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— " —'—— — -— — .' 1/^ L^LH^ Erscheint jeden Wochentag Nachmitt.ff,6Uhr für den » Uü . andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 25 Pf-, E— W zweimonEch 1M. 50 Pf. und etmnonatlich 7b Pf. Inserate werden bi» Bormittag 11 Uhr angenom- ji OO>V mm und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile » ^OO G oder deren Raum 18 Pf. 40. Jahrgang. » Freitag, de» 14 Oktober. § reiAMFWA und TllgeUM. Amtsblatt fül die kömglicheu md städtischen Behörden zn Fttibcrg und Brand. LerMwortlicher Redakteur: Iuliu« Brauu in Freiberg. Soziale Zustände in Großstädten. Wer auf dem flachen Lande oder in kleineren Städten lebt, denkt sich zumeist das Leben in den so rasch anwach senden Großstädten weit schöner und genußreicher als es m Wirklichkeit ist. Das dort zu erringende Glück steht aber in keinem Verhältniß zu dem Elend, das sich in den Großstädten zusammen drängt, ebenso wie der dort ge zahlte höhere Lohn im Mißverhältniß steht zu den theueren Preisen der gewöhnlichsten Lebensbedürfnisse. Wie die Fliegen zum Licht, so fühlen sich trotzdem zahllose Menschen nach den großen Städten hingezogen, deren Prachtpaläste und reichgeschmückten Anlage»,, deren glänzende Geschäfts lokale und zahllose Bergnügungsorte die Noth nicht ahnen lassen, die in Dach- und Kellerwohnungen jener hohen Ge bäude verborgen haust oder in manchem engen Neben- gäßchen sich schamvoll versteckt. Der auf seiner Hände Arbeit Angewiesene findet in der Großstadt selten daS er träumte Glück, denn der übermäßige Drang nach den großen Städten erzeugt daselbst ein massenhaftes Arbeitsangebot, welches die Arbeitgrleaenheit weit übersteigt und die Löhne nicht annähernd jme Höhe erreichen läßt, die den Preisen für Wohnung, Kleidung, Speise und Trank entspricht Einzelnen glückt eS wohl, sich emporzuringen, aber weit mehr gehen m den Städten, wo sich Hunderttausende zusammendrängen, moralisch und physisch zu Grunde; eine weit größere Zahl starrt darbend voll bitteren Neides auf den vor ihren Augen sich blähenden Reichthum »md denkt- wehmüthig an die kleine billige Landstadt zurück, wo kein solcher Luxus aber auch keine so tiefe Noth vorhanden ist. Wer in einer aufblühenden, industriell regsamen Mittelstadt mit guten Bahnverbindungen, hinreichender Arbeitsgelegenheit und mäßigen Wohnung«- und Lebensmittelpreisen und erträg lichen Steuern lebt, der hat wahrlich Grund, sein Schicksal zu preisen und nicht die geringste Veranlassung, das in Großstädten vorhandene Scheinglück zu beneiden, neben dem so viele Entbehrungen sich verbergen. Mit dem sozialen Leben der Großstädte sind solche Ent behrungen in hohem Maße verknüpft und reichen die dort zu Gebote stehenden Mittel kaum aus, das bedauerliche Schicksal der vielen Tausende, die dort verkümmern, we sentlich zu erleichtern. Für die Richtigkeit dieser Behaup tung zeugt das grelle Streiflicht, daS kürzlich auf die Ver hältnisse der Unbemittelten in Wien gefallen ist und An regung zu einer Hilfsaktion gegeben hat, die jetzt mittelst wohlthätiger Spenden unter der Leitung des Bürgermeisters Uhl ill's Werk gesetzt wird. Noch vor Kurzem hatte man in Wien noch keine klare Vorstellung von den schweren Folgen, welche die dort jetzt vorhandenen ungünstigen Er werbsverhältnisse, der Arbeitsmangel und die Schwierig keiten der Lebenserhaltung für die Kinder der ärmeren Volksklassen Wiens haben. Kaum annähernd war es be kannt, wie viele Kinder in den Wiener V lksschulen zu Hause immer nur eine ganz unzureichende Nahrung erhalten, wie viele andere sogar dem erschöpfenden Hunger preisge geben sind. Es ist das Verdienst eines Mitarbeiters der ministeriellen Wiener alten „Presse", des Journalisten Lichtenstadt, in einer Reihe von ergreifenden Artikeln die Aufmerksamkeit des Publikums auf diese traurigen Ver hältnisse gelenkt und den ersten Anstoß zu weiteren Er mittelungen gegeben zu haben, die ein geradezu erschrecken des Ergebniß lieferten. Auf Veranlassung der Bczirks- schulinspektoren wurden in allen Wiener Volksschulen durch die Lehrer mit Schonung und Vorsicht erforscht, wie es mit der Ernährung der die Schulen besuchenden Kinder bestellt ist und wie viele derselben in Folge der Armuth ihrer Eltern zeitweilig oder regelmäßig Hunger leid- müssen. Diese furchtbare Statistik der darbenden Wiener Schulkinder stellte sich nach jenen Erhebungen wie folgt dar: 119 Schulkinder erhielten überhaupt kein Mittagmahl; 324 Schulkinder öfter kein Mittagmahl; 585 Schulkinder hatten nn Mgemeinen Nahrungsmangel; 266 Schulkinder Mittags nur ein Stück Brot; 184 Schulkinder kein marines Mittagmahl und 900 Schulkinder Mittags nur Brot und Kaffee oder Gemüse. Dabei gaben die Schulleiter an, daß diese Zahlen der hungernden Kinder im Winter noch be deutend wachsen. Die Wiener Volksschullehrer machen in ihren Berichten darauf aufmerksam, daß die darbenden Kinder kraft- und theilnahmlos in der Schule sitzen, ohne auf den Unter richt zu merken. Entsetzlich ist die ebenfalls festgestellte Thatsache, daß viele Eltern ihren Kindern Branntwein zu trinken geben, damit diese die Qualen des Hungers minder schmerzhaft empfinden, so daß diese unglücklichen Kinder betäubt durch den Genuß deS Branntweins in die Schule kommen. Viele Lehrer haben in hochherziger Weise mit dem Aufgebote ihrer bescheidenen Mittel der Noth, die sich täg lich ihren Augen darbot, zu steuern «sucht. Aber dadurch konnte natürlich nur in einzelnen Fällen vorübergehend geholfen werden. Nachdem erst die Thatsache, daß in Wien dritthalbtausend arme Schulkinder so bittere Noth leiden, zur allgemeinen Kenntniß gelangt war, regte sich in weiteren Kreisen das Mitleid und fanden sich selbst in einfachen Ver hältnissen lebende Familien zu einer Beisteuer für die Kinder der Armuth bereit und erfolgten die dankenswerthesten An erbietungen zur Linderung des Elends. Um die Hilfsaktion in großem Maßstabe zu organisiren, lud der Bürgermeister Uhl in Wien zu Mittwoch den 12. d. M. eine Anrahl einflußreicher Persönlichkeiten zu sich, aus welchen der Zen- tralausschuß für die Ernährung der hungernden Schul kinder Wiens hervorgehen wird. Der „Neuen Freien Presse" scheint dieser Weg zur Linderung der Noth zx weitläufig; dieselbe schreibt: „In den meisten an uns gerichteten Zuschriften wird betont, daß man die Kinder nicht länger hungern lassen dürfe und daß namentlich vor Eintritt der rauheren Jahreszeit Abhilfe geschaffen werden müsse. Für den ersten dringenden Bedarf werden wohl die von allen Seiten in erfreulicher Menge zuströmenden Anerbietungen ausbelfen, armen Kindern täg lich oder an bestimmten Tagen der Wpche die Mittagkost in bürgerlichen Familien zu verabreichen. Wir zweifeln nicht, daß die Lehrer und Schulleiter, welche die Noth der ihre Anstalten besuchenden Kinder aus eigener unmittelbarer Anschauung auf's Genaueste kennen, mit Freuden bereit sein werden, jeder wohlthätigen Hausmutter, die sich an sie wendet, einen solchen armen kleinen Kostgänger zuzuweisen. Dazu bedarf es vorläufig keines Komitäs, keines Vereins und keiner Organisation — das kann auf dem kürzesten Wege und in der raschesten Weise erledigt werden, wenn man sich an den Leiter der nächsten Schule wendet; denn leider hat ja in allen Bezirken, mit Ausnahme der inneren Stadt, fast jede Volksschule ihre nothleidenden und hungern den Schüler, die zugleich der Unterstützung Werth und würdig sind. Das Wünschenswertheste ist aber die Er richtung eigener Schulküchen und die Speisung der Kinder in den Schulen selbst, z. B. in den Turnsälen zu betrachten Solche Anstalten giebt es nicht nur in Breslau und München, sondern auch in Paris. Der um die Fortschritte der Schulhygiene hochverdiente Stadtphysikus von Kopenhagen, vr. Axel Hertel, hat sich in der aner kennendsten Weise über die Art und Weise der Beköstigung armer Kinder in den Pariser Schulen ausgesprochen. Es wäre deshalb ein dankenswerthes Werk von unvergänglichem Werth und Verdienst, wenn durch das Zusammenwirken der kinderfreundlichen Bevölkerung Wiens die Mittel aufgebracht würden, um mit Hilfe eines Beitrags der Gemeinde den Grund zu solchen Speise-Anstalten für die armen Kinder an den Wiener Volksschulen zu legen. Für die Errichtung solcher Schulküchen erboten sich u. A. die Wiener Kaiser!. Armee- und Marine-Lieferanten Jg. Eisler u. Co. vor läufig während des beginnenden Winters monatlich hundert Kilo Suppen-Extrakt gleich 4000 Portionen Suppe dem zu bildenden Verein für Speisung der armen Schulkinder zur Verfügung zu stellen." Wie bereits erwähnt wurde, ist ein derartiger massen hafter Nothstand nur in einzelnen Großstädten zu fin den und liegen die Verhältnisse in den meisten Mittel städten günstiger, besonders dort, wo im Laufe des ver flossenen Sommers zahlreiche öffentliche Arbeiten und die erhöhte private Bauthätigkcit den Unbemittelten günstige Gelegenheit m gutem Verdienst geboten haben. Mit der rauheren Jahreszeit steigt aber voraussichtlich auch hier die Arbeitslosigkeit und vermehren sich dann die Sorgen vieler armer Familien. Das ist die Zeit, in der sich der hohe Werth einer geordneten Armenpflege besonders geltend macht und die eine gesegnete Wirksamkeit zur Linderung der Noth entfallenden müden Vereine die thatkräftigste Unterstützung aller Edeldenkenden erhalten sollten. Die Ent hüllung einer der traurigsten und dunkelsten Seiten des großstädtischen Lebens soll und kann nur dazu dienen, uns das recht schätzen zu lassen, waS uns in unseren Mittel städten vor ähnlichen Zuständen schützt und bewahrt und muß alle Wohlmeinenden zur eifrigen Unterstützung der öffentlichen und privaten Armenpflege anspornen. Tagesschau. Freiberg, den 13. Oktober. lieber da» Befinden de» deutsche« Kronprinzen wird au» London gemeldet: „Der auSBaveno hierher zurückgekehrte Spezialarzt vr. Mackenzie erklärt, daS allgemeine Befinde» de» deutschen Kronprinzen sei vorzüglich, wa» nicht der Fall sein würde, wenn eine bösartige Wucherung seit Monaten vor handen wäre. Mein gewisse Erscheinungen lassen leid« Raum zu Besorgnissen, die sich vielleicht doch noch al» unbegründet erweisen werden. Der chronische Katarrh zeigt nämlich Neigung zu akuter Luftröhrenentzündung, und von dieser, begleitet von starkem Fieber, litt der deutsche Kron prinz während der letzten Tage seines Aufenthalt» in Toblach. Diese akute Entzündung wurde wohl, Dank sofortiger ärztlich« Behandlung, beseitigt und erwie» sich der Aufenthalt in «ine« südlicheren Kltnia bereit» al» günstig, da die Entzündung ver schwand und der frühere Zustand eintrat. Allein eine der artige Entzündung selbst der oberen Schleimhäute giebt zu der Befürchtung Anlaß, daß dieselbe sich wiederhole» könnte nud dann eine Entzündung der tief« liegenden Gewebe einttett» könnte, welche zu struktuellen Veränderungen der tief« liegen den Gewebe unter den Schleimhäuten führen könnte. Haupt aufgabe der Arrzte ist nun die Verhütung einer abermalig« Entzündung der Luftröhre, wozu warme» Klima und Ent haltung von Sprechen nöthig ist. Wahrscheinlich wird der deutsche Kronprinz nach San Remo oder Nervi geh«. Momentan besteht die Krankheit in chronischem Katarrh, ab« von ziemlich hartnäckigem Charakter. Die Aerzte zweifeln nicht, daß dieser durch da» Klima eine baldige Beseitigung hoff« läßt, wa» bei dem vorzüglichen Allgemeinbefinden und der guten Laune de» Kronprinzen auch erwartet wird. Sowohl Schrader al» auch Hovell, die beiden Doktor«, die d« Sronprinzm begleit«, find tüchtige Aerzte." — Nach einer offiziös« Ankündigung darf r» nun als sicher be ttachtet werden, daß der deutsche Reichstag wie seit Jahren so auch diesmal im November einberufen werden wird. Ein bestimmter Termin ist hierfür aber noch nicht festgesetzt. Ebenso wird an der bisher üblichen Einberufung de» Land tags für Mitte Januar nichts geändert werden. In den ver schiedenen Regierungsbehörden des Reiches wir Preußens wird eifrig an der Etataufstellung und den weiteren Borlagm ge arbeitet lieber das den Parlament zugehende Material liege« begreift.cher Weise noch keine endgiltigen Beschlüsse vor, zumal die Bedürfnisse sich noch nicht übersehen lasten. Sicher ist, daß dem Reichstage diesmal auch ein Entwurf über die Verlängerung der Geltungsdauer des Sozialistengesetzes zu gehen wird. — Der deutsche Bundesrath unterzog alle Formulare für die von den Ortskrankenkassen u. s. w. aufzn- stellcnden Uebersicht« und Rechnungsabschlüsse einer Ab änderung. Da» neue Formular unterscheidet sich von dem alten dadurch, daß zunächst die monatlichen Mitgliederzahl«« anzugcben sind. Diese Zahlen find sür 1>ie statistische Be arbeitung, für welche die Uebersicht das Material liefern soll, durchaus nothwendig. Die Unterscheidung zwischen gesetzlich versicherungspflichtigen, statutarisch versichrrungspflichttgen und freiwilligen Mitgliedern ist fortgefallen, desgleichen die Unter scheidung bei den Angaben der Erkrankungsfälle und der KrankheitS- tage hinsichtlich der in Folge von Betriebsunfällen Erkrankten. Die Angaben der „Uebersicht" können naturgemäß für die Auf stellung einer vollständigen Krankenstatistik nicht genügen; e» fehlt die Angabe deS Alters des Erkrankte» und die Art der Krankheit für jeden einzelnen Krankheitsfall. Derartige Angaben könnten aber unmöglich in die „Uebersicht" aufge- nommen werden und so hat sich die Gewerbedrputation de» Berliner Magistrats entschlossen, für die unter ihrer Aufsicht stehenden Krankenkasten eine besondere Statistik auszustcllen. Das Material hierfür soll in der Weise beschafft werden, daß ein kurzes Formular mit vier Fragen von dem betreffend« Kassenbeamten nach Beendigung jedes Krankheitsfalles, d. h. also bei Auszahlung des letzten Krankenscheines auSgefüllt wird. Die gesammelten Formulare werden alsdann dem Statistischen Amte der Stadt Berlin zur Aufarbeitung über wiesen. Es wäre zu wünschen, daß die größeren Städte deS Reiches dem Beispiele Berlins folgten, damit für die gegen wärtig noch gänzlich fehlende Arbeiter-Krankcustatistik reichere» Material gewonnen wird. Das abgeänderte Formular sür den „Rschnungsabschluß" zeichnet sich durch größere Ueber« sichtlichkeit aus, desgleichen das Formular sür den „BermögenS- ausweiS". Gleichzeitig haben die verbündeten Regierungen Vor schriften über die Art und Form der Rechnungsführung der Orts-.Kranken kaffen rc. vereinbart, wonach vom 1. Januar 1888 an jede Kaste zur Führung eines Mitgiiederverzeichmsses,