Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020109021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902010902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902010902
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-01
- Tag 1902-01-09
-
Monat
1902-01
-
Jahr
1902
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis in der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Nus- nabesiellen abgrholt: vierteljührttch4 so, — zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus S.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich; virrteljührl. 6. Man abonnlrt ferner mit entsprechendem Postanfschlag bei den Pvstanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem - bürg, DSnemark, Schwede» und Norwegen, Rußland, den Douaustaateu, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition diese- Blattes mSglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. o ——— Nr-actio« und Erpediti-n: Jvhanuisgasse 8. Filialen: Alfred Lahn vorm. O. Klemm'- Sortim. Universitätsstraße 3 (Paulinum), LouiS Lösche, Katharinens)r. 14, pari, und Königsplatz 7. Abend-Ausgabe. WpMtr.TllgMM Anzeiger. Ämtsbkatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Necla men unter dem Redattivnsstrick (4 gespalten) 7b vor den Familiennaä)- richten (-gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ztffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahmr 25 H (excl. Porto). Extra - Beilage» (gesalzt), nur mit dec Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderun-; 80.—, mit Postbejörderuug ./j 70.—. ^nuahmeschiuß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 15. Donnerstag den 9. Januar 1902. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Der sittliche Gehalt -es englischen Soldaten erhält anläßlich des Abgänge- neuer Freiwilliger aus Australien nach Südafrika durch die australische Presse neuerdings eine recht schlechte Censur. Die meisten dieser Freiwilligen seien Vagabunden und nicht selten Gewohnheitsverbrecher. Das „Sydney Bulletin" geht so weit, zu behaupten, daß, wenn der australische Freiwillige nicht schon vorher ein Halunke sei, er sicher als solcher aus Südafrika zurückkehre. Nach so und so langer Zeit der Plünderung und Brandstiftung in der Kitchener'schcn Soldateska würden die meisten australischen Frei» willigen Leute, denen man nach Eintritt der Dunkelheit auf ab» gelegenem Pfade lieber nicht begegnet. Dieses vernichtende Urtheil über den englischen Soldaten ist nicht neu. Man findet es bereits in dem Jahresbericht deS Generalinspectors für daS englische Militärgefcingnißwesen, Oberstleutnant Gärsia, für 1900 niedergeleat. Darnach wurden im Jahre 1900 nicht weniger als 7357 Mann mit Gefängniß bestraft, gegen 4583 im Jahre 1899. Da die Militärgefängnisse in dem Vereinigten Königreiche nur 909 und in den Colonien nur 546 Mann fassen konnten, wurden in den Casernen in terimistische Zellen eingerichtet und die in den gewöhnlichen Gefängnissen dicht belegt. Man hat inzwischen die Noth- wendigkeit erkannt, die vorhandenen Militärgefängnisse zu ver größern und neue zu bauen; nach Ausführung der entworfenen Pläne sollen im Vereinigten Königreiche 1953 Zellen beleg bar sein. Wegen fortdauernd schlechter Führung wurden aus den Reihen der Armee 1901 Mann entfernt gegen 1956 im Jahre 1899. Diese Minderung kann gleichwohl keine Besserung dar stellen, da die reguläre Armee zum größten Theil im Felde steht und dort eine Entfernung aus dem Heere nur in ganz außergewöhnlichen Fällen erfolgt. Um die Zahl der Misse- thäter im Heere zu vermindern, schlägt Oberstleutnant Garsia in seinem Bericht vor, unverbesserliche Diebe und sonstige Verbrecher fürderhin nicht mehr in Dienst zu stellen. Denn eS ist Thatsache, daß die meistem Rerriten bereit« schwer bestraft (vc>rvoriu»in»Iv)sind, wenn sie eingereiht werden. Wir haben diesem Urtheil deS Generalinspectors für da englische Militärgefängnißwesen über dm sittlichen Gehalt des englischen Soldaten nicht« hinzuzufügen. * London, 8. Januar. Dem „Reuter'schen Bureau" wird aus Ngutu vom 6. Januar gemeldet: Boeren ziehen sich an der Grenze von Zululand zusammen. Eine Abtheilung ist dicht am oberen Unrunhana, eine zweite Abtheilung passirte Norodwmi heute Nachmittag und rückt gegen Jnkandula vor. Die Boeren ziehen bezüglich der Besetzungen in Hrlpmakaar und Pomeroy Erkundigungen ein und sind, wie gemeldet wird, im Besitz von zwei Pompon-Geschützen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. Januar. Daß bei der ersten Lesung des Etat- im NrichStage mehr über andere Dinge, al- über daS ReickSbauSbaltSgesetz ge sprochen wird, ist man gewöbnt. Gestern, am ersten Tage dieser herkömmlich zugleich umfassenden wie diffusen Debatte, geschah dies nickt in höherem Maße als sonst Dennock ge bührt den nicbtfinanziellen Ausführungen der Vorrang in der Betrachtung und zwar wegen der Wichtigkeit zweier der er wähnten Angelegenheiten. Der Reichskanzler, von dem conservativen und gleich dem Prof. vr. Hasse alldeutschen Abgeordneten Grafen Stolberg hierzu in nicht ungeschickter Weise angeregt, wies Herrn Cbamberlain's Schmähungen in einer Weise zurück, daß man wobl sagen darf: was lange währt, wird gut. Graf Bülow bat dem Engländer und — den Engländern nichts geschenkt. Er bat die Ministereigenscbast de- Lästerers sehr scharf hervorgeboben und, indem er, von diesem Umstande ausgehend, die Worte des britischen Colonialstaatssekretärs um der Beziehungen Deutsch lands und Englands willen als bedauerlich bezeichnete zugleich dem englischen Ministerpräsidenten, der eine Rectistcirung nicht für nöthig befunden hatte, und damit ganz England eine Lection ertheilt. Nickt ohne sehr wohl angebrachte Ironie fand es der deutsche Kanrler begreiflim, sehr begreif lich, baß Herr Chamberlain es als „Nothwendigkeit" empfunden batte, „seine Politik zu rechtfertigen". Die bier in Betracht kommende „Politik", die den Vergleich des Engländer- in Deutsch land als eine schwere Beschimpfung empfinden ließ, ist bekanntlich nicht die englische Südafrika-Politik an sich, eS sind die ConcentrationSlager und andere britische Menschenfreundlichkeiten, die sonst civilisirten krieg- fübrenden Mächten fremd sind, insbesondere aber den deutschen Kämpfern von 1870/71 und ihren Führern als Frevel erschienen wären. Der deutsche Minister des Aus wärtigen kann einem fremde» Staate und einem fremden Minister gegenüber nickt sprecken wie eine Heilung oder ein nicktbeantteter Redner. Was er aber an Kntik bieten durfte, bat Graf Bülow nickt zurückgebalten. Und schließlich sind wir ihm dankbar dafür, daß er, nachdem das Angemessene gesagt war, mit der Anführung des FriedericianFcken BildeS vom „Beißen auf Granit" verständlich andeutete, waS populär in die Worte gekleidet werden dürfte: eigentlich brauchte man sich über das Gerede eines solchen Herrn nicht aus- zuregen. DeS Reichskanzlers Versicherung, man sei einig in der Auffassung von dem Betragen deS Herrn Cbamberlain, wurde nicht desavouirt, was für einen deutschen Reichstag in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung beinahe eine Merkwürdigkeit ist. Auch der Social demokrat Südecum schloß sich von der Abweisung nicht aus; ein Zeichen, daß man in diesem Falle selbst den ergebensten Anhängern keine solche antinationale —Besonderheit bieten darf. Die socialdemokratischen Wähler denken über Chamberlain wie andere Leute und deshalb werden diejenigen unter ihnen, die noch ein Fünkchen Gerechtigkeitsgefühl con- servirt haben, eS als eine nickt unverdiente Züchtigung em pfinden, daß der Abg. Graf Stolberg die Anschwärzung der deutschen China-Krieger durch die socialdemokratische Presse auf ein» Stuf« mit der Heldentbat des geschätzten Briten stellte. Die Art, wie Graf Bülow eine, mehr die deutschen Gemütber al- die Politik berührende Episode abschloß, ist, wir wiederholen e», anerkennens- und dankenswerth. Un gleich wichtiger ist, was er, scheinbar Wohl vorbereitet,! über und zum DreiKunde sagte. Trotzdem wird diel deutsche Presse das Bedeutungsvollere in knapperer Weise commentiren, als daS praktisch minder Gewichtige. Dies wenigstens bis zu dem Augenblicke, wo daS Echo aus Oesterreich, Ungarn und Italien herübergeklungen sein wird. Daß wir von der hochpolitischen Darlegung be friedigt sind, braucht nicht gesagt zu werden, denn an dieser Stelle ist erst kürzlich die Möglichkeit, daß in Italien und der habsburgischen Monarchie andere Anschauungen über das diesen Staaten international Nützliche zur Herrschaft gelangen könnte, mit durchaus nicht gespielter Kaltblütigkeit erörtert worden. Und Graf Bülow hat sich gleichfalls kaltblütig ge- zeigt; der Werth des Dreibundes für Deutschland ist von ihm gewürdigt, aber nickt um einen Ton höher hervorgeboben worden, als die Fädigkeit Deutschlands, ohne diese Gruppirung auszukomnien, wenn diese beiden anderen Staaten sich in der gleichen Lage zu befinden glauben. Der Kanzler bat jedoch einige Momente gestreift, die cs zweifelhaft erscheinen lassen, daß unsere Verbündeten gut beraihcn waren, wenn sie ihren Radikalen bezw. den Slawen folgten. Die „gute Nachbarschaft", die Graf Bülow als den nunmehrigen Inhalt deS Drei bundes bezeichnete, wird fick ja doch wobl aufrecht erhallen lassen. Uebrigcns fügen wir, unseren Bericht ergänzend, an, daß der Leiter unserer auswärtigen An gelegenheiten in der Bewertbung des Dreibundes, die er dem Vergleiche zwischen der Lage von 1879 und der heutigen vorauS- gehen ließ, die Worte sprach: „Der Dreibund verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart und sichert die Zu- k u n st". Der Ausspruch zeigt, daß das berechtigte Gefühl der Freiheit von jeglichem internationalen Zwang im ofsiciellen Deutschland dieSckätzung der bestehenden Bündnisse nickt beein trächtigt bat. Das Gleiche kann von der deutschen Nation ge sagt werten. Gestaltet der Kanzler den gestrigen Tag zu einem hochpolitischen, so hat der Reichsschatzsekretär v.Thielmann, der erste Redner, das finanzpolitische Interesse zu erwecken gewußt. Er erörterte, wir ein deutscher Finanzverwalter beute nicht anders kann, der Zeiten Web und Ach, den ge schäftlichen Rückgang und seine Folgen für die StaatSwirth- schaft. Dabei erging er sich über die Lage der Einzelstaaten, die größeren namhaft machend und insbesondere die Noth- lage der kleinen und kleinsten berücksichtigend. Leider ist auch der Zustand der sächsischen Finanzen nicht derart, daß der Reickssäckelwart schweigend an ihnen vorüber gehen konnte. Er wies auf die erheblichen Steuererböhungen bin, mit denen unser Land seinen inneren Finanzschwierig- keiten zu begegnen im Begriffe steht, und bemerkt sehr zu treffend: „Würden in Sachsen weiter erböbte Matricular- beiträge hinzukommen, so würden diese Steuerzuschläge noch g-ößer und für daS wirtbschaftliche Leben Sachsens noch störender werben." Frbr. v. Tbielmann entwarf seine Schil derung von der finanziellen Bcdrängniß der Einzelstaaten zum Zwecke der Rechtfertigung des Vorschlags, „ein richtiges Reichsdefiktt von 35 Millionen" entstehen zu lassen und den Betrag mit Anleihegeldern zu decken; im anderen Falle, so meinte er mit Recht, würde eine Reibe von Einzelstaaten seine Schulden noch stärker vermehren müssen, als ohnehin nöthig, was das Reich, d. h. den Reichsgedanken, schwer schädigen müßte. Diese Art der Behandlung war dem Augen blicke angemessen. Wenn aber der Schayiekretär damit schoß, um in dem Fall, „daß der wirtbschaftliche Niedergang anhält und der Rückgang der Einnahmen sich fortsetzt", die Erschließung neuer Einnahme quellen — „an erster Stelle steh« daS Bier nnd ter Tabak" — als nothwenvig zu bezeichnen, so müssen wir dagegen entschiedenen Einspruch erheben. Sachsen und andere BundeSstaaten befanden sich schon zur Zeit des volkswirth- sckaftlichen Aufschwunges in staatsfinanziellen Schwierigkeiten, was beweist, daß eine Reicksfinanzreform, die auf Vermehrung der Steuererträgnisse basirt, unter allenUmständen noth« wendig ist. Daß cs in Preußen jetzt eben gerade noch ohne Deficit abgebt, dies aber nur durch energische Abstriche an den inneren Ausgaben möglich ist, ist in der gestern verlesenen Thron rede ausdrücklich gesagt worden, was übrigenSHerrv.Thielinann hervorzuheben billig genug war. Preußen wäre nickt minder leichtsinnig, als eS andere Staaten sein würden, wollten sie in der Hoffnung auf die alsbaldige Wiederkehr des volks- wirtbschastlichen Aufschwunges auf eine gründliche Cur des UebelS verzichten. So wenig wie die Bedingung, von der der Sckatzsekretär eine Reformaction abhängig machen will, ist die Voraussetzung, die der Abg. Graf Stolberg statuirte, annehmbar. Er hält eine Aenderung des finanziellen Ver hältnisses des Reiches zu den Einzelstaaten nur dann für nöthig, wenn die Zoiliarifreform scheitern sollte. Die Tarif reform verfolgt aber keine finanziellen Zwecke. Das ist — ausgesprochenermaßen — der Standpunkt der Regierungen, sowie der der Nationalliberalen und des CentrumS; die Conservativen werden ihn gleichfalls einnehmen müssen und haben übrigens zu bedenken, daß, wenn sie wirklich so meinen, wie Graf Stolberg, sie durch Gefährdung der Zollreform mittels der Forderung unerreich barer Zollsätze nicht nur die VolkSwirtbschaft, sondern auch die einzelstaatlichen Finanzen bedrohen. Daß der Zolltarif auch von dem gestrigen socialdemokratischen Redner in social demokratischer Weise erörtert wurde, versteht sich von selbst. Herr Südecum wird übrigens von den Genossen kaum be glückwünscht worden sein; er wurde — für die Verleumdung deS Hauptmanns Frhrn. v. Feilitzsch von einem preußischen und einem bayerischen militärischen BundeSratbSbevollmäch- ttgten empfindlich gezüchtet. ES verlohnt sich nicht, auf diese und andere — Ungenauigkeilen deS socialdemokratischru Redner- -- Sachsen trug natürlich wieder einen Theil der Kosten der Unterhaltung, die aber für die Zuhörer Nickt unter haltend war, weShalb sie sich auch in großer Zahl in Nichtbörcr verwandelten — näher einzugehen. AuS der Rede de- Reicks- schatzsekretärs verdient aber noch bervorgehoben zu werden, daß er, über den Rückgang der Erträgnisse der Zuck erst euer sprechend, sich ziemlich hoffnungsreich über die Aussichten der in Brüssel demnächst dock wieder zusammentretenden Prämirn- conferenz äußerte. Frbr. v. Tbielmann meint, je mehr Staaten die finanzschäbigende Prämie gewährten, desto allgemeiner werde der Wunsch nach Beseitigung der Au«fuhr-„Bergütung" werden. Logisch einleuchtend, aber menschlich wahrscheinlich Zukunftsmusik. Das Ergebniß der „Börsen st eitern" stimmte den Schatzsekretär natürlich elegisch, er ist der Ansicht, daß man, wolle man auf diesem Gebiete höhere Einnahmen als jetzt erzielen, da und dort eine Herab minderung der Stempelsäye Platz greifen lassen müsse. Das wird Frbrn. v. Thielmann viel Lob eintragen, aber kaum realisirt werden. AuckdieBedeutungderThronredezur Eröffnung des preußische» Landtages liegt ohne Zweifel auf nationalem Gebiet. Alle«, was die Thronrede außer der Würdigung der polnischen Frage über die Finanzlage Preußens u.s. w. F-ttilletsn. Gesühnt. 6j Roman von E. Esch richt. Nachdruck verboten. Um diese Zeit kam, wie seit langen Jahren, auch heute Theuerdank, und gewöhnt, ohne Aufenthalt mit ihm weiter zu denken, sagte der Capitän: „Auf dem Panzer sprechen sie nun schon vollkommen intact die Sprache der Zauberer; ein schöner Panzer, eine schwimmende Festung? Wird seine Noth haben, ivenn er in den Kampf muß — er gleicht dem Scorpion, der, wenn er tödtlich trifft, sich selbst zugleich vernichtet! Fregatten müssen wir haben — die Fregatte ist da« Schiff der Zukunft!" Theuerdank, um doch etwas zu sagen, obwohl seine Gedanken sich nur mühsam von der eigenen Angelegenheit trennten, er- widerte: „Ja, ja — ein kolossales Schiss — die „Brandenburg" — nicht wahr?" Nun erst fiel es dem Capitän «in, daß ihm Theuerdank doch ein Fremderer geworden war. Er klingelt« da« Lichtfignal, und Louise erschien sofort und setzt« auch ihren VeleuchtungSapparat in Thätigkeit: Hänge lampen und eine kleine altmodische gelbe Messingschiebelamp« mit e-.mm cylindrischen Oelkassen zur Seit«; sie war für den Leseplatz des Capitäns. Theuerdank hielt die Arme verschränkt und schritt auf und ab; die Blicke des Alten ruhten forschend auf dem Ge sicht de« Anderen; sie prüften den Gang und die ganz« Haltung — Alles unruhig, aufgeregt, unzufrieden; und wie merkwürdig auch, daß «r hier für den Abend erschien wie immer — da war doch etwas nicht richtig mit di«s«r überstürzten Verlobung! Aber gut — bleiben wir von den Dingen, di« unS nicht» angehen! Und er fuhr nach kurz«! Pause fort: „Ein Unglück ist bei allen diesen Bauten, daß sie nur von der Technik ausgedrechselt und vor- qeschriebrn werden — kommt di« Praxi« nachher darüber und die Nutzanwendung — ach Du mein Gott! Erst mal sofort Still stand der Arbeit — dann die neuen Veränderungen — Alle» wird herau»g«riss«n und neu gemacht — krach! Dann paßt wieder die Aenderung nicht zu dem Vorhandenen — da ist venn nachher aus solchen Koloß ebensowenig verlaß, wie auf «inen Menschen, der nicht genau weiß, wa» er will und va» er muß! Da zieht denn auch di« Unzuverlässigkeit oft grenzenlose« Un glück nach sich! Und dazu di« Arbeiten, um den Ablieferung«- ternkin «Inhalten zu können — sechs Wochen lang, Lag und Nacht — wie meinen Tie, daß «in solcher Arbeiter noch verläß ¬ lich schaffen und ein Ingenieur noch voller Aufmerksamkeit prüfen kann?" Der Capitän hatte natürlich ohne die Absicht gesprochen, Theuerdank zu treffen, dessen Unruhe er gar nicht kannte: und er war auch viel zu geraden Sinnes und zu vornehm, um Jemand mit Seitenhieben zu überfallen — aber er sah mit innerlichem Schreck, daß er den Anderen getroffen hatte — der blieb stehen und sah mit ganz weißem Gesicht vor sich hin; und so kummer voll waren plötzlich seine Züge, daß der Alte ausrief: „Mein Gott, Herr — fehlt Ihnen venn etwas — sind Sie krank?" „Nein, Heinzer, nein! Ich bin ganz gesund — gesund wie Ihr« Logik — aber da hapert es bei mir — und was Sie vor hin von der Unzuverlässigkeit dieser umgebauten, veränderten — nicht aus einem Guß erstandenen Schiffe sagten — das paßt so genau auch nicht — ja, ja! es kann manchmal ein großes Un glück geben! Aber wenn es schon da ist, wenn das Unglück wie ein Vampyr da ist, und liegt vor der Schwelle des Eingangs — thut man nicht am besten, das Ungethüm nicht anzurühren? Vielleicht schlägt es «in, oder es steht auf und wandert, und ist fort!" „Nein, Herr! Wenn es da ist und still liegt, dann lauert cs, wie c« Sie überfallen kann — es schläft niemals «in und mit un- gestilltem Hunger schleicht es auch nicht zurück! Man kann viel leicht Jahr und Tag darum herumgehen — es liegt immer still, e« wandert nicht; e» sieht Sie immerfort an, Tag und Nacht, es schleicht durch ihre Träume, und so schwächt es Ihre Kraft. Und plötzlich überfällt es Sie — wenn Sie es gar nicht mehr er warten, und dann unterliegen Sie ganz. Wenn Unglück da ist, Mann, und muß Ihren Weg kreuzen, da packen Sie es wie den Stier an den Hörnern — noch sind Sie muthig und stark, noch können Sie es also überwinden!" Er stand immer noch und blickte zu Boden. Muthig und stark! Ach Nein! Er war e« gar nicht! Er hatte Andere ge täuscht und auch sich selbst! Wenn er nur noch so viel Muth aufbringen könnt«, die» HauS zu verlassen — dies Kind nie mals wiederzusehen! Aber jede Fiber seines Herzens schrie nach ihr! Ihre Reinheit, ihre große und echte Liebe sollten seine Seele läutern — er hatte sie seit 36 langen Stunden nicht ge sehen — sein Herz that ihm körperlich weh nach ihr — o, er mußt« sie wenigstens sehen! Und vor diesem heißen Wunsch taucht sie etntretend auf; in ihrer ganze« Lieblichkeit — bot sie ihm ihr« beiden Hände und grüßte ihn so ander« denn je zuvor, daß der alte Capitän wiederum staunte über sein sonst so stilles und zurückhaltendes Kind. ES war ein« Freude ohne Rückhalt in ihren Bewegungen und in den Worten: „Endlich, endlich — Lieber — das wird ein köstlicher Abend werden!" Immer noch hielt sie seine Hände, und sie blickten sich in die Augen. Heinzer konnte nicht das Gesicht seiner Tochter sehen, aber er sah dessen Widerschein auf den eben noch so todtblassen vergrämten Zügen des Consuls — die nun ein jähes Roth über flog, die Augen leuchteten auf und di« Lippen öffneten sich leise. „Barmherziger Gott — was war mit den Beiden?" Sie rückte den Tisch zurecht und schob die Lehnstühle zu sammen, dann trat sie zu ihrem Vater, und in der Fülle ihres Glückes umfing sie seine Gestalt mit zärtlichem Druck: „Nun komm mein liebster alter Herr, komm in die behagliche Sophaecke!" Er folgte stumm ihrem stützenden Arm; stumm und schweigend sah und hörte er zu, wie sie Journale und Zeitungen und ihre Arbeit ausbreitete, immerfort plauvernd. „Nicht wahr, Vater — so ist es doch schön? Sieh, jeden Abend kommt er zu uns, sitzt er hier mit uns, speist mit uns, betrachtet den Himmel mit uns — und Alles bleibt wie es war! Denn was geht es Dich und mich an, ob er verheiratet war oder wieder verheirathet ist, uns gehört er in diesen köstlichen Stunden der Ruhe! Siehst Du, ich habe ihn uns gerettet — gerade so, daß Alles bleiben kann, wie es ist und war." „Du bist doch aber «in seltsames Menschenkind", sagt« der Alt«. „Eigennutz ist ihr fremd — es prallt dieser Begriff an ihrem Herzen ab, das trotzdem weich ist und so zärtlich!" sprach leise Theuerdank. Sie sagte nichts, stützte sich auf die Hand und sah seitwärts geneigt mit strahlenden Augen die Beiden an. Der Alte aber faltete die Hände und rieb leise die Innen flächen aneinander. „Es ist besser", sagte er langsam, „man stellt sich klar zu allen neuen Verhältnissen; es nützt nichts im Leben, sich Illusionen hinzugeben. Anforderungen machen, das ist leicht — stellt man aber zu hohe, ist man von vornherein im Nachtheil; denn ein Fehlschlag ist empfindlicher und empört da» Gemüth vielmehr, als wenn man zur rechten Zeit seine Wünsche niedrig fchraubt. Wie denkt sich meine Emilie die Zukunft? Das wäre ja immer ein Unrecht, wollten wir den Gatten seiner jungen Frau abspenstig machen. Schon die Braut, wenn sie ganz ge nesen von ihrem Unfall ist, wird sie Abends unseren Freund für sich beanspruchen und daS mit vollem Recht!" Emilir's Gesicht wurde unruhig, indeß der Vater fortfuhr: „Du, mein Kind — weil Du die Liebe nicht kennst, hast keinen Begriff von dem Anspruch, den sie an ihren Gegenstand erhebt — was für eine Bedeutung könnte sonst auch das „Ganzmein und Ganzdein" I wohl haben? Die Arbeit allein ist ein Sonderungsgrund —, lalle Freistunden gehören der Gemeinsamkeit!" Theuerdank blickte vor sich hin, als er bemerkte: „Lieber Herr Capitän — vergessen Sie nicht — wir werden kein Liebespaar vorstellen, es ist eine einfache Convenienz- heirath!" „Davor möge Sie Gott beschützen, mein Lieber! Ich habe geglaubt, wenn Sie die Absicht hatten, meine Emilie zu hcicathen, so sei dies mehr ein vorübergehender Einfall gewesen; und zu frieden, daß die Kleine selbst sich diesem Ansprüche entzog, haben Sie im selben Augenblick sich verlobt, und zwar mit einem Fräu lein, das in jeder Beziehung eine angemessene Partie sein wird — ich möchte nicht, daß mein Haus ein Gegenstand der Abneigung oder der Unruhe für Ihre zukünftige Frau würde!" „Aber, Vater", rief Emilie, „Du mußt nicht ungerecht sein, nicht gegen Theuerdank, nicht gegen mich! Nimm an, ich hätte auf diese Hand, die mir geboten, großmüthig verzichtet, aber mir meine Bedingungen gemacht!" „Dann, mein Kind, bist Du weder großmüthig in Deiner Ablehnung, noch unegoistisch — Du stehst sogar im Be griff, ein Unrecht zu thun, das zur Sünde werden kann, wenn Theuerdank diese sonderbare Bedingungsform wörtlich an genommen hätte! Nimm noch eins an, das, was ich zu Anfang sagte: Theuerdank, glücklich durch den Besitz seiner jungen Frau, entzieht sich ihr allmählich ungern, fängt an, dir Besuche bei uns wie eine drückende Last zu empfinden; bald wird er sich dann denselben zu entziehen versuchen — dann wirst Du sehr unzu frieden, was noch schlimmer ist — Du wirst beschämt sein!" „Vater", sagte sie plötzlich, „das könnte ich nicht ertragen!" Und schwere Thränen entstürzten ihren Augen. Zitternd, mühsam erhob sich der Alte, sich mit beiden Händen auf die Tischplatte stützend. „Theuerdank — Emilie — was ist mit Euch, um Gottei willen?" „Vater, Vater, warum willst Du möglichen Thatsachen der Zukunft so grausam vorgreifen — laß doch kommen, was kommen muß! Ich bin erregt in diesen Tagen durch die Frage, vor die ich so plötzlich gestellt war — ob ich alle lieb gewonnenen, mir fest anS Herz gewachsenen Verhältnisse brechen wolle, oder mich mit gewissen Einschränkungen abfinde. Alles beim Alten lassen — ich suchte mir mein Glück zu erhalten auf meine Weis« — o sprecht von anderen Dingen — mir thut das Herz so weh!" „Wohl, wohl, liebe Tochter — ich will Dich doch nicht quälen oder gar kränken! Mir ist es mein« Pflicht, über Dein Wohlergehen zu wachen und dafür zu sorgen, daß Dein Lebens pfad eben bleibt!" „Ja, Vater, Ich danke Dir!" und sie schob ihn mit sanften Händen wieder auf seinen Platz zurück — „ich weiß da», Vater!
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite