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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.05.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-05-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140516022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914051602
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914051602
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-05
- Tag 1914-05-16
-
Monat
1914-05
-
Jahr
1914
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Jahrgang tiir Snsrrat» aus Leipzig un» Umgebung »>« k. ispaltige petitieilerr Pf., Sie Neklameieil« I M., von auswärr» SS Pf.« Neklamen l.ro M., kleine Anzeigen Siep»lit,»ll» nur 20pf.d.wl«S»khol.Nad.,SnseraIc von Sekorüen im annl^chenreil Sie Petit» z,il, »0 Pf. »rfchäftsanieigen mit plnNoors»rif« >m Preise erhöbt. Nadatt nach Carls. Seilagen: Sesamtaufl. S M. So» Cousend ausschl. Postgebühr, stnzeigen-stnnohme. Zohannisgaste«, d»t sämtlichen -riliolen Se» teipzlgrr Tageblattes und ollen sinnoncen-CepeSitionen Se» In- unS sluslanör». Geschäftsstelle für Serlin «.Sie pr.VranSenburg: virektionValterZliezcl, Vertin w. io. Mar-iace'i».-!^ ralic ^ernlnrech-stnschlust: tu » n Lannsbenü, üen lö. Mai 1914 Das wichtigste. * Heute früh sand ein Geschwaderflug über Leipzig statt. (S. Sp. u. Sp.) * Der Reichstag begann am Sonnabend vor mittag die zweite Lesung des Etats des Reichs tags. iS. Bericht.) * Präsident Wilson bereitet ein zweites Ulti matum an Huerta vor. (S. des. Art.) Neue Kulturbewegungen. Bon Privatdozent Dr. Albrecht Wirth. In Berlin, München nnd den meisten Groß städten gibt cs Kasinos nnd Vereine, wo sich die Angehörigen vieler Stände, Offiziere, Ge lehrte, ^Künstler, Ingenieure, Kaufleute, regel mäßig treffen. So manche dieser Vereine — man denke nur an die Kolonialgesellschast — haben Iahreszusammenrnnftc, wo ebenfalls ein buntes Nebeneinander der Berufe vorherrscht. Es ist gar nicht zn schätzen, wieviel Anregungen durch den Gedankenaustausch zwischen Männern des Wehr-, Nähr- und Lehrstandes, des Er werbslebens und freier Berufe zutage" gefördert werden. Trotzdem fehlt uns noch eines, was in England und besonders in Amerika prächtig entwickelt ist: das; jede Stadt einen Klub habe, der nicht bestimmten fachlichen Zwecken dient, oder bloß ein Unterschlupf für Essen, Karten spielen nnd Regeln ist, sondern der lediglich der freien Geselligkeit, dem beständigen Ideen austausch zwischen Männern dient. Das gibt es einigermaßen in Berlin, wo der Automobil klub fein Heim hat, und auch sonst kennt man in Berlin wie in München die Kunst des Eerele, das chassez-eeoiscz von einem Bekannten zum andern binnen weniger Minuten, nnd dann wie derum das sich Sammeln einer Gruppe für eine ganze Stunde, nm eine bestimmte Sache du'ahzufmechen, heiter-geiellig durch zufechien. Allein sehr verbreitet ist der Brauch noch nicht, nnd noch viel weniger ist daraus eine Ueber- lieferung erwachsen. Der Meisterin des Salons, der Stadt Paris, beginnt man bei uns erst langsam, besonders in Berlin, ihr Geheimnis abzulauschen. Das Hochbild, das einem Goethe vorschwebte, das Ideal einer in bestimmten for men verlaufenen Nationalkultur, ist noch keines wegs erreicht, muß erst noch verwirklicht werden. Diesem Eingeständnis unserer Schwäche steht je doch die Beobachtung gegenüber, das; gerade in jüngster Zeit die größten Anstrengungen ge macht werden, nm diesem Mangel abzuhelfen. Verschiedene führende Männer sind tätig, nm greifbare Organisationen zu gründe«. Ter Briefwechsel des Reichskanzlers mit Lamprecht hat offensichtlich dazu den Anstoß gegeben. Das Schlagwort ist hier: „Kulturpolitik". Dem Ver nehmen nach sind in der jüngsten Zeit nicht weniger als sechs Organisationen geschaffen wor den, um diese Politik zu fördern. Dazu gehört auch ein engerer Zusammenschluß mit dem Deutschtume des Auslandes, ferner eine bessere Orientierung des Auslandes über unsere Zu stände, Pläne also, die schon mehr stark ins Weltpolitische hinüberspielen. Sehr bezeichnend für unsere Zeit ist dabei die Verquickung von rein Wirtschaftlichem mit kulturellen Bestrebun gen, denn zu jener Orientierung soll ein über aus leistungsfähiger großer deutscher Verband die Mittel liefern, dessen Wirkungskreis bisher fast ausschließlich auf rein fachlichem, prakti schem Gebiete lag. In Zusammenhang mit dessen Gründungen stand auch der Versuch, einen weltwirtschaftlichen Verein zu schaffen. Heute kann es nur die Masse bringen. Selbst einsame Denker, die beschlossen haben, ein Eremitendasein zu führen, berufen fosort eine Versammlung ein, um ihr diesen Entschluß mitzuteileu. Bei einem 00 Millionen-Volke dringt der einzelne nicht durch, wenn er sich nicht auf eine große Organisation stützen kann. Der Schriftsteller kann seinen Gedanken, und wären es die packendsten nnd trefflichsten, keinen Eingang verschaffen, wenn er nicht einen guten Verleger oder einen guten Theaterdirektor findet. Der fähigste politische Kopf richtet nicht das min deste aus, sofern er »ich nicht einer führenden Partei anschließt. Selbst der einzelne Künstler getraut sich nur selten noch, den Kampf um Ruhm und Dasein allein anfzunehmen; er schließt sich einer Sezession, Scholle, Luitpold- gruppe, einem Hagenbunde, an. So kann es denn nicht in Erstaunen setzen, wenn jetzt nicht einzelne, sondern gleich ganze Städte eine be stimmte Kultnrentwicklung in die Wege leiten. Jüngst geschieht das am wirksamsten durch Aus stellungen. In Darmstadt fing es an, in Leipzig ist ein weiterer großer Schritt getan worden durch die graphische Ausstellung, die das ganze literarische Schaffen nnd einen Teil des kunst gewerblichen Könnens bei uns veranschaulichen soll. Und schon regt sich in München ein geist- voller Projektmacher, Professor Fuchs, der vor einiger Zeit dem König Ludwig und Vertretern der Stadtgemeinde seine Pläne vortragen konnte. Fuchs möchte in einer Ausstellung, die 1915 oder 191.0 stattzufinden hätte, die gesamte deutsche Kulturarbeit, auch die in Amerika und den Schutzgebieten, dem Ange vorführen, nnd möchte ferner die Festspiel-Einrichtungen Miin- chens weiter ausgestalten. Tas ist ein Lieb lingswunsch gerade von Fuchs, der das Künstler theater auf der Thercsienhöhe ersann. Wir hatten die deutsche Bau-Ausstellung in Leipzig, »vir haben jetzt die Schau des Deutschen Werk bundes in Köln, die schon erwähnte Buchgewerbe- Ausstellung in Leipzig; in Dresden wird sich in den nächsten Jahren das deutsche Handwerk produzieren. Achnliche Tinge fördern Frank furt, Düsseldorf, Stuttgart, Berlin usw. Man glaubte schon, daß die Zeit der großen Aus stellungen vorbei wäre. Das hinderte jedoch keineswegs, daß beinahe jedes Jahr eine neue World's Fair brachte, ein Gebiet, auf dem das Industrie- und Durchgangsland Belgien beson ders tätig war. Nicht minder wird jenseits allen Zweifels die Ausstellung von San Fran cisco, die zu Ehren der Eröffnung des Panama kanals stattfinden soll, einen großen Erfolg be deuten, und schon steht Japan mit einem ähn lichen Wunsche wartend im Hintergrund. Kurz, es sieht ganz und gar nicht danach aus, als ob die Welt, die ja nicht genug dargestellte Be wegungen, nicht genug Kiuospiele haben kann, der Ausstellung müde sei. Nur war bisher der Kern dieser Veranstaltungen industrieller Art, die Schöpfungen eines Krupp und Armstrong, eines Schalkcr Hnttenvcrcins und elektrischer Er sinder überwogen an Gewicht und Beachtung die Schöpfungen der Maler und Bildhauer. Aus- stclluugSinüde sind nun gerade die industriellen Kreise, die ja ander. wirksame Mitte» genug ha ben, um ihren Absatz zu fördern: ausstcllungs freudig sind dagegen, und müssen es naturgemäß immer sein, die künstlerischen Kreise, die schlechter dings auf diesen Weg, sich Beachtung zn er zwingen, angewiesen sind. In Zukunft jedoch, so scheint cs, wird man einen neuen Kompromiß zwischen der rein wirtschaftlichen und der rein kulturellen Richtung finden und wird große, von der Masse getragene und auf die Masse wirkende Kullurbewcgnngcn unterstützen. EinzweitesUltimatum an Mexiko Ueberraschend kommt die Meldung, daß Präsident Wilson ein zweites Ultimatum an Huerta vorbereitet. Es handelt sich in ihm nm das Schicksal des gefange nen amerikanische'» Konsuls Silliman, der zwar längst freigelossen sein sollte, über dessen Verbleib aber nichts bekannt ist. Um die Hauptstadt Meriko sieht es jetzt sehr kritisch aus. General Zapata steht in un mittelbarer Nähe zum Anmarsch bereit, und unter den Truppen Huertas selbst machen »ick- starke leick-eii der Unzuverlässigkeit bemerkbar. Die Lage des Präsi denten ist demnach recht unsicher. Wir verzeichnen folgende Meldungen: (5in Ultimatum an Huerta. W as h i n g t o n, IG Mai. Zn offiziellen Kreisen wird erklärt, daß Präsident Wilson ein zweites Ultimatum gegen Huerta vorbereitet. Der Inhalt des Ultimatums geht dahin, sofort ein Lebens zeichen von dem verschwundenen Amerikaner Silli - man zu erhalten. Verschafft die mexikanische Re gierung nicht eine zufriedenstellende Antwort, so wird von Washington ans offiziell der Krieg gegen Mexiko erklärt werden. Ein verschwundener amerikanischer Soldat. Washington, 16. Mai. Staatssekretär Bryan teilte der R e g : c r un gHuertas mit, das Staats departement betrachte den Umstand, daß die mexika nischen BundesbehörLen mit Informationen über den Verbleib des Soldaten Samuel Parks Zu rückbleiben, als eine feindselige Haltung. Meuterei unter Huertas Truppen. London, Ui. Mai. Nach einem Telegramm der „Evening World" aus Veracruz hat ein Bote aus Paso del Macho die Nachricht gebracht, daß die Truppen Huertas in der Pedroskaserne in der Stadt Mexiko an» Mittwoch gemeutert haben. Mehrere Offiziere, die sich weigerten, sich den Meute rern anzuschließen, seien nicdergeschossen worden. Eine Abteilung des 29 Bataillons unter Jährling des Generals B l a n q u e t, wurde nachmittags mit Ma schinengewehren nach der Kaserne geschickt; die Meute rer waren aber entflohen. Mau glaubt, daß sic sich den Zapatisten in den Bergen von Ajusco oder bei Cuernavaca angcschlcsseii haben. General Zapata. Loudon, in. Mai. „Daily Ehroniele" meldet aus Washington, das; nach einem Bericht aus Veracruz Zap a t a mit süuftausend Mann bei Tapi lejo, zehn Meilen südlich von Mexiko, stehen soll. Huerta in Kloster (Kefutzr. New Port, IG Mai. Nach Berichten ans Veracruz befindet sich Huerta in wachsender Ge- „Vie Legende Josephs." Paris, lö. Mai. Wir glauben nicht, daß sich irgendwo in der Welt eine ähnliche Theatcratmojvhäre schaffen läßt. Paris überliefert uns als Höhepunkte der (ü-eseUschasts- gefchichte viele solcher sensationellen Premieren („Hcr- nani", „Burgraves" oou Victor Hugo, „Tannhäuser" voir Wagner), die in Treibhaustzitzc stattfanden. Leit dem „Lantecler'-Rummel haben die Impreiarii hrr- ausgefunden, daß mit derartigen Theaterereignijsen, »renn sie künstlich großgezogen werden, ein Ver mögen verdient werden kann. Nichts einjacher als das. Man läßt eben das erwartete Bühnenwert von einer interessierten Boulevardpresse von vornherein zum Meisterwerk leitartikcln, mit so viel „Autorität", daß nicman'd den Mund dagegen auszutun wagt. Man hatte es mit d'Annunzio so gemacht, der indessen mit seinen Unendlichkeitsoerjen die Pariser doch zu göttlich langweilte. Man griff darum für die wieder zu einem längst universell berühmten Musiker, dem deutschen Richard Strauß, von dem das russische Ballett Seinebabcls upper ten ein geniales Taufkind zur Uraufführung präsentierte. Strauß ver^ steht sich schon ganz allein aufs „Lancieren" seiner Musenkinder — s o aber ist er denn doch nicht „lan ciert" worden. Es genügte, den splitternackten Joseph, jungfräu lich verzückt und ein klein wenig verrückt, riesig aus allen Mauern affichieren zu lassen, um einen Sturin -er gesamten Pkutolratie au» die oft bettelarme Aead.'mie 'Nationale de Musique zu entfesseln. Das russische Ballett hatte einen Vorverkauf non bl 1000 Franken zu verzeichnen! Zn dem goldgleißenden Prunktcmpel des zweiten Empire blitzten für eine Milliarde Juwelen, Moskauer Smaragden, Rubinen aus Berlin ZVVV., Diamantenkiejel der Zünften Avenue und Perlenerer der Rue de la Paix. Um es aufrichtig zu gestehen, für ein Tout-Paris war das Haus doch etwas zu kosmopolitsa), obschon man zwi schen den Decollctes die Rothschilds und Blancs sah, die Minister Vioiani, Malvy und Zacquier, auch Rodin und Briemx, sowie ein paar Polignacs und Talleyran'd-P.rigords als Vertreter des Faubourg- Saint-Germain. Zm übrigen: Rcidziwills, Gortscha kows, Trubetzkois und andere Newaprinzen, Groß- lürstin Wladimir an der Spitze. Die deutsche Bot schaft mit der liebenswürdig-vornehmen Baronne de Schoen. Bis hinauf in den „Hühnerstall" drücken sich die Seidenroben und Fräcke, beängstigend und aufgeregt — wer für einen Galeriesitz zwei Louis dors bezahlt hat. ist überzeugt, daß er einem pn-eut event beiwohnen wird. Richard Strauß, sichtkar gealtert, ersteigt kaum mit purpurrotem Kopfe das Dirigcntcnpult, als auch schon der Beifall losgeht. Das verdankt er seiner „Salome", die in Paris immer wieder von allen russischen und amerikanischen Stars gesungen, getanzt und entschleiert wird; das verdankt er auch der un zweifelhaften Hochachtung, die das modernmusikalische Konzertpublikum vor dem Komponisten der „Do- mestica" nnd des „Till Eulenspiegel" empfindet. Selbst die Orchestermitgliedcr, denen er während der Proben in ungewohnt „brutaler" Manier zugesetzt hat, bereiten ihm eine diskrete Ovation. Dann geht mit einigen Auftakten sogleich der vorgeschriebcne „schwerseidene Vorhang" über einem kaukasisch-vene zianischen Golcsaul mit wuchtigen, beunruhigend ver drehten Loggiensäulen und über einer höchst merk würdigen Gesellschaft in die Höhe. Graf Keßler und Hugo von Hofmannsthal setzen voraus, daß jedermann ihr sehr umfangreiches Ballett buch zuvor gelesen hat. Die Geschichte von Joseph und der Potipbar? Wir glaubten sic zu kennen, von dem unerfahrenen Bürfchlein, den ein üppiges Weib verführen will? O nein! „Das Sujet des „Joseph" ist der Gegensatz und der Kampf zweier Welten", lesen wir in der Einführung Keßlers. Nichts weiter? Nun, dann müssen wir uns schon auf eine gewaltige philosophische, psychologische und — sophistische Auf klärung gefaßt machen. Die Poeten besorgen das mit einem solchen Luxus an Einzelheiten, mit so raffinier ter Geistreichelei, daß wir zwischen den Zeilen immer einen Kobold herumtanzen sehen, der uns mit Hellem Gelächter bedroht, wenn wir cs uns etwa einsallcn lassen, die Weisheit für bare Münze zu nehmen. Zoseph hat sozusagen den Geschmack einer nicht ganz reifen Frucht. Er ist gläubig, aber nicht christlich, ajzetisch Und intellektuell wie Zochanaan — ein sonn- durcklränkter Geist und Körper. Sein Hauptcharakter ist: zu springen, zu fliegen, zu schweben, bald iin Tanz, bald im Traum, bald in einem Gemisch von Einbildung und Bewegung. Das Acußere Josephs, sein Kindesäußere und fein zukünftiges, wechseln während der Handlung fortgesetzt miteinander ab; bald zeigt er nur eines von beiden, bald beide zu sammen, stark oder schwach, eines durchs andere . . . Madame Potiphar ober sitzt steif unter ihrem Gold wie ei« Idol. Zn einer Welt, die keine Geheimnisse hat, ist alles in diesem Mann für sie ein Gelzeimnis. Als sie ihn zu sich rüst, will sie in ihn hineinsehen, ihn ergründen, ich« besitzen. Als Zoseph die Lippen der Frau verspürt, macht fein Erwachen zunächst aus ihm wieder ein Kind. Er springt dann aber heftig und erschrocken auf, weil er ein Jüngling ist, der noch von keinem Weibe weiß. Seine zukünftige Welt taucht wieder in ihm auf, zuerst wie ein Schütten, dann als Gegensatz zur Laszivität der Frau, init äußerster Gewalt Ein Kampf entbrennt in dein Dc-ppclwesen. Als sein jenseitiges Gesicht, sein Gesicht der Zukunft. dieselbe Zorm wie jein Kindergeficht an genommen hat, als beide ächtbar werden, wunder bar im Ausgleich ihrer Macht und ihrem Streben, zeigt er sich ganz ja. wie er ist. Zn diesem Augen blick erkennt die Frau, daß Pc nie besitzen kann, ivas sie wünscht, weil sie etwas Unfaßbares fassen möchte, ein Geheimnis, das man nicht ergründen kann, etwas Göttliches, das unnahbar bleibt. Da begint ihr Untergang. Sic sinkt, weil sie den Gott zu zerstören sucht. Denn man kann das Göttliche ebensowenig zerstören wie besitzen. Der „Gott, der in sic ein gedrungen ist", Zoseph in seiner mystischen Dualität, Zoseph in seinem idealen Erblühen, erniedrigt sie in ihren eignen Augen, peitscht ihre Leidenschaften . . Zhr Schamgefühl erwacht zuerst, dann ihr Haß. Noch einmal richtet sie sich königlich aus, gibt Befehl, Hand an ihn zu legen. Aber diese Anstrengung ist zu groß: bei der ersten Berührung fällt sic wie eine Schlafwandlerin ohnmächtig in die Arme ihrer Sklaven. Der Hcxentanz ist ihr sichtbar gewordener Fieberpuls. Als die Welt Josephs in ihren Augen sichtbare Zorn» in der Gestalt des Erzengels an nimmt, macht sie noch eine kindliche und verzweifelte Bewegung, um der Erscheinung zu folgen. Dann bleibt ihr nur zu sterben übrig. Das ist die Zdeenwelt. in die uns ein Ballett versetzen soll. Wenn Terpsichore sich eine Gelehrten drille auf die Nase stülpt, wird die Göttin der leichten Tanzkünste ungefähr so aussehen. Es ist ge wiß sehr schön, daß unsere gebildete und verbildete Zeit sich bei allem etwas Tiefes denken will. Aber ist sie nicht wieder auf einen Zrrweg geraten, wenn sie aus dem Genre des „Divertissements" eine choreographische Doktordisfertation macht? Die allen Griechen, die Aegypter, heute noch knmbodschijche Zungfrauen und afrikanische Medizinmänner üben feierliche, rituelle „Pas"? Und nur die italienischen Primaballerinen haben die Dekadenz des Tanzes verschuldet? Die Baltasarini, Rinuncini, Galeotti, TagUoni erschauern iin Hat-es über solche frevelhafte Verkennung. Mag das Ballett im Argen liegen, unserm heutigen Zerstreuungsbedürfnis nicht mehr genügen (besonders, weil zugleich mit der Kunst des Belcanto die Kunst der Prima Ballerina im Ver schwinden ist!), mag darum das Bestreben, den tan zenden Scharen auf der Bühne eine intelligentere und neuzeitigc Aufgabe zu stellen, im höchsten Maße lobenswert sein — der Sprung vom Alten zu diesem Hypermodernen, den uns zuerst Claude Debussy, jetzt Richard Strauß machen lassen wollen, ist zu groß., auch für sie selbst! (Wir meinen hierbei nicht die Musiker, sondern die Bücher, die sic zu vertonen für gut hielten.) Die abnorme, polyphonische Begabung Straußens braucht nicht mehr hervorgehoben zu werden; er ist der Mathematiker unter den Komponisten, mit einem großen, genialen Zug. Wohl machte er eine merk liche Anstrengung, den Zosepb nicht mit denselben geräuschvoll disharmonischen Zngredienzen zu be handeln wie Zarathustra. Die ganze Partitur strebt melodischer Einfachheit zu. Ein Glockenspiel beim Einschlafen Zoscphs. vorher seine Tcnzw.ise und der machtvoll ««schwellende Schlußakkord beim Er scheinen des Erzengels — das sind unerwartete Sträuße, Blumensträuße aus den Gefilden älterer Melodiken. Natürlich trägt das Ganze sinfonischen Charakter und gibt reichlich Gelegenheit zu sym bolischen, sensuellen und mystischen Verichnörkc- lungen. Die fortreißende Kraft, die heiße, wollüstige Atmosphäre entsteht wie bei „Salome", aber dies mal durchaus nicht dank einem großen Anteil des Dichters. Wie Salome sieben Sätze, r abte.ntt, bat Zoseph vier Tanzrhylhmen, deren erster eie ländliche Unschuld, deren zweiter die Freiheitslnsk, deren dritter die Suche nach einem Gott (!) nnd deren vierter die Freude über den gefundenen Gott vccsinn bildlichen sollen. Wenn ein Tondichter imstande war, verzwickte Phiiosophenideen rer Choreograph:.' zugänglich zu machen, war es Strauß. Aber was uns an dem komplizierten Kunstwerk am liebsten ist, sind die reinen melodiösen Weisen, die eingeslochten sind und bestätigen, daß Straus; mehr als ein Ge lehrter — ein begnadeter, echter Musiker voll reicher Eingebung und warmem Empfinden ist. Viellcich der beste und originellste Gedanke Hofs mannsthals und Keßlers war es, die Zojephs- legente in die heitere, orientalische Lust der venezianischen Renaissance zu verlegen. Sie dackuen an das „Gastmahl" von Paolo Veronese in Venedigs Akademie. Zedcnfalls richteten sie in dem von den Ruisen gemalten Goldtcmpel eine Tatet her, beladen mit Goldgeiäßen und umgeben von Venziancrn »n Renaissancetrachten, genau wie auf dem Gemälde. Ein ottomanijches Divertissement die Entschleierung der Vermählten, begann die Reihe der Zerstreuungen, mit denen Frau Potiphar aus ihrer kalten Langeweile gerissen werden soll. Strauß entschleierte ottomanjsch. Dann kamen Faust kämpfer. die der Regisseur Fokin leider zu sehr „stilistisch" manövrieren ließ und die erst zum Schlüsse kaukasisch wild boxten. Und Strauß schrieb eine kaukasische Rausmusik. Zoseph wurde in einer goldenen Hängematte gebracht — Gold rieselte nur jo von allen Wänden und aus allen Ecken. Bet .'>11 000 Franken Einnahmen und allerlei Sub ventionen tonnte Zmnresario Diaattzlew g-oßfürstlich auftreten - er »üuschte damit etwas über den ge ringeren Wert seiner Tänzerinnen hinweg, von denen manche nie eine Kaiserlich Russische Bübne. wohl aber Warschauer Tingeltangels durchhüpjt Haden sollen. Tie Karsawina, sein Stern, hatte in der Zosephslegende nichts zu tun. Auch Frau Kusnctzow, die prachtvolle Sängerin, die in letzter Stunde 'ür die Mimik einsprang, hatte keine Ec- legenheit, sich tainend viel zu betätigen. Der Zueoh des jungen Miaisin überraschte uns auch nicht über menschlich; es gehörte schon die ganze Verdorbenheit der Frau Potiphar dazu, die Pubertätswindungen hinreißend zu finden, so viel Grazie der russische Jüngling entwickelt. Richard Strauß, der sein Orchester meisterhaft führte, wurde unter viertelstündigem Beifalls getrampel aus die Bühne geholt, mit Blumen über schüttet und hinterher mit der Oniziersroiettc der Ehrenlegion gerötet — er darf sich nick« 'ekiaqen über den Pariser Empfang. Oarl l.asim.
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