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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.10.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-10-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-188410230
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18841023
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18841023
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Bemerkung
- Images teilweise schlecht lesbar
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1884
-
Monat
1884-10
- Tag 1884-10-23
-
Monat
1884-10
-
Jahr
1884
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.10.1884
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Erscheint t»-«ch früh 6'/,Uhr. Le-ackion und Lrpkditisn Johonnetgasse 33. S»rkchftnn-k» drr Hrdactionl Lormitlags 10—12 Uhr. Nachmittags 5—6 Uhr. > » > iiliL,«», VI.»uicr>»t» „cht ßch »ü R«t»kt>«n »ichi »crdmtlich. N»«ch«« »er für »t, «ächftfelKNtz« Nun»««* »eftt««ieu Snserele « «ochenta,«» »t« S lltzr Na»«ttt«^. i»i Sonn- und Festtagen früh bl»'/,» Uhr. Zn den Filialen für 2ns.-Ann«h«e: Ott« Kle««, UniversitStSstraße 21. Laut» Lüsche, Katharineostrabe 18, uur »i« '/,S v»r. Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- «nd EeMstsverkehr. Auflage LS,»00 Lbannenuntoprei, oicrtrlj. 4'/, M». iocl. Briuaeeloh» 5 ML, durch dir Post drrogra S ML Jede einjelne Nummer 20 Ps. Lrlrgeremplar 10 Ps. Gebühren für Extrabeilaaeo sin Tageblatt-Format gesalzt) ahne Poftbeiörderung 3S ML «tt Poftbesörderung 48 Mt. Inserate -gespaltene Petttzrile SO Pf. Gröbere vchrifirn laut oosrrr» Vret»> verzetchniß. Tabellarischer Ztflernsatz nach hoher» Baris. Lrelanm, nnter de« Xedartioa»ßrich die Spaltjeile SO Ps. Inserate sind stets aa die Er-edttto» so senden. — Rabatt wird nicht gegebe». Zahlung praauvmeraoüo oder durch Post» oachaahme. US2S7L Donnerstag om 23. October 1884. 78. Jahrgang Amtlicher Theil. -te perfffaliche Anlage für die evangelisch-luthe rischen Kirche« in Leipzig betreffend. Der aus den IS. October diese- Jahres auSgeschriebeue zweitterminliche Betrag der persönlichen luthe- rischcn Kirchenanlage ist mit vierzig ffbrocent de- an der Einschatznng rur staatliche« Sinkon>«enste«er sich ergebende« einfache» städtischen Ste«ersatze- zu erhebe«. Es »erden deshalb die Beitragspflichtigen aufgefordert, ihre Beitrüge binnen drei Wochen, von dem Termine abge rechnet, an die Stadt-Stcucreinnahme zu entrichten, widrigen falls nach Ablauf dieser Frist gegen die Säumigen da» Bei treibung-Verfahren cingclcitet werden wird. Leipzig, den 13. Oktober 1884. Der Rath der Stadt Leipzia. vr. Georgi. Koch. Bekanntmachung. Wegen Legung von Gasrohren in der Bayerischen Straffe, ans der Strecke zwischen der Albert- und Hohe« Straffe, wird diese Straßenstrecke. soweit die» die jeweilig in Angriff genommenen Arbeiten erfordern, aus deren Dauer vom Donnerstage den 83. diese- Monat- a« für alle« »«besagten AahrverLehr gesperrt. Die Aushebung de» RchrgrabenS wird bet der Albertstraße an« gefangen werden. Da beim Fortschritten der Arbeiten die Einmündungen der Kohlen- und Hohen Straße zeitweilig unfahrbar werden, so wird die Kohleostraffe zwischen der Gidonienstraße und Bayerischen Straße und die Hohe Straff« zwischen der stöhlen- und Elisenstraße, soweit nöthig, für den durch gehenden Fährverkehr gesperrt. Leipzig, am 20. October 1884. Der Rath der Stadt Leipzig. Vr. Georgi. Kretschmer. Bekanntmachung. Segtu Herstellung eine, Schleußrnspülung wird die Rosenthalgaffe vo» Do««er-1ag de» 23. diese- Monat» ad aus die Dauer der Arbeiten für den durchgehende» Fähr verkehr gesperrt. Leipzig, um 