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Die „Vttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners, tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich I Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Gkrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Mode". Annahme von Inseraten bis vormittag io Uhr. Inserate werden mit p Pf. für die Sxaltzeile berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Dkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Dkrilla. Nr. 87. Mittwoch, den 22. Juli 1903. 2. Jahrgang. Papst Leo xm. ch. Uom, ro. Juli. Der VapN iN UM 4 Ukr nachmittags gestorben. Nom. Als Todesstunde wird angeblich 4 Uhr 4 Minuten bekannt gegeben. Sobald die Schließung der Bronzetür angeordnet war, verbreitete sich die Nachricht vom Tode durch die Stadt und die Zeitungen ließen Extra blätter erscheinen. Kardinal Oreglia erließ für sämtliche Fremde den Befehl, den Vatikan zu verlassen. Mit ihnen entfernten sich zugleich Mehrere Kardinale, Diplomaten und andere An wesende. Die große Menschenmenge, die sich inzwischen angesammelt hatte, begann sich nach der Peterdkirche zu zu zerstreuen. Der Tele graph ist sehr in Anspruch genommen. In der Stadt herrscht völlige Ruhe. Oertliches und Sächsisches. Vttendorf-Vkrilla, 2 p Juli 1903. Morgen Mittwoch findet, wie auch im Inseratenteile ersichtlich, im Friedrich-Wilhelms- Bad das zweite Abonnementskonzert, ausgeführt von der Radeberger Stadtkapelle, statt, worauf wir unsere werten Leser auch hierdurch auf merksam machen. — Die Staatseisenbahnverwaltung wird Conntag den 2. August einen Sonderzug zu ermäßigten Preisen von Dresden-Altstadt nach Erdmannsdorf, Zschopau, Wolkenstein, Wiesen bad, Schönfeld, Annaberg, Cranzahl, Ober wiesenthal und Weipert abfertigen. Der Sondcr- zug verläßt vormittags 5 Uhr 45 Minuten den Hauptbahrhof. Die Rückfahrt erfolgt um Abend desselben Tages um 8 Uhr 40 Min. von Oberwiesenthal (Ankunft auf Dresdner Hauptbahnhof nachts 12 Uhr). Der Verkauf der Fahrkarten beginnt am 30. Juli und wird Sonnabend den 1. August abends 9 Uhr ge schloßen. Königsbrück. Das Königliche 4. Infanterie- Regiment Nr. 103 hält in der Zeit vom 28. Juli bis mit 6. August d. I. täglich von 6 Uhr vormittag bis S Uhr abends auf hie- flgem Gefechtöschicßplatze Schießen in größeren Abteilungen ab. Dresden. Sonnabend vormittag gegen 11 Uhr wurde in dem Laden des Uhren- und Gold- warengeschäftü von Moll, Annenstraße, ein äußerst verwegener Einbruch versucht. Es er schien ein dem Arbeiterstande angehöriger Mann, angeblich um zu kaufen. Als sich der Inhaber des Ladens einen Augenblick abwandle, führte der Eindringling mit einem Stock einen Schlag nach dem Kopfe des Besitzers, der aber rasch auswich und deshalb nicht getroffen wurde Mit Hilfe hinzukommender Passanten wurde der Täter festgenommen. — Der frühere Vorsitzende des hiesigen RöformvereinS und Führer der Antisemiten im hiesigen Stadtverordnetenkollegium, Rechtsanwalt Dr. jur. Häckel, ist aus der Reformpartei aus getreten. — Am Freltag abend wurde in der Nähe des Schänkhübels zu Klotzsche im Walde ein erhängter Mann bemerkt. Ein Arbeiter schnitt den Erhängten ab und ein hinzugekommener Arzt stellte Wiederbelebungsversuche an, da der Lebensmüde noch warm war. Es gelang schließlich, den etwa 17 Jahre alten Mann ins Leben znrückzurufen. Bei ihm wurde ein Zettel aufgefunden, auf welchem geschrieben stand, daß der Lebensmüde der Sohn eines Restaurateurs >n Chemnitz und seinem Lehrherrn seit zehn Tagen entlaufen sei. Gr hatte sich in dieser Zeit von Waldfrüchten genährt. — Der aus der Irrenanstalt Herzberge ent sprungene Hochstapler Manolesco hat nach den Spuren, die er hinterlaßen, Deutschland ver saßen und befindet sich im Ausland wahr scheinlich in London. Wie mir