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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.01.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140109025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914010902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914010902
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-01
- Tag 1914-01-09
-
Monat
1914-01
-
Jahr
1914
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cth. i25 5 dt. r>5 -lbea- -Ausgabe Sezngspr.lt«: u»«atUch 1.« M., viertelUihriich 3.73 M. Sei der G»tchI»N»st»U», uuse« Mal« m»ö stu»gad»N«U« aöoehoUr monatlich IM., »ierteyiihrUch3M. Varch öl, Post: taaerhald V«tschlaoö» m»ö »er ö«tsch« Raloal« »aoatllch l^o UU, »terteljährUch » so M., au,schU«8ltch postdefteUgetö. v« Leipziger «aaeblatt «schrat w.rktag» Imal, Sonn. u. Zeirriag» 1m,l. I» Leipzig, örn Nachbarort« und örn chrten mit eigen«« Zillalrn wirö öt« std«öau»gad« noch am Ndenö -«» Erschein«» »n» Hau» geliefert. SrrUner Neüakti«: In ö«A«it« 17, Zerntprecö-Nngöluft: Moabit Nr. 407. ISS. Jahrgang Neöaktion nnö GeschiifteNeU«: ^obanniagassr Nr.». a Zernsprrch,Anschluß Nr. t»b02, 14003 unü 14004. sör Inserat« au« Leipzig unö Umgebung öl« /»"IklAstilprstlf». ispaUigepetitzeilerzpf, öieNeklamezeUet M., . »»a au»wärt»30pf.. Neklam« t.ööM., Zamili«. ».klein» stnzelg« öl, 2—-- ö>ch> —1>^k pettt-^l» nur «Pf., Inserat» von Vehirö« lm amtlichen«»»« die Petit,eil, /«nrsouur des Rates ruro des poureurrrttes 0^17 Ol § H^I 11 Muz»ig«-Nn»ahme. 7»baani.gasse«, del sömtUch« kilialen öe» Leipziger «agedlatt«» uni aU« Nnnoncen-Expeöitlon« öe» In» uns Hu,lande». Geschäftsstelle für Vrrlin u. Sie pr. Vran «bürg: virektlon Wolter Zliegei, Verlin w. IS, Margaretkrnstrofte 5. Zernsprrch»stnsch!uSr Liitzow S»7l. Nr. 15. Frrltttg, ürn S. Ianusr. 1914. Vas Wichtigste. * Der Reg im entsbefehl des deutschen Kronprinzen an die Danziger Husaren, den er bei seiner Verabschiedung als Regiments kommandeur erlassen hat, wird setzt veröffentlicht. (S. Pol. Ue-berf.) * Der frühere braunschweigische Staatsminister Hartwieg ist in Braunschweig gestorben. (S. Pol. Hebers.) * Der König von Rumänien ist an einer Lungenentzündung erkrankt. (S. Letzte Dep.) * Nober die spanische Stadt Tortosa ist der Belagerungszustand verhängt worden. (S. Auslands * Nach einer Blättermeldung aus Konstantinopel darf die Frage der Reformen in Kleinasien als geregelt angesehen werden. sS. Ausl.) Oberst y. Keuler. Kein Zweifel — Oberst v. Reuter geht aus dem über ihn wegen der Zaberner Dorgänge verhängten Prozeß so gerechtfertigt hervor, wie nur jemals ein Mann gerechtfertigt wurde, der unter dem Zwang der Umstände nach Pflicht und Gewissen handelte, auf die Ge fahr hin, gegen Recht und Gesetz zu verstoßen. Das Urteil wird morgen gesprochen werden, und wenn er wegen des einen AnUagepunktes, der aufrechterhalten wurde, wegen der unzu lässigen Einsperrung der Verhafteten, erne Strafe erhält, so ändert das an dem moralischen Gewicht der zu seinen Gunsten sprechenden Tat sachen wenig. Diese Tatsachen sind im wesent lichen: die Aufhetzung, die von dem „Zaberner Anzeiger" systematisch betrieben worden war, die Beschimpfungen der Offiziere und das Ver sagen der Ziviwehörden, der Polizei und Gen darmerie. Man darf es dem Obersten v. Reuter glauben: er war an dem kritischen Tage schließ lich in der Zwangslage, entweder vor einer feindseligen Menge zu kapitulieren, oder ein zugreifen. Hat er dabei mehr getan, als not wendig war, so erklärt sich das zur Genüge aus dem Drang der Stunde, und weiter ver wunderlich ist es dabei nicht, wenn ihm, wie man aus seinen eigenen Aussagen schließen muß, die Gefahr einer nicht mehr gut zu machen den Schlappe größer erschien, als sie in Wirk lichkeit war. Er hat an dem verhängnisvollen Abend den Platz vor der Wache „schwarz von Menschen" gesehen, aber auf Befragen, wieviel es wohl gewesen sein könnten, meinte er, vierzig oder fünfzig bis hundert. Diese „Menge" habe gejohlt und geschrien; das wird von allen militärischen Zeugen und einer Frau bestätigt; aber vier andere Zeugen stimmen überein, es sei „totenstill" gewesen. Man darf getrost annehmen, daß sich auf beiden Seiten Täuschun gen und Irrtümer festgesetzt haben, und es geht durchaus nicht an, den Zeugen, ob sie nun hüben oder drüben stehen, bewußte Fäl schung vorzuwerfen, wie dies in manchen Blät tern geschieht. Genug — Oberst v. Reuter hatte das Gefühl: so geht's nicht weiter, und einmal im Zuge, macht er ganze Arbeit. Wer ivill ihn« heute beweisen, daß sie „überflüssig" gewesen sei, während er behauptet und gewiß davon überzeugt ist, gerade durch sein Vorgehen habe er Schlimmes, ja das Allerschlimmste verhütet?! Doch die böse Stunde allein erklärt nicht alle Merkwürdigkeiten und Widersprüche. Der Untergruird. aus dem alles Unheil gedieh, war, das hat der Prozeß deutlich ergeben, das schlechte Verhältnis zwischen Mili tär und Zivilbehörde. Wann war diese Verschlechterung eingetreten, und wer hat sie verschuldet? Oberst v. Reuter sagte aus, daß schon vor dem Bekänntwerden der Wackes- geschichte Reibereien vorkamen, er verwies auf gehässige Auslassungen des „Zaberner Anzei gers" usw. Es rvar also eine böse Stimmung vorbereitet, die von Tag zu Tag gereizter wurde. Es toar etwa so wie zwischen zwei Nachbarn, die deutlich fühlen, daß zwischen ihnen etwas nicht stimmt, und nun auf den Ausbruch des offenen Zwistes warten. Man steht auf dem Grußfuß und denkt, wenn der etwas will, so soll er gefälligst zu mir kommen. Der Vorfall auf dem Bahnhofe, wo der Oberst dem Kreis direktor gegenüber seinem Groll Luft macht und ihn nach dessen Aussage „ansährt": „Warum kommen Sie nicht zu mir? Wissen Sie nicht, daß ich Rat zweiter Klasse bin und Sie nur Rat vierter Klasse" — ist für diesen Zustand überaus bezeichnend. O diese liebe deutsche Eigenart, dieses Versteifen auf die papierne Rangordiiung! Doch wenn das Vorkommnis kennzeichnend ist — wie viel mehr hat es dieser Kreisdirektor an gutem Willen fehlen lassen, wie wenig hat er getan, um Herr der Lage zu bleiben! Man wird das Gefühl nicht los, daß die Leute von Zabern der Verlegenheit des Mi litärs mit einiger Schadenfreude zusahen. Sie kam iHnen spaßig vor. Ein Karnevalsstückchen! Mochte Oberst v. Reuter zusehen, wie er fertig würde. Dieses böse, hämische Verhalten hat viel verschuldet, und kein Wort ist zu hart. Freilich: all das voll zugunsten des Obersten v. Reuter in Anschlag gebracht — eine Tat sache darf unter dein Eindruck des Prozesses nicht vergessen werden: zum Ausbruch kam das Unheil durch die Schuld des Leutnants von Forstner. Mit voller Absicht, aus seiner Auf fassung der Offizierspflicht heraus, hat Oberst v. Reuter die Verantwortung für das Tun und Lassen der untergeordneten Offiziere übernom men. Das ehrt ihn. Aber Herr v. Forstner ist bereits von dein Kriegsgericht zu Gefängnis verurteilt. Möglicherweise wird das Urteil in der Berufung gemildert. Trotzdem geht es nicht an, die Rechtfertigung, die sich Oberst v. Reuter vor seinem Gericht erstritt, nun ohne weiteres auf den Leutnant v. Forstner zu übertragen und nun so zu tun, als sei nun auch dessen Ver