverpfleg-Stalionen zunächst in den Bereich der Thätigkeit der dem staatlichen Organismus angehörigen Bezirksvertretungen und Behörden, während die Gründung von Arbeiterkolonien vorzugsweise Sache der freien christlichen Liebesthätigkeit bleiben werde, es doch zweifellos Aufgabe der Kirche sei, durch ihre Organe in Predigt und Seelsorge den Geist der gläubigen Liebe zu pflegen, aus welchem allein die Heilmittel wider die sittlichen und sozialen Schäden der Gegenwart hervorgehen können. Diese über eine hochwichtige, wirthschaftliche und soziale Frage von den höchsten Behörden unseres Vater landes abgegebenen Meinungsäußerungen bez. Anregungen werden den beabsichtigten Zweck gewiß nicht verfehlen.*) In den meisten Bezirken hat man insbesondere die Frage der Errichtung von Naturalverpfleg-Stationen bereits in eingehende Erwägung gezogen. Unter solchen Umständen dürfte cs nicht ohne Interesse sein, von der Organisation und der bisherigen Wirksamkeit eines Gemeindever bandes zur Bekämpfung des Bettler- und Landstreicher-Unwesens nähere Kenntniß zu er halten, welcher zum Zwecke der Einführung von Naturalverpfleg-Stationcn in der Amtshaupt mannschaft Freiberg bereits im Jahre 1883 sich gebildet *) Dcr Erfolg einer von der Regierung in Württemberg im Fcbrnar v. I. gegebenen Anregung, die Naturatverpflcgung mittelloser Reisender im ganzen Königreiche nach gleichmäßigen Grundsätzen durch- zusiihrcn und gleichzeitig eine strenge und dauernde Handhabung dcr strafgcsetzlichen Zuchtmittel gegen Bettler und Landstreicher zu veran lassen, hat freilich den Erwartungen nicht ganz entsprochen. Bon 64 Oberamtsbezirken haben auf Rechnung dcr Bezirkskassc 4b Bezirke Verpflegstalionen und 4 Bezirke Naturalverpjlegung in den Gemeinden, halb auf Rechnung dcr Gemeinde, halb aus Rechnung dcr Bezirkskassc, cinacsührt. Es stehen noch lb Bezirke zurück, darunter l i, welche die früher bestandene Naturalvcrpslegung des hohen Aufwandes wegen wieder aufgehoben haben. hat und dessen Entstehunbsgeschichte den Beweis liefern wird, daß es nicht unbedmgt erforderlich ist, gerade mit Hilfe des Bezirksverbandes zum gedachten Ziele zu gelangen. Wir glauben gerade auf diesen letzteren Punkt einigen Werth legen zu sollen, da auch in anderen Bezirken es, wenn auch nur um der Abneigung gegen die erstmalige Einführung von Bezirkssteuern Rechnung zu tragen, noth- wendig oder doch zweckmäßig sein kann, von der finanziellen Mitwirkung der Bezirksverbände hierbei von vornherein abzusehen. Die erste Anregung zur Schaffung des genannten Ge meindeverbandes gaben die immer lauter sich erhebenden Klagen über die fortwährende Zunahme der Bettler und Vagabonden im amtshauptmannschaftlichen Bezirke Freiberg und die Beobachtung, daß dieser Mißstand durch die fast in allen Gemeinden eingeführte Einrichtung der sogenannten Ortsgeschenke eher gefördert als eingeschränkt werde, wäh rend der in der Stadt Freiberg bestehende Verein gegen Hausbettelei berichten konnte, dafi seitdem dort die Einrich tung getroffen worden sei, daß das an Durchreisende zu verabfolgende Geschenk statt in Geld in Naturalien gewährt werde, eine erhebliche Abnahme der Zahl der dieses Ge schenk in Anspruch nehmenden Reisenden erngetreten und die Hausbettelei fast gänzlich im Aufhören begriffen sei. Tagesschau. Freiberg, den 