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Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zu Freiberg nab Braud. Verantwortlicher Redakteur: Julias Braun i» Freiberg. /»SH Erscheint jeden Wochentag Nachmitt. ^/,S Uhr für den !I «y andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2d Pf., i vl» W » zweimonatlich 1 M. SO Pf. und einmonatlich 7S Pf. SS Jahrgang. Freitag, de» 18. März. Inserate werden bis Bonnittag 11 Ubr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum 1ü Pf. 1887 Der vereitelte Zarenmord. Erst am Dienstag brachte der russische „Regierungs- Anzeiger" eine Aufklärung über ein zwei Tage vorher in Petersburg von einigen jungen Leuten gegen den Zaren geplantes Attentat. Darnach sind am Sonntag Vor mittag 11 Uhr auf der Newski-Perspektive mehrere Studenten verhaftet worden, bei welchen man Spreng geschosse fand, die mit Dynamit und Bleikugeln geladen waren, welche letzteren Strychnin enthielten. Von dieser offiziösen Darstellung weichen die Privatnachrichten aus Petersburg vielfach ab. Dem „H. C" ist von einem an scheinend vorsichtigen und gewissenhaften Gewährsmanne „auf indirektem Wege" mitgetheilt worden: „Als der Zar Sonntag, den 13. März, aus der Festungskirche von der Todtenniesse ins Palais zurückfuhr, schleuderte um U/, Uhr Nachmittags ein Jaroslawscher Bauer, Namens Generalow, auf den Kaiser eine Bombe, welche aus den Schnee fiel und nicht explodirte. Der Mordgeselle wurde sofort ergriffen. Unter seinen Oberkleidern fand man mehrere Flaschen mit Sprengstoffen. Außerdem wurden zwei mitverschworene Studenten an Ort und Stelle fest genommen." Nach einer der „Nat.-Ztg." zugegangenen Depesche ist es aber gar nicht zum Bombenwerfen ge kommen. Der an der Ecke der MorSkoja aufgestellte Mann, ein früherer Student, trug die Bombe in einer Schulmappe. Ein Polizist sah eine rothe Strippe aus dem Instrument Hervorscheinen, was seinen Verdacht erregt«. Die Verhaftung erfolgte sofort und in den nächsten Augen blicken auch die von zwei in der Nähe befindlichen Individuen, die gleiche Schulmappen trugen. Die Meldung von der Verhaftung und dem Bombensund wurde telegraphisch an den Kaiser abgesandt, der sich noch beim Gottesdienste be fand. Der Zar soll in Thränen ausgebrochen sein, indem er der Gefahr gedachte, die seine Familie gelaufen war. Die kaiserlichen Wagen fuhren nun in großen Umwegen nach dem Bahnhof. Ungemein zahlreiche Verhaftungen sind erfolgt; es herrscht große Bestürzung über den Vorgang in Petersburg. Großfürst Wladimir arbeitete mit den Leitern der Polizei und vertheilte bereits verschiedene Belohnungen. Das durch das scharfe Auge und die wachsame Hand der russischen Polizei vereitelte Attentat, welches auf die russischen Verhältnisse ein neues grelles Schlaglicht wirft, würde der Oeffentlichkeit wohl ganz vorenthaltcn geb! eben sein, wenn es nicht zuerst durch die chiffrirte Depesche eines Petersburger Korrespondenten des „Standard" in London bekannt geworden wäre. Die russischen Gesandtschaften in London und in Berlin stellten zunächst den Mordversuch ganz in Abrede, der auch saft nirgend Glauben fand, bis der Unterstaatssekretär Fergusson im englischen Unterhause sein Bedauern über das Vorkommniß öffentlich aussprach. Da die Petersburger Polizei trotz aller Wachsamkeit kaum im Stande sein konnte, unter den Tausenden, die sich in der lebhaftesten Straße einer starkbelebten Großstadt herumtreiben, gerade auf Diejenigen zu fallen, die sich mit Werkzeugen des Ver brechens versehen hatten, so muß man trotz aller wider sprechenden Schilderungen an einen ungewöhnlich glück lichen Zufall oder daran glauben, daß ein in die Verschwörung Eingeweihter Reue fühlte und kurz vor der Ausführung des geplanten Verbrechens der Behörde von der bevorstehenden Gefahr Anzeige machte. Das russische Kaiserpaar verließ unmittelbar nach der Entdeckung des Mordplans die nordische Hauptstadt und siedelte nach dem leichter zu bewachenden Lustschlosse Gar schina über. Offenbar dadurch etwas beruhigt, daß die so sort gegen die verhafteten Studenten eingeleitete Untersuchung keinen Anhalt für die Annahme einer weitverzweigten Ver schwörung ergab, kehrte das russische Kaiserpaar am Diens tag auf einige Stunden nach Petersburg zurück, um an einer Festlichkeit bei dem Großfürsten Wladimir theilzu- nehmen und dadurch die aufgeregten Gemüther etwas zu be ruhigen. Je größeres Interesse die russischen Regierungs kreise daran haben, die Sache mit Stillschweigen zu bedecken, desto lebhafter ist der Wunsch aller anderen Staaten, über die Ursachen des vereitelten Verbrechens klar zu werden. Man weiß, daß es in vielen Kreisen Rußlands gährt, daß es nicht nur nach Ansicht der „Times" die nach einer westeuropäischen Verfassung lüsternen Großgrundbesitzer, nicht nur die durch den schlechten Rubelkours in eine sehr be drängte Lage geratheuen Beamten und Offiziere, nicht nur die mit nihilistischen und sozialistischen Ideen erfüllten rus sischen Studenten sind, welche auf den Umsturz hinarbeiten. Bis in die untersten Klassen, bis in die breitesten Schichten der russischen Bevölkerung trug die fast unbeschreibliches Koth eine unendliche Verstimmung. Dazu kommt, daß >ie panslavistischen Moskowrten ihren tiefen Unmuth über >ie Erfolglosigkeit der kostspieligen russischen Orientpolitik, über die Unmöglichkeit, gegen den Willen Europas Bul garien zu knechten und auf der Balkanhalbinsel festen Fuß u fassen, jetzt in der aufregendsten Weise äußern. Nichts st aber für die russische Regierung verhängnißvoller als >er Zwiespalt in der nächsten Umgebung des Zaren. Die leine dort sehr mächtige panslavtstische Partei, deren Führer Tolstoi, PobedonoSzew und Katkow sind, eifert beständig in gehässigster Weise gegen den Minister des Auswärtigen, von Giers, und die im europäischen Sinne liberalgesinnten jochgebildeten russischen Großgrundbesitzer, die vor Allem ie Bewahrung eines freundlichen Emverständnisses mit Deutschland und Oesterreich-Ungarn verlangen und von einem Bündniß mit den Radikalen Frankreichs nichts wissen wollen. Eine Regierung, in der so widerstrebende Elemente Sitz und Stimme haben, kann natürlich weder nach üinen noch nach außen eine Achtung einflößende Thatkrast be weisen. Es steht fest, daß die russischen Nihilisten in Unthätig- keit verhärten, so lange General von Kaulbars in Bul garien herumwirthschaftete und Katkows Drohungen gegen Deutschland und Oesterreich einen ernsten Hintergrund zu haben schienen. Vielleicht hielten sich die Nihilisten auch nur ruhig, weil es ihnen au Menschen und Geldmitteln ehlte ; wahrscheinlicher ist es ahw, daß sie auf auswärtige Verwickelungen und auf ein Bündniß Rußlands mit Frank reich hofften, in welchem Staat die ihnen geistesverwandten Anarchisten ungestört ihr Wesen treiben dürfen. Auffallend ist es, daß genau in dem Moment, wo alle Aussichten auf ein russisch-französisches Bündniß und einen Krieg mit Deutschland und Oesterreich sich verflüchtigten und die Sprache der Panjlavistenblätter den Grad der höchsten Verbitterung erreichte, auch die Gährung unter den Offizieren Rußlands bedrohlich wurde und russische Studenten ein Verbrechen gegen den Zaren planten, dessen Jnszenirung unverkennbar auf den nihilistischen Ursprung der Unter nehmuna hinweist. Um die ihm wohlbekannte Verstimmung unter dem Offizierkorps zu beseitigen, ergriff der Zar das Mittel, daß er zu seinem Geburtstage den Stabs- und Subalternoffiziere eine Zulage gewährte, welche dieselben >ei ihren sehr geringen Gehältern und dem weichenden Rubelpreis mit ihrer keineswegs beneidenswerthen Lage etwas aussöhncn wird. Eine eigentliche Kriegslust ist wohl m diesen Kreisen ebensowenig vorhanden als in den bürger- ichen Kreisen Rußlands, aber auch diese letzteren sehen in einem Kriege das einzige Mittel, eine von ihnen dringend gewünschte Aenderung der jetzigen Verhältnisse herbeizu- ühren, deren Bestand nur durch das weitverzweigte mächtige Beamtenthum und durch die rücksichtsloseste Polizeiwirth- schaft verbürgt wird. Alles dies würde sofort bei dem Ausbruch eines großen Krieges zusammenbrechen, gleichviel ob die russische Armee Erfolge erränge oder Niederlagen erlitte. Wenn die Organe Katkows nicht stark geflunkert haben, neigt der Zar persönlich den nationalrussischen Kreisen zu, denen das westeuropäische moderne Verfassungswesen ver haßt ist und eine Ausbreitung der russischen Macht nach Osten hin als Lebensbedingung erscheint. Dem Kaiser von Rußland und seiner nächsten Umgebung kann es aber nicht entgehen, daß für sie die Aussichten bei einem Kriege weit geringer sind als für die Gegner der russischen Regierung, die ein russisches Sedan sofort zum Sturze des jetzigen Systems in Rußland benutzen würden. Das Mittel, innere Schäden durch auswärtige Unternehmungen zu heilen, war stets ein sehr gewagtes und Napoleon III. hat damit eine Erfahrung gemacht, die für den russischen Kaiser eine Warnung sein sollte Wäre der Letztere wohlberathen, dann würde er umgekehrt die auswärtige Politik Rußlands momentan zum Stillstände bringen und dadurch sowie durch Gewährung einer Verfassung, die schon kurz vor dem traurigen Ende seines Vaters nachweislich in dessen Absicht lag, die Gemüther in Rußland beruhigen, das Vertrauen Europas neu beleben und durch die damit verbundene Erhöhung des Rubelpreises die Vermögensverhältnisse seines Landes im Nu verbessern. Das unbestimmte chwankende Wesen der bisherigen russischen Politik läßt ich ohne ernste Gefahren für den Zaren selbst nicht länger ortsetzen, derselbe muß endlich wählen zwischen einem autokratischen System mit kriegerischen Unternehmungen und einem verfassungsfreundlichen friedlichen Regiment. Der Riese mit den thönernen Füßen braucht uuter allen Um ständen eine neue festere Grundlage. Tagesschau Freiberg, den 17 März. Der deutsche Kaiser empfing gestern Nachmittag s Uhr den österreichischen Kronprinzen, welcher kurz zuvor au- Wim eingetroffrn und auf dem Anhaltischen Bahnhofe in Berlin von dem wieder genesenen deutschen Kronprinzen und dem Prinzen Wilhelm von Preußen empfangen worden war. Letz terer geleitete den Kronprinzen Rudolf zu dem Kaiser nach dem PalaiS und demnächst von dort ins königl. Schloß, wo selbst der österreichische Kronprinz auf einigt Tage Wohnung genommen hat. Nachmittag« 4 Uhr hatte der Kaiser ein« längere Konferenz mit dem Reichskanzler Fürsten BiSmarck. Um b Uhr nahmen der Kaiser und die Kaiserin daS Diner im königlichen Palais gemeinsam mit dem Kronprinzen Ru dolf von Oesterreich, dem Prinzen Wilhelm von Preußen, dem Großherzog und der Großherzogin und dem Prinzen Ludwig Wilhelm von Baden ein. Gestern Abend besuchte der Hof die Theatervorstellung. — Der Andrang der Fremden, welche sich anläßlich der bevorstehenden Geburtstagsfeierlichkeiten de- Kaisers in Berlin aushalten, macht sich schon jetzt in den dortigen Hotels und Gasthöfen in einer Weise geltend, welche annehmen läßt, daß noch zahlreiche Privatwohnungen erforder lich sein werden, um den an Berlin gestellten Ansprüchen zu genügen. Dir ersten Gasthöfe der Stadt sind von der preußische« Aristokratie nahezu völlig belegt, und auch in den übrige« Gasthöfen wurden schon ganze Zimmerreihen bestellt. Berlin dürfte schwerlich jemals einen derartigen Fremdrnzufluß erlebt habe», wie er mit Bestimmtheit zum 22. März erwartet wird. — Der Seniorenkonvmt deS deutschen Reichstage- hatte gestern Mittag im Verein mit dem Gesammtvorstand de- ReichStagS eine Besprechung darüber, in welcher Weise der Reichstag die Feier des neunzigsten Geburtstages des Kaiser- gestalten möchte. Man kam dahin überein, an Stelle der mündlichen Beglückwünschung, zu welcher daS Präsidium sich sonst von dem Plenum beauftragen ließ, eine schriftliche Adresse treten zu lasten, die dem Kaiser nicht überreicht, sondern über sandt werden soll. Letzteres ist deshalb nothwendig, weil auf dringendes Anrathen der Aerzte der Kaiser sich entschlossen hat, an seinem Geburtstage nur die Glückwünsche der sürst- lichen Persönlichkeiten, vielleicht noch die der großmächtlichen Botschafter persönlich entgegcnzunehmen, Minister aber, Ge neralität, Präsidien der parlamentarischen Körperschaften de- Reiches und Preußens nicht zu empfangen. Am 22. März selbst werden die Mitglieder des Reichstages in üblicher Weise im Kaiserhof ein gemeinschaftliches Diner haben. Das Reichstags- gcbäude soll wie in früheren Jahren illuminirt und beflaggt werden. — In der gestern Abend von dm Gesellschaften für Erdkunde und Anthropologie in Berlin zu Ehren des Afrila- sorschers Junker abg haltencn Festsitzung erhielt derselbe daS Diplom der Ehrenmitgliedschaft der Gesellschaft für Erdkunde. Hieraus folgte eine Begrüßung durch den Geheimrath Virchow im Namen des Anthropologischen Vereins. Junker gab einm Bericht über seine Reise in den Gebieten des nördlich vom Kongo verlaufenden Uelle-Makuaflusses und der dort wohnenden Völkerschaften, sowie eine hochinteressante Uebersicht über die durch den Aufstand des Mahdi hervorgerufenen Kämpfe. An die Sitzung schloß sich ein Festmahl. — In der gestrigen Generalversammlung der deutschen Reichs bank ist für den verstorbenen Karl Rothschild Baron Wilhelm Rothschild und für den ausscheidenden B. Liebermann Kom- mcrzienrath Frentzel in den Zentral-Ausschuß gewählt wordm. Die übrigen Mitglieder desselben wurden wiedergewählt. — Die offiziöse „Nordd Allg. Ztg." verweist auf die Haltung der französischen Presse gegenüber der glücklich beendeten italieni schen Ministerkrifis und betont, daß besonders die orleanisti- schen Blätter „Soleil", „Moniteur" und „Universel" sich von der Erbitterung über die italienische Politik zu Drohungen hmreißen lassen Diesen schließe sich der ganze Chorus vom „Sivcle" bis zu Rocheforts Blatt an. Alles, was den Um sturz wolle, falle über Italien her, weil, dank der Festigkeit des Königs, diesem Lande ein republikanisches Ministerium erspart wurde. Dabei herrsche die Gemeinsamkeit der Cliquen, welche, weil sie mit dem Bestehenden unzufrieden seien, über haupt auf vm Umsturz in europäischen Ländern rechnen. Diese Gemeinsamkeit reiche von der französischen Republik bi- zu den russischen Nihilisten, von Orleans bis Polen; sie begreife Alle, welchen die gegenwärtige Lage mißfalle und welche einig seien in ihrer Femdschaft gegen jede für die Erhaltung de- Friedms eintretende Regierung, also gegen Deutschland unter allen Umständen. Diese Elemente fänden in Deutschland wirk same Verbündete in der sozialen, klerikalen und politischen De mokratie. Die deurschen Parlamentsdemokraten und französischen Revanchepolitiker seien durch ihre Ziele auf einander angewiesen.