schulden nnsgelöscht. Die Wahrheit ist: Leutnant v. Forstner hat durch sein unbedachtes, grobes Auftreten vor den Nelrnten, durch die Wackes-Schimpferei die ganze böse Geschichte in Gang gebracht. Damals war durch ein rasches Zugrcifen noch alles zu verhindern. Oberst von Reuter weiß das ganz gut. Er berief sich auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen Unter suchung; niemand begreift aber, weshalb mit einer solchen Langsamkeit untersucht wurde, nie mand versteht, warum cs durchaus nicht anging, genau so zu verfahren, wie es in einer olden- burgischeu Garnison geschah, wo man einen Leutnant, der sich lange nicht in so bedenklicher Weise vergangen hatte, schleunigst versetzte. Was dort möglich war, ja in vielen anderen ähn lichen Fällen als das Richtigste und Einfachste erkannt wurde — warum dort nicht?! Weshalb dort der verhängnisvolle Entschluß: Nun erst recht nicht! ... Noch einmal werden in den nächsten Tagen die Wogen emporschlagen. Ueber Recht und Un recht wird gestritten werden. Wir glauben aber, daß der eben abgesponnene Prozeß das trübe Bild wesentlich geklart hat. Wir sind wenig stens einen Schritt weiter und dürfen hoffen, daß endlich der Tag kommen wird, an dem der dicke Strich unter ein böses Kapitel gezogen werden kann. k>oliMetie UeberlieM Der Mschie- ües Kronprinzen von seinem Danziger Regiment. Der Regimentsbefehl, den der Kronprinz anläß lich seines Scheidens vom 1. Leibhusaren-Regiment in Danzig am 16. Dezember beim Regimentsappcll verlesen ließ, hat nach der „Tägl. Rundsch." folgen den Wortlaut: Husaren meines Regiments! Ueber zwei Jahre habe ich mit euch denselben Rock getragen und derselben Standarte treue Gefolgschaft gehalten wie ihr. S. M. der Kaiser und König hat mir ein neues militärisches Arbeitsfeld angewiesen, und so habe ich zu gehorchen. Es wird mir verflucht schwer und das Herz will mir brechen, daß ich nun nicht mehr an eurer Spitze durchs Leben reiten soll: das werdet auch ihr in dieser Stunde fühlen, dessen bin ich sicher. Die beiden glücklichsten Jahre meines Lebens habe ich in euren Reihen verbracht: meine Jugend trage ich heute zu Grabe. Wohl kann man mich von euch trennen, aber mein Herz, mein Geist bleibt unter euch. Wenn einmal der König ruft und das Signal „Marsch! Marsch!" wird geblasen, dann denkt an den, dessen sehn lichster Wunsch es stets war, diesen Augen blick höchsten Soldatcnglückes an eurer Seite miterlcben zu dürfen. Das feste und innige Band aber, das euch, meine Kinder vom Regiment, mit mir unlöslich verknüpft, wird erst dann zerrissen werden, wenn auch für mich die Stunde des Abmarsches zur großen Armee dort droben geschlagen hat. Mein altes, heißgeliebtes Ncaiment Hurra! Wilhelm, Kronprinz. Der Kaiser hatte ebenfalls nach der „T. R." kurz darauf an den Kronprinzen folgendes Tele gramm gesandt: „An des Kronprinzen des Deutschen Reiches und von Preußen Kaiser!, und Kgl. Hoheit Danzig-Langfuhr. Es ist mir ein Bedürfnis und eine Ge nugtuung, Dir am heutigen Tage, an dem Du schwersten Herzens vom geliebten 1. Leib husarenregiment Abschied nimmst, meine An erkennung und meinen Dank auszuspre chen für das, was Du an der Spitze dieses schönen Regiments geleistet hast. Das Regiment wird allezeit stolz darauf sein, Laß es in Dir seinen Kommandeur verehren durfte. Möge der Neitergcist, den Du gepflegt und ge hegt hast, in dem Regiment wciterlebcn und Dein Beispiel stets Nachahmung finden! Wilhelm I. N." Ueber die unmittelbare Veranlassung z u r B e r s e tz u n g des Kronprinzen nach Berlin sind seinerzeit und jetzt wieder