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Die „Ottendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich 1 Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „Spiel und Sport" und „Deutsche Allode". Annahme v»n Inseraten bis »ormittaz Uhr. Inserate werden mit zg Pf. 'für die Spaltzeilr berechnet. Tabellarischer Satz nach be sonderem Tarif. Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-Gkrilla. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühle in Groß-Dkrilla. Nr. 132. Mittwoch, den 4. November 1903. 2. Jahrgang. Donnerstag, den 5. November 1903, UM" abends 8 Uhr öffentliche GemeinderatMbnng. Ottendors-Moritzdorf, am 2. November 1903. Der Gemeindevorstand. Lincke. Oertliches und Sächsisches. Ottendorf-Okrilla, z. November 1903. — November! Der trübeste und traurigste im ganzen Chor der Monate des Jahres! Ob er's diesmal besser machen wird, ob er sich freundlicher gestaltet als sein Ruf: wer will es voraussagen? Die von ihm überreichte Visiten karte nimmt sich einigermaßen nett aus. Auf Empfehlungen ist aber oft wenig zu geben. Naundorf bei Kötzschenbroda. Sonnabend gegen 12 Uhr nachts brach in der mit Ernte vorräten reichgefüllten Scheune des Gutsbesitzers Moritz Nicolaus infolge böswilliger Brand stiftung Feuer aus. Das Element verbreitete sich mit großer Schnelligkeit in dem ganzen Gebäude und legte es bald in Asche. In zwischen hatte auch das benachbarte Wohnhaus des Wcingutsbesitzcrs Benedix zu brennen an gefangen. Den Feuerwehren gelang es nicht, den Brand zu dämpfen und bald stand auch dieses Gebäude in Flammen. Mit Mühe wurde daS Vieh in Sicherheit gebracht. Der Schaden der Besitzer und eines Mieters ist durch Ver sicherung ziemlich gedeckt. Dresden. Seit einigen Tagen weilt der Direktor einer großen englischen Verkehrsgesell schaft mit zwei Ingenieuren hier, um den Betrieb der gleislosen Bahn nach Klotzsche kennen zu lernen. Man will dort in den stark belebten Straßen die Schienen, als den übrigen Verkehr stark hindernd, beseitigen. — Am Sonntag nachmittag stürzte auf der Johann-Georgen-Allce ein Radfahrer, dem ein Knabe ins Rad lief, mit dem Rade schwer hin und mußte infolge seiner Verletzungen dem Friedrichstädter Krankenhause zugeführt werden. — Am Sonntag vormittag glitt ein Herr beim Herabgehen einer Treppe auf der Struve- straße auf der oberen Stufe aus und stürzte die Treppe, mit dem Kopf aufschlagend, hinab. Er zog sich eine bedeutende Kopfwunde zu und verfiel in Krämpfe, die seine Ueberführung in das Friedrichstädter Krankenhaus notwendig machte. — Am Sonnabend wurde in der Flur eines Hauses Nr. 25 des Dürer-Platzes ein lOjähriger Schulknabe mit zertrümmertem Schädel vor- gefundcn und sogleich nach der Hilfsstelle des Carolahauses gebracht, wo der diensthabende Arzt den inzwischen eingetretenen Tod des Verunglückten feststellte. Die Erörterungen über diesen Unfall haben ergeben, daß der Knabe beim Turnen am Geländer der spiralförmig angelegten Treppe aus dem vierten Stockwerke in den sogenannten Lichtschacht abgestürzt ist. Köttewitz bei Dohna. Ein nicht unerheb liches Schadenfeuer, das sehr schwere Folgen hinterlassen konnte, entstand am Neformations- fest früh nach 10 Uhr in der hiesigen Papier- fabrik. Im Kesselraume war ein Arbeiter beim Auflegen einer Riemenscheibe der Petroleum lampe zu nahe gekommen, so daß sic herunterfiel, explodierte und die Umgebung in Brand setzte. Das Personal der Fabrik, soweit es anwesend war, ging sofort an die Löscharbeit. In kurzer Zeit wurde mittelst der Fabrikspritze das erste Wasser dem Brande zugefühlt. Nach allen Ortschaften der Umgebung wurde telephoniert und die Feuerwehr von dem Brande in Kennt nis gesetzt. Bald erschienen die Wehren von Dohna, Mügeln, Weesenstein, Maxen usw-, die das immer mehr überhandnehmende Feuer mit aller Energie zu löschen suchten. Eine furcht bare Rauchwolke verkündete weithin das Branvunglück. Der unermüdlichen Tätigkeit der Wehren und des Fabrikpersonals ist es zu ver danken, daß die Fabrik nicht ein Raub der Flammen geworden ist. Um 12 Uhr mittags war das Feuer lokalisiert und die Wehren konnten wieder nach ihren Ortschaften zurück kehren. Der Schaden, den das Feuer, sowie die Wassermengen angerichtet haben, ist be deutend. Freiberg. Unter dem Verdachte der Brandstiftung wurde der Besitzer des Gutes „Sachsenhof" auf Veranlassung der Königlichen Staatsanwaltschaft verhaftet. D^-Scheune des genannten Gehöftes ist bekanntlich am Montag früh niedergebrannt. Grüneburg. Ein nächtlicher Ueberfall ist am Mittwoch hier verübt worden. Man be richtet dem „Freib. Anz." hierüber aus Hals brücke: Gestern Abend gegen 10 Uhr ist der Hüttenarbeiter Max Schreiber aus Grüneburg auf dem Heimwege von Freiberg begriffen, un gefähr 10 Minuten vor seiner Wohnung, von zwei Männern überfallen worden. Die letzteren haben ihn derart mit Knüppeln über den Kopf und in die Beine geschlagen, daß er zusammen- gcbrochen ist. Alsdann haben die Unholde ihm Erde in den Mund gestopft und ihn mit einer Schnur am Halse so lange gewürgt, bis der Bedauernswerte bewußtlos wurde. Nicht genug hiermit haben sie ihn alsdann in den Waffer- trog der Niclasschen Wirtschaft geworfen, der glücklicherweise nicht ganz mit Wasser gefüllt war. Wie lange Schreiber hier gelegen hat, kann er nicht aussagen. Später hat er sich mit Aufbietung der letzten Kräfte herauS- gearbcitet und, am ganzen Körper durchnäßt, in seiner Wohnung Ausnahme gefunden. Schreiber hatte die Absicht, sich am nächsten Sonntag zu verheiraten. Die Verüber dieser gemeinen Tat und die Beweggründe zu derselben sind bis jetzt noch nicht ermittelt. Oelsen bei Pirna. Hier war die ans Krankenlager gefesselte Ehefrau des Gutsbesitzers Schneider in der Nacht in der Fieberhitze un bemerkt aufgestanden und hatte sich aus der Wohnung und dem Hause ins Freie geflüchtet. Man fand die Unglückliche im Straßengraben als Leiche vor. . Döbeln. Auf hiesigem Bahnhofe sind Freitag vormittag beim Rangieren drei beladene Güter wagen entgleist, wodurch das Hauptgleis für die Züge nach und von Leipzig auf etwa drei Stunden gesperrt war- Die Reisenden der vormittags 8 Uhr von Leipzig nach Dresden und 7 Uhr 40 Min. von Dresden nach Leipzig verkehrenden Personenzüge mußten hier um steigen. Verletzt wurde niemand. Mittweida. Bei der Verlegung eines Petroleumbehältnisses am 21- August aus dem Eckertschen Kaufhause nach dem Hofe desselben entstand infolge leichtsinnigen Umganges mit einer Lötlampe eine Explosion, durch die ein siebenjähriges Mädchen derart schwer verbrannt wurde, daß es am nächsten Tage verstarb. Den Tod des Mädchens verschuldet zu haben, stand am Mittwoch vor dem Landgericht Chemnitz der 30 Jahre alte Klempner Kaspar Steiger, der als Monteur bei der Filiale der deutsch amerikanischen Petroleumgesellschaft in Wald heim angestellt war. Er wurde mit zwei Monaten Gefängnis belegt. Chemnitz. Der „Gründer" Kossub, der durch das Projekt eines Zoologischen Gartens in weiten Kreisen von sich reden machte, ist wegen Unterschlagung zu fünf Monaten Ge fängnis und zweijährigem Ehrenrechtsverlust verurteilt worden. Kossub, der mehrfach vor bestraft ist, wußte sich in vornehmen Familien von Chemnitz Eingang zu verschaffen, erließ große Inserate in den Tageszeitungen, hielt Vorträge und gründete schließlich einen Verein, der durch Entnahme und Vertrieb von Aktien das Projekt des Zoologischen Gartens ver wirklichen sollte. Auf eingezogene Erkundigungen erfuhr der Rat jedoch, daß er es mit einem vorbestraften Menschen zu tun hatte und wies ihn ab. Auch hat Kossub den Inhaber einer hiesigen Firma unter dem wahrheitswidrigen Vorgeben, zwei große Brauereien hätten ihm die Unterstützung mit vielen Tausenden zu gesichert, zur Hergabe eines Aktienanteils von 533 Mark 33 Pfg. veranlaßt. Crimmitschau. Die Lohnkommission der streikenden Textilarbeiter hat jetzt, den Beschlüssen der letzten fünf öffentlichen Arbeiterversamm lungen stattgebend, erneut das Gewerbegericht als Einigungsamt angerufen. Die Streikleitung warnt in einem am Freitag verbreiteten Flug blatte die Ausständigen wiederholt, nicht zu den alten Arbeitsbedingungen in die geöffneten Fabriken zu gehen. Dem Deutschen Textil- arbeiterverbande hat der Kampf, nachdem er nunmehr die zehnte Woche andauert, bis jetzt 600 000 Mark gekostet. An freiwilligen Bei trägen sind bis jetzt 175000 Mark aufgebracht worden. Johanngeorgenstadt. Das 250jährige Stadtgründungsjubiläum wird am 23. Februar 1904 hier festlich begangen. Plauen i. V. Vergangenen Freitagnachts hat sich im Walde bei Mehltheuer der in der Mitte der fünfziger Jahre stehende Zollsekretär von Teubern aus Plauen erschossen, v. T. war Veteran von 1870/71 und seit vielen Jahren im hiesigen Zollamte tätig. Plauen i. V. Durch unlauteres Geschäfts gebaren hat sich der 41 Jahre alte Musiik- instrumenten-Fabrikant Gustav Albin Bauer in Markneukirchen eine empfindliche Strafe zu gezogen. Aus Versehen war im Mai d. I. eine Postkarte aus Kaiserslautern statt bei dem eigentlichen Adressaten — einer anderen Musik instrumentenfirma in Markneukirchen — bei Bauer abgegeben worden. Auf dieser Karte verlangte eine Firma in Kaiserslautern Auskunft über den Verbleib bestellter Geigen. Bauer lieferte die Karte nicht an den Adressaten ab und machte seinerseits der Firma in Kaisers lautern Angebote. Durch den weiteren Brief wechsel und Anfragen stellte es sich heraus, daß jene Postkarte von Bauer unterdrückt worden war, und da Strafantrag gestellt worden war, so hatte sich Bauer jetzt wegen Unterdrückung einer Urkunde vor dem hiesigen Landgericht zu verantworten. Trotz seiner Angabe, er habe die Karte nur versehentlich zurückdehalten, wurde er zu einer Woche Gefängnis und 900 Mark Geldstrafe oder weiteren 60 Tagen Gefängnis verurteilt. (CH- Tgbl.) Aus der Woche. Die Einigkeit der Mächte in ihren Forder ungen der Türkei gegenüber bringt den Sultan in eine fatale Lage und besonders will ihm die Kontrolle nicht gefallen, die Rußland und Oester reich in Mazedonien ausüben wollen. Viel Respekt vor der Souveränetät des Beherrschers aller Gläubigen verraten allerdings die Forder ungen der Großmächte nicht und der Grund satz, daß kein Staat ein Recht habe, sich in die inneren Angelegenheiten eines andern Staates einzumischen, gilt gegenüber der Türkei nicht. In unerhörter Weise werden von feiten Rußlands die Deutschen in Kurland und Esth- land geschuhriegelt, aber das mächtige Deutsch land kümmert sich nicht darum; den Finnländern werden Daumschrauben aufgesetzt, damit sie sich ihrer nationalen Vorrechte begeben und in das große russische Reich aufgehen, aber Schweden, das sogar dazu durch Staatsverträge berechtigt wäre, versucht nicht einmal, seinen ehemaligen, jetzt so sehr bedrängten Untertanen die papierne Hilfe einer diplomatischen