16. Februar. Bei der am Sonnabend im deutsche»» Reichstage begonnenen zweiten Lesung der Getreidezölle erstreckte sich die Debatte zunächst nur auf den Satz von 3 Mark für Weizen (bisher nur 1 Mark) und 2 Mark für Roggen (bis her ebenfalls nur 1 Mark). Hierzu beantragten die Abgg. Freiherr von Schorlemer-Alst, von Kardorff rc. auch den Roggenzoll auf 3 Mark zu erhöhen; außerdem die Abgg. Brömel und Genossen, den Roggenzoll erst nach Ab lauf des spanischen Handelsvertrages in Kraft zu fetzen, sowie Abg. Racks, den Bundesrath zu ermächtigen, die Zollsätze im Falle einer Theuerung entsprechend zu ermäßigen eventuell vollständig außer Kraft zu setzen. Abg. Brömel berichtete zunächst über die zahlreichen Petitionen für und gegen die Zollerhöhungen. Abg. Racke erklärte sich für die Zölle, be tonte aber, daß er nur dann für dieselben stimmen könnte, wenn er wüßte, daß sie zur Erleichterung anderer Lasten dienen würden, wie solche der Antrag Huene im preußischen Abgeordnetenhause anstrebe. Der konservative Freihändler, Abg. Flügge, bedauerte, daß durch die Opposition der Libe ralen der Reichskanzler dazu gedrängt worden sei, der Jnte- ressenpolitik zu dienen. Der vorgeschlagene Tarif schien dem Redner noch zu niedrig, um als Schutzzoll zu wirken, jedenfalls werde derselbe aber zu Preiserhöhungen führen. Abg. Roh- land bat den Reichskanzler, noch zwei Jahre mit der Vor lage zu warten, dann dürfte derselbe sehen, ob sich nicht die Lage der Landwirthe ohne solche eingreifende Maßregeln bessern werde. Den wirklich hilfsbedürftigen Landwirthen könne kein Kornzoll helfen. Hierauf bestritt Fürst Bis marck die früher von den Abgg. Möller und Rickert ge schilderte ungünstige Lage der deutschen Ostseestädte Danzig rc., sowie daß er selbst früher von dem Handel Libaus geringschätzig gesprochen habe. Nicht auf den Handel Memels, Danzigs und Königsbergs, sondern aus den Rigas und Petersburgs habe das Aufblühen Libaus nachtheiligen Einfluß geübt. Ein Monopol für den Kornhandel könne die Stadt Königsberg nicht erhalten; darüber wolle er die engeren Landsleute des Abg. Möller aufklären; ferner liege ihm daran, die Aeußerung des Abg. Bebel zu berichtigen, wonach die Varziner Bauern höfe in seinen Besitz übergegangen seien. Er habe von 8 oder 9 dort verkauften Bauernhöfen nur zwei Latifundieufysteme erworben, also durch diesen Verkauf keinen Zuwachs erhalten. Im Ganzen seien die Nichtgrundbesitzer viel leichter geneigt, sich zu einigen, als die Grundbesitzer; er selbst verdamme alle gesetzlichen Hindernisse, welche der Parzellirung entgegenstünden. Wenn die Grundbesitzer zahlreicher würden, dann würde auch der Ausfall der Wahlen ein anderer sein. Die Latifundien- wirthschast werde übrigens am meisten durch zu wohlfeile Kornpreise befördert; wolle Bebel daher seine Wünsche für den Bauernstand realisirt sehen, so müsse er für die Kornzölle stimmen. Das Elend der Latifundien liege ausschließlich daran, daß die Besitzer sich oft gar nicht um ihre Besitzungen kümmern, vielleicht gar im Ausland leben. „DiejenigenGroßgrundbesitzer," schloß dcr Reichskanzler, „welche wirkliche Landwirthe sind, halte ich für ein Glück der Provinzen, in denen dieselben zu Hause sind. Wenn es jemals gelänge, diese feste Grundlage zu zerstören, so würde dies dem ganzen