22. Oktober 1884. Der Rath der Stadt Leipzig. vr. Georgi. Hennig. Bekanntmachung. Die große Rathsstube bleibt wegen Reinigung der Lecalitüten Do«aer»tag, den 3«. lausende« M»«at- geschlossen. Leipzig, den 2l. Oktober 1884. Der Rath der Stadt Leipzig. Vr. Georgi. Hcntschel. Bekanntmachung. Die Herstellung eines ZusuhrwcgeS nach einer Lache im Nonnenhclze soll an einen Unternehmer in Accord verdungen werden. Die Bedingungen für diese Arbeiten liegen in unserer Tiefbau-Verwaltung, RathhauS, H. Etage, Zimmer Nr. 14, au» und können daselbst eingcfehen, resp. entnommen werden. Bezügliche Offerten sind versiegelt und mit der Aufschrift: „Zusuhrweg im Roanenholze" versehen ebendaselbst und zwar bi» zum 30. October 1884 Nachmittags 5 Uhr einzureichen. Leipzig, am 16. Oktober 1884. De- Rath- der Stadt Leipzig Straffendau-Depatatto». Der Inhaber de« abhanden gekommenen Gparcassen- OuittungSbuche« Serie II Nr. 74,001 wird hierdurch ans gefordert, sich damit binnen 3 Monaten und längsten» am 25. Januar 1885 zur Nachweisung seine» Rechte», bez. zum Zweck der Rückgabe gegen Belohnung bei Unterzeichneter Anstalt zu melden, widrigenfalls der Sparrasfen-Ordnung gemäß dem angemeldeten Vcrlustträger, nach erfolgter Beeidigung seiner Anzeige der Inhalt diese« Buche« au«- oezablt werden wird. Leipzig, den 21. October 1884. Die Verwaltung de- Leihhause- «. der Spareaffe oessenlliche Sitzung drr Handelskammer r«nuabend. de» 2 ». Lrtober 1884, Nachmitta«» - Utzr, tu deren Litzuiinosaale. Neumartt 1». I. Tagesordnung: 1. N-gistronbe. 2. Bericht de» Herrn Schnoor über di» jüngste Sitzung de« königlich Preußischen Bezirk«.risentzah,.«athe« zu Magdeburg. '.luSichußdcrichl »der den von der Handels- und Gewerbekammer »u Cbcmnitz niilgctheilten Bericht, daS schwedische Arsenik- Ges c>.> betreffend. 4. Anderweit« Bericht des BerkebrS-Au-schusse» über die Eingabe de: Herle» E. Reißiuaun in Plagwitz und Genossen, eine Berbindungebadn von Plagwitz nach dem Baye rischen Bnln!l>vse betreffend. 5- Bericht dceieibe» illusschiiises über ». das Gesuch de< LomltSS für «ine Eisenbahn Pirk-Hos, Uaterstütznng diese» Plane» betresseuü; I>. die Zuschrift de« Kaiserlichen Ober- Post Tirecior«. die Verlegung der Zeiten der ersten beide» Brief.«„»traannge» betreffend; e. den Antrag des Herrn Lorenz, die Absertigung der ElbkShae in P-iinblirg betreffend. Znction. rsimnbk»», den r.'» October. 1884. Nachmittags » Nhr >o.lk„ INI Reiiaurai-, zum Schlvhkeller zu Reudnitz 2 PianinoS, oOOO Sttlck DtimmnLgel, 15 Paar Handhaben, o Umbaue. 6 Bund Leim, 16 Hobelbänke und eine Parlie Nasthölzer melitdielend gegen sosoriige Baarzahlung öffentlich versteigert werden. Leipzig, den 20. Oe,ober 1884. Ginger, Srrichisvcllzieher. VtKlNMtMlhMlK. Di« sa unserem Firmeure^er ^nter Nr. 2S4 eingetrograe Firma za Belg er» tft zufolge Berftigung vam IS. Oktober 1884 am näm liche» Tag« gelöscht worden. Torgau, de» 18. October 1884. Klnigliche» «mt»-Gertcht. Allttto«. Freitag, tz«n >4. Octader ». g., vormittag» 1t Utr sollen ans dem vormals der Firma Rostock 4» L«. gehörigen Gruadstückr verlängerte Gidonienstraße hier aut der Fabrikation herrührende Rückstände (Halbfabrtkate) als: ca. 450 Kilogr. Lhinotdi», » MO - Linchvnin, » 60 « ilinchonidtu, - 2—3 - Chinin meistbietend gegen sofortige Baarzahlung versteigert werde». Leipzig, am 18. October 1884. Han-trag, Gerichtsvollzieher. Nichtamtlicher Theil. Die Brichstagswahl in Leipzig. m. ^ * Nachdem wir im letzten Artikel dargethan, daß e» eine Schmach und eia Unglück für unsere Stadt würe, wenn der Candidat der socialdemokratischen Umsturzpartei zum Siege gelangen