allerhand Vermutungen laut geworden. Die „T. N." glaubt folgendes als tatsächlichen Grund angcben zu dürfen: „Es war an Allerhöchster Stelle nicht unbekannt geblieben, daß die direkten militärischen Vorgesetzten des Kronprinzen in Danzig, der kommandierende General des 17. Armeekorps General der Kavallerie v. Mackense n und der Kommandeur der Leibhusarenbrigadc Graf v. Schmcttow sich Das Menschlein Matthias. (Erzählung von Paul Jlg. — Deutsche Verlags anstalt Stuttgart und Berlin.) Es ist zu verstehen, daß Paul Jlg seinen Roman dem Dichter von „Hanneles Himmelfahrt" widmete. Sind Eidgenossen, verschworen in Mitleid, der Schweizer und der Schlesier. Beide wißen: Kindes leid ist aller Leiden Leid. Das kleine Menschlein Matthias Böhli hat noch eine Mutter. Und sie liebt das Kind je mehr, je voller sie sich zum Weib und Menschen entfaltet. Aber die Jungfer Brigitte, das „Musterfräulein" in der großen Bleiche-Fabrik, kämpft einen harten Kampf um ihr Sein und Recht und kann den lebendigen Ballast nicht auf dem Kampfplatz brauchen. So muß der neunjährige Jung ein gotts erbärmlich Aschenbrödel-Leben führen droben im Hochgebirg bei der Basgotte (der Schwester seiner Mutter) und ihren niederträchtigen Rangen. Prügel und Hunger und Demütigung aller Art sind sein Elücksteil. Die Basgotte ist die Wirtin der kümmerlichen Herberg zum Gupf. Das Wirtshaus steht in einer der wundervollsten Einsamkeiten der Bergwiesen. Wer die Höh' erklomm und tief Atem saugt, dem schweigt der Hader der Welt in Seligkeit; doch nur, wenn er nicht ahnt, daß in der Almhütte nebenan die erbarmungslose Roheit eines Menschentieres haust. Die Schönheit seiner Heimat erschließt auch der Schweizer Jlg. Doch tut er's nicht wie ein ge fühlvoller Baedeker. Er sieht das Land durch seine Menschen, mit seinen Menschen. Sieht es am liebsten mit den Augen eines verträumten, wundgeschlagenen Knaben, der, wenn er zur Bergeinsamkeit flüchtet, viel zu kindlich ist, sie durch große Worte zu ent weihen. Ein rechter Spielball des tückischen Schicksals ist das Menschlein Matthias. Die erste große Sehnsucht erfüllt sich ihm. Die geliebte Mutter nimmt ihn zu sich, in die Stadt, in treue Hut. Lieblich ist ihm das Leben verwandelt, aber nur für kurze Frist. Eine neue Sehnsucht wird ihm zum Verderben. Der Knabe hat seinen Vater entdeckt, und da er nichts wissen kann von dem schnöden Los, das dieser Mächtige der Mutter bereitet hat, zieht ihn eine anbetende Liebe zu dem rauhen Manne. Auch über diesen Wüsten gewinnt die Stimme der Natur eine geheimnisvolle Gewalt; doch sie schweigt in böser Stunde vor dem Dünkel des Herrischen,, der sein eigenes Gefühl in Scherben schlägt, als die Zärtlichkeit des Kindes ihn vor den Leuten bloßstellt. Daß der „Dessinateur" Oberholzer in die Mesallianz mit der verführten Arbeiterin gelockt werden könnte, das empört den sozialen Stolz des Gebietenden. Es kommt zur Katastrophe zwischen den Eltern des Matthias, und das Knäblein ist das Opfer. Es muß wieder in die Verbannung, in die Berghütte zur Basgotte. Paul Jlg setzte sich nicht hin: „Jetzt schreibe ich den sozialen Roman der Schweiz!" Ihm war es von Anbeginn nur um ein Klein-Menschen-Herz zu tun. Aber weil keiner allein in der Welt steht, auch nicht ein verlassener Knabe, vielmehr all' das, was in weiten, weiten Kreisen um ihn ist, was er nicht sieht noch begreift, was vor seiner Geburt gewesen, ja, was seit Jahrhunderten sich schichtete, weil alles dies unlösbaren Zusammenhang mit seinem Schicksal hat: so ist das Kind Matthias auch der natürliche Mittelpunkt einer ganzen