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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.04.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960402021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896040202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896040202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-04
- Tag 1896-04-02
-
Monat
1896-04
-
Jahr
1896
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Volksztg." soll demnächst eine neue Versammlung stattfinden, die sich mit folgenden BerathungSgegenständen befassen wird: 1) Constituirung der katholischen Landwirthe der Provinz Schlesien zu einem Bunde. 2) Wahl eines Vorstandes. 3) Hin- Wirkung des Vorstandes auf eine Vereinigung sämmtlicher katho lischen Landwirthe Deutschlands zu einer landwirthschaftlichen Bereinigung. Die Presse des Centrums ist durch dieses Vorgehen sicht lich beunruhigt, denn sie bemüht sich, den Meuterern zu Gemüthe zu führen, daß erstlich das Centrum in seiner all umfassenden Liebe das Wohl aller Volksclassen im Auge habe und daß zweitens die ostelbischen Führer des Bundes der Landwirthe in absehbarer Zeit selbst in den Augen ihrer eigenen Standesgenossen sich compromittiren würden. So wird z. B. in einer CentrumS-Correspondenz ausgeführt: „Wo denn glauben sie (die Landwirthe) ihre Interessen besser aufgehoben ats beim Centrum? Etwa beiHerrnv. Ploep und Genossen? Dann sehe man sich doch einmal an, was diese denn mit ihren „großen" Forderungen erreicht haben. Sie haben viel Lärm gemacht und machen noch unausgesetzt Lärm. Aber etwa im Interesse des „Bruders Bauer"? Graf Mirbach hat es am Freitag im Herren hause wieder aus höchst naive Weise verrathen. Er habe, sagte er, l887 einen sehr scharfen Vorstoß gegen das Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetz gemacht, aber es sei so böse nicht gemeint gewesen; er habe es nur gethan aus taktischen Gründen, weil sonst die Conservativen im Osten einfach von der Bildfläche verschwunden wären. Jetzt machen die Herren scharfe Vorstöße mit dem Anträge Kanitz u. s. w., aber nicht weil sie daran glaube», sondern weil sie die Landwirthe mit unerfüllbaren Forderungen verhetzt haben und „einfach von der Bildfläche verschwinden" würden, wenn sie zugäben, daß es mit den schönen „großen Mitteln" nichts sei. Es wird der Tag kommen, wo die Landwirthe einsehen werden, Laß sie im Bunde der Landwirthe weiter nichts waren und sein sollten, als Stimmvieh für die ostelbischen konservativen Großgrundbesitzer, die das eigene Interesse ja von jeher sehr gut wahrzunehmen verstanden haben." Die ostelbischen Führer des Bundes der Landwirthe haben aber mst ihrer rücksichtslosen Agitation viel zu viel Erfolg bei den Conservativen gehabt, als daß sie nicht hoffen sollten, im Centrumslager ähnliche Erfolge zu erzielen. Sie werden sich also durch derartige Vorstellungen nicht von dem Versuche abhalten lassen, die katholischen landwirthe zu organisiren und zu einen» Sturmbocke gegen das Centrum zu machen. Es fragt sich also lediglich, ob der Einfluß der Centrumsführer auf die katholischen landwirthschaftlichen Kreise nach groß genug ist, um sie vor der Verführung be hüten zu können. Wenn aber in Oberschlesien der Einfluß des Centrums durch die agrarische Propaganda bereits ebenso vermindert ist, wie durch die polnische, so ist dort wenig stens der Stern des Centrums im Erbleichen, lieber die weitere Entwickelung der polnischen Bewegung in Ober schlesien berichtet nämlich die „Schles. Ztg.": „Jn'Beuthen OS. und