Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.07.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-07-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960709028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896070902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896070902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-07
- Tag 1896-07-09
-
Monat
1896-07
-
Jahr
1896
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugspreis i» dir Hmlptexpedttton oder den im Stadt- t«trk und deä Vororten errichteten AuS- «abestrlle« abgaholt: vierteljährlich kei zwetmaltaer täglicher Zustellung ins Hans bchO. Durch die Pust bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich 7^0. Di» Morgen-AllSgabe erscheint um '/,7 Uhr. dir Abeud-AuSgabe Wochentags um b Uhr. Ne-action «ud Lrpe-Mo«: AohanneSgaffe 8. DieExpevttion ist Wochentag- ununterbrochea geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Filiale«: Dit« Klemm'S Sortim. (Alfred Hahn). Uoiversitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche. Katharmenstr. 14, vart. und König-Platz 7. Abend - Ausgabe. WpMcr TaMM Anzeiger. NmtskkaLt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 80 Psg. Rrclamen unter demVedactiontstrich (4ge. spalten) 50-^, vor den Faunlienaachrtchlen l6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preir- verzelchniß. Tabellarischer und Zifierajatz nach höherem Taris. Extra »veila-en (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderung » Ä).—, mit Postbeförderung >4 70.—. Annahmeschlaß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Jtachmitlags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von T. Polz in 3eiv;iz Donnerstag den 9. Juli 1896. 345. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. Juli. So oft Gerüchte über Krisen im preußischen Ministerium oder in den höheren Reichsämtern umlaufen, kann man mit Sicherheit annehmen, daß irgend wer solche Krisen herbeizuführen wünscht und zu diesem Zwecke die Gerüchte verbreitet. Die Ministerstürzler Athen bei diesem Geschäfte meist sehr vorsichtig zu Werke, indem sie ihre Spur verwischen und ihre „absolut zuver lässigen" Meldungen auf Umwegen an solche Blätter gelangen lassen, denen Niemand eine böse Absicht zutraut. Infolge dessen hat sich bei den vorsichtigeren Tagesschriftstellern nicht nur ein tiefes Mißtrauen gegen alle Krisengerichte, sondern auch die Gewohnheit ein genistet. den Intriganten, von denen die Gerückte ausgeben, und ihren Zwecken nachzuspüren. Diesem Mißtrauen und dieser Gewohnheit ist augenscheinlich die folgende Korrespondenz des „Hann. Cour." entsprungen: „Die von uns wiedergegebene Mittheilung der „Berl. Neuesten Nachrichten" über Rücktrittsabsichten des Kriegsministers läßt erkennen, daß Bemühungen bestehen, die darauf gerichtet sind, die Verwickelung des Reichskanzlers in einen etwaigen Rücktritt des Kriegsminislers zu verhindern. Es ist dies um so interessanter, als die C e n tr u in s f re u » d e des Freiherrn von Marschall im Reichstage den Staatssecretair des Auswärtigen in der letzten Zeit eifrig als Nachfolger des Fürsten Hohenlohe empfehlen. In der Thal gilt Herr v. Marschall als die Seele der centrumsfreundlichen Strömmung innerhalb der Regierung, und die badischen National liberalen waren daher vollkommen im Recht, als sie sich im vorigen Jahre durch ein Gerücht, das ihnen Herrn v. Marschall als badischen Ministerpräsidenten in Aussicht stellte, zu einer erneuten Stellungnahme in kirchenpolitischen Dingen bestimmen ließen. Bezeichnend ist die Methode, mit der officiöse und Centrumsblätter bei jedem Anlasse die