Welt des Geschehens und aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zustände. Paul Jlg schweift nicht ab zu sozialen Fragen und Zeitpanoramen. Er bleibt bei seinem armen Kna ben und dessen Schicksal. Doch ganz von selbst kri stallisiert sich um das Menschlein die Menschheit. Sie ist nicht schlechter in der Schweiz, als irgendwo. Im Gegenteil: gewiß freier und besser. Doch vor Leid und Eier und Unrecht ist nirgends auf Erden eines Paradieses Pforte verschlossen. Der Höhenmensch, von Nietzsche auf den Höhen der Schwerz erlebt, ist überall und immer ein einzelner. Nur mit flüch tiger Feder berührt Jlg die allgemeinen Erscheinun gen. Kein Wort der theoretischen Kritik fällt ab. In der Bleiche-Fabrik seines Romans lernen wir dennoch ein Stück Zeitgeschichte kennen. Vor 56 Jahren hat schon Johannes Scherr im „Michel" Len Kampf zwischen Besitzern und Arbeitern in einer Schweizer Fabrik dargestellt. Jlg begnügt sich mit kleinsten Episoden und spricht — ohne soziales Pathos — eindringlicher. Matthias ist in s Marterdasein bei der Basgotte zurückgeschleudert, und sein Kindesherz, ratlos brü tend über dem Warum, wird übervoll von Unglück. Mit schwerem Tragkorb muß das Knäblein. vor Hunger und Müdigkeit fast vergehend, als jüngster der Hausierer in grausamen Tageswanderungen Geld verdienen. Mancher, der Len Schweiß von der Kindesstirne tropfen sieht, wird schamrot in seine Menschenseele hinein. Verzweiflung treibt das Menschlein endlich zur Flucht. Wie der Knabe auf wunden Bettlerfüßen läuft und läuft, die Nacht hin durch; dann erschöpft schlummert und sich von Not und Sorgen freiträumt: dann wieder keuchend in s Unbestimmte flieht und endlich in der Statt in s Wasser stürzt —: das liest keiner ohne Herzqual. Mich tröstet es eigentlich nicht, daß da» Menschlein gerettet wird. Gerettet sogar von seinem rauhen Vater, der, als er jetzt seinem Sohne zum Meilen Male das Leben schenkt, selbst ertrinkt. Diese beson dere Fügung gemahnt — auf der letzten Seile des Buches — an Roman-Erfindung. Aber auch abge ¬ sehen von dem edlen Wunder: War dem Menschlein Matthias im tiefen See nicht am freundlichsten gebettet . . . .? Wer da mit der Dichter-Vorsehung rechten möchte, vergesse nicht, welch' inniges Vertrauen dieses Buch erwerben müßte. Der cs schrieb, ist vor vielen Menschen mit einem Herzen begnadet, das die KinLesseele bis ins heimlichste begreift. Ist cm Schreiber von so guter Schweizer Art, daß Meister Gottfried, hätte er solche Freude an seinem Samen erlebt, ihn gerne als Genossen grüßen würoe. Hermann Kienrl. Kunst UN- Wissenschaft. * Aus der Theaterchronik. Heinrich Ilgen- steins neues Lustspiel „Quisisana", das im Bremer Schauspielhaus seine Urauffüh rung erlebt, ist soeben als Buch im Verlage der Concordia, Berlin 8W ii, erschienen. — „Der Flüchtling", das letzte in London mit großem Erfolg gespielte Drama John Ealsworthys, ist auch bereits von mehreren größeren deutschen Bühnen im Manuskript erworben worden, u. a. vom Deut schen Volkstheater, Wien. Die Urauffüh rung findet am Stadttheater Stettin bereits am 15. Januar statt. * ?Parfifal"in Königsberg. Eineweitere„Parsifal"- aufführung fand im Königsberger Stadt theater statt. Die Aufführung war im Hinblick auf Gesang wie Inszenierung trefflich. Das Werk wurde anfangs mit andachtsvollem Schweigen, zum Schluß mit begeistertem Beifall ausgenommen. * Albert Riemann hat sich beim Besuch der „Parsif al"-Aufführung im Königlichen Opern hause in Berlin erkältet. Er verließ in der Pause nach dem zweiten Akt das Haus, nachdem er vorher noch von der kaiserlichen Familie in ein längeres Gespräch gezogen worden war. Wie wir erfahren, fühlte sich der Künstler schon seit einigen Wochen nicht ganz wohl, und das schlechte Wetter der letzten Zeit erlaubte ihm nicht, in der frischen Luft Erholung zu suchen. Dennoch wollte er bei der Aufführung des „Parsif al" nicht fehlen, und nun machen sich die Folgen unbequem bemerkbar, wenn auch zum Glück zu ernsteren Besorgnissen ein Anlaß nicht vorliegt. * Reger in Rürnberg. Pus Nürnberg wird uns geschrieben: Ein Konzert der Meininger Hofkapelle unter Regers genialer Leitung bildet den Höhepunkt des musikalischen Lebens dieser Saison. Regers eigene vier Tondichtungen nach I A. Äöcklin (Der geigende Eremit, Im Spiel der I Wellen, Die Toteninsel, Bacchanales wurden um- I rahmt durch Beethovens Egmont-Ouverture und neunte Symphonie. Der hiesige Lehrergesang- verein stellte seinen, anscheinend fleißig einstudierten Chor; Emma Tester, Stuttgart, Anna E r l e r, München, Leonor Engelhard, Dessau und Albert Fischer, Sondershausen sangen die Coli. Regers Direktion wirkte suggestiv aus Chor und Zuhörer, die auch die Leistungen des ausgezeichneten Orchesters zu würdigen verstanden. l^. 0. Der Internationale Kongreß für öffentliche Für sorge für Geisteskranke ist in Moskau heute, wie uns telegraphisch gemeldet wird, in Anwesenheit von 300 russischen und 30 ausländischen Delegierten eröffnet worden. * Papier aus Ginster. Auf der Suche nach Roh stoffen an Stelle des Holzes für die Papiererzeugung ist man in Südfrankreich auf den Ginster ver fallen, der sich wegen seines Faserreichtumes hierzu außerordentlich gut eignen soll. Da der Ginster auf dürftigem Boden gedeiht, ist er als äußerst billiger Rohstoff für die Papiererzeugung zu bezeichnen. Nach einer Mitteilung der „Revue" sind die ersten Ver suche damit, denen Italien als Vorbild gedient haben soll, recht vielversprechend: der Hektar liefert durch schnittlich 200 Zentner Rohstoff, der einschließlich der Beförderung bis zur Papiermühle für die Hälfte des Preises zu haben sein soll, den man für andere Pflanzenfasern in Frankreich bezahlt. 6000 ü« Roh ginsterfasern (getrocknet) sollen 4200 kq Papierjchliff- mässe ergeben, die etwa 20 Franken der Zentner wert ist. * Neues vom Leben des Lises. Zu den allbekann ten wunderschönen Kristallen der Schneeflocken und den ebenso schönen, winzig kleinen, nur durch Ver- größerungsgläser wahrnehmbaren Kriställchen, die das Gefüge des Flußeises bilden, kommt jetzt an- scheinend eine neue, höchst merkwürdige Kristallform des Eises hinzu. In den Veröffentlichungen des italienischen Alpenklubs berichtet nämlich ein Bergsteiger, daß er im September in der Ada- mellogruppe gewandert sei und nach langer Regenzeit einmal Frost hatte. Als er morgens weiter wan derte, bemerkte er in einer großen Wasserlache Eis, und dieses Eis harte ganz merk würdige Formen: es handelte sich um prachtvolle Kristalle des hexagonalen Systems, die wie riesengroße Schneeflocken aus sahen. Der Bergsteiger fischte einige davon auf und stellte fest, daß die Durchmesser zwischen 10 und 40 mm betrugen, während er die Dicke aut 1—3 mm angibt. Leider hatte er keinen photographischen Apparat bei sich, um diese Rieseneiskristalle im Bilde festzuhalten. Man muß ihm also vorläufig auf sein Wort glauben, daß er diese Kristalle wirklich gefunden hat. Er meint, es müsse möglich sein, im physikalischen Laboratorium unter geeigneten 'Bedingungen solche Eiskristalle von außerordentlicher Gröhe ebenfalls zu erhalten.
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