Ratibor haben in der vorigen Woche Versammlungen von Centrumswählern zum Zwecke der Bildung von Wahlkreiscomitss stattgefunden, die insofern ein allgemeines Interesse beanspruchen dürfen, als durch sie die Stellung des Centrums zu den Polen in überaus kennzeichnender Weise illustrirt wird. Man wird sich erinnern, mit welcher Rücksichts losigkeit die Polen gegen die anerkannten Candidaten der Centrums- partei bei jeder Gelegenheit vorgegangen sind und wie das Centrum doch — aller localen Proteste ungeachtet — regelmäßig Feurlletsn. Gottbegnadet. 18) Roman von Konrad Telmanu. Nachdruck verboten. Er war von seinem Sessel aufgefabren, trat, die beiden Hände in den Taschen seines weißen Jackets, den Strohhut im Nacken, durch die Zähne pfeifend vor die Veranda hinaus und blickte mißmuthig in das grüne Laubmeer des Parks hinüber. Eine Weile schien er auf irgend etwas zu warten, waS sie sagen würde. Aber Thea schwieg. DaS vermehrte seine üble Laune nur noch. „Dieser Sommer ist unerträglich", sagte er, ohne sich uinzudreben, „die ewig schwüle Lust zer rüttet meine Nerven geradezu. Wenn eS so sortgcht, muß ich inS Gebirge oder an die See." Auch darauf kam keine Antwort. „Weshalb redest Du nichts?" rief er jetzt unwillig. „Dir ist die Stimme auch wohl schon eingetrocknet?" „DaS Kind ist im Einschlafen", erwiderte Thea. „Bitte, wecke es nicht auf! Ich will es jetzt forttragen. Er brummte etwas Unverständliches zwischen den Zähnen. Als sie nach kurzer Zeit zurückkam, legte sie ihm die Hände von rückwärts auf die Schultern und sagte liebevollen TonS: „Wollen wir zusammen spaziren fahren, Harry? Oder einen Besuch machen? Oder etwas lesen? Ich bin zu Allem be reit. Ich möchte nicht, daß Du Dich langweilst." Seine Verdrossenheit wollte noch immer nicht weichen. „Ach, hei der Hitze!" sagte er. „Man hat ja zu nichts Lust. Und Zeit hast Du natürlich im Grunde auch wieder nicht, sondern willst mir nur ein Opfer bringen." „Aber gern, Harry", fiel sie ein. „Und ein solches Opfer ist ja dann eigentlich gar keins. Singe mir etwas vor, Harry!" „Dir allein?" „Du hast eS doch früher oft genug gethan!" Ihre Lippen bebten. Seine unwillkürlich herauSgestoßene Frage that ihm schon wieder leid. „Ja, ja", sagte er verlegen und fuhr ihr mit der Hand durchs Haar hin. „Ich dachte nur — Dir ist jetzt Lydia'S schreckliches Geschrei lieber als mein Gesang, glaube ich. Und ich bin auch zum Singen nicht aufgelegt. Ich bin zu gar nicht- aufgelegt. Mich ärgert die Fliege an der Wand. ohne eine Spur von Empfindlichkeit über die erlittene Schlappe sich mit mehr Diplomatie als Selbstgefühl der Situation anpaßte, ängstlich darauf bedacht, nur ja nicht die polnische Waffenbrüderschaft zu verlieren. Einen weiteren Schritt auf diesem Wege bedeuten die eingangs erwähnten Versammlungen. In Ratibor legte der als maßvoller Politiker und als Gegner der wüsten Polen agitation bekannte Prälat Strzybny den Vorsitz nieder, und die Neubildung des Comitss brachte dafür in dasselbe eine Anzahl der hauptsächlichsten polnischen oder polenfreundlichen Heiß sporne hinein; in Beuthen wurde sogar außer anderen Polen der Redactenr des „Katolik", Napieralski, in den Vorstand berufen, und ebenso wurde die vollste Einigkeit zwischen Centrum und Polen in Beuthen feierlich besiegelt, wo jetzt die bekannten Centrumssührer Rechtsanwalt Schröder, Erzpriester Mysliwiec sich mit dem vielgenannten Redacteur des „Katolik", Napieralski, zu gemeinsamer Arbeit friedlich verbunden haben. In den oberschlesischen Centrumskreisen scheint man in der That (ebenso wie in Posen u. s. w.) zu denken: Das Centrum wird hier polnisch sein oder es wird nicht sein!" Es wäre interessant, zu erfahren, ob ein gewisser Zu sammenhang zwischen der polnischen und der katholisch-agra rischen Bewegung in Oberschlesien besteht. Auf alle Fälle ist das Nebeneinanderwirken und Ineinandergreifen beider Be wegungen eine Erscheinung, die, obwohl sie einstweilen aus ein verhältnißmäßig eng begrenztes Gebiet beschränkt ist, dem Centrum ernstliche Sorge bereiten muß. Entgleiten ihm in einem Gebiete die Zügel, so wird es bald auch in anderen Gebieten erfahren müssen, daß auf die Dauer konfessionelle Gesichtspunkte nicht ausreichen, um politisch und wirthschaft- lich heterogene Elemente zusammenzuhalten. In den Sorgenbecher, den dem Centrum die oberschle sischen Agrarier und Polen kredenzen, hat der preußische Cultusminister I)r. Bosse iu der letzten Sonnabend sitzung des Herrenhauses einen Tropfen Honig geträufelt, indem er auf das Verlangen des Grafen Zieten-Schwerin nach einem allgemeinen Schulgesetze nach Zedlitz'schem Muster wörtlich erklärte: „Meine Herren I Die von dem Herrn Grasen angeregte Frage nach dem Erlaß eines Schulgesetzes ist ohne Zweiset die auf dem Gebiete der Cultusverwaltung zur Zeit brennendste und heikelste. Es besteht auch über diese Frage zwischen uns nnd zwischen den Herren im anderen Hause, die sehr stark auf die alsbaldige Vor legung eines solchen Schulgesetzes gedrängt haben, kein principieller Gegensatz. Ich würde mich freuen, wenn wir ein Schulgesetz hätten, und ich werde mich freuen, wenn wir es bekommen. Die Differenzen, die zu Tage getreten sind, be ziehen sich nur auf die Methode und nur auf den Zeitpunkt. Ich möchte diese Frage, über die ich mich ja sehr ausführlich im anderen Hause ausgelassen habe, mit Rücksicht auf die Geschäftslage dieses Hauses hier nicht vertiefen und ausbreiten. Ich möchte nur versichern, daß mir nichts innerhalb meines ganzen Geschäftsbereiches so am Herzen liegt, wie die christliche Schule, die wir haben, zu erhalten und so bald als möglich, so bald als thuntich auch rechtlich durch Gesetz zu sichern." Im Abgeordnetenhause hatte Herr vr. Bosse am 30. Januar gesagt: „Ich habe, wie ich glaube, schon vier oder fünf Mat in diesem hohen Hause die Gründe dargelegt, die die Staatsregierung abhalten, jetzt mit einem Volksschulgesetzentwurf vor Sie hin zutreten, und ich glaube nicht, daß es nöthig ist, daß ich diese Gründe hier nochmals specialisire, denn die Gründe sind bekannt, man kann darüber zweifeln, ob sie zutreffend sind; für mich sind sie durchschlagend. Ich glaube nicht, daß ich in absehbarer Zeit dazu kommen werde, ein Volksschulgesetz Ihnen im vollen Umfange vorzulegen. Es ist möglich, daß mein Nachfolger es Ihnen vorlegen kann, und ich würde mich sehr freuen, wen» ich dazu noch in die Lage käme; man kann die politischen Möglichkeiten nie vollständig ermessen. Aber das weiß ich genau, daß die jetzige königliche Staalsregierung Len Zeitpunkt noch nicht für gekommen erachtet, um aufs Neue die schweren, Ich bin nervös, das Klima bekommt mir hier nicht, — ich weiß nicht, was es ist. Ich möchte, es käme Jemand, eS ereignete sich irgend etwas, das mich gewaltsam aus diesem Zustande herausrisse. „Du sehnst dich schon wieder nach Besuch?" Sie schüttelte verständnißlos den Kopf. „Aber dann laß unS doch irgend wohin fahren, — ich schlug es dir ja schon vor." „Nein, nein, laß nur! Ich will nicht. Ich will gar nichts. Da kommt Friedrich mit der Posttasche^ Na, da wird auch wieder nichts Gescheites drin sein. Es schreibt Einem ja Niemand mehr, wenn man verheirathet ist. Und für die Zeitungen ist Sauregurkenzeit. Ueberhaupt iuteressire ich mich auch spottwenig für Politik und all das andere Zeug. Thca's Antlitz war plötzlich strenger geworden, es zuckte nicht mehr darin wie vorher. „Was verstehst Du darunter", fragte sie mit merkwürdig tonloser Stimme, „daß Dir Nie mand mehr schreibt, seit Du verheirathet bist? Welchen Unterschied kann dies ausmachen?" Er lachte halb verlegen. Daun war etwas Kokettes in der Art seines Sprechens, als er entgegnete: „Nun, glaubst Du, eS machte Damen noch Spaß, mit einem verheiratheten Mann schön zu thun? Der Hauptreiz solches Briefwechsels ist ja voch dahin. Sie müssen ja immer fürchten, die Gattin eifersüchtig zu machen. Früher — o ja. Keine Post ohne ein paar parsümirte Briefchen. Und was für allerliebste darunter! Währenv unserer Verlobung ging's ja noch fort, — erinnerst Du Dich? Und nach der Hochzeit sogar be hielten einige die Correspondenz bei, wenn auch der Ton ein bischen — wie soll ich sagen? — gehaltener, kühl-sreund- schaftlicher wurde. Aber allmählich ist es ganz eingeschlafen, es wurde ihnen langweilig, mit einem Ehemann nnd Vater zu correspondiren, der da hinten irgendwo in Pommern all mählich auf dem Lande versauert. Wer kann's ihnen ver denken!" Seine Stimme hatte mit der Zeit etwas geziert Elegische- angenommen, er seufzte hinterdrein. „Entbehrst Du denn das?" fragte Tbea nach einer Weile mit erzwungener Ruhe, unter der man doch das fassungslose, schmerzliche Erstaunen noch herauSzuhören meinte. „O", sagte er leichthin, ,,e« war doch recht hübsch. „Und daS Leben ist im Ganzen so einförmig. — Aber nun wollen wir doch einmal sehen. Wo ist der Schlüssel zur Posttasche?" Er hatte ihn wieder einmal verlegt und eS war Thea'S Sache, ihn herbeizuschaffen. Als sie ihn brachte und die tiefgreifenden und leidenschaftlichen Kämpfe, welche die letzte Vor lage des Volksschulgesetzes hervorgerusen habe, zu erneuern. Wir sind der Meinung, daß das nicht im Interesse des Staates ist, und wir müssen, auch wenn Leute, auf deren Urtheil wir sonst viel geben, diesen Wunsch aussprechen, auch unserer pflichtgemäßen Ueberzeugung folgen; ich wenigstens werde danach handeln und werde jede Consequenz davon tragen." Das war eine entschiedene Ablehnung derselben Forde rung, der Herr vr. Bosse im Herrenhause eine mindestens unentschiedene zu Theil werden ließ, so unentschieden, daß sie als ein verschämtes Entgegenkommen ausgelegt werden kann. Daß sie von den „Kreuzzeitungs"-Conservativen und den Ultramontanen so ausgelegt wird, ist selbstverständlich. Und selbstverständlich ist es auch, daß Herr Vv. Bosse von beiden Seiten nach Ostern gedrängt werden wird, „so bald als thunlich" dem Zuge seines Herzens zu folgen. Es wird sich dann zeigen müssen, ob er nur aus Rücksicht auf daS bürgerliche Gesetzbuch die Tonart verändert, oder wirklich eine Schwenkung vollzogen bat, die den preußischen Hochconservativen und Klerikalen die Erfüllung ihrer Wünsche verheißt. Jedenfalls hat er dem preußischen Centrum ein Mittel in die Hand gegeben, allen Meuterern und besonders den Polen, die durch ein allgemeines Schul gesetz nach dem Muster des Zedlitz'schen zu Herren der katho lischen Schulen in den gemischt-sprachigen preußischen Pro vinzen gemacht werden würden, den gewaltigen Einfluß einer einigen Centrumspartei zu Gemüthe zu führen. Ueber den AuSgang der vorgestrigen Sitzung Les fran zösischen Senates sind die ministeriellen Blätter natürlich böchst erfreut und lassen cs an Spott über den täppischen Vorstoß nicht fehlen. Die oppositionelle Presse dagegen ist schwer enttäuscht über den Schlag ins Wasser und sehr unbefriedigt von den Erklärungen Bourgeois'. Nach der Sitzung soll eS in den Couloirs des Senats zu ziemlich heftigen Auseinandersetzungen gekommen sein. Einer schob die Schuld, daß die Schlacht so schnell und resultatlos geendet, dem Andern zu. Die Gruppen des Senats traten gestern zusammen, und beschlossen, daß der unerwartet ab gebrochene Kampf am heutigen Donnerstag, also am letzten Tage vor dcu Ferien, noch einmal anfzunehmen sei. Aber Bourgeois wird Wohl einfach ablehnen, im Senat zu erscheinen, da er in der Kammer bleiben müsse, wo die Interpellation Charmes Lebon, betreffend die auswärtige Politik, obgleich sie ziemlich aussichtslos ist, nicht zurück gezogen wurde. Aeußerft bezeichnend für die Zerfahrenheit und Steuerlosigkeit der öffentlichen Meinung in Paris ist der Umstand, daß verschiedene Blätter behaupten, Bourgeois er warte telegraphische Mittheilungen über Frankreich günstige Veränderungen in der Politik einer europäischen Macht. Der „Matin" sagt direkt, daß die Mittheilungen dahin gingen, daß eine große DreibundSmacht (gemeint ist natürlich Deutschland), die bisher aus Freundschaft für Italien in der Dongolafrage für England gestimmt habe, bereit wäre, mit Frankreich und Rußland England an seine Engagements betreffs der Räumung EgyptenS zu erinnern. Diese Mitthcilungcn hoffe Bourgeois heute in der Kammer ausspielen zu können. Im Gegensatz hierzu wird den Pariser Correspondenten verschiedener deutscher Blätter officiös mitgetheilt, daß jene Behauptung vollständig er funden sei. Thatsächlich schweben zwischen Frankreich und Deutschland keinerlei derartige oder ähnliche Verhandlungen. Etwas, wenn auch nicht viel, kann indessen doch an der Sache sein. Wie schon der „Pester Lloyd" dieser Tage an deutete, dürfte die französische Regierung von den Vertretern der Dreibundmächte, speciell von Deutschland, dahin ver Tasche öffnete, die der Kuescher auf den Tisch gelegt hatte, sagte Harry: „Friedrich hat auch so was Ungeschliffenes. Gar kein richtiger Herrenkutschcr. Baron Kleist hat sich neulich über ihn moquirt. Er muß feinere Manieren lernen. Sorge doch dafür. Das ist wichtiger als Vieles, was Du treibst, Thea." Dann hatte er, ehe sie noch ein Wort er widern konnte, die Postsachen aus der Tasche gerissen und durchwühlt. Ein ärgerlicher Ausruf entfuhr ihm. „Natürlich wieder nichts! Ich wußt es ja! Zeitungen, Geschäftsbriefe, — lauter langweiliges Zeug! Ah, da ist von Mama ein Brief! Na, das wird auch wobl wieder nur das alte Lamento sein! Aus Ostende! Die Glückliche!" Seufzend erbrach er den Brief. Als er gelesen hatte, sich wieder im Schaukelstuhl hin und her wiegend, sagte er in etwas lebhafterem Ton als früher: „Du, denke Dir, Mama kann die Luft in Ostende nicht vertragen und will wieder Herkommen. Na, daS ist doch etwas Abwechselung. Ich bin recht froh darüber. Mama weiß immer soviel zu reden, sie regt mich an, — auch musikalisch. Thea, die inzwischen ihrerseits ein paar Briese durch flogen hatte, blickte überrascht auf. „Deine Mutter will wiederkommen?" „Du sagst das ja in einem Ton, als ob es Dir nicht ganz recht wäre!" fubr er auf. „O, Harry! Für Deine Mutter ist ja selbstverständlich immer Raum bei uns. Ich dachte nur eben daran, daß meine Mutter in acht Tagen kommt, wie Du weißt, — gerade weil sie die Deinige abwesend wußte, hat sie diese Zeit gewählt, — und daß eS daher vielleicht besser gewesen wäre. . ." „Nun?" unterbrach er sie fast barsch. „ES sind ja Zimmer genug im Hause. Je mehr Logirbesuch, desto besser. Oder soll meine Mutter Deiner Mutter weichen? Ach so, sie lieben sich ja wohl nicht besonder-, die beiden Mütter. Sind aufeinander eifersüchtig, WaS? Na, dann schreib Deiner ab! Meine laß ich kommen. Sie sollte ja eigentlich überhaupt immer bei mir sein. Es ist ganz gegen meinen Wunsch und Willen, daß sie nur so selten da ist." „In Berlin wohnten wir im selben Hause mit ihr, Harry, und im Frühjahr kam sie mit unS hierher. . ." „Ja, ja, ja, ich weiß. Und jetzt kommt sie wieder. Punctum. DaS ist so eine Idee, die Deine Mutter Dir in den Kopf gesetzt hat: weil sie selber nicht oft mit unS zu sammen sem kann, brauchte meine Mama eS auch nicht zu ständigt worden sein, daß es ihnen fern liege, in Zukunft England zu Liebe irgendwelche Pression auf Frankreich zu üben, daß die gegenwärtige Haltung der Dr.eibundmächtc iu der egyptischen Frage vielmehr lediglich in der freuudschafi lichen Rücksicht auf die bedrängte Lage Italiens begrünte; sei. Falls Bourgeois heute eine solche Erklärung abgielu, darf es nicht Wunder nehmen. Sie entspräche durchauc- den Thatsachen und könnte nur beruhigend wirken Welchen Ausgang die heutige Kammersitzunkj für das radikale Cabinet nehmen wird, ist noch ungewiß, aber man geht wel l mit der Annahme nicht fehl, daß der Senat ihm seine Stcl lung wesentlich erleichtert hat und daß die Beseitigung der Zweifel an dem vollen Einvernehmen Rußlands mit seinem Verbündeten durch Bourgeois die Stimmung zu Gunsten de - Cabinets, namentlich des Bringers froher Botschaft selber, nicht unwesentlich beeinflußt hat. An der Niederlage der französischen Diplomatie würde damit freilich nichts geändert. Aus dem Ausstand im MatabelellnlS tonnen Leu Eng ländern noch ernste Verlegenheiten erwuchsen. Derselle scbeint sich nach den letzten Meldungen nicht nur über Lao Matabele-, sondern auch das Maschonagobiet zu erstrecken und ist nichts mehr und nichts weniger alö ein ernster Ver such der Eingeborenen, das ihnen durch den unerwarteten Ueberfall der Chartered Company unter der Führung Iameson'o geraubte Land zurückzugewinnen nnd so ihre Selbstständigkeit unter ihrer eigenen Königin wieder herzustellcn. Was den An stoß zur Erhebung gegeben, ist unstreitig der verunglückte Einsack Jameson's in Transvaal. Mit der Flucht der Eingeborenen von den Randbergwerkeu verbreitete sich natürlich die Nachricht von der Niederlage mit Blitzesschnelle durch ganz Rhodesia. Daß sie durch die lleberlieferung von Mund zu Mund nickt verkleinert wurde, läßt sich denken. Die Eingeborenen saben nun ihren Besieger Iameson geschlagen, sie wußten, daß er Kanonen und Gewehre verloren und mit seinen Osficiercn und Truppen außer Landes gebracht worden fei. Nichw lag näher, als den Augenblick für günstig und gctommeu - zu erachten, den Kampf mit den Eroberern aufzunehmen, die mit dem Gut und Leben der Eingeborenen in einer Weise umgesprungen waren, die eins der dunkeln Blätter der Geschichte englischer Flibustierpolitik bildet. Für den Ernst des Aufstandes spricht in erster Reihe, daß die iu Dienst der Chartered Company genommenen Eingeborenen (Matabele, Zulu und Maschona), die mit Hinterladern bewaffnet sind, ihre britischen Officiere erschossen haben und dann, 700 Mann star l, unter Mitnahme von Gewehren nnd Munition abmarschirl une zu Ulimo gestoßen sind. Gleichzeitig wurden die Ansiedler im Filibusi-Bezirk überfallen und rnSgesammt (etwa tO, darunter eine Familie von 8 Personen) niedcrgemacht: dasselbe Schick sal traf Ansiedler in Fig Tree, Ceüie Camp, Stuttgarts Farm, Umtebegue und anderen Orten, die nach Ermordung der B. wohner niedergebraunt wurden. Die Einwohner im Iusezi bezirk haben, soweit sie sich gerettet, ein Lager gebildet; dar? selbe geschah in Gwelo, wohin sich die Ansiedler vom Shangbani sluß geflüchtet, in Manque und Salisbury nnd geschieht jem in Buluwayo, deui die Aufständischen auf 20 lviu nahcgrrück; sind, wo sie auf den Matoppo-Hügeln befestigte Stellungen eingenommen haben. Von Buluwayo auS werden kleine fliegende Colonnen zum Entsatz der am meisten be drohten Stationen auSgesandt, von denen die unter Hauptmann Selous ein Scharmützel zu bestehen hatte, bei dem sünf seiner Leute todt am Platze blieben. Die telegraphische Verbindung zwischen Buluwayo und dem Cap ist, wie gemeldet, unterbrochen. Die in Mafeking, Buluwayo und Salisbury stehenden Truppen sind nick: sein. Ich finde das ungeheuer selbstsüchtig. Aber Dein Mutter hat ja nun einmal die vorgefaßte Meinung, Mama verdürbe mich durch übergroße Zärtlichkeit, machte mich Dir abspenstig oder Gott weiß was? Deine Mutter hält gerate keine großen Stücke auf mich!" „Du sprachst friiker anders von meiner Mutter", sagte Thea nach einer Weile mit leisem Borwurf. Harry war damit beschäftigt, sich eine neue Cigarette anzuzündcn. „Mag schon sein", stieß er zwischen kleinen, blauen Rauchwolken aus, „aber man läßt sich eben mit der Zeil nicht mehr gängeln. Man wirt zu alt dazu. Wer selbst schon Familienvater ist, braucht keinen Vormund mehr." Sie erwiderte nichts mehr. Sie sah ein, daß sie ihn nur noch weiter reizen würde, wie sie ihre Worte auch stellen mochte. Er war heute nicht in der Stimmung, die eine Ver ständigung zwischen ihnen möglich machte. Seit ihrer Rück kehr von Berlin war er freilich fast nie mehr in solchcr Stimmung. Thea wollte geben. Sie batte ohnehin im Hause zu thun. Und eS war gut für sie, daß es viel Arbeit gab; sie empfand das täglich als einen neuen Segen. Als Thea gehen wollte, stand Harry auf und kam zu ihr, um ihr die beiden Arme um den Leib zu legen. „Verzeih, wenn ich herb war!" sagte er, nnd eS lag jetzt wieder ein treuherziger Ausdruck in seinen Zügen, die bis dahin etwas Nervöses und Zerfahrenes gehabt batten. „Es war nicht schlimm gemeint. Aber meine Mama muß kommen dürfen — jederzeit, verstehst du? Und deine Mutter wird sich schon darein fügen. Damit laß eS gut sein, nicht wahr?" „Gewiß" erwiderte Thea nachgiebig. Sie empsaud es als eine Erleichterung, Laß er ein versöhnliches Wort ge sprochen hatte, aber doch blieb wider ihren Willen etwas Bitteres und Schmerzliches in ihrer Seele zurück, als sie nun, ihm freundlich zunickend, ging und sich in der Wirtschaft zu thun machte. Es war ein fremder Ton zwischen sie Beide gekommen, sie wußte nicht woher und seit wann. Es stand etwas zwischen ihnen, WaS sich nicht mekr verdrängen ließ, obwohl sie keinen Namen dafür hatte. E« setzte sich zu sammrn auS tausend Einzelheiten, die an sich unbedeutend und nichtssagend erschienen, die man gar nicht greifbar hätte childern können, sondern die zwischen den Händen einem »flatterten und die dennoch da waren und in ihrer Ge- ammtheit sich wie etwas Drohendes, etwas Feindseliges »eraufreckten. Und daS gerade, während ihnen daS höchste Glück der Ehe zu Theil geworden war und das größte Wunder, da»
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