Erfolge unserer auswärtigen Politik feststellen, ohne dabei den Namen des Herrn v. Marschall zu nennen. Lobende Empfehlung durch die Presse ist neuer- dings an maßgebender Stelle wiederholt übel vermerkt worden — von der neuesten Methode läßt sich wohl sagen: was sie weise verschweigt, zeigt uns den Meister des Stils. Einstweilen wird man gut thun, den „Reichskanzlercandidaten Marschall" im Auge zu behalten." Der Berliner Gewährsmann des hannoverschen Blattes glaubt also herausgefunden zu haben, daß eine ultramontane Machination im Gange sei, um den Reichskanzler Fürsten Hohenlohe durch den Staatssecretair Frhrn. v. Marschall zu ersetzen, daß diese Machination sehr vorsichtig betrieben werde und daß mit ebenso großer Vorsicht Freunde des jetzigen Reichskanzler bemüht seien, diesen unter Preisgabe des Kriegsministers v. Bronsart zu retten. Die „Hamb. Nachr", die heute die „Information" des „Hann. Cour." an erster Stelle wiedergeben, bemerken dazu, dem hannoverschen Blatte müsse allerdings die Verantwortung für die Richtigkeit seiner Darstellung überlassen bleiben, aber cs fehle doch nicht an Anzeichen, „daß sie in diesem oder jenem Puncte zutreffen könnte". Verdächtig sei vor Allem „die lebhafte Zustimmung der ultramontanen Presse zu Allem, was vom auswärtigen Amte ge schieht". Das sei früher anders gewesen. Das ist richtig, aber es beweist absolut nicht, baß das Centrum Herrn v. Marschall lieber als Reichskanzler sähe, als den Fürsten v. Hohenlohe, auf den doch das dem auswärtigen Amte gezollte Lob zurück fällt. Außerdem verdankt ihm das Centrum gerade in neuerer Zeit sehr viel: die in Aussicht gestellte Abbröckelung des Jesuitengesetzes als Lohn für die Äkjlarbeit am Bürgerlichen Gesetzbuch, sowie die Möglichkeit, das große Werk unter Dach und Fach bringen zu helfen. Denn das römische tolerari pc»8se hat der Bruder des Fürsten erwirkt. Ob von Herrn v. Marschall als Reichskanzler mehr zu erwarten wäre, ist fraglich. Ist sonack die Annahme einer ultramontanen Jn- lrigue gegen den Fürsten Hohenlohe sehr unwahrscheinlich, so wäre, falls sie doch bestehen sollte, eine Gegenintrigue durch die dem Fürsten wohlwollende Presse ein sehr gefährliches Spiel. Je feiner es eingesädclt wäre, um so leichter würde cs der Ver kennung und dem Mißlingen ausgesetzt sein. Fürst Hohenlohe ist ein gewiegterer Diplomat als alle dienstbeflissenen Zeitungs- correspondenten zusammengenommen. Deshalb kann jede Zeitung, die ihren Berus nicht verkennt, den Krisen- und Jntriguengerüchten gegenüber sich zufriedengeben und jeder nicht sensationslüsterne Zeitungsleser ebenfalls. Es hat, so lange der Kaiser auf seiner Reise sich befindet, keinen ver nünftigen Zweck, über die Stellung des Reichskanzlers, des preußischen Kriegsminislers oder irgend eines seiner College» sich den Kopf zu zerbrechen. Sind Jntriguen im Gange, so sind die Intriganten auch in der Lage, auf der kaiserlichen Aacht ihre Schachzüge fortzusetzen. Und keine Zeitung der Welt kann aufhalte», was etwa dort sich vorbereitet oder vollzieht. Zu der Meldung des Wolff'schen Telegr.-Bureaus, der französischen Regierung sei durch den beulschen Botschafter amtlich mitgelheilt worden, daß Deutschland sich an der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 beiheiligen werde, bemerkt heute die „Nationallib. Correspondenz": „Die Tragweite dieser Nachricht läßt sich zur Zeit nicht ermessen. Zunächst will sie wohl besagen, Laß das Reich einen Aus siel tun gscom miss ar bestellen wird. „Deutschland" ist — durch Kunstwerke — auch nach 1867 auf Pariser Ausstellungen vertreten gewesen und ein Engagement des gesammten ausstellungsfähigen deutschen Gewerbes sollte Lurch die erwähnte Benachrichtigung der französischen Regierung selbstverständlich nicht hecbeigesührt werden. Angesichts der Lhatsache, daß die wirthjchastlichen Bedenken gegen die umfassende Betheiligung an internationalen Ausstellungen sich nach jeder Veranstaltung Lieser Art verstärkt haben, scheint die Erwartung gerechtfertigt, daß die Angelegenheit der Beschickung der nächsten Pariser Ausstellung auch weiterhin nicht an einen Puuct geführt wird, wo eine Reihe von Productionszweigen gezwungen wäre, sachliche Erwägungen hinter solche der nationalen Repräjen- tationspflicht zurücktreten zu lassen. Wir können uns der hier ausgesprochenen Erwartung nur anschließen und zwar nicht nur aus dem wirtbschaft- lichen Gesicktspuncte, sondern auch aus dem politischen. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Berührung den Proceß des Ausgleichs der Gegensätze zwischen Deutschland und Frank reich eher zu unterbrechen als zu fördern geeignet ist. Wir erinnern nur beispielsweise au Kiel. Vielleicht haben die Franzosen Disciplin genug, um cS während der Aus stellung nicht zu direkten deutschfeindlichen Kundgebungen kommen zu lassen. Aber ihren Verzicht auf internationale Freundschaftsdemonstrationen, die ihre Spitze gegen Deutsch land richten, kann nur ein Optimist, der durch nichts zu witzigen ist, in Aussicht nehmen. Das Losungswort: Neuorganisation der Deutsch liberalen in Oesterreich, welches von Prag ausgegangen ist, hat, wie gemeldet, in Wien und Brünn lebhaften Wider hall gefunden. In Wien waren die deutschliberalen Ver trauensmänner aus Niederösterreich, mit Ausschluß Wiens, und in Brünn die Mitglieder des Deutschen Vereins ver sammelt. Beide Versammlungen haben dem Verlangen nach einer kräftigeren Parteiaction Ausdruck gegeben und sich der Parole zur Bildung einer deutschen Fortschrittspartei an- gcscklossen. Die bisherige Tactik der Vereinigten Linken wurde als eine verfehlte bezeichnet. Da die Rücksicht auf den Staat als Ganzes nicht gelohnt werde, müsse man sich von diesen Rücksichten lvsmachen und vor Allem die eigene» Forderungen vertreten. Sollte man hierbei dem Widerstande der Regierung begegnen, so müsse mau ihr entschiedene Opposition machen. Bei der Würdigung der Beschlüsse der ersteren Versammlung muß man den Umstand Wohl beachten, daß Vertreter der Reicksbauptstadt selbst nicht geladen waren; der Vorsitzende, Prof. Marcket, bemerkte, die Hebung des öffentlichen Geistes müsse vom flachen Lande ausgehen, weil dort politische Gesinnungstüchtigkeit und Festhalten am deut schen Gedanken als einzig richtig anerkannte Grundsätze ver breitet seien. WaS die Kundgebung in Brünn betrifft, so ist eins bervorzuheben. Die Deutschen Mährens sind gegenüber den Tschechen eine schwache, über das ganze Land zerstreute Minderheit und daher national viel stärker bedroht als ihre Stammesgenossen in Bödmen, die eine geschlossene Masse bilden. Sie haben zur Bewahrung ihres Volksthums ein gewisses Wohlwollen, zum Mindesten aber eine unpar teiische Haltung der Verwaltung sehr nöthig. Wenn sie trotzdem die Opposition gegen die Regierung nicht scheuen, so muß man dort die Ueberzeugung erlangt haben, daß das Weiterwandeln auf den bisherigen Wegen noch schlimmer und abträglicher ist. In der Tdat läßt sich nicht verkennen, daß die Taktik der Vereinigten Linken sehr dazu angethan war, die nationale Widerstandskraft der Deutschen erschlaffen zu lassen. In der Hoffnung, sich Len Dank der Regierung zu verdienen, hat sie die Geltendmachung ter fortschrittlichen Interessen ihrer Wähler ganz vernachlässigt. Sie bat aber für ihre staatsmännische Mäßigung bei der Regierung keinen Dank gefunden und ihre rücksichtsloseren Gegner schritten unterdessen von Erfolg zu Erfolg. Trotz des Sieges, welchen das französische Ministerium am Dienstag in der Steuerfrage bavongetragen hat, ist das Schicksal der Steuerpolitik MSline's noch nicht endgiltig entschieden. Was von der Deputirtenkammer endgiltig be seitigt wurde, war ein Gegenproject des ehemaligen Finanz ministers Doumer, welches die allgemeine Einkommensteuer einführen will. Bei der Abstimmung über die vom Ministerpräsidenten Meline zu einer Vertrauensfrage zugespitzte Verwerfung der Doumer'schen Vorlage ergab sich nur eine unbedeutende regierungsfreundliche Mehr heit — 283 gegen 254 Stimmen — so daß Herr Meline keinen Grund hat, mit besonderem Hochgefühl auf diesen kritischen parlamentarischen Tag zurückzublicken. Vor zwei Monaten hatte dieselbe Kammer den Doumer' schen Grundsatz mit einer Mehrheit von 45 Stimmen ge billigt; am Dienstag erklärte sie ihn mit 29 Stimmen für verwerflich. Es müssen inzwischen also 74 Mitglieder ihre Anschauungen über Las Steuerwesen geändert haben, aber man darf dafür halten, daß nicht wissenschaftliche Gründe, sondern die Furcht, durch Möline's Sturz abermals den kaum gegangenen Bourgeois wieder ans Ruder zu bringen, den vorgestrigen Beschluß eiugegeben haben. Die Blätter nehmen den Sieg des Cabinets ziemlich kühl auf. Die radicale und socialistische Presse hebt hervor, daß Las Ministerium auch diesmal nur durch die Mitwirkung der Neckten eine Mehrheit erhalten hat. Pellelan schreibt im „Rappel": „Mehr denn je ist das Ministerium das Geschöpf der Rechten, es besteht blos dank seiner Hilfe, und durch Liese gelingt cs ihm, eine demokratische Steuerreform zum Scheitern zu bringen." Die conservativen Blätter verhehlen nicht, daß ihre 9V. Jahrgang. Leute das Ministerium gerettet haben. „1895 wurde ein Präsident der Republik" so schreibt „Peuple Fran^aiS", „nur durch unsere Mitwirkung gewählt, und 1896 verdankt ein Ministerium uns sein Dasein. Das ist seit Jahren eine ganz neue Erscheinung." Die ministeriellen Blätter rathen dem Cabinrt, bescheiden zu sein, sich mit dem vorgestrigen Erfolg zu begnügen und auf der Annahme der Renten- steuer nicht zu bestehen. DaS Schicksal derselben ist be kanntlich sehr unsicher, ja ihre Ablehnung fast gewiß, zumal La zahlreiche sonst entschieden gouvernemental gesinnte Kammer mitglieder daran Anstoß nehmen, daß hinsichtlich der Be steuerung der Reute die Regierung eine Politik befolgt, welche sich der Unterstützung der socialdemokratischenDeputirlen erfreut. Man sagt sich, die Socialdemokraten würden sicherlich nicht mit der Billigung irgend einer Vorlage des ihnen besonders verhaßten Ministeriums Meline bei der Hand sein, wenn sie nicht zweifellose Gewißheit zu haben glaubten, daß dadurch den Interessen der besitzenden Ciassen und damit der für die Erhaltung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung eintretenden Parteien Eintrag gethan würde. Wie verlautet, besteht Meline auf dem Entwürfe, weil ihm sonst die Mittel fehlen, die versprochene Entlastung des Ackerbaues um jährlich 72 Millionen durchzuführen. Man glaubt, daß falls Meline an der Rentensteuer festhält, der Sturz der Regierung unvermeidlich sei. Andererseits nimmt man an, die Negierung, die kaum geboren, nicht schon sterben möchte, werde verlangen, daß der erste Artikel des Reformprojccls votirt werde, der das Princip aufstellt, daß eine Steuer von den einzelnen Theilen des Einkommens zu erheben sei. Tie Socialisten dürften hierzu das Amendement einbringen, die Rente