Volltext Seite (XML)
ten von Vokal- und Instrumentalmusik: auch zwei Symphonien, ein „kleines" und ein „gro ßes" Orchesterkonzert („Responso", 1977) und vier Solokonzerte: für Violine (1968), Klavier (1970), Violoncello (1975) und Flöte (1978). Die je unterschiedliche Kombination von vir tuos-spielerischen und symphonisch-dramati schen Elementen hat gerade bei den Konzerten zu sehr individuellen Lösungen geführt, wobei die Tendenz zur lyrischen Koloristik einerseits, zu theatralischen Konfliktstrukturen anderer seits zwei sich ergänzende Grundmuster von Matthus 1 Klangkonzept aufscheinen läßt. Das neue Konzert für Trompete, Pauken und Orchester — komponiert Frühjahr 1982 anläßlich des 100jährigen Ju- ■oums des Berliner Philharmonischen Orche sters und am 18. Januar 1983 in der Berliner Philharmonie uraufgeführt — findet zu einer ausgewogenen Synthese. Es ist spielerisch und dramatisch, virtuos und symphonisch, einfach und komplex zugleich. Die ungleichen Solisten gehen durchaus verschiedene Wege, sie kreuzen sich oft, werden aber nur selten ein Paar. Sie zeigen viele Gesichter, zarte und derbe, wit zige und wütende, heitere und schmerzliche, nur dasjenige nicht, welches sie zur beliebten Pose erstarren ließe: zu offiziellem Wirbel und zur festlichen Fanfare. Sie werden hingegen bewe gende wie leitende Akteure in einem Spiel, in einem kleinen instrumentalen „Dramma per musica", das zahm und ruhig beginnt, aber in wild entfesseltem Aufruhr endet. Das Orche ster bildet, sei es bestätigend, sei es neutral oder widersetzlich, den gleichrangigen Dialog partner. Ihm fehlen nur die Holzbläser, deren Register die Streicher mit übernehmen. Wäh rend die Solotrompete von einem elfköpfigen Chor des Blechs umgeben ist, haben die sechs Pauken zwei Schlagzeugbatterien zur Seite. Gelegentlicher Harfenklang komplettiert das Ensemble, das im übrigen für jeden Satz eine Ä?zifische Gruppierung ausprägt. Deren gibt "fünf in gleichsam konzentrischer Anordnung: Die Mitte bewegt ein frivol dahinjagender, scherzoser Vivace-Satz. Ihn flankieren zwei außerordentlich expressive Adagios. Als Eck sätze runden eine rhapsodisch deklamierende Intrada und eine furios gesteigerte Stretta das Werk. Sucht man unbedingt nach einem histo rischen Formmodell für dieses große Duett in fünf Szenen, dann findet man es weniger in den Bereichen „absoluter" Instrumentalmusik. Vielmehr ähnelt es in Aufbau und Dramaturgie jenen mehrgliedrigen, durch kontrastierenden Affekt sich aufladenden Psychogrammen, wie sie uns vor allem in der gewichtigen Opernli teratur des 19. Jahrhunderts begegnen, bei Weber und Wagner ebenso wie bei Verdi oder Bizet. Mit rhetorischer Eindringlichkeit, allmählich Raum greifend, beginnt die Solotrompete al lein. Von den Bläsern des Orchesters kommt Widerhall und Bestätigung. Die Pauken über nehmen das Thema, „schlagen" es unruhig, einen Moment aggressiv, ehe die Trompete „ihr" Thema wieder allein, nur von Pauken tönen leise grundiert, gesichert wiederholen kann. Erst im anschließenden Adagio setzen die Streicher zu leidenschaftlicher Deklama tion ein. Die emphatisch ausgreifenden Gesten werden dann von den Bläsern gestützt und in einen zwölftönigen Cluster gepreßt, um vor erst abzubrechen. Hier nun markieren die Pau ken das prägnante Thema für eine Passa caglia, die sich in sechs Variationen kontra- punktisch auffächert und zu einem dramati schen Höhepunkt verdichtet. Nach der Wieder holung des Adagio-Abschnitts, mit gleichsam vertauschten Rollen, löst sich die emotional gespannte Situation allmählich in drei weite ren Variationen. Die Solotrompete gibt über raschend das motivische Signal für ein blitz schnelles aufgewirbeltes Scherzo, in dem sich die Gestalten ungehemmt jagen und vorwärts- stoßen, bis eine Replik des Adagios mahnend eingreift. Umsonst, denn das Treiben gebärdet sich danach nur noch ungestümer, aggressiver, um von selbst schlagartig wieder zu verschwin den. Die kalte Welt ist abgeblendet: ihr folgt das Adagio lamentoso, ein lang ausschwin gender Klagegesang, der im Mittelteil, geführt vom Duett zwischen Trompete und Violoncello, die Erinnerung an einen Trauermarsch herauf beschwört. Zweimal brechen störend ein paar Takte des Scherzos herein. Sie bewirken, daß die klanglich veränderte Reprise selber nur in verstörter, dumpfer Gebrochenheit zustande kommt. Doch solche verletzte Trauer schlägt am Ende in verletzte Wut um: Tatsächlich peitscht sie das Schlagwerk in der Stretta con collera herbei und befeuert zusammen mit dem ganzen Orchester, wie ein heißer Atem, jenes überstrahlende Thema, das die Trompete vom Anfang des Werkes aufnimmt. Aber der grelle, in raschen Schüben dröhnende Klang druck gönnt ihm keineswegs seine gewonnene Festigkeit. Es bleibt für den Bläser schließlich nur ein Ton, hoch und scharf wie ein Schrei, den der Pauker mit raschen Schlägen erstickt. Wahrlich ein „dramma" - nicht nur „in mu sica"! Es könnte sehr wohl, „mit Pauken und Trompeten", vom Leben geschrieben sein. „In der Komposition begegnete ich einer mög lichen Verführung zu Äußerlichkeiten, die durch die gewählten Soloinstrumente nahelag, durch eine bewußte Konzentration auf inhalt liche und formale Aspekte. Ich wollte eine Musik schreiben, die stark im Ausdruck und in der Empfindung ist", sagte Siegfried Matt hus zu seiner Arbeit. Felix Mendelssohn Bartholdy, der musikalisch von einer seltenen Frühreife war, besitzt in der Musikgeschichte ein drei faches Ansehen: als Organisator (so gründete er beispielsweise das Leipziger Konservato rium als erstes in Deutschland und brachte Bachs Matthäus-Passion hundert Jahre nach ihrer Uraufführung erstmalig wieder zum Er klingen), als Dirigent der Leipziger Gewand hauskonzerte (hinzu kam seine ausgedehnte Konzerttätigkeit in Berlin, London und anderen Städten) und nicht zuletzt als Komponist zahl reicher Werke für die verschiedensten Gattun gen, die zu den schönsten Zeugnissen der Mu sik des 19. Jahrhunderts gehören, wie die geniale Musik zum „Sommernachtstraum", das Violinkonzert, die „Schottische" und „Ita lienische Sinfonie". Mendelssohns formvollen dete Tonsprache erwuchs oft aus Natur- und Landschaftserlebnissen — wie im Falle der 3. Sinfonie a-Moll (der „Schottischen") und der Hebriden-Ouvertüre, die die Früchte einer Schottlandreise waren. Ebenso entstand die Sinfonie Nr. 4 A D u r o p. 90, die „ Italienische", während einer Italien fahrt des 21jährigen Bankiersohnes Mendels sohn. Von Rom berichtete er 1830: „Die Ita ¬ lienische Sinfonie macht Fortschritte; es wird das lustigste Stück, das ich gemacht habe." Die Sinfonie wollte er nicht beenden, ehe er Neapel gesehen hatte, „denn das muß mit spielen.“ Die erfolgreiche Uraufführung des Werkes fand 1833 in London statt. Das liebenswürdige Stück bietet keinerlei Pro bleme. Der Komponist folgt dem klassischen Sinfonieschema konsequent. Er musiziert in der „Italienischen" vorwiegend einfach, heiter und lebensfreudig. Die lichterfüllte Welt des Sü dens begegnet im jugendlich-jubilierenden, frohbeschwingten Hauptthema des ersten Sat zes. Der zweite Satz, zu dem Mendelssohn durch eine Prozession in Neapel angeregt worden sein soll, gibt sich dagegen mehr gisch, balladenhaft. Der dritte Satz, ein EmP nuett, gemahnt eher an einen Schubertschen Ländler als an ein Bild aus der italienischen Landschaft. Der Trioteil malt mit weichem Hörnerklang den Zauber des deutschen Wal des, den Mendelssohn selbst in Italien nicht vergessen konnte. Genial ist das Presto-Finale, ein leidenschaftlich dahinwirbelnder „Salta- rello" (Springtanz; das Tanzthema erklingt in den Holzbläsern), der, aus der neapolitani schen Volksmusik übernommen, ein mitreißen des Bild aus dem italienischen Volksleben mit seiner ausgelassenen Fröhlichkeit trotz elegi scher Episoden zeichnet. Dieser Satz ist ein typischer, geistsprühender, elegant-schwung voller Mendelssohn, der jeden Hörer wohl in seinen Bann zwingt. Nach dem Konzert am 5. Januar 1985 FOYERGESPRÄCH VORANKÜNDIGUNG: Freitag, den 18. Januar 1985, 20.00 Uhr (Anrecht A 1) Sonnabend, den 19. Januar 1985, 20.00 Uhr (Anrecht Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Prof. Dr. habil. Dieter Hartwig 5. PHILHARMONISCHES KONZER1 Dirigent: Klaus Bernbacher, BRD Solist: Thomas Christian, Österreich, Violine Werke von Jürg Baur, W. A. Mozart und Richard Strauss Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Prof. Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführung in das Trompetenkonzert von S. Matthus schrieb Dr. Frank Schneidet, Berlin Spielzeit 1984/85 - Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Fotos: Werner Wurst / Matthias Creutziger Druck: GGV, BT Heid. 11125-16 494754 2,85 JtG 009-80-84 EVP -.25 M 4. PHILHARMONISCHES KONZERT 1984/85