sollte, haben wir uns beut« mit «ner iu Anbetracht der hiesigen Verhältnisse harmloseren Candidatur zu befassen, die man in Wirklichkeit wohl nur al» eine „Zählcandidatur" bezeichnen darf, die aber immerhin i» Rücksicht auf die jenige Partei, von der sie ausgeht, und in Rücksicht aus den in Frage kommenden Candidaten, Herrn Professor vr. Hänel in Kiel, nach Gebühr gewürdigt werden muß. Welche Stellung die deutschfrelsinnige Partei im politischen Leben emnimmt, dürste allen unseren Lesern zur Genüge bekannt sein. Hcrvorgegangen au» der Bereinigung zwischen der Fortschrittspartei und den sogenannten Secessio- nisten, stellt sie gegenwärtig eine Partei dar, welche der Reichsregierung, insonderheit dem Fürsten BiSmarck in Allem, wa< diese thon, principielle und heftige Oppo sition entgegenstellt. Wir erleben e« in diesen Tagen, daß dir Führer und die Presse der deutschfreisinnigen Partei, um ihre Ziele zu erreichen und ihre Macht zu stärken, vor dem denkbar Schlimmsten, vor dem Eingehen offener Wahlbündnisse mit den erklärten Feinden de« evan- gelischen deutschen Kaiserreiche». den Ultramontanen, nicht mehr zurückscheuen. Um einige Mandate im Reichstag zu gewinnen und sie den Nationalliberalen und Conscrvativen zu entreißen, verkaufen die Deutscbfreisinnigen ihre Seele an die Römlinge, denen sie allerdings schon bei verschiedenen Abstimmungen im Reichstage sehr 'grwicbtige Dienste geleistet hatten. Die Herren Euchen Richter, Bamberqcr und Ge nossen im Bunde mit Winklhorst und Scborlemer-Alst — das ist allerdings daS Stärkste und Widernatürlichste, wa» bi- jetzt dem deutschen Volke dargebotcn worden ist. Nun, wir denken, solche Thatsachen müssen dm Wählern die Augen öffnen, wa» eS mit der „deutschen Freisinnigkeit" aus sich hat. Zu dm Gepflogenheiten der deutschfreisinnigm Partei und ihrer Leiter gehört e-, daß sie sich scheuen, für ihr Verhalten im Reichstag dm Wählern gegenüber einznstehm, im Gegentheil, sie suchen, weil sie merken, daß die Wähler mit ihnen In verschiedenen Stücken nicht einverstanden sind, die Tbatsachen abzuschwüchen und zu verdunkeln. So hat der Führer der Deutschsreisinnigen, Herr Eugen Richter, wiederholt im Reichstag die Parole „Fort mit BiSmarck" verkündet: wenn man aber die» den Deutschfreisinnigm vor- hält, so behaupten sie, e« sei nicht wahr. Glücklicher Weise eristiren über die Verhandlungen de» Reichstages amtlich be glaubigte stenographische Berichte, und wenn man in dem amtlichen stenographischen Bericht über die 74. Sitzung de« RcichStageS am 7. Äulr 1879 nachschläat, so findet man, daß Herr Eugen Richter» der „Höchstcommandirmde" der deutschsreisinnigen Partei, unter Änderm in seiner Rede über den Gesetzentwurf, betreffend die Besteuerung de» Tabak», wörtlich geäußert hat: „Ehe nicht da« ganz« RegiernngSsystem de» Kanzler« anfhört, «he nicht der Kanzler selbst aushört, zu regieren, eher wird Deutschland nicht zur Ruhe kommen." (Oho recht«.) „3a wohl, ehe der Kanzler nicht anfhört, zu regieren, eher wird Deutschland nicht zur Rnve kommen." — (Beifall links.) Die von dm Herren Richter und Parisiu» redigirte „Parlamentarische Corresponienz der Fortschrittspartei" brachte damals (im Jahre >879) folgende» Artikel: . . . „Gegen diesen Andrang der Rcaction vermag nur eine ge schlossene, rücksichtslose und systematische Opposition zu „belfm ... die der Quelle »achgeht, woher alle diese Dinge „kommen. . . El giebt kein« andere Hilfe, al» daß man Un- „aesichts der Lao« de« Lande« sich aiisrafse zu dem, wa« wir „sein sollen, z« Männern, die furchtlos und frei auSsprechm. „was da» Land empfindet: „„Der Herr Reichskanzler „Fürst BiSmarck muß fort von seinem Platze."" Da« ist doch wohl sehr deutlich gesprochen, und wenn von dmtschfreisinniger Seite wieder behauptet werden sollte, der Nus „gort mit BiSmarck" sei au« ihren Kreisen nicht ertönt, so wird gewiß Jedermann wissen, wa» er davon zu batten hat. Nevrige»« hat ja auch Herr Prof, virchow vor Kurzem offen eingestandm, er und seine Partei hätte» auf den Sturz des Kanzler- hinaearbeitet, man sei aber, nachdem man sich überzeugt, daß der Kaiser sich von seinem Kanzler nicht trennen werbe, von diesem Be streben zurllckgekommen. Ja, ja, die Trauben hängen eben zn hoch. Ebenso verhält eS sich mit der Colonialsrage und der mit derselbe» mg zusammenhängenden Postdampser-Sub- ventionS-Angelegenhcit. Was kann man nickt jetzt Alle» vo» den tcutschsreisinnige» Wortführern höre» und in den Preßorganen dieser Partei lese», daß die deutschsrei- sinnigen Abgeordneten im Reichstag tiefer Frage die größte Svn'pathic entgegengebracht hätte»! Es gebt sogar so weit, daß von dieser Seite behauptet wird, Fürst BiSmarck habe eigentlich nur auSgestihrt, wa- die teutschfreisinnige Partei in Anregung gebracht Hab«. Nicht- al« eitel Dunst und Schwindel stellen diese Behauptungen dar, «nd sie flehen ungefähr auf dem selben Niveau der Wahrheitsliebe, wie die neulich in deutschsrei- sinnigen Blättern ausgetauchte Mittheilung. Fürst BiSmarck sei in Wahrheit gar nicht der Begründer deS deutschen Reiches; denn es sei in Versailles seine Absicht gewesen, den alten deutschen Bund wieder auferstehen zu lassen und lediglich an Stelle der österreichischen die preußische Hegemonie zu setzen: nur den in Versailles erschienenen liberalen Reichs- tagsabgeordneten, inSbesoudere dem Abgeordneten Bambergcr sei e« zu danken, daß Fürst BiSmarck seinen Plan geädert habe! Nein, meine Herren Deutschsreisinnigen, auch in Bezug aus die Eolonialsrage geben die amtlichen stenographischen Berichte bündige Auskunft, daß die deutschsreifinnige Fraction im Bunde mit den Ullramontanen e» war, durch deren Künste sowohl die Postdampser-Borlage abaelehnt wurde, als auch die Eolonialsrage nicht weiter vom Flecke kam; die mit Hobn und Spott über die deutschen Coloni- sationSbestrebungen erfüllte, zugleich auch eine klägliche Furcht vor dem Auslande ver- rathende Bambergcr'sche Rede ist und bleibt unvergessen. Jetzt möchte man daS Alles vor den Augen der Wähler uindrehen, und der deutschsreisinnige Ab geordnete vr. Braun hat sich bekanntlich in einer Ver sammlung inDöbeln, wo man ihm auf drn Leib rückte, nicht ander» zu helfen gewußt, al» daß er sein Be dauern Über die B a m b e r g e r's che n Aus lassungen auSgedrückt hat. Zu der deutschsreisinnigen Partei gehört nun doll und ganz der in Leipzig al« ReichStagscandidat ausgestellte Professor Hänel in Kiel. Herr Hänel hält etwa» aus die Form, und seine Redeweise befleißigt sich einer gewissen Eleganz, vor Allem aber des Pathos. 3n parla mentarischen Kreisen wird deshalb Herr Hänel scherz weise als der „Fortschrittler in Lacksticscl»" bezeichnet, während man Eugen Richterden „Fortschrittler i» Wasserstiefeln" nennt. An einem und demselben Strange ziehen sie aber Beide und nach zeitweise gestörtem brüderlichen Einverncbmen, wobei der Ehrgeiz betreffs der Führerrolle in der Partei wohl ein« hervorragende Rolle gespielt hat, ist die Eintracht zwischen den beiden deutschsreisinnigen Partrisübrern wieder hergeflrllt. Daß die Wählerschaft der Stadl Leipzig nicht allzu viel Verlangen tragen wird, ihre Vertretung Herrn Pro' Hänel zu übertragen, das glauben wir al» unzweifel haft turrauSsetzen zu dürfen. Die Wähler der vereinigten Ordnungsparteien in Leipzig würden sich ja auch geradezu iu da» Gesicht schlagen, wenn sie ihre Stimmen einem der pro- noncirtesten Führer der d-utschsreisinnigen Partei geben und damit mit ihrer ganzen politischen Denkweise brechen wollten. Zur chinesischen Frage. Der französische Ministerpräsident bleibt auch nach den Erfahrungen de- Monat- October noch aus dem bisher in der chincslscken Frage von ihm eingenommenen Standpunct der halben Maßregeln stehen, wie der Verlaus der Kammer sitzung vom 2l. October bewiesen hat. Rivisre beantragte die Mittheilunq der Protokolle in der Tonkin-Commission, Ferry lehnte jehoch den Antrag angeblich wegen der dadurch zu befürchtenden schweren llnzuträglichkeitcii ao und die Mehr heit der Kammer entschied demgemäß. Bei dieser Gelegenheit eigte sich, daß Ferry >»och über eine Mehrheit von 100 timmen versügt, und diese Thatsache wird ihn in der Fort führung seiner chinesischen Politik bestärken. In der Com mission ist man für die Bewilligung höherer Summen, um die Tonkin-Bngelegenheil möglichst bald zu erledigen. Natür lich, denn jeder vernünftige Mensch muß sich die Frage vor igen, wa» die Regierung mit l l Millionen Francs anfangen will, wenn sie genöthigl ist, einen großen Krieg mit China zu sichren. Der volle Ernst der Lage beginnt jetzt überall in Frankreich zum Durchbruch zu kommen, deshalb spricht man auch von der Mobitisirung eine» Annceeorp» für China, während die Regierung beschwichtigend daraus hinweist, daß General Brisrc ja keine Verstärkungen verlangt habe und daß man nöthiaensall- au« der afrikanischen Arni« genügende Streitkräste absenden könne, ohne einer Mobilisirung in Frankreich zu bedürfen. DaS ist die Lage der Verhältnisse in Frankreich. Die Dittuation in Tonkin wird durch die Meldung de» General» Brisre vom 20. October beleuchtet, daß sich große Massen chinesischer Truppen in der Gegend de» Rothen Flusse» zeige». Diese kurze Meldung enthält die sehr ernste That sache, daß die Franzosen von den Chinesen umgangen sind und .daß sie jetzt aus Hanoi und Hue marschiren, um die Franzosen au- ihren Hauptstellunaen zu verdrängen. Bis diese Zeilen vor die Augen der Leser treten, wird voraus sichtlich der Kamps schon entbrannt, vielleich auch schon ent schieden sein. Mögen die Chinesen aber auch wie in den letzten Wochen wiederholt geschlagen werden, so wird doch auch dieser Kamps die Reihen der Franroseu wieder lichte», denn an die Fabel glaubt i» Europa kein Mensch, daß bei mehr stündigen Gefechten die Chinese» allein Verluste erlitte», während die Franzose» nicht einmal Verwundete habe», bei einem Kamps leide» immer beide Theile. wäre daS nicht so. so wäre eben kein Kamps. Bei dein Gefecht vom l t.Oct. soll Oberst Donnier 3000 Chinesen getödtet haben, vo» französischen Verlusten schweigt die Meldung. Nu», der weitere Verlaus der chinesische» Operationen hat gezeigt, daß sie trotz ihrer Niederlagen immer weiter vordringe». Die Depeschen de» General» Brisre über den Kampf bei Langkep gaben der Ucberzeugung Ausdruck, daß die Chinesen vv» ihrer NückzugStinie abgeschnitten seien, daß sie also rettungslos verloren wären. Diese Auffassung zeugt aber von einer gänzlichen Verkennung der wahren Sach- tage, die Chinesen haben nur die Richtung ilire« Vvrmarlches gränbert lind sind den Franzosen in den Rücken gefallen Schon diese Thatsache allein straft alle bisherigen SiegeS- depeschen deS Generals Briäre Lügen. Cr mag viele Chinesen getödtet baben, aber zum Rückzüge hat er sie nicht genöthigt, daS ist jetzt völlig klar Man sieht auch a»S der letzten Meldung deS Generals Brisre wieder, wie schlecht der fran zösische Knndschaftervienst betrieben werden muß. Erst als die Chinese» schon im Delta deS Rotbcn Fli.neS ert<bei»cn. wird eS dem ffanzösischen General klar, daß der Ltillstand in der Offensive der Cbmesen, den er »ach den Erfolgen vom October als unrweiselhast annaln», nicht eiiigetrcte» ist. Die Chinesen verfügen offenbar in Tonkin über ganz andere und weit bedeutendere Streitkräste, al» die sranzösilche KriegSlritung jemals für möglich gehalten hätte. Die ileber- raschung über die Art und den Umfang der chinesische» Krieg- sührung blickt auch durch die französische Depesche durch, General Briäre ist ganz erstaunt über die Widerstandskraft der Chinesen, über ihre Bewaffnung mit Hinterladern neuester Constructioii, über ihren Muth und ihre Ausdauer. Trotz dem machen die Franzosen keine Gefangenen, sondern hauen alle Cbincsen. die i» ihre Gewalt kommen, nieder. Da» kann nicht ohne Rückwirkung auf die Kriegführung der Chinese» bleiben, auch sie werden keinen Pardon geben und die Frg»- zosen, welche io ihre Gewalt kommen, aiedermetzeln. Ter General klagt auch Uber die große Hitze, welche bedeutendere Operationen unmöglich mache. Die Chinesen lassen sich dadurch nicht vom Vormarsch abhalten, wie die Erfahrung lehrt, und diese ruhelosen Märsche und Kämpfe werden schließlich die Erschöpfung der Franzosen zur Folge haben. General Briäre verlangt keine Verstärkungen, weil er weiß, daß sie doch nicht rechtzeitig eintreffen können; bi» man sich in Paris dazu entschließt, 10,000 Mann nach Tonkin zu senden, kann die gesammte französische Macht in Tonkin vernichtet sein. ES war einmal flüchtig davon die Rede, daß die Chinesen in Tonkin 80,000 Mann vereinigten, man war geneigt. daS für eine Fabel zu halten, es könnte aber dennoch wahr sein. Wir sind eben in Europa zu wenig über die inneren Verhältnisse China» unterrichtet, sonst würden wir wissen, welche Streitkräste China überhaupt auszustellen vermag, wie sie bewaffnet und eingeübt sind. Bon verschie denen Blättern sind Ausstellungen über die chinesische Arm« gemacht werde», diese leiden aber sämmtlich an dem gemein samen Fehler, daß sie auf Beobachtungen au» früherer Zeit basiren, die heutige Lage ist von der vor 20 Jahren himmel weit verschieden; da» läßt man gewöhnlich ganz außer Acht. Wenig verschieden von der Lage in Tonkin ist die der Franzosen aus Formosa. Admiral Courbrt klagt üb« schlechte» Wetter und meldet, daß die Franzosen in der Umgebung ihrer Stellung Blockhäuser errichten. Da« heißt mit andern Äorten, daß die Unternehmung gegen den Hasen von Keelung und Tamsui ausgegcben ist. ES wiederholt sich hier ganz dieselbe Reihen folge der Ereignisse wie vor Foutschon. Auch da wurde zuerst mächtig in die Posaune gestoßen, da» Arsenal sollte zerstört, die chinesische Flotte sollte vernichtet sein. Heute hat sick' hcrauSgcstellt. daß die französische Flotte froh sein kann, die Mündung deS Miuflusse« erreicht zu haben, bei etwa» größerer Kriegsersahrung der Chinesen wäre si« von den Kanonen der Fort» in Grund und Boden geschossen worden. Admiral Courdet hütet sich »ohl, Koutschou «ine» zweiten Besuch adzustatten, er ist durch di« dort ge machten Erfahrungen gewarnt und hat jetzt sei« Heit aeg» Keelung und Tamsui »«sucht mit nicht besserem Erfolg«. Wa» ist nun also da» Gesammtergebniß der mit s» groffe« Lärm verkündeten Siege der Franzosen i» Toukin »nd a»f Formosa? Die französische Hauptmacht ist heute an dem selben Puncte bedroht, an welchem Capitain Rivi-re mit seinen Tapferen niedergemacht wurde, und die chinesische» Häsen zeigen sich den französischen Angriffen gegenüber uu« nahbar. Dazu kommt, daß die neutralen Mächte Einspruch gegen diese Form der Kriegführung erhoben und bereit« die Unverletzlichkeit de« Hasen» von Shanghai durchzesetzt haben. DaS werden vcrmnthlich die Unzuträglichkeiten sein, von welchen Ferry in der Kammer gesprochen hat, aber dadurch, daß man sie verschweigt, werden sie nicht beseitigt, und e» muß nun doch endlich in der Kammer darüber zur Klarheit kommen, wie die Sachen in China sichen. Ferry hat Ausschlüsse in der Commission zugesagt und die Interpellationen der Raoul, Duval und Lockroy werden dann im Plenum d« Kamm« zur Verhandlung kommen. Verschleiern läßt sich also der wahre Sachverhalt für die Dauer nicht, es wird zu Tag« treten, daß Ferry di« Gefahren, welche von China drohen, stark unterschätzt hat und daß ibm der Einblick in die ränke- vclle chinesische Politik verschlossen geblieben war. Die öffentliche Meinung in Frankreich ist leider so geartet, daß sie sich immer erst dann zur Ergreifung der erforder liche» Maßregeln entschließt, wenn eS zu spät ist, wenn da» Ungtück, welches durch rechtzeitige» energische» Handeln hätte verhindert werden können, geschehen ist. DaS Unglück, welche» den Franzosen gegenwärtig in Tonkin droht, ist, gleich dem Hauplmann Riviüre vernichtet zu werden. Statt den Frieden von Tientsin durchzuführen, ist General BriSre jetzt ge zwungen, die chinesischen Anarifse aus Hanoi und Hue abzu- wchrcii. Wie auS dem Erdboden emporgewochsen erscheinen die Chinesen plötzlich in großer Zabl im Delta de» Rothen Flusse- zu einer Zeit, da alle Welt di« Besetzung von Langson, Kaobang, Laoka« und Cate erwartete. Die angeblich am Rückzug verhinderten Chinesen kehren jetzt den Spieß um und bedrohen die Franzosen an drn Punkten, welche sie für unnahbar hielten. DaS Klima und die Bodenverhält nisse. welche den Franzosen so gefährlich sind, bilden zugleich zwei HauptvertheidiaungSmittel der Chinesen. Sie machen, wie die Erfahrung lehrt, davon den ausgiebigsten Gebrauch und lassen sieb durch keine Mißerfolge von der Verfolgung ihre? Hauptzieles abhatten. Ferry sieht wohl bereits ein. daß ihn aus dieser schwierigen Lage nur eine Art von Wunder erretten kann, ab« die Bonapartisten und die Herren von der Linken werden sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, um ihm rin Bein zu stellen. * Leipzig, 23. October 1884. * In der Leitung der CrntrumSpartei hat jetzt vollständig die radikale demokratische Richtung die Oberhand gewonnen. Da« beweist zunächst die Wahltaktik. die in einem bisher unerhörte» Umsang aus die Unterstützung der extremsten demokratischen Elemente hinauSlüust. Je weiter nach link- vorgeschritten ein Candidat ist, um so sicherer hat er Aussicht, von den Klerikalen für eine» „echten Liberalen" erklärt und der Unterstützung für würdig befunden zu werben, während gemäßigtere Männer selbst innert,alb der deutsch- freisinnigen Partei gleich drr „Culturkämpscrei" beschuldigt und Conservative nur noch in ganz vereinzelten Fällen als annehmbar für katholische Wähler erklärt werden. Findet doch selbst Herr Stöcker keine Gnade mehr vor der Leitung der CentrnmSpartei Aber nicht allein die auSgegebene wahltaktische Parole beweist daS Ucberwiegcn der radikale» demokralischcn Strömung im Ccnlrum, auch die proqrammarligcn Kundgebungen, die in jüngster Zeit aus den Kreisen der klerikalen Partei bervor- gegangen sind, legen Zeugniß von dieser Wendung ab. In den provinziellen Wahlaufrufen der "Partei, kein ostpreußischen, dem rheinischen, wie auch in den Wahlreden der ultramon-
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