von der Besteuerung auszuschließen, nachdem das Princip der geplanten Steuerreform votirt worden. Mit glieder des Centrums würden die Ausscheidung des Steuer- reform-ProjectS aus dem Budget beantragen, welchen Antrag die Regierung acceptiren dürste. In der russische« Presse, welche bisher die Türkei mit dem äußersten Wohlwollen behandelt hat, vollzieht sich jetzt eine beachlenswerthe Frontveränderung. Die Ungeschicklichkeit der Pforte, mit der armenischen Frage zu Ende zu kommen, bringt in Rußland auf, da man dort bei einer Fortdauer der Unruhen auch Schwierigkeiten an der kau kasischen Grenze Voraussicht. Sehr klipp und klar führt die „Nowoje Wremja" der Pforte zn Gemüthe, Laß die Geduld der Großmächte in der armenischen Frage jetzt erschöpft sei, da abgesehen von der Ernennung, eines christlichen Gouverneurs in Zeitun auch nickt eine einzige der Forderungen RkußlandS, Frank reichs und Englands erfüllt und auch nickt eine einzige Reform durchgeführt sei. Warnend bemerkt das Diplomatenblatt, daß die Pforte die armenische Frage bis zu dem Puncte stoße, wo die Entscheidung derselben nicht mehr durch „türkische Hände" erfolgen werde. Diese ernsten Worte sind indessen nur cum xrauo salm zu verstehen. Nach wie vor besteht in den leitenden russischen Kreisen ein warmes Wohlwollen für die Pforte, wenn auch natürlich nicht um der Pforte selbst willen, so doch deshalb, weil Rußland gegenwärtig die Aufrollung .der türkischen Frage so ungelegen wie nur irgend möglich kommen würde. Man mnß dazu die Situation Rußlands klar ins Auge fassen. Der Zar gedenkt im Herbst den Herrschern der Nachbarstaaten seinen Besuch abzustatten, der nicht durch Jim Pinkerton und ich. Roman von R. L. Stevenson und Lloyd OSbourne. 10s Autorisirte Bearbeitung von B. Kätscher. Nachdruck verboten. „Weißt Du, Jim, daß mir dieser Norton unter allen unseren Kunden am Besten gefällt?" bemerkte ich, nachdem „Seine Mcuestät" sich verabschiedet hatte. „Sein Besuch ist auch wirklich eine Art Auszeichnung für uns", gab Jim zu. „Ich glaube, der famose Regenschirm kniff hat seine Aufmerksamkeit auf mich gelenkt." Wir wurden übrigens sub rosa auch von wirklichen „Größen" einer Beachtung gewürdigt. ES gab Tage, an denen mein guter Freund eine besonders würdevolle Miene annahm, sich geberdete wie Einer, dessen Zeit sebr kostbar ist und Redensarten im Munde führte, wie: „Longburft bat mir heute Morgens versichert", oder „Ich habe diese Nachricht direct aus Longhurst's Munde". Kein Wunder, daß Pinkerton von solchen Geschäftstitanen zu Rathe gezogen wurde, denn die Beweglichkeit und Findigkeit dieses Menschen waren über alles Lob erhaben. Anfangs, als er sich mir noch rückhaltlos anvertraute und mir alle seine Pläne auSeinandersetzte, wobei er imaginäre Capitalien verdreifachte und die Maschine in seinem Kopfe mit vollem Dampf arbeiten ließ, konnte ich nicht feststellen, ob das Gefühl meiner Bewunderung oder meiner inner» Erheiterung größer war. Aber diese schönen Stunden sollten uns bald verkümmert werden. Pinkerton erzählte wir wieder einmal von einem grandiosen Geschäft, das er in Aussicht habe. „Ja, eS ist grandios genug, aber ist eS auch redlich?" warf ich ein. „Hälft Du es nicht für redlich?" jammerte er. „Mein Gott, daß ich aus Deinem Munde so etwas hören muß!" Beim Anblick seiner Verzweiflung verübte ich ohne Er- röthen ein Plagiat an Myner. „Du scheinst zu glauben, daß Ehrlichkeit so leicht sei wie das Blindekubspiel. O nein, sie ist schwieriger als irgend eine andere Kunst. Ich bin voll ständig überzeugt, daß Das, was Du vorschlägst, unredlich ist." „Wir wollen die Sache fallen