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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration?« Preis 22^ Sgr. lf THIr.) vierteljährlich, 3 Lhli jür ha» ganze Jahr, ohne Er tz Shung, in allen Theile» der Preußischen Monarchie. Magazin für die Ma» peLnumerirt aus diese» Beiblatt der Allg. Pr. StaatS- Zeitung in Berlin in dee Exrcdition (Mohren-Straß« Rr. 34); in der Provinz so wie im Auslande bei de» Wohllödl. Poft - Atinttrn. Literatur des Auslandes. 1LL. Berlin, Mittwoch den 27. Dezember 1837. Frankreich. Der Sonntag in Paris. Kein Tag bat mir i» Paris von jeher eine so unüberwindliche Abneigung gegen sich eiiigeflößl, als der Sonnlag, aber nicht etwa der kirchliche Sonntag, der Lag der Ruhe, des Gebet» und de» Gottes« ticiistc», sondern der bürgerliche, feiertäglich gekleidele, mit einem Wort, der sonntägliche Sonnlag. Als ich noch aus dem Gymnasium war, er weckte mir, wenn ich zu Hause blieb, kein Tag mehr Unruhe in den Beinen, mehr Unbehaglichkeit in der Stimmung, als eben tieser Tag. Nicht die Somnagsirägheit verwünschte ich, sondern die Heere dieser Trägheit. Wenn der Pedell mir geheimnißvollem Lächeln seinen abge tragenen schwarzen Rock bürstete und sich wohlgefällig vor einem Stück Spiegel, da» ich ihm mit mürrischer Miene geliehen, da» Halstuch knüpfte, kochte mir unsäglicher Neid im Herze»; denn dieser Mensch war am Sonntage glücklich, mir aber wurde er immer mehr verhaßt. Al^ Student lraf ich den Sonntag in der Gestalt eine» Polizei-Eom- missair« auf den Tanzboden oder in der eine» verdorbenen Eierkuchens in del, Labagiecn an, und zuweilen sah ich ihn auch im Odeon hinter einer klassischen Tragödie Andrieur'S lauern. Wie soll ich also nicht dem Sonntag von Herzen gram seh»! Um ihm niln zu entgehen, halte ich den Faubourg St. Germain, den Sitz der Künste und Wissenschaften, dann da» Viertel St. D6ni», hieraus die Straßen nm da» Palais-Royal und endlich die Gegend de» Lurcmbourg, der durch seine Eonnlage am unerträglichste» ist, nach einander verlassen; aber eitles Bemühe»! vergeblich waren alle diese Wohnungsveiäiikculngen; jenseits ter Ehincsifchen Bäder sand ich den Sonntag mit seinem ganzen Gefolge wieder, und nm so mehr dünkte dieser mir lächerlich, da er sich auf der Ehauffse d'Anlin im hohen Grade prächtig, elegant, müßig und neugierig zeig«. Dort drüben aus der anderen Seite siebt ter Sonnlag allerdings clwaS steif ans, jedoch siudirt er fleißig und versteht mehr Griechisch, al» irgend Jemand in Frankreich; hier aber weiß er nicht» davon und bat eine Eisenbahn! Zn Pari» erkennt man de» Sonntag an der Miene derer, die ihn genießen, und derer, die an demselben laborircn. Am Sonntag nimmt tie Stadl eine ungewöhnliche und höchst eigcnlbümliche Physiognomie an, von der gewiß die Moralisten eines Tage» reden werden, und wolle der Himmel, daß dieser Tag kein Sonntag setz. De» Sonntags kennt Paris keine Tkäligkeit, keine Freude, keinen Geist, keine Poesie, keine Kunst, keine Beredsamkeit, keine Liebe! Der Geist geht spazieren, da» Genie fährt auf dem Wasser, und die Schönheit brüstet sich. Den Maler, dessen Atelier wädrend der Woche der Sammelplatz der Kunst freunde, de» Fleißes und der interessantesten Plaudereien ist, fleht man am Sonntag mit einer Fran unter dem Arm und tie Taschen voll mit Kindern »or dec Tbür irgend eine» TbcalerS harren, und der Kompo nist, dessen Oper am letzten Freilag da» Publikum bezauberte und hin» riß, streift de» Sonntag» in der Nalionalgardisten-Unisorm umher und gebt in die Bataillonsschule, nm dort zu spiele». ES giebt Freunde, denen man nur Sonntag» begegnet, vergessene Geliebte», die inan nur Sonntag» liebt, und sogar Bücher, die man nur Sonntags liest; selbst die Theater haben ihre Sonntag»-Vorstellungen, wie man Sonntags- Soireen, Sonntags-Dejeuner» lind einen SonnlagSrock Hal. Am Sonmag schlägt man zum Nappell, am Sonntag werden die Paraden abgehoben, am Sonntag bringt man die Rechnungen, am Sonntag wird tie bürgerliche Haussrau zur Kokette, am Sonntag ver langen die Kinder Bonbon», und am Sonntag fleht man den HanS- srcünd bei sich z»m Miltagbrod. Macht Jemand am Sonntag eine Landpartie, so verdirbt ibm ein Regenguß seinen Sonniagsbul, oder ein widerspänstiger Esel bricht ibm den Hal» oder rennt ihn, die Frau um und versetzt' sie in einen schwer zu beschreibenden Zustand. Gehl man in« Blusen,», so kommt man um sein Schnupstnch; geht man nach der Eisenbahn, so verliert man seinen Stock; besucht man da« Tivoli, so erweckt der Wahrsager eifersüchtigen Verdacht ober der Walzer Gewissen», bisse; geht man zu Mnsard, so hat man unversehens ein Duell auf dem Halse, und fährt man auf dem Wasser, so ertrinkt man sicherlich; ja man wird die ganze Woche hindurch geboren, stirbt aber nur am Sonn tag. Aerger, Verdruß und Kosten regnen auf den Sonntag wie auf einen verwünschten Tag herab, und sogar Tallcyrand lächelt nie am Sonntag. Und vollend« die Liebe! Diese ist ein abgesagter Feind de» Sonn- taq». An den Wochentagen ist da» schöne Geschleckt stet» um drei Uhr zn spreche»; um drei Ubr werden die Tribunale, die Kammern, die Ministerien und die Börse eröffnet; der Advokat plaidirt, der Bairquier diskontirt, der Depulirlc volirt und der Minister signirt um drei Uhr; die jungen Damen haben um diese Zeil ihre Vormillags-Leclioncn been det und die jungen Witwen ihre Kinder in die Tuileiice» geschickt; alle» Lelen, alle Bewegung befindet sich außerhalb der Häuser, und alle Gefühle, alle Schwärmereien flüchten in da» Znnere derselbe». Die kleinen Salon», in denen die Modedamen die neuen Romane lesen und die Besuche empfangen, bilde» gleichsam Oasen, welche die Arbeit der Wochentage respckiirl und langweilige Menschen nie bennrnhige»; denn d,e erstere beschäftigt bereit» anderwärts im Uebermaß und die letzteren sind selbst zu sehr bcschäsiigi. Am Sonntag aber ist die legislative Rcdncrbühne stumm, die strei tenden Advokaten reichen sich die Hände, die Dukaten feiern, der FonbS- Spekulani schneidet sich tie Nägel ab, und die Miuiflrnal - Bemmen rasiren sich. Es giebt keine Liebe mehr! Die Frauen sehe» sich in der Winhschast um, revidiren die Wasche und haben bald an ihren Män nern und bald an der übrigen Familie etwas zu tadeln; alle Stunden dieses Tages sind voller Geräusch, keine einzige genießt der Einsam keit. Die Frauen haben ihre Sonntagslanncn, und die Männer haben sie auch. An den Wochentage» giebt es »ich!« Liebenswürdigeres, nichts Malerischeres, nichts Französischeres als das ganze Wesen dec Pari serinnen in ihren Eomptoirs. Zn ihrer Weise, sich zu kleiden, zu spre chen, zu gehen, ja selbst zn schweigen, wen» sie einmal schweigen, herrscht eine vollkommene Harmonie. Fast in allen Waarcnlagern findet man hübsche Verkäuferinnen, und Schürze, Kopfputz, Lächeln, Sprache, Benehmen, Eleganz, alles dies zeigt da seine Nationalität im vortheil- hasicsten Licht. Wenn sie ihre Waaren rühmen, so sind sie voll seiner Höflichkeit und geistreicher Aniwonen, ja sogar die Stellung, in der sie beim Ausruhen irgend einen Roman lesen, verreich ihren Geist; selbst über Politik sprechen sic, streiten um die Zeitungen und berechnen das Steigen und Fallen der Rente. Auf ihre Arbeit niedcrgebückt, durch die Strahlen ter Hellen GaSlampen verschönert und durch der Fenster angegafft, stehen sie le» Abends unbeweglich da wie die Statuen in de» alten Thermen; die weißen Finger fliegen Über die Stickerei bin, und sie hören die Ealanteriecn an, ohne daraus zu antworten. Da« Gold, der Marmor, der Stahl und die Teppiche, mit denen man jetzt die Waareiilager so reich verziert sieht, verleihen diesen ein orientalische« Ansehen, und an den Wochentagen glaubt mau, in den Straßen Zapans umherzuwandeln, die ihrer ganzen Längt nach zu beiden Seilen mit Harem« besetzt seyn sollen. Am Sonntag aber sind die Läden geschlossen und die Grisellen werden aus 24 Stunden zu vornehme» Damen. Statt der kokettiren- den, salbenreichen, transparenten Waarenlager steht man in den Straßen von Pari« rechts und link» zwei Reihen schmutziger Breiter, die einen düsteren, einsörmigen Anblick gewähren, von den Slraßcnbubcn mit Kreide vollgeschmirrt werden und mit eisernen Stangen versehen sind, al« wären siimnnliche Häuser von oben di» unten nur ein einziger Geldkasten; stall dec schalkhaslen Verkäuferinnen mit der pfiffigen Schürze und Haube begegnet man improviflrien Damen, die in den Omnibus und Fiakern mit steifem und gezwungenem Aussehen ihre prächtige» Hüte und blendenden Roben in» Theater oder zu den Restau rateur» fahren oder im Ballstaat bei Lesage Pasteten oder aus den Meudoner Wiest» Melonen verspeisen. Mein Schuhmacher, Herr B-, ist ei» großer Künstler, Freimaurer, Mitglied mehrerer gelehrter Gesellschaften und endlich ein Mann, der mit dem Talent, Stieseln zu machen, noch da« überschwängliche Verdienst verbindet, daß er nie seine Rechnung dringt; endlich besitzt er sogar auch gesunden Menschenverstand, denn er hat ei» Vermögen von 30V,(MV Franc». Die Woche über ist dieser große Künstler in die be, giikine, herkömmliche Tracht seines Stande» gekleidet, er bewegt seinen Kopf leicht und ungezwungen, da er keine Kravalte trägt, und um den Mund spielt ihm ein freundliche» Lächeln, dem man die Natürlichkeit ansieht. Mil seiner grünen Serzeschürze, seinen Ueberzug-Aermeln und seiner Hausmütze hat der Mann ein eigcnlbümliche» Aussehen, eine gewisse Originaliräl; mit einem Wort, er ist Schuhmacher. Les Sonn tag« aber ball er sich seine» Vergnügens wegen für vcrpflichlet, seinen schwarzen Frack in den Tuilcriecn spazieren zu führen; wenn er grüßk, so vergeh! eine Bierielstunde, cbe er seinen Hut, der ihm stet» zu klein ist, wieder zurcchlsetzt, und zn lachen wagl er vollend» gar nicht; denn seine Gcsichtsmuskclii, die zwischen dem Schraubstock seines steifen Halskragen» stecken und noch vom Rasiren blulen, würden bei Lem ge ringsten Verziehen schmerzliche Zuckungen empfinden. Zch habe ibn im Theater de» Palais-Roval, aus den Paraden in den EbamrS-ElYsi'cS und beim Puppciispicl im Tivoli mit verzweifelter Anstrengung feinr