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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.02.1905
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-02-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050223013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905022301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905022301
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-02
- Tag 1905-02-23
-
Monat
1905-02
-
Jahr
1905
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Aunahmeschlutz sür Anzeigen: Abrnd-Au-gabe: vormittag» 10 Uhr. Morgtn-AuSgab«: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» au dir Expedition zu richten. Ertra-Vetlage« (nur mit der Morgen- Au-gabr- uach besonderer Vereinbarung. Die Expedition tp wochentags ununterbrochen geöffnet do» früh ö bi» abend» 7 Uhr. Druck «nd Verlag von E. Polz in Leipzig (Inh. Or. v, R. L W. «ltuthardtl Nr. 98. Donnerstag dm 23. Februar 1905. 99. Jahrgang. Var Wcdtigrtr vom Hage. * Der Reichstag hat gestern sämtliche Handelsverträge in dritter Lesung ange nommen. * Die Reichstags st ichw ah l im Wahlkreise Hof findet heute statt. * Infolge desStreiks auf den russischen Bahnen nmrde gestern inSosnowice der dort früh 9 Uhr eingetroffene preußische Güterzug vom russischen Eisenbahnpersonal nicht zurWeiter- beförderung angenommen. (S. d. Artikel.) * Die ungarische Opposition benennt der Krone als spätesten Termin für die B e r u f u ng e i n e s Kabinett- den 8. März. (S. Ausland.) * Nach Meldungen auS dem Revier Borinaae und aus Charleroi zieht sich der belgische Kohlen- a r b e i t e r st r eik bis in die nächste Woche hin. (S. Ausland.) * Zur englischen Friedensagitation wird gemeldet, daß Eduard VH. und Balfour sie unterstützen, die militärischen Kreise auS Furcht vor Ablenkung Rußlands auf Indien aüraten. (S. Russ.-japan. Krieg.) * An Baku herrscht Panik, daS Gemetzel auf den Straßen geht fort, Petroleumquellen brennen, Eiseabahnzüge sind entgleist. (S. ü. Artikel.) * Der venezolanische Spezialgesandte Dr. Paul unterhandelt in Washington mit LoomiS und Hay, um für Castro gütliche Bedingungen zu er zielen. (S. Ausland.) Oer live o'cloclr. (Don unserem Petersburger Korrespon denten.) v. Petersburg, 7. (20.) Februar. In der „Ruß" ist die folgende politische Alle gorie veröffentlicht worden, die in der von der russischen Literatur sehr oft angewandten Manier die geistige Kon fusion zeichnet, welche sich der höheren Stände im Ruß land der Gegenwart bemächtigt hat. Es werden die markantesten „Richtungen" verspottet, die in der russischen Gesellschaft Mode sind. Die Satire erinnert zum Teil an Saltykow-Schtschedrin und ist reich an Ve- ziehungen, von denen der Uebersetzer einige durch Fuß noten erklärt. Mit Ausschaltung einer Schlußepisode, worin ein revolutionärer Wutanfall deS Sohnes -er alle gorischen Gastgeberin simuliert wird, lautet der Text: „Alexandra Arkadjewna ist die liebenswürdigste Dame, die ich kenne. Ihre größte Furcht ist, hinter dem Jahrhundert zurückzubleiben, und ihr größter Ehrgeiz, in allem au oournut zu sein und das zu wissen, was niemand, entschieden niemand außer ihr weiß. Sie ist stolz darauf, daß m ihrem Gastgemach von den allerletztesten Ereignissen gesprochen wird, oft schon eine halbe Stunde darauf, nachdem sie geschehen sind. Alexandra Arkadjewna und ich sehen uns selten, ausgenom men in den Augenblicken ernster Ereignisse unseres öffentlichen Leben». In solchen Fällen erhalte ich gewöhnlich von ihr ein Billett immer merkwürdigen Inhalts. Z. B.: „Mein Freund! Mit unglaublichen Anstrengungen ist es mir gelungen, einer großen Rarität habhaft zu werden. Kommen Sie her und Sie werden eine Rede des berühmten Numismatikers Unter- glasnikow zu hören bekommen." Dann: „Um Gotteswillen, i verschaffen Sie mir einen Bauern, ein echtes russisches Bäuer lein. pur »»ns, und bringen Sie ihn zu meinem live o'aloaie. Daß er aber um Gotteswillen zuerst in die Badstube geht. Ich lege ein rotes Hemd bei, sowie plüschene, wie man sie dort trägt, und eine Mütze mit Pfauenfeder. — ?. 8. Wenn mög lich, :n Bastschuhen und nüchtern." — DaS war der berühmte VolkS-Tee, auf dem mein Hausknecht Iwan prächtig die Rolle deS Volkes spielte: er bekreuzigte sich, den Arm weit schwingend, trank 20 GlaS Tee von der Untertasse und sagte sogar zu Alexandra Arkadjewna: „Sie sind unsere Väter und w:r, heißt daS, sind so wie Kinder." Sehr zufrieden mit seinem Hemde, schwitzte er die ganze Zeit und hörte er mit er staunlicher Würde drei Referate an: „Ueber die Zentrali sation", „Wie und womit können wir unsere Schuld an daS Volk abtragen", „Ueber die Annäherung von Volk und Ge bildeten".' Ein anderes Billett lautete: „Wir brauchen daS Rote Meer und Australien." Und darguf: „Alles wankt, alles bricht zusammen. Dem Gebäude droht der Fall. Heute abend :st bei mir der erste Landschasts-KreiSchef. Kommen Eie her. Aber um GotteSwillen, nur nichts von Vielgötterei." — Jabr« vergingen, — wieder traf ein duftendes Briefchen ein: „Bringen Sie mir, mein Teurer, einen Marxisten, aber nur einen echten. Sonst sterbe ich. Man sagte mir, daß die echten Marristen alle rothaaria sind. Wenn all« rot- haarigen vergriffen sind, dann, um GotteSwillen, wenigsten» einen Vlondin." Stellen Sie sich daS Entzücken von Alexan dra Arkadjewna vor, als der Marxist sich als feuerrot erwies »nd den ganzen Abend davon sprach, daß „die soziale Frag« vor allem eine Magenfrage" ist. Die Brieschen von Alexandra Arkadjewna regneten da zwischen hagelweise aus mich ein, dann verstummten sie wieder auf lange Jahre. In der letzten Zeit häuften sie sich besonder» an. „Kann man nicht auf der HauSbühne einen Streik darstellen?" Oder: „Kommen Eie sofort her und erkläre« Sie mir, waS ein AuSstand ist." „Im Namen heiliger Rechte der Freundschaft, bringen Sie morgen einen Arbeiter her. Ich schicke Wasserstiefel und eine seidene blaue Bluse. Ob sie ,o ist, wie die dort sie haben, weiß ich nicht. Man sagt, daß sie ie nicht tragen, 4 1'Loossnis». Da sind auch 10 Rubel — er oll sich betrinken . . . Da» ist notwendig." AuS diese« gillett schloß ich, daß die Arbeiter und die Arbeiterfrage ent. chieden Mode geworden waren. Ich wandte mich wieder an meinen HauSknecht Iwan wegen seiner Mitwirkung sda ich nicht einen Arbeiter in diese weltliche Narrheit verflechten wollte): Iwan verfiel beim Anblick der seidenen Bluse und der 10 Rubel in Ekstase und erklärte, daß er „nicht irgend einen Kerl von Meister, sondern den Fürsten Posharski *) selbst für die liebe Seele darstellen" werde! Alexandra Arkadjewna trat mir mit der aufgeregten Frage entgegen: „Nun, was ist das? wo ist er? wird er kommen?" „Sft ..." — flüsterte ick geheimnisvoll, — „er besäuft sich eben und wird sofort erscheinen." Ich nahm em Glas Tee und sah mich um. Ganz das Alte, Bekannte, Ge wohnte, trotz der neuen Menschen. In den Tagen der Volks tümelei Alexandra Arkadjewnas konnte man in ihrem Gast- gemach nicht nur den Hausknecht Iwan antreffen, sondern, auch irgend einen alten Landstreicher, mit Ketten am Leibe, einer 20pfündigen Mütze auf dem Kopfe und einem scharsspähenden Blick. In den Tagen der Erneuerung der Grundlagen herrschten die bureaukratischen Physiognomien vor mit dem charakteristischen Aussehen des Hämorrhoidarius und der üblichen Redewendung, daß die Kultur eines Landes gemessen wird an der Zahl der Detektivs. In den Tagen öes Marxismus keuchten hier die dicken Moskauschen Kauf mannsfrauen und machten die Moskauschen Kaufleute ihre Verse. Jetzt war hier etwas Lärmendes, Gemischtes. ES hoben sich einige Fracks von vereidigten Nechtsanwalts-Gehül- sen ab. Zwei unserer bekannten Journalisten saßen ein ander gegenüber, die Hände in die Taschen versenkt, und tausch ten solche Blicke, wie ein paar Gänseriche, die bereit sind, auf einander loszusahren. Alexandra Arkadjewna warf zu ihnen aufgeregte Blicke hinüber und setzte schließlich zwischen sie einen bekannten Prediger, ihn mit den Worten geleitend: „Selig sind die Friedensstifter". Ter Sohn Alexandra Arkadjewnas, ein lieber Junge und Student, saß an einem Nebentischchen für sich allein da und berauschte sich an L. Andrejews „Roter Spaß", ohne den Gästen irgend welche Aufmerksamkeit zu schenken. Ein in Angelegenheiten irgend eines Ballettmadchens in Petersburg zum Besuch weilender Semstwo-Mann war sehr traurig und träumte augenscheinlich von einem neuen Pump. Eine durch den Glanz des elektrischen Lichtes, das Rauschen der Seide und die Feierlichkeit der Fracks etwas erschreckte, bescheidene und stille Lehrerin von der Sonntaasschule für Arbeiter gewann immer mehr Herrschaft über sich und ein sarkastisches Lächeln umspielte ihre Lippen. Ein bei Alexandra Arkadjewna in letz ter Zeit als Beamter zu besonderen Aufträgen angestellter, ganz junger, „rosiger Taugenichts" machte bei den Gästen die Honneurs, stellte sie einander vor und erzählte ihnen die letzte, sensationelle Neuigkeit über die Bewegung des Sektierer tums. Alles ging, wie es sollte. Man sprach über alles, sprang von einem Gegenstand zum andern über. Man ver handelte über die Frage, bei welcher Beleuchtung Miß Dun can hübscher sei. Ein Professor, der immer auf Urlaub war, sobald es nur irgendwelche Ruhestörungen gab, begann eine ganze Rede mit den Worten: „Wie bekannt, betrachtete ein großer Kenner und Liebhaber des weiblichen Körpers, der hochselige Kaiser Nero, einen Frauenleib immer durch einen nesigen Smaragd. Aus der Epoche der bemalten Statuen hat sich ein Stück vom linken Bein einer Venus von grün rötlicher Farbe erhalten. Einer der Kirchenväter . . ." Man unterbrach ihn. Es erklangen die überzeugungstreuen Worte: „Wir begreifen noch nicht die große und geheimnisvolle Macht des russischen Naskol und Sektenwesens. Im Laufe der Jahrhunderte verheimlichte und sammelte das russische Volk hier seine — ich wollte sagen Ideen, sage aber — Gedanken. Und deren Tiefe ist unermeßlich . . ." Die Hausherrin fragte ihn p ötzlich zerstreut: „Ist es möglich, daß die Zahl der Opfer am 9. und 10. Januar eine so schreckliche Ziffer erreicht? . . . Nein, nein, — das kann nicht sein!" Jetzt ließ die Lehrerin einen Sammelbogen „zum Besten der Geschädigten" los. Seufzend langten alle m die Tasche und gaben ein Goldstück. pDaran sind wir selbst, wir selbst sind an allem schuld" — rief letzt mit erhobener Stimme einer der Studenten, der mit einem Kameraden über irgend etwas heiß stritt. „Wir dis kreditieren uns in allen Dingen selbst. Erinnern Sie sich, wie in der Nr. 19 der „Iskra" der Verfasser des Leitartikels er klärt, daß Ihm die Worte Struve? mit glühenden Eisen auf der Stirn eingebrannt werden müssen? Und diese ewige Feindschaft zwischen den S.-N. sden Sozial - Revolu tionären! und den Sozialdemokraten? Von den Ökonomisten rede ich schon gar nicht . . . Und die letzten Zänkereien unlängst wegen der Kirchengelder?**! . . . Nun, sind wir nicht schuld, daß die Arbeiter aus unS wie auf Spitzel blicken, daß die meisten von unS sich bereits ein staats männisches Air geben, um nur das eigene Fell zu retten, daß man die Hand Gapon 3 küßt und unter seinem Epitrachelion Begeisterung sucht? . . . Die Hausherrin wandte sich schnell an die Gesellschaft mit dem Seufzer: „Ach, dieser Äapon. Er intrigiert mich. Die einen sagen, er se: ein Fanatiker, die anderen er sei ein Agent-Provokateur. Man spricht von jener seiner schmutzigen Geschichte. . . nun, dort in der Lchule . . . Alexander Ssergeiewitsch kennt ibn noch aut von der geistlichen Akademie her und versichert, daß er auch dort zu Zeiten Askese trieb, zu Zeiten wieder das Heilige verspottete?! Wo ist er? Was ist er? ... ach, wie er mich intrigiert . ." Die Lehrerin von der Sonntagsschule zog bei diesen Worten aus ihrem Nidikül ein Kuvert mit einem Packen von Briefen heraus. Mit demselben Lächeln, mit dem sie die Erörterungen über den Körper der Duncan angehört und dann auf die Gäste geblickt hatte, die ihre goldenen Fünfer aus dem Beutel nötigten, sagte sie: „Ich kann Ihnen Briese Gapons vorlesen. Sie erklären vieles." Tue Gäste blickten aus irgendwelchem Grunde auf die Tür, wo jedoch auch nicht ein einziger berit tener Schutzmann zu sehen war: die Hausherrin erbleichte etwaS und flüsterte mir mit zitternder Stimme zu: „Lion eher, kann man nicht diese» abwenden? Tun Sie es, ich beschwöre Sie . . ." Ich erwiderte mit der Stimme des Schicksals: „DaS kann man nicht abwenden . . ." Die Lehrerin laS sachlich und trocken. Einige Widersprüche erklärte sie mündlich. Bei den Sätzen: „unsere Pflicht, unsere große sittliche Pflicht vor dem russischen Volke ist es, sofort und noch heute zur Kenntnis zu bringen . . ." oder: „Ich, die Arbeiter und viele Tausende vom Volk haben fried lich und im Glauben an eine uns wohlwollende Gesinnung beschlossen, unerschütterlich . . . usw.", bei diesen Sätzen preßte Alexandra Arkadjewna meine Hand und fragte: „Wird man uns hängen? Ja?" —„Das versteht sich doch" schon von selbst", erwiderte ich, „und Sie wird man noch in» Ssusdalsche *) Fürst Posharski ist ein russischer Nationalhekd und Feld herr, der die Polen auS Moskau vertrieb und die große Lan desdeputation sStmski Ssobärj einberief, die am 21. Februar 1613 den ersten Romanow, den sech zehnjährigen Michail Feödorowitsch Romanow zum Zaren erwählte! D. Uebers. **) Offenbar eine Anspielung auf daS geheimnisvolle Ver schwinden der Gelder sür den Bau der Suhnekirche, die zum Gedächtnis an die Ermordung Alexander S II. errichtet, aber trotz jahrelangen Bauens nicht fertig wird. D. Uebers. Kloster*) zum Büßen schicken." — Jedenfalls atmete alles er leichtert auf, als das Vorlesen ausyörte. — „Komödie!" — sagte verächtlich ein Juriskonsult. — ,,Christlicher Sozialismus" — bemerkte vorsichtig der Professor, der gefunden hatte, daß es äußerst gut ist, zu Ausstands-Zeiten jetne Nieren im Auslande zu kurieren. — „Das ist ein Lamennais, ein russischer Lamennais, aber noch im Werden, im Wachstum" — sagte überzeugt ein junger Rechtsanwalt, der schlau die Interessen eines Syn dikats in einer Zeitung und die Interessen der Ar beiter in einem Journal verteidigt halte. „Ja, das ist ein Lamennais.. Als ich in Paris war, beschäftigte ich mich speziell und lange mit dem Studium dieses interessanten Mannes . . ." — „Und nicht mit der Gründung eines Naphtha-Syndi kats?" — zischette boshaft sein Nachbar . . . — „Ich mochte sogar jagen, urerlwurdigen Mannes, wahr- haften Tribunen einer eben erst erwachten Menge. Wie viel Ärchäistisches lag in seiner Kutte und wie viel Neues in feiner MiMonarstätigkeit unter den Arbeitern. Alles, was er jagtr ist — elementar. Diese Predigt der Liebe und Freund- schäft, diese Predigt der Gerechtigkeit und Kameradschaft... Dort, wo er mit seiner starken, ehrlichen Rede von der Ein samkeit des heutigen Menschen spricht, erhebt er sich gegen die Absonderung. . ." — „Er hat niemals das Syndikat gepredigt?" — zischelte noch boshafter der Nachbar. — „Zusammen mit ihm unterstütze ich" — fuhr der Syn- dikatsmann fort — „seine Idee, datz die Vergewaltigung zu vermelden ist und daß man, ohne über Etwas in Aufregung zu geraten, dessen eingedenk sein soll, daß wir ohne Liebe, ohne gegenseitiges Vertrauen nichts erreichen werden . . . Für einige Minuten schlug die lebhafte Unterhaltung mächtige Wogen, so, Wiedas immer beiden Russen zu sein pflegt, mit unbeendet gebliebenen Phrasen, verfehlten Witzen und mit dem unaus- hörlichen Wunsch, alle und jeden auf irgend eine Art zu be witzeln. Jemand sagte Alexandra Arkadjewna, daß ein Freitisch eingerichtet werden müsse. Sie griff diese Idee aut und begann einen ganzen Plan zu entwickeln. Man half ihr, indem man Muster-Menus zusammenstellte, auf denen bedingungslos der hochgerühmte Fisch Turbol einen Platz einnahm. Man stritt über die Marke Champagner, einige sogar ernsthaft, um ihre Kenntnis von diesem Gegen- stände zu beweisen. — „Aber das Bankett, das Bankett bei der Eröffnung. Mit Reden über die Landesdeputation, über Konstitution, Preßfreiheit, Strcikfreiheit. Nikita Petrowitsch, haben Sie eine Resolution fertig?" — „Ich habe immer 100 Resolutionen im Voraus fertig." — Das Verhältnis von Kapital und Arbeit basiert auf der Veltragssreiheit und Niemand, weder Staat, noch Presse, hat hier mitzusprechen . . ." — „Veraltet, — Freundchen ... — In allen europäischen Staaten denkt man anders. . ." — „Was geht uns Europa an . . . hauen muß man es." Im Vorzimmer ertönte ein heftiges Klingeln. Die Damen kreischten auf. Alle erbleichten. Der Vertreter des Syndi kats kroch hurtig unter den Tssch. Die Lehrerin von der Sonntagsschule schüttete das gesammelte Geld gewandt mir in die Tasche, mir ruhig zuflüsternd: „Ihnen wird man es nicht abnehmen." Wie Schrotkörner rauschten die er schrockenen Stimmen: „Die Polizei, die Polizei . . ." Im Vorzimmer lärmte es, schrie man, prügelte man sich. End lich, nach einigen Sekunden der Aufregung und Erwartung erschien m der Tür — mein Iwan in blauer, seidener Bluse. Er war betrunken, wie hunderttausend Schuster. Wild die Augen rollend, mit abgeschmackten, aber fürchterlichen Gesten schrie er: — „Alles kann ich . . . Ich bin der Fürst Posharny . . . Hurrah!" Der kivs o'aloalr war auseinander gesprengt . . . Ter Mystifikation, die hier angedeutet ist, liegt im Russischen ein Wortspiel zu Grunde. Der .HauSknecht Iwan hatte, wie erinnerlich, prahlerisch versprochen, er werde den Retter des Vaterlandes und des HauseS Romanow, den Fürsten Posharski selbst, dar stellen. Bei seiner großen Betrunkenheit fällt ihm aber nur die volkstümliche Bezeichnung des Großfürsten Wladimir ein: „Fürst Posharn y", d. i. „Fürst Feuerwehrmann"! Denn Großfürst Wladimir hat neben anderen Aemtern auch daS Präsidium des All russischen Feuerwehr-Verbandes. *) Anmerk. d. Uebers. Peter d. Gr. sperrte seine erste Gemahlin Eudoxia Feodorowna Lopuchin ins Pokraw- Kloster zu Ssusdal wegen ihrer Anhänglichkeit an daS Alt-Russentum! vir Krisis in Kusslancl. prstrft ver russischen Gesandtschaft in Vern. Aus Bern wird gemeldet: Gutem Vernehmen nach erhob die russische Gesandtschaft in Bern bei dem Bundesprä sidenten Vorstellungen wegen der Veranstaltung von Geldsammlungen auf öffentlichen Wegen von Bern und wegen Beteiligung eines Mitgliedes deS Berner Gemeinderates an dieser Veranstaltung, sowie wegen der deftigen Sprache der schweizerischen Presse gegen über der russischen Regierung und dem Kaiser von Rußland. Der russische Justlzinlntster bat, wie au« Warschau gemeldet wird, nach einer Peters burger Depelche der „Boss. Ztg." 15 jüdischen RecbtS- anwalt-gebülfen erlaubt, in die Korporation der Rechts anwälte einzutreten. Um allgemein« Aufhebung der leit 1889 bestehenden RechtSbeschränkung der Juden wird von Moskauer Advokaten nachgesucht. Der verkehrsministeE telegraphierte, daß auf Allerhöchsten Befehl alle Forderungen der Arbeiter der Staat-babneu unverzüglich summarisch bewilligt werden sollen. Vte ZusiSnd« i« Warschau. AuS Lemberg wird berichtet, die russische Regierung habe die beabsichtigte und bereit« vorbereitete Mobilisation in Warschau mit Rücksicht auf die dort herrschende» gefährlichen Zustände eingestellt und aufgeaeben. Die Polizribeamten wurden auf Anordnung de« Polizei chef» mit Browningrevolvern bewaffnet. Die Be amten der Versicherungsgesellschaft „Roßia" sind ausständig. Wirkungen He» Llsenbahnersireik» im Grenzrevier. Wie au« Warschau gemeldet wird, ist der Zug 766 Warschau-Wien, der regelmäßig um l2V, Uhr mittag« ab geht, gestern nicht abgegangen. Der allgemeine Ausstand sämtlicher Eisenbabnarbeiker wird erwartet. Infolge deS Aus stande« auf der Warschau-Wiener Bahn verweigert SoSno- wice, das vorgestern abend oberschlesische Kohlensendungen wieder ausgenommen hatte, seit gestern von neuem die Güterannahme. Gestern blieben in SoSnowice die Warschauer Züge au«. Ein dem Schnellzuge entgegen fahrender Bahningenieur auS SoSnowice mußte umkehren, weil das ausständige Bahnpersonal ihn mit Erschießen be drohte. Alle Eisenbahnbrücken in Russisch-Polen sind militärisch besetzt. DerKattowi tzer Zug konnte inSoSnowice erst nach zweistündigem Warten einfabren. Nach dem „Ober- schlesischen Wanderer* wurden zwischen SoSnowice und Dombrowska die Schienen der Hauptstrecke auf gerissen; ein Güterzug ist infolgedessen entgleist und von Ausständigen geplündert worden. In der Grenzstation Preußisch - Herbh häufen sich die Eisen- bahngüter in großen Massen, da die Czeustochauer Fabriken auch bestellte Waren nicht mehr abnahmen. In allen Fabriken von Czenstochan ruht die Arbeit noch voll ständig. DaS Elend von tausenden von Arbeitern ist ent setzlich. In Geschäftskreisen befürchtet man den voll ständigen wirtschaftlichen Zusammenbruch Polen«. Au» Vak« gelangen, wie da« „B. T. meldet, wahrhaftige Schauer nachrichten nach Petersburg. Nach ihnen herrscht unter Armeniern unv Tataren ein regelrechte« Schlachten und Metzeln. Alle Kontore sind geschlossen, die Auf gabe von Telegrammen an die Petersburger Verwaltungen tann nur mit Revolverschüssen erzwungen werden. In Bibi-Eibat sind in den dortige» Petroleum quellen furchtbare Brände ausgebrochen. Schutz dagegen gibt es nicht. Die Administration ist untätig. Gerüchtweise verlautet, daß Passagierzüge zum Ent gleisen gebracht wurden. Der mrrirch-japanirche Krieg. Neber den englifchen Frieden»-Areuzzng wird dem „L.-A.* au« London gemeldet: König Eduard, der in den letzten Tagen den russischen Botschafter Grafen Benckendorff wiederholt in längeren Audienzen empsing, macht seinen ganzen Einfluß in der Richtung eines baldigen Friedensschlusses geltend und wird dabei vom Premierminister Balfour lebhaft unterstützt. Dieses Bestreben stößt auf heftigen Widerspruch bei den militärischen Kreisen, die befürchten, daß Rußland sein in ver Mantschurei verlorenes Prestige in Indien wieder einzubringen suchen werde. — Eine Londoner Depesche des „B. T." beruft sich sür die Friedens nachricht auf Informationen, die der englische Botschaftsrat Siring Crice aus Petersburg dem König Eduard in einer Audienz kürzlich übermittelt haben soll. Der Reiterführer General Mifchtschenk» erholt sich, wie das „B. T." auS Mulden meldet, allmäh- lich von seiner jüngst erlittenen Verwundung. Er geht noch an Krücken, hofft aber bald wieder zur Front zurück lehren zu können. Wie verlautet, wird er ein Armeekorps erhalten. Die Japaner uuH Ha» au»lanHische Eigentum. Aus Tokio meldet ein amtliches Telegramm: Angesichts der kürzlich von Rußland gegebenen Darstellung, nach der die japanischen Behörden in Port Arthur angeschuldigt werden, daß sie versuchten, Privatpersonen mit Gewalt zum Verlassen der Stadt zu zwingen, um ihr Eigentum zu beschlagnahmen, wird von japanischer Seite erklärt, daß eine solche Beschuldigung gänzlich unbegründet und nichts weiter als Machen schaft sei. Die japanischen Behörden haben von Anfang an alles getan, WaS in ihrer Macht gestanden hat, um alle« Privateigentum der Ausländer im Sinne der Verhand lung der Uebergabe von Port Arthur gemäß zu schützen, und es könne ihnen nichts ferner liegen, als irgend einen Russen durch Schikanierereien zum Verlassen der Stadt zu zwingen. Von Her Front. Die Russische Telegraphen-Agentur meldet au- Huan- tsch au vom 22. Februar. Im Rayon von Tsinchentschen gingen am 20. Februar die kleinen Vorposten aus Tin- dajiu und vom Tsentsilinpaß ein wenig zurück. Der süd liche Vorposten verblieb auf dem eingenommenen Punkte. Unsere Verluste im Laufe des TageS betrugen 14 Tote und 63 Verwundete. In der vorigen Nacht und heute verhielten sich die Japaner ruhig. Auf der übrigen Front ist ebenfalls alles still. — Nach einer Reuterdepesche auS Niutichwang erreichten ungefähr 300 Russen Montag nacht die Eisenbahn zwischen Hcntscheng und Tatschitschao, zerstörten sie oberflächlich und verletzten wiederum die Neutralität de« Gebiets westlich deS Liao-Flusse«; e« ist nicht gemeldet, ob chinesische Soldaten dort gewesen sind. Augenscheinlich versehen, wie gemeldet wird, die Dorf bewohner die Russen gut mit Nachrichten über die Ver teilung der japanischen Streitkräfte. Die Zer störung an dem Eisenbahnkörper wurde sofort wieder in Ordnung gebrockt. Die Russen zogen sich zurück, ohne e» zum Kampf kommen zu lassen. Deutsches» Keich. verlt«, 22. Februar. - Die devtsch^usfische« Handelsbeziehungen. Mit dem neuen deutsch-russischen Handelsvertrag« veschästigte sich gestern der Deutsch-Russische Verein, in dem die am Export nach Rußland interessierten Industriellen und Kaufleute ver. einigt sind, in einer außerordentlichen Versammlung. Der Grundton fast sämtlicher Redner war, daß die deutsche In dustrie bei dem neuen Handelsvertrag« sehr schlecht weg-
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