lassen. Abgemacht." Ein Wort von mir hatte genügt, ihn zu überzeugen, aber der Jammer war der, daß sich solche Meinungsverschiedenheiten so lange wiederholten, bis es uns Beide schließlich beunruhigte. Wenn es etwas auf der Welt gab, worauf sich Pinkerton viel zu Gute that, so war es seine Redlichkeit; wenn er sich an Etwas klammerte, so war es meine gute Meinung, und da Beides in Frage stand, empfand er dies schmerzlicher als eine Folter. Wenn man bedenkt, wie viel ich diesem Menschen verdankte, wie abscheulich die Nolle eines Nörglers ist, und daß ich mich dennoch an diesen von mir mißbilligten Unternehmungen mästete, so wird man es begreiflich finden, daß auch ich nicht auf Rosen gebettet war. Wäre ich ein gediegenerer oder ein streitsüchtiger Mensch gewesen, so hätte es früher oder später sicherlich zu einem Bruch zwischen uns kommen müssen. In Wirklichkeit war ich gemein genug, von den Transactionen, die sich meiner Aufmerksamkeit nicht ausdrängtcn, stillschweigend Nutzen zu ziehen. Ich haßte un liebsame Scenen und Pinkerton, der diese meine Schwäche bald herausfand, begann zu unserer gegenseitigen Er leichterung, seine Unternehmungen vor mir in Nebel zu hüllen. Unser letzter Wortwechsel, der unvorhergesehene Folgen nach sich zog, betraf die Neuausstattung von seeuntüchtig erklärten Schiffen. Pinkerton hatte ein elendes Lastschiff gekauft und theilte mir, sich die Hände reibend, mit, daß es ausgebessert werde, um dann unter neuem Namen in See zu stechen. Als ich zum ersten Mal von diesem Gewerbe hörte, begriff ich die Tragweite desselben noch nicht, aber allmählich wurde mein Verständniß geschärft. Ich zog die Stirne kraus und entgegnete scharf: „Ich mag dabei nicht betbeiligt sein." Er sprang aus: „WaS beißt das? Was ficht Dich schon wieder an? Mir scheint, Du findest Alles, was einträglich ist, verwerflich." „Dieses Schiff wurde von Lloyds Agenten untauglich erklärt", erinnerte ich ihn. „Und ich sage Dir, dieses Schiff befindet sich in einem prächtigen Zustand, nur der Kielgang und der Hintersteven sind schleckt. Der Lloyd ist ein Ring wie jeder andere, nur mit dem Unterschiede, daß cs ein englischer Ring ist, und das blendet Dick. Wenn es ein amerikanischer wäre, würdest Du ihn in Grund und Boden verdammen. Deine Anglomanie ist Schuld daran, nichts als Deine AnglomanieI" rief er, fick in Zorn redend. „Ich will kein Geschäft unternehmen, wobei Menschen leben aufs Spiel gesetzt werden müssen," lautete mein Ultimatum. „Großer Caesar I Ist denn nicht jede Speculation gewagt? Werden denn nicht bei der gewöhnlichen, ganz redlichen Schiff fahrt Menschenleben aufs Spiel gesetzt? Und wie steht es in den Kohlengruben? Isis La nicht auch gefähr lich? Und die modernen Aufzüge — riskirt man da schließlich nicht auch sein Leben? War cs denn nicht auch gewagt, den Hulk zu kaufen? Hätte er nicht schon gänzlich verrottet fein können — wie stünde ich jetzt da? Loudon, Loudon, Du passest gar nicht in diese Welt, Deine Anschauungen sind zu verfeinert und zartsinnig." „Ich nehme Dich bei Deinem eigenen Wort, Du sprachst vorhin von der redlichsten Schifffahrt, nun denn, wir wollen uns auch nur an den redlichsten Geschäftsunternehmungen betheiligen, wenn es Dir reckt ist." Der Hieb saß; der Unvermeidliche schwieg und ick benutzte seine Zerknirschung, um ihm noch Manches vorzuwerfen. Er gehe nur darauf aus, Geld zu verdienen, und denke an nichts Anderes als an seine Dollars. Ich fragte ihn, wo alle seine edlen fortschrittlichen Gesinnungen und sein Bildungsdrang geblieben seien. „O, wie wahr, Loudon!" rief er im Zimmer auf und ab schreitend und sich dabei das Haar raufend. „Du hast ganz Recht. Ich bin materialistisch geworden. Wie schrecklich, ein solches Geständniß machen zu müssen. Materialistisch! Ich! Das darf nicht so fortgehen! Du hast Dich abermals als mein aufrichtiger Freund bewährt, reich' mir Deine Hand! Du hast mich wieder gerettet! Ich muß etwas thun, um mein geistiges Ich aufzurüttcln, ich muß auf irgend ein Studium mich werfen, auf ein trockenes, zähes Studium. Was soll's sein? Theologie? Algebra? Wie ist die Algebra?" „Trocken und spröde genug", entgegnete ich. „Aber auch anregend", forschte er. „Ich glaube schon". „Dann ist's das Nichtige für mich. Ich werde Algebra studiren", beschloß er mit der ihm eigeuen Energie. Schon am nächsten Tage erfuhr er durch eine der beiden an seinen Schreibmaschinen beschäftigten Damen von einein Fräulein Mainil Mc Bride, die fähig und gewillt war, ihn in dieses blüthenlose Gefilde einzusühren. Da sie sich nicht gerade in den besten Verhältnissen befand, fielen ihre Honorar ansprüche bescheiden aus. Man einigte sich aus zwei Lektionen die Woche. Er fing mit beispielloser Schnelligkeit Feuer und es wurde ihm so schwer, sich von der symbolischen Kunst loS- zureißen, daß die einstündige Lection sich auf den ganzen Abend ausdehnte und die anfänglichen zwei Stunden auf vier, zuletzt sogar auf fünf in der Woche vermehrt wurden. Ich warnte ihn vor etwaigen weiblichen Ränken. „Noch ehe Du recht weißt wie, wirst Du in die Alge- braistin verliebt sein." „Sag so etwas nicht einmal im Scherz", entgegnete er. „Es ist aber wahr, daß ich sie verehre. Gott hat nie ein reineres Geschöpf erschaffen als Miß Mamil." Ich machte meinem Freunde indeß auch Vorstellungen anderer Art. „Ich bin das fünfte Rad an unserem Wagen", klagte ich. „Von wegen der Dienste, die ich leiste, könnte ick ebensogut in Senegambien sein. Die Briefe, die Du mir zur Erlcdigung giebst, könnte ein Säugling beantworten. Ich will Dir nur etwas sagen, mein lieber Jim, entweder Tn suchst mir irgend eine Beschäftigung, oder ich werde mich selbst aufraffen müssen, mir eine zu suchen." Ich schielte nämlich wieder mit halben Augen nach mciner geliebten Kunst, nicht ahnend, was das Schicksal mit mir vor batte. „Ich Habs, Loudon," entgegnete Pinkerton eines Tages auf meine erneute Klage. „Was?" „Eine gute Idee. Du wirst alle Deine Talente und Fertigkeiten entfalten können. Hier lies diesen Jnserateu- Entwurf: „Sonne, Ozon und Musik! Pinkerton'S lledclomsckarz ?icllicsl Dies kcbäomaäruz- ist eine schwer auszusprechende, aber eine passende großartige Phrase! Meinst Du nicht auch? Als ich neulich ein Wörter buch nachschlug, wie man klsctsgoual richtig schreibt, bin ick auf das Wort kedckomaclar^ gestoßen und habe mir ge dacht, Du bist ein Prachtwort und ich werde Dich, bevor Du Zeit hast, viel älter zu werden, in Typen setzen lassen, die eben so lang sein sollen wie Du selber. Und hier stehts, wie Du Dich überzeugen kannst, schwarz auf weiß." So unter brach sich mein Freund in der Vorlesunades Plakates. „Fünf Dollars pro Kopf, Damen frei." Mischmasch von Ver gnügungen. („Wie gefällt Dir dies?" schob er ein.) „Feines Gabelfrühstück unter Gottes Himmelszelt! Pause auf elastischem Rasen. Rückfahrt bei Mondenschein. Director, Ehrrnceremonien- und Proviantmeister: H. Loudon Dodd, der wohlbekannte Connaisseur." Merkwürdig, wie ein Mensch von der Scilla in die Cbarpbdis gerathen kann! Ich war so sehr darauf bedacht, daß jedes mir schmeichelnde Epitheton aus dem Entwurf gestrichen werde, daß ich den Rest veS Placates mit Allem, was eS in sich schloß, ohne
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite