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Nummer 162 - 24. Jahrgang 6mal wöchentl. Bezugspreis: fiir Juli A e,nsck>1. Bestellgeld. Anre genpreiser Tie Igesp. Petttz«tle 3» Stellengeiuche 28 Ti« Petn-Reklamezeile 83 Millimeter breit. 1 Offertengebühr für Selbst» abholer 28 H, bet Uebersendung durch die Post außerdem Portozufchlag. Einzel-Nr. 18. SonntagS-Rr. IS Velchästltcher Teil: Josef Fohmann, Dresden. SüctlMe Freitag. 17. Juli 192S Leistung von Schadenersatz. übermittelte Anzeigen übernehmen lvir keine Berank Wortung. Unverlangt eingesandte und mit Rückport, nicht- versehene Manuskripte werden nicht ausbewahrt Sprechstunde der Redaktion v bis 6 Uhr nachmittag» Hauptschristleitrr: Dr. Joses lillbert. Dresden Geschäftsstelle, Druck »xd Verlag, Saxonia- Buchdruckerei GmbH.. Drcsden-A. IS. Holbeiustratze IS. gcrurui 32722. Posischeckkoulo Dresden I47S7. Banllonlo Basscngc 6 flritzsche, Dresden. Für christliche Politik und Kultur Redaktion der Sächsischen Volkszeitung Dresdeu.SUlli. I«. Hoibeiuslrage «s. ssernru! 3272! und Schon wieder „einmütig" Gestern ist das Reichskabinett zur Beratung der Antwort auf die französische Sicherheitsnote zusammen- getreten und hat sich nach dreistündiger Sitzung auf einen Entwurf der Antwort „geeinigt". Die Absendung der Note wird erfolgen, sobald das Kabinett mit dem Aus wärtigen Ausschuß des Reichstages und mit den Mini sterpräsidenten der Länder Fühlung genommen hat. Die große politische Aussprache im Reichstag wird dann nächste Woche stattfinden. Das ist der gegenwärtige Stand der Dinge. Und die Harmlosen könnten glauben, daß nun wieder einmal alles in guter Ordnung sei. Es war ja in den letzten Tagen allzu bekannt, daß in Berlin nicht alles inehr stimmte, daß im Kabinett große Schwierigkeiten bestan den und vor allem Stresemann auf das ärgste von der eigenen Regierungspartei, den Teutschnationalen, be drängt wurde. Luther hatte einen schweren Stand, und man merkte deutlich bei seinem Dresdner Besuch, daß er etwas auf dem Herzen hatte. Er ging uin alle Probleme herum, sagte den sächsischen Behörden schöne und viele Worte und hatte letzten Endes doch gar nichts gesagt. Er flog schleunigst nach Berlin zurück. Dort hatten sich die Dinge immer schärfer zugespitzt, und der Kanzler mußte irgendeinen Ausweg finden, um einerseits seinen Außen minister zu halten (wenigstens bis zu dem Tage, wo die Antwort an Frankreich abgeschickt ist) und andererseits die Deutschnationalen stärker an die Negierung zu bin den. Und Luther hat einmal wieder einen Ausweg ge funden. Er hat die Deutschnationalen damit beschwich tigt, daß er sich auf die von ihnen geforderten Agrar mindestzölle festlegte. So wurde es dann möglich, daß auch im gestrigen Kabinettsrat eine „Einmütigkeit" auch bezüglich der Antwortnote an Frankreich festgestellt wer den konnte. Wir wollen hier gar nicht auseinandersetzen, ob es überhaupt möglich sein wird, die Agrarzölle durch zubekommen. Nach dem gegenwärtigen Verhalten eines Teiles des Zentrums und der Deutschen Volkspartei ist das durchaus nicht sicher. Aber das sind ja Dinge, die schließlich „noch weiter zurückliegen". Der Kanzler wollte wenig st ensfürdenAugenblick die Krise beseitigen und die „Geschlossenheit" des Kabinetts in der außenpolitischen Frage Herstellen. Diesen Augen blickserfolg hat er für sich. Man merkt schon, wie brüchig es in Berlin in Wirk lichkeit aussieht. Sogenannte Augenblickserfolge sind immer fatal. Auch vor ungefähr 14 Tagen, als die Deut sche Volkspartei durch Ausstellung ihrer sogen. „Richt linien" die Verbindung mit den Deutschnationalen erneut herzustellen suchte, sprachen wir von einem Scheinerfolg. Bekanntlich hatte damals die Volkspartei zuerst die Ab sicht, durch Einbringung einer Interpellation die Stel lung der Parteien zum Sicherheitspakt in öffentlicher Aussprache im Reichstag streng und eindeutig klären zu lassen. Die Deutschnationalen hätten sich dann entschei den müssen. Man hätte dann sehen können, ob wenig stens die Regierungsparteien geschlossen zum Pakt stan den. Weil aber tatsächlich die Deutschnationalen, trotzdem sie Regierungspartei sind, nicht geschlossen hinter dem Pakt standen, und durch eine offene Reichstagsaussprache alle Welt die Uneinigkeit der deutschen Regierung erst richtig durchschaut hätte, so wünschte damals Luther, daß die Aussprache unterblieb. Und die Volkspartei kam dann mit ihren „Richtlinien" den Deutschnationalen ent gegen. Auch damals war also scheinbar die Einmütigkeit hergestellt. Aber wir zweifelten mit Recht daran. Und in der Tat setzten sofort darauf die Angriffe der Deutschnatio nalen gegen Stresemann erneut ein. Während vorher nur der äußerste rechte Flügel gegen ihn gekämpft hatte, trat nun auch der Führer der Deutschnationalen Partei. Graf Westarp, zunächst im Auswärtigen Ausschuß und dann in der Presse gegen den Außenminister ans und betonte, daß sein Sicherheitsangebot mit der Stellung nahme der Negierung nichts zu tun habe. Somit war es soweit gekommen, daß der Außenminister von dem Füh rer der eigenen stärksten Regierungspartei auf das hef tigste befehdet wurde. Das war natürlich ein unerträg licher Zustand. Ja man sprach bereits von einem Rllm- tritt Stresemanns. Und in der Tat gewann die Meinung an Boden, daß die Deutfchnationalen eher bereit wären, sich über die Grundzüge des Sicherheitspaktes zu einigen, wenn das Außenministerium von einer anderen Persön lichkeit übernommen würde. Luther aber wußte, wel chen mißlichen Eindruck ein Rücktritt Stresemanns im gegenwärtigen Augenblick im Ausland Hervorrufen mußte. Und so fand er den Ausweg durch seine oben erwähnte Festlegung auf die Agrarmindestzölle. Und im Anschluß daran fand gestern die „Einigung" im Kabinett statt. Es zeugt wirklich von einer sehr unmündigen poli tischen Denkungsart, wenn gewisse Blätter heute davon M »M MW«? Neben den großen außenpolitischen Fragen nehmen die in- nerpolitischen Schwierigkeiten unvermindert die Aufmerksamkeit des Kabinetts in Anspruch. Vor allem ist es der Finanz ausgleich und die großen Mehrbeivilligungen durch die Neichstagsausschüsse, die der Negierung Sorge machen. Da der Neichsfinanzminister in der Frage des Finanzausgleichs keiner lei Konzessionen machen will, ist mit einem Einspruch des Reichs- rateg zu rechnen. Der bayrische Ministerpräsident Dr. Held, Wer dessen scharfen Angriff über den Finanzausgleich wir be reits gestern berichtet haben, befindet sich heute i» Berlin, wo er Besprechungen mit dem Reichskanzler führt. Sollte der Reichsrat Einspruch erheben, dann wird am 1. Oktober eine pro visorische Regelung notwendig. Das Reichsstnanzininistcrium rechtfertigt seine Haltung damit, daß schon heute durch die star ken Mehrbewilligungen mit einem Defizit von 1 Mil liarde gerechnet werden müßte. Streichungen an den Aus gaben und Erhöhungen der Stenern würde« notwendig sei», um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Esten 16. Jnl>. Zu der bereits vor einige» Tagen gebrich ten Meldung über erfolgte Eluschränkuugen verschiedener Zrhen- betnebe der Geist n k i c ch e „ c r B e r g we r k s n k t i e » g e - stell schaft erfahren wir noch, daß sich die Verwaltung der Gesellschaft infolge der Absatzkris: genötigt sieht, je eine» Hoch ofen des Gelsenk>rchenec Weckes sowie der Vulkanhiitte in Duis burg außer Betrieb zu sehen, so daß künftig von de» 9 Hochöfen der Gesellschaft nur „och zwei unter Fe„er stehen werden. Auch das Httstener Werk der Gesellschaft hat eine erhebliche Einschränkung erfahre». - Die Verwaltung der Zeche „Adler" hat gestern der Beleg schaft durch Anschlag zur Kenntnis gebracht, daß sie infolge der trostlosen .nbsahvcchältn>!se gezwungen sei, den Betrieb cn- znstellen und der gesamte» Belegschaft zi. J„l> z» kü idigm Von der Kündigung werden etwa 600 Arbeiter und 60 Ange stellte betroffen. Berlin 16. Juli. Die Obleute der Gemeinde- und Staatsarbeiter haben nach langen Beratungen beschlos sen, die von der Direktion der Gas- und Waistrwerkc vorge- schlagcuc Stundenlohncrhöhung von 4 Psg. ab 1. August als unzureichend zu erftären. Gleichzeitig wurde beschlossen, sich >n diesem Konflikt noch einmal an das Neichsarbeitsmiuifterium zu wenden. Heute abend soll noch einmal eine große Funk- Honärversammliing der Gemeinde- und Staatsarbeiter statt« finden, in der vs.rntutlich die endgültige Entscheidung sallm wicd. Aachen 16. Jn!>. Tie EiingungSvcrhaudlungen zur Schlichtung des Lohnkampfes in der hiesige» Nadelindu strie sind gescheitert: damit ist di« letzteMoglichkeit einei'Schlich- tung oes Lohnkampfes erschöpft. Morgen, Tounerstag, dem KnndigniigStermin, ist mit Aussperrung der Belegübafte» der gesamten Nad.'lindnstcie des hle'igcn Bezirks zu rechnen. Saarbrücken l6. Jul>. In der gestrigen Verhandlung mit den Vertretern der Generaldircttion der Saar gruben pabeu d'e Vertreter der Bergarbeiter das Angebot um 5 Prozent als ungenügend abgclehnt. ersuche» die Genecaldirektwu, da hin vorstellig zn werden, daß die Lage des Saargebiets eine größere Lohnerhöhung rechtfertige. Tie Bertccier der General- dirckiio» stellten eine rasche Antwort in Aussicht. Gegen die Tarispottlik -er Reichsbahn Mannheim 16. Juli. In der gestrigen Gene.nloersaniin> lnng ber Gesellschaften des Fendelionzerns spell Jinanz- »l > n i st er T r. Köhler eine Siede, in der er ertlarte, daß brr Konkurreuzkanips der Nhe-nschissahrt „ach der unisaiseudcn Abgabe an Schissen und Lagcccmlagen a» Frankreich durch die Tarispolitik der Reich-scisenbah» anßecocden'l ch eftchwert lvecse Bor dem Kriege habe die gesamte Binnenschiffahrt nicht weniger ulr. ein Fünftel der non der Eisenbahn beförderten Giücr besörsrri. T>ese Zah! sei in den vergangene» Jahren durch die »cae Tarif- politik der Reichsciscnbah» weiter zucückgegaugen. Tic von dec Nheluschjffahrt aus reiner Selbsterhaliuug verbe'scrten Um j.blagstarifc würden i» durchaus mivolllommene» Umfange ge gebe». T>e Lage der Rheinschifsahrt sei trostlos. Die Lager- bäiiscr seien unbeschäftigt. Das ganze Nheingeschäst sr> ans ctn Minimum beschränkt. Tamit 'werde die ganze Wut'cha>t am Obcrrhelil auf das Härteste betroffen. Tc'e Minister forderte e>'i Zusammengehen von Eisenbahnen und Schissabr! Tie Nctchsciscnbah» dürste ihr Ziel nicht allein darin ehe», die Reparationsleistungen ausznbringen, sie müsle auch Rücksicht ans d'e deutsche Wirtschaft nehmen 'und die'« liege auch am Rbein Kritische Lage auch in England London, 16 Juli. Bei einem vom Lordmajor zu Ehren der Schatzkai-zlers gegebene» Essen gab Churchill in einer Rede eine Uebersicht über die wirtschaftliche Lage in England, die er mit der Bemerkung cinleitete, die Möglichkeit einer allgemeinen lind langandauernden Arbeitseinstellung in der Kohlenin ü »- strie käme nicht in Betracht. Wenn es jedoch zu einer solchen Katastrophe komme, so würden die wirtschaftlichen und kom merziellen Verhältnisse in England in Unordnung geraten. Sic würden Schädigungen und Verluste verursachen, von denen man sich während sehr langer Zeit nicht erholen würde. Im weitere» Verlaufe seiner Rede sagte der Schatzkanzler unter anderem, es sei nicht richtig, daß England von seinem Kapital zehre: aber zweifellos sei der gegenüber der Zeit vor dem Kriege sowieso be trächtlich verminderte S i ch e r h e i t s k o e s f i z i e n I während der letzten zwei Jahre weiterhin merklich zur» ck gegang e n. Ob der Gedanke gefalle oder nicht, es sei notwendig, die Erzcu- gungskostcn hcrabzusetzcn, »in die Prodiiktionstühigkeit zu er höhen. Die Morgenblütter sprechen ihr Bedauern und ihre Besorg nis aus wegen des Beschlusses der Bcrgarbeiteroertretcr, sich an der vom Premierminister Boldwin angekiindiglen Untersuchung über die Lage nicht zu beteiligen und auch keine Verhandlungen mit den Grubenbesitzern zu führen, bevor diese nicht ihre Vor schläge zurückgezogen Hütten. Die Mütter geben ober der Hoff nung Ausdruck, das; dies nicht das letzte Wort der Arbeiter sei und daß doch noch Verhandlungen zustande kämen Betroffen werben etwa 5 6000 Nade.arbeiter. reden, daß NIM endgültig einmal wieder alle Krisen überstanden seien. Wir müssen demgegenüber feststellen, daß man mit „Augenblickserfolgen" nie eine Krise lösen kann. Die gegenwärtige Krise ist noch lange nicht be hoben. Man hat nur einmal wieder Zeit gewonnen. Für wie lange, steht dahin. So wenig man heute den Sturz Stresemanns be fürworten kann, so sehr muß man doch betonen, daß letz ten Endes Stresemann selbst keine geringe Schuld daran trägt, wenn er heute so stark bekämpft wird. Dieser Mann hat immer zu sehr mit „Experimenten" gearbeitet, anstatt eine stetige klare Linie anfzuweisen. Auch der Deutschen Volkspartei paßt diese Unstetigkeit nicht. Seinerzeit trug er an erster Stelle dazu bei. daß das Kabinett Marx gestürzt wurde, um die Deutschnationalen unter allen Umständen in die Regierung zu bekommen Heute versuchen dieselben Deutschnationalen ihn zu stür zen. Stresemann wird allmählich zu einer tragikomischen Figur. Man weiß nicht, ob man über ihn weinen oder lächeln soll. Ein Außenminister, aber (und mir betonen ausdrücklich, daß er außenpolitische Qualitäten besitzt), darf sich nicht zu einer spaßhaften innenpolitischen Figur erniedrigen. Durch seine innenpolitischen Experimente hat er leider auch manche außenpolitische günstige Ge legenheit vorübergehen lassen. Letzten Endes aber ist Stresemann der Urheber der ganzen gegenwär tigen Krisen. Auf die Frage, wie Stresemann zu seinem Sicher heitsangebot kam, machte gestern das „Berliner Tage blatt" recht interessante Bemerkungen. Als Stresemann, um den Forderungen der Deutschnationalen nachzukom- meift das Kabinett Marx gestürzt hatte, war durch diesen Sturz unsere außenpolitische Stellung derart erschüttert, daß oer Außenminister nach einem neuen Mittel suchen mußte, unsere und seine Position zu retten. Das Ergeb nis war das Sicherheitsangebot, durch das den Feind mächten der gute Wille Deutschlands auf das nachdrück lichste dsrgelegt werden sollte. Wir wollen es unsererseits ganz dahingestellt sein lassen, ab nicht auch ohne den Sturz des Kabinetts Marx ein Sicherheitsangebot erfolgt wäre. Aber wir müssen dach bedenken, ob wir es ohne diesen Sturz nötig gehabt hätten, einen so teuren Pakt anzubieten. Auf die Dauer können wir es uns nicht gefallen lassen, daß ein an und für sich begabter Außenminister durch so und so viele Seitensprünge immer wieder Krisen heraufbe schwört und den schnellen und stetigen Aufbau Deutsch lands verzögert. Man ersieht aus allem, wie sehr die gegenwärtige Regierung in ihrem Bestand und damit in ihrem Erfolg gefährdet ist. Zugeständnisse an irgendeine Regierungs partei bilden immer die Mittel, um von einem Tag zum anderen zu kommen. Luther begibt sich in ein gefähr liches Fahrwasser, wenn er noch weiter sartführt. sich mit Augenblickserfolgen zu begnügen, anstatt ans die Schaf fung einer ganz klaren Linie zu drängen. Er sollte gar nicht so engherzig sein. Er hätte die Möglichkeit dazu beizutragen, daß die Klärung der Gcsamtiage, die ja letz ten Endes von der Klärung und Scheidung der Geister innerhalb der Deutschnationalen Partei abhängig ist. end lich schneller vor sich geht. Durch fortlaufende Zuge ständnisse aber bereitet man immer wieder Hinder nisse. Dadurch wird das ganze Ziel vereitelt, das durch die Einbeziehung der Deutschnationaien in die Regierung erreicht werden sollte. Es wäre aber allzu bedauerlich, wenn der Teil der Deutschnaiianalcn. die mit den p r a li tt scheu Aufgaben der Politik in den letzten Monaten bereits so nahe in Berührung gekommen waren, durch irgendwelche Experimente wieder der politischen Aufgabe entfremdet würden. Es erheitert uns wahrlich sehr wenig, wenn alle 14 Tage das Reichskabinett die Mel dung ausgibt, daß in diesem oder jenem Punkt „wieder um völlige Einmütigkeit" erzielt worden sei. Diese Be kenntnisse können uns wirklich nicht über den anderen Umstand hinwegtrösten, daß in der Zwischenzeit durch die Uneinigkeit das Ansehen der Regierung im In- und Aus lande bedenklich herabsinkt I. A.