Note angedeihen zu lasten. Warum verfährt man dem Sultan gegenüber anders? Weil hier viele auf einen hacken können, der sich der vielen nicht zu er wehren vermag, und weil jeder hofft, etwas Besonderes noch für seine eigenen Interessen herauszuschinden. ES unterliegt keinem Zweifel, daß die mazedonische Frage auch in Wiesbaden behandelt werden wird, wo nächster Tage Kaiser Wilhelm und der Zar zusammentreffen. Der Reichskanzler Graf Bülow wird gleichfalls an wesend und Graf Lambsdorff aus Paris zurückgekehrt sein, so daß man auch „Geschäft liches" abmachen kann. Die Leiter der russischen Politik fließen von Friedensversicherungen geradezu über, der Ausdruck „Friedenszar" als Bezeich nung für Nikolaus 11. muß schon in das politische Lexikon ausgenommen werden. Aber es ist bequem, „Friedenspolitik" zu treiben und gleichzeitig in die Rechte anderer einzugreifen, wenn man weiß, daß die andern zu schwach sind, sich dagegen zu wehren. Die Mandschurei läßt Rußland trotz aller gegenteiligen Ver sicherungen nicht wieder fahren, hat es doch deren uralte Hauptstadt Mukden, die es schon geräumt hatte, wieder besetzt. Als Entschuldig ungsgrund dient ihnen, daß sich die chinesische Regierung als zu schwach erweise, dort die Ordnung aufrecht zu erhalten und Rußland sieht sehr auf Ordnung, überall will es ordnen: in Polen, Finnland, im Kaukasus, in Afghanistan, in Mazedonien, iu Ostasien. Und so ordnen sie denn mittelst ihrer Kosaken. Die Knute ist die Vormacht Europas. — In Ungarn scheinen sich endlich die Wogen zu glätten. Stephan Tisza, der Sohn des großen Koloman, wird jetzt die Krise zu beenden suchen. Allerdings ganz leicht wird ja die Aufgabe nicht sein, aber „der Bien muß". Zuckerbrot und Peitsche sind die Auskunftsmittel, zwischen denen Tisza die Wahl hat und der vernünftige Dompteur wählt immer das Zuckerbrot zuerst. — In Marokko ist zur Abwechselung wieder einmal Bu Hamara obenauf; er soll im Norden des Landes un umschränkt herrschen. Er sollte doch Marokko mit dem Sultan teilen und auch den Franzosen ein ordentliches Stück abgeben, dann wäre allen geholfen! — Italiens Ministerkrise ist gleich falls beendet. Zanardelli hat dem Unwillen des Landes wegen des unterbliebenen Zaren besuches weichen müssen und Giolitti wird das Staatsruder führen, derselbe, der vor zehn Jahren wegen der Zettelbank-Skandale als Ministerpräsident zurücktreten mußte und der dann in Charlottenburg bei Berlin — man weiß heut noch nicht aus welchelm Grunde — in allen seinen Bewegungen von einer großen Schar italienischer Geheimagenten in peinlichster Weise überwacht wurde. Crispi, den er hatte stürzen helfen, war nicht gerade sein Freund und Crispi war auch wie sein großer deutscher Freund ein tüchtiger Haffer. — In Frankreich nimmt Minister Combes eine Sprungstellung ein, um über die letzten Reste der Kongregationen herzufallen, denen nun auch das Unterrichtsrecht genommen werden soll. Der neue Papst soll ja ungemein friedlich, er soll ja ein „nur religiöser" Papst sein. Wie er sich einem Lande gegenüberstellen wird, das in der bekannten Weise gegen katholische Körperschaften vorgeht, das einst von einer „allergläubigsten Majestät" regiert wurde, ist abzuwarten. Soviel aber dürfte heute schon feststehen, daß Loubet bei seinem Gegenbesuche in Rom vom Papst nicht empfangen wird. Das ist eigentlich unrecht, denn er billigt das antikirchliche Vorgehen nicht, aber er ist gegenüber der radikalen Kammer mehrheit machtlos und muß ausführen lassen, was diese beschließt. Seine Ueberzeugung, sein persönliches Empfinden kommen nicht weiter in Betracht.