schon mitteilten, hat Manolesco zuletzt in einem hiesigen Hotel knie sehr erfolgreiche Gastrolle gegeben. Dort hin war er in seiner Anstaltskleidung ent kommen. Aus seinen früheren Tagen, in denen kl sich noch ungeniert als Fürst Lahowary sehen laßen konnte, war ihm jedenfalls hier der Zu gang im Hotel „Europäischer Hof" auch über die Wirtschaftstreppe bekannt. Diesen Zugang benutzte Manolesco jetzt, um in die Fremden zimmer zu gelangen und einen „neuen Menschen" anzuziehen. In dem ersten Zimmer fand er einen hellgrauen Sakko-Anzug mit schwarzen Punkten, einen dazu paßenden Überzieher und und Hut. Dafür ließ er die ll. R. ge stempelte Anstaltskleidnng unter der Decke des Schlafsofas liegen. Die dort stehenden Stiefel ließ er zurück, da sie ihm nicht paßten. Da gegen fielen ihm im Nebenzimmer neue, in einen Koffer verpackte Lackstiefel zu, die er gegen seine zerrißenen, alten Stiefel eintauschte. Im dritten Zimmer fand er eine Ausstattung von Wäsche, Kravatten und auch eine zu den Kra- vatten paßende Nadel mit einer echten Perle. Sein Erfolg trieb ihn in das Zimmer eines Dr M., wo er sich mit einer Zigarrentasche und den nötigen Importen versah. Endlich betrat Manolesco noch ein fünftes Zimmer, wo er außer barem Gelds einige Rasiermesser mit silbernen Schalen erbeutete. Nunmehr war der „Fürst" wieder einigermaßen hergestellt. Um sich vor seinen Verfolgern unkenntlich zu machen, rasierte er sich noch den Schnurbart ab. So entkam er unbemerkt auf demselben Wege, auf dem er sich eingeschlichen hatte. Es wird an genommen, daß er von Herzberge aus sich nach einer Eisenbahnstelle begeben hat, wo er in einem Güterzuge ein Versteck fand und sich so nach Dresden befördern ließ. — Der festgenommene Mechaniker-Lehrling, der Ende voriger Woche in das Etablißemcnt am Carolasee einzubrechen versuchte, Hal einge standen, noch mehrere nächtliche Einbrüche in den Vorstädten Striesen und Johannstadt ver übt zu haben. Es ist anzunehmen, daß er auch den Einbruch in die Wohnung eines in der Lortzing-Straße wohnhaften Sekretärs ausführte, wo 150 M. gestohlen wurden. — In Vorstadt Striesen wurde in der Nacht zum Sonntag gegen 11 Uhr ein Tischler, welcher in einem Restaurant 20 M. gewechselt hatte, auf dem Heimwege von zwei Unbekannten um eine milde Gabe an gesprochen und dann angefallen. Als er sich tapfer wehrte, ergriffen die jungen Burschen die Flucht. Sie ließen ein Paket mit Kleidungsstücken, das sie wahr scheinlich gestohlen hatten, zurück. Die rohen Gesellen sind noch nicht ermittelt. Großenhain. Im Jähzorn stieß am Sonn abend Spätnachmittag ein auf dem Kirchplatze hierselbst spielender kleiner Knabe nach seinem ihn verprügelnden größeren Spielkameraden mit dem Taschenmesser und brachte dem Jungen eine nicht unerhebliche, heftig blutende Wunde unmittelbar unter den falschen Rippen bei. Treugeböhla. In der 2. Nachmittags stunde am Freitag zog ein schweres, von starkem Regen und Wind begleitetes Gewitter auch über unseren Ort, wobei ein Blitzstrahl das Wohnhaus des Gutsbesitzers Traugott Börner traf und zündete. Das Gebäude brannte bis auf die Umfassungsmauern nieder. Dank hilfsbereiter Leute wurde das Vieh ge rettet; Mobiliar wurde nur wenig, Kleidungs stücke und Wäsche wurden garnicht gerettet; auch sämtliche Heuvorräte für das Vieh ver brannten. Bischofswerda. Ein verunglücktes Auto mobil liegt seit mehreren Tagen im Straßen graben an der Bautzner Chaussee zwischen der Waldecke und Schreyers Wirtschaft und reckt alle Viere gen Himmel, von denen allerdings zwei nur noch nach der Stelle, wo sie sitzen, üch als Räder kennzeichnen. Das Fahrzeug war noch fast neu und hat 15000 Mark ge kostet. Waltersdorf. Über den Verbleib des seit Anfang Februar von hier verschwundenen Pastors Agsten ist auch bis heute noch nicht das geringste bekannt geworden. Die seinerzeit großes Aufsehen erregende Affäre wird jetzt wieder in Erinnerung gebracht durch eine Be kanntmachung des Amtsgerichts zu Großschönau, nach welcher das über die Hinterlaßenschaft des Pastors Agsten eröffnete Konkursverfahren nach Abhaltung des Schlußtermins nunmehr wieder aufgehoben wird. Der vermißte Geistliche war damals bekanntlich auf dem Wege nach dem benachbarten Böhmen zum letzten Male ge sehen worden. Stolpen. Das am Freitag nachmittag 4 Uhr auftretende schwere Gewitter sandte ge waltige Regenmaßen hernieder, sodaß die Wese nitz aus den Ufern trat. Zeitweilig fielen Schloßen. An der Bahnhofstraße hat der Blitz in eine alte Linde geschlagen und von dem großen Baume nur die Hälfte stehen gelaßen. Leipzig. Die am 5. September d. I. auf dem Lindenthaler Exerzierplätze stattfindende Kaiser-Parade wird nach dem „Leipz. Tagebl." voraussichtlich 10 Uhr vormittags mit einer Aufstellung des ganzen 19. Armeekorps ihren Anfang nehmen. Schönheide. Der nachmittags 3 Uhr 44 Minuten in JägerSgrün abgehende Personenzug nach Chemnitz ist am Freitag nachmittag mit anderthalbstöndiger Verspätung eingetroffen. Der Grund war ein zweimaliges Unglück; das erste Mal muhte der Zug zurückkehren, weil am Tender der Lokomotive ein Schaden passiert war, und vom darauf auSgefahrencn Zug ent gleiste zwischen Wilzschhaus und Schönheider Hammer die Lokomotive mit der Vorderachse. Hundshübel. In Ergänzung der Notiz, das unter verdächtigen Umständen erfolgte Ab leben des Fabrikarbeiters Gerber von hier be treffend, der bekanntlich am 15. d. Mts. früh auf Hartmannsdorfer Staatsforstrevier tot auf gefunden worden ist, wird berichtet, daß Gerber nicht erstochen, sondern erschoßen worden ist. Wie sich die Tat zugetragen hat, darüber herrscht noch völliges Dunkel. Tatsache ist aber, daß Gerber sich das Leben nicht selber genommen hat. Die Untersuchung ist lebhaft im Gange. Hier ist das Gerücht verbreitet, daß Gerber in der Dunkelheit von irgend einem Nimrod für ein Stück Wild gehalten und dabei erschossen worden ist. Die Kugel ist auf der rechten Brustseite eingedrungen und an der rechten Seite des Rückens wieder herausgetreten. Plauen i. V. Die vogtländischen Brauer gehilfen wollen streiken. In einer hiesigen Versammlung wurde ein Lohntarif beschlossen; in vierzehn Tagen verlangen die Gehilfen von den Arbeitgebern Bescheid. Der Verband vogt ländischer Brauereien hat bereits jede weitere Verhandlung mit der Lohnkommission abgelehnt. — Weitere Ausschreitungen streikender Maurer sind erfolgt, gestern wurden vier berittene Schutzleute in Dienst gestellt. In der großen Blanckschen Stickerei wurde gestern wegen Lohn differenzen die weitere Arbeit eingestellt. Plauen i. V. Der im Restaurant „Vogt land" beschäftigte 18 jährige Hausdiener Pöh land aus Markneukirchen kam der elektrischen Leitung (Lichtanlage) zu nahe und wurde ge tötet. Waldenburg. In gemeinschaftlicher Sitz ung der beiden städtischen Kollegien wurde be schloßen, eine Biersteuer (für einen Hektoliter einfaches Bier 20 Pfg., für alle übrigen Biere 65 Pfg. mit dem 1. August d. I. einzuführen. Aus der Woche. Wenn die Meldungen aus Rom nicht alle Welt in Spannung hielten, könnte man die Hundstagsferien in ziemlicher Ruhe genießen. Der Kaiser befindet sich auf seiner Nordlands fahrt, die Minister und Staatssekretäre haben ihre Federn beiseite gelegt, Venezuela hat Deutschland bis auf die letzte Mark bezahlt, die Bulgaren haben der Pforte gegenüber klein beigegeben, sodaß der Friede auf der Balkan halbinsel wieder gesichert erscheint. Die mace- donischen Komitees können gegenwärtig für ihre Einzelputsche keine Leute auftreiben, da diese mit der Ernte zu tun haben. In Marokko haben die Sultanstruppen zum so und sovielten Male den Hauptsitz der Rebellen, Tazza, er obert und aus Ostasien her tönen zwar eng lische Kriegsfanfaren, die die Lage in Korea und das Verhältnis zwischen Rußland und Japan als äußerst gespannt darstellen, aber es glaubt kein Mensch so recht daran. Wegen Kanada und seinen Handelsbeziehungen zu Deutschland hat es im englischen Unterhause mehrfache Erörterungen gegeben, aus denen stets die Liebenswürdigkeit hervorleuchtet, die man jenseits des Kanals für uns Deutsche em pfindet. Daran sind wir gewöhnt und be trachten das als die angemessene Quittung für die internationalen Liebenswürdigkeiten, mit denen England von deutscher Seite stets reguliert wird- Vielleicht braucht uns England wiederum direkt wie beim Burenkriege. Natürlich steht ihm unsere moralische Unterstützung dann aber mals zur Verfügung, denn die Buren sind ein niederträchtiger Menschenschlag, der sich in hohem Grade für die Segnungen undankbar erweist, die ihm die Engländer durch Annek tierung ihrer Staatswesen gebracht haben. General Botha, der erst so gut Freund mit Chamberlain wurde, ist nun wieder obstinatsch geworden, wie sein Brief an einen englischen Abgeordneten zeigt. Er will auch wieder nach Europa kommen, um sich mit Krüger und, Leyds zu besprechen. Da sieht man, wohin die Güte und Nachsicht Englands führt! Güte und Nach sicht! Das ist auch die Devise König PeterS, der in Genf zur Bedingung seines Regierungs antritts machte, daß die Mordanstifter ihm nicht unter die Augen treten und die Erwähnten nach dem Wunsche Rußlands gern bestraft hätte, wenn ihnen die Zwischenregierung nicht schon Amnestie gewährt hätte. Der heurige Sommer ist fruchtbar und so ist denn auch schnell Gras gewachsen über den Abscheu, den König Peter vor den militärischen Blutmenschen hatte. Güte und Nachsicht! Mischitsch ist zum Generalstabschef und Maschin, das Haupt der Mordbande, zum Ehrenadjutanten des neuen Königs befördert worden. England, das be kanntlich im Punkte der öffentlichen Moral sehr kitzlich ist, hat seit der Bluttat im Konak keinen amtlichen Vertreter mehr in Belgrad. König Peter hat sich revanchiert und auch die höchst überflüssige serbische Gesandtschaft in London eingezogen. — Bei uns im lieben deutschen Vaterlande zittern die Wahlen noch nach und auch an Wahlprotesten fehlt es nicht. Da es aber sonst ziemlich stille ist, füllt man die Pause durch „olle Kamellen" aus. So hat ein rheinisches Blatt Authentisches über die Gründe gebracht, die den Kriegsminister v. Goßler zum Rücktritt zwangen. Danach seien die vielfachen Änderungen und Neuerungen in der Ergänzung und Ausrüstung der Truppen der Grund seines Sturzes. Die Farbe der Mäntel, die Form der Litewken, die erst kürzlich wieder die Farbe wechselten und zu ihrer einen Reche Knöpfe noch eine überflüssige zweite erhielten, die Stickereien an den Kragen, die Form der Sporen, der Besatz der Mützen, die Hunderte neue Abzeichen — alles das wird Herrn v. G.ßler in die Schuhe geschoben! Es ist ja richtig, daß alle diese äußerlichen Dinge nicht nur bei dem Militär mißgünstig gesinnten Teile des Publikums billigem Spotte begegnen; sie werden auch von loyal gesinnten Leuten mit wachsendem Befremden angesehen. Aber nie mand ist es bisher eingefallen, den Kriegs minister dafür verantwortlich zu machen. Na, vielleicht macht Herr v. Goßlers Nachfolger alles wieder gut und führt die Heereskleidung zu jener Einfachheit zurück, die den praktischen Bedürfnissen, besonders im Ernstfälle, entspricht. Wie wäre es denn mit Khaki und Burenhut? Allerdings die Vorliebe für „zweierlei Tuch" hätte dann keinen Gegenstand mehr und die Verpflegung des Heeres würde darunter zu leiden haben. Entweder sollte man also erst die Erfahrungen in Frankreich abwarten oder eine Umfrage bei unseren Mägdelein halten,