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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.10.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001020015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900102001
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900102001
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-10
- Tag 1900-10-20
-
Monat
1900-10
-
Jahr
1900
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Von einer Seite, die die Wirksamkeit des neuen Reichskanzlers Mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt hat, wird uns geschrieben: Graf Bülow hat während seiner Thätigkeit als Staatssekretär des auswärtigen Amtes zweifellos Gelegenheit genommen, sich auch mit den Fragen und Anforderungen der inneren Politik bekannt zu machen, er hat es aber immer klug verstanden, sich von jeder Parteinahme in innerpolitischcii Angelegenheiten fern zu halten. Selbstverständlich wird er als Reichskanzler oft genug auch -innerpolitische Vorlagen der Regierung zu fördern uns zu vertreten haben, aber wir meinen, daß eine Behandlung der Bedeutung des Kanzlerwechsels für 'die innerpolitischen Streit fragen Zeit habe, bis eben der neue Kanzler Gelegenheit gehabt hat, zu diesen Fragen von Amts wegen Stellung zu nehmen. Ganz anders steht es aber mit der Bedeutung des Kanzler wechsels für die auswärtige Politik. Denn -in dieser ist der neue Kanzler nicht nur schon währens seiner Laufbahn als Botschafter in Rom hervorgetreten, sondern auch ganz besonders natürlich als Staatssekretär des auswärtigen Amtes, dem er drei Jahre hindurch mit großem Erfolge vorgestandcn hat. Ja, er ist in dieser Stellung mehr hcrvorgetreten, als es wohl sonst einem Staatssekretär des Auswärtigen vergönnt ist, weil ihm infolge des Alters des Reichskanzlers ein großer und freier Spielraum gelaffin war. So haben die Leiter der auswärtigen Politik der fremden Staaten Gelegenheit gehabt, von der Persönlichkeit des Grafen Bülow einen bestimmten Eindruck zu gewinnen, und dieser Ein druck ist ein starker gewesen. Wir wissen aus unanfechtbarer, beiläufig nichtoeutscher Quelle, daß beispielsweise die englischen Staatsmänner im vergangenen Jahre die Zähigkeit, mit der Graf Bülow in der Samoafrage den deutschen Stand punkt vertrat und durchzusetzen wußte, mit einem Gemisch von Bewunderung und -Schmerz würdigten. Immerhin fehlte dem Grafen Bülow bei seiner bisherigen Wirksamkeit noch Eins: die volle Autorität des leitenden Staats mannes. Wohl leitete erfaktisch di« auswärtigen Angelegen heiten, aber formell war er doch immer nur der Vertreter des Reichskanzlers, denn die deutsche Verfassung kennt ja kein collegialisches Ministerium, sondern nur einen vrrantwortlichen höchsten Reichsbeamten. Und deshalb war ihm ein Mann, wie beispielsweise Lord Salisbury, immer um einen Point vor: dieser war eben der im Range Höherstehende. 'Diese Frage des Ranges ist gerade für die auswärtige Politik durchaus nicht ohne Bedeutung und deshalb wird Graf Bülow nunmehr, wo er mit der Autorität des Reichskanzlers umkleidet ist, sicherlich noch wirksamer die deutsche auswärtige Politik leiten können, als bisher. Denn darauf kann man sich ver lassen, daß Graf Bülow sicherlich auch derfaktische, nicht nur der verantwortliche Leiter der deutschen auswärtigen Politik sein wird, wie es Fürst Bismarck jederzeit gewesen ist. Wenn während der Leiden letzten Kanzlerschaften der Reichskanzler weniger als Leiter der auswärtigen Politik hervortrat, so lag dies daran, daß Graf Caprivi nicht aus der diplomatischen, sondern aus der militärischen Carriöre hervorgegangen war und daß Fürst Hohenlohe einerseits hochbetagt, andererseits von Natur ziemlich passiv veranlagt war. Graf Bülow aber steht ebenso, wie seinerzeit Bismarck bei der Uebernahme der höchsten Staats stelle, noch im kräftigsten Man-nesalter und er ist zweitens wie -der große Kanzler aus der diplomatischen Carriöre hervor gegangen. So versteht es sich von selbst, daß er einerseits im Vollgefühle seiner rüstigen Kraft, andererseits aus Berufs- n-eigung der auswärtigen Politik seine besondere Aufmerksamkeit zuwenden wird. Und dies wird nicht nur für das Ausland von Bedeutung sein, sondern auch für Vie Stellung des neuen Reichskanzlers zu den innerpolitischen Parteien. Man braucht ja kein Prophet zu sein, um vorhevzusagen, daß es in der -inneren Politik nicht an Reibungen fehlen wird, aber gerade darum ist es von großer Bedeutung, wenn alle Parteien in dem Zutrauen zu der Leitung der auswärtigen Politik durch einen Mann, den sie vielleicht in einzelnen inneren Fragen befehden zu müssen glauben, einig sind. Graf Bülow hat einmal in einem privaten Gespräche un gefähr Folgendes geäußert: „Möchte doch im deutschen Volke di« Ueberzeugung immer stärker werden, daß bei uns eine gesunde auswärtige Politik gewissermaßen der eiserne Reifen ist, der di« mit den explosiven Stoffen der inneren Streitfragen gefüllte Tonne zu- sa in menh äk t." So ist also die Hoffnung wohl nicht un gerechtfertigt, daß gerade die bisher und, wie wir hoffen, auch in Zukunft erfolgreiche auswärtige Thätigkeit des neuen Reichskanzlers wohlthuend und besänftigend auf den inneren Hader einwirken werde. Die Wirren in China. Wieder eine sranzöfifche Note. In Paris verlautet, wie unS der Draht meldet, der Minister des Aeußern, Delcasss, habe eine neute Note an die Mächte gerichtet, in der er sie von der einstimmigen Annahme seiner ersten Note in Kenntniß setzt und sie ersucht, daS Programm der in der ersten Note enthaltenen Be dingungen zu verwirklichen. Dem Vernehmen nach schlägt DelcassS in der zweiten Note vor, jede Macht, die sich die in Frage stehenden Bedingungen zu eigen mache, möge sie zur Kenntniß Chinas bringen, um die Wiederherstellung der Ordnung daselbst zu beschleunigen. Jede Regierung möge ihren Vertreter in Peking beauftragen, die festgesetzten Be dingungen der durch Li-Hung-Tsckang vertretenen Regierung zur Kenntniß zu bringen. Mehrere Mächte haben sich zu der zweiten Note zustimmend geäußert. Weitere Zustimmungs erklärungen werden demnächst erwartet. Mittlerweile ist der fremdenfeindliche Einfluß am chine sischen Hofe wieder im Wachsen begriffen. Man schreibt unS au» London: Die Friedensverhandlungen er scheinen unter dem Eindruck der erfolgreichen Uebertragunj der chinesischen Hauptstadt in die Berge von Scheust immer aussichtsloser, wenn auch Li-Hung-Tschang und seine diplo matischen Gehilfen in Europa Alles aufbieten, daS gerade Gegentheil al« Wahrheit hmzustellen, und selbst, wa« die Form anbetrifft, auch die diplomatische Action der Gesandte» der Großmächte in Peking Fortschritte zu machen scheint, wenigstens soweit eS sich dabei um Her stellung eines Einvernehmens handelt. Aber trotz der fort gesetzt progressiven Herabsetzung der Forde rungen der Großmächte scheint ein wirklicher Erfolg immer aussichtsloser. So wird heute auS Petersburg ge meldet: „Die öffenlliche Meinung Rußlands wird immer mehr und mehr pessimistisch bezüglich des schließlichen AuS- gangeS der Ereignisse in China. ES herrscht ein allgemeines Vor gefühl, daß die chinesische Negierung im Begriff steht, alle ihre Hilfsquellen an Doppelsinnigkeit und Geriebenheit und ihre ganze Macht passiven Widerstande» zu Hilfe rufen wird, um die Mächte beschäftigt zu halten und dieselben durch leere Vorverhandlungen, Vorschläge und Noten so lange hin zuhallen, bis der Winter he reinbricht und dann auf die Härle des Klimas, den Mangel an Vorrälbcn und die aufreibenden Angriffe der Boxer zu rechnen, um die Lage der Alliirlen, wenn erst die kalte Jahreszeit bereinbrickl, zu einer unhaltbaren zu macken." Diese russische Auffassung be stätigt vollständig die Meldungen der Shanghaier Corre- spondenten und die Thalsachen geben beiden leider nur allzu Recht. WaS auch immer aus den zur Zeit schwebenden Vor verhandlungen werden wird, und gleichviel, ob dieselben zu einer formellen Eröffnung von Friedensverhandlungeu mit Li-Hung-Tschang und dem Prinzen Tschung führen oder nicht, immer wird selbst das günstigste Resultat derselben ein ephemeres bleiben, so lange Prinz Tuan der eigentliche Machthaber ist und die Dynastie in Singansu ruhig den Gang der Ereignisse abwartet. Die riesigen Heerdcnmasfen deS chinesischen Volkes kommen offenbar täglich mehr in Bewegung und Alles scheint darauf hinzudeuten, daß die Entfesselung der heterogensten Elemente in denselben ein internes Chaoö vorbereitet, dessen auch die geschickteste Diplomatie Herr zu werden große Mühe haben wird. Ter chinesische EencralissimuS. Es hat in der europäischen Presse allgemein Aufsehen erregt, daß die Gesandten Uung-lu unter den zu bestrafenden Haupt anstiftern der chinesischen Unruhen nicht aufgeführt haben. Daß er seinem Charakter und seiner ganzen Vergangenheit nach zu den Führern der fremdenfeindlichen Partei zählt, ergiebt sich aus der folgenden Schilderung, die der „Welt-Corr." aus Tientsin, Anfang September, zugeht: Kaum ein Name wird in diesem Augenblicke in China so viel genannt, wie derjenige des Generalissimus der chinesischen Trup pen, Uung-lu. Uung-lu stammt aus einem alten Mandschu- hause, welches seit langer Zeit verwandtschaftliche Beziehungen zum kaiserlichen Clan unterhält. Uung-lu selbst ist ein Neffe der Kaiserin-Wittwe; er trat in das öffentliche Leben dadurch ein, daß er zum Uin-Sheng, einer Art von Ehrenlicen- tiaten, ernannt wurde, und zwar in Anerkennung der Dienste, welche seine Vorfahren der Dynastie geleistet hatten. Dies er spart ihm das Ablegen der sonst für den Staatsdienst vorge- chriebenen Prüfungen. Wie andere vornehme Mandschus hat sich auch Uung-lu ohne jede Vorbildung nur durch Rücksichtslosigkeit und Schlauheit von einem Posten zum andern emporgeschwungen. Er war noch nicht 30 Jahre alt, als er zum ersten Sekretär eines der Ministerien ernannt wurde. In dieser Stellung knüpfte er eine enge Ver bindung mit den Eunuchen des Hofes an und war in mehr als eine Palastintrigue verwickelt. Als sein Treiben eines Tages durch den Minister Shen Kwei-fen, der ein geborener Chinese und schon als solcher Gegner des jungen Mandschu war, öffent lich gegeißelt wurde, da wußte Uung-lu den Spieß umzudrehen und derartige Anklagen gegen Shen zu erheben, daß dieser von der Kaiserin-Wittwe degradirt und seines Amtes entsetzt wurde. Nun folgten 20 Jahre, in denen Jung-lu fast vergessen wurde. Man muß es ihm lassen, daß er sich den ihm nun übertragenen militärischen Pflichten mit vollem Eifer hingab, und daß er die Truppen, die ihm unterstellt worden waren, zu einer für chinesische Begriffe außerordent lichen Vollkommenheit ausbrldete. Es gelang ihm endlich, die Aufmerksamkeit des Prinzen Suen, des Vaters des jetzigen Kaisers, auf sich zu lenken, und auf dessen Empfeh lung hin wurde Uung-lu nach zehnjähriger Dienstzeit im Heere mit dem Obercommando in Foochow betraut; fünf Jahre später kam er dann als Höchstcommandirender in die Provinz Schansi. In dem Kriege mit Japan erfüllte er die Hoffnungen, die man auf ihn gesetzt hatte, durchaus nicht, und Li-Hung- Tschang mußte mit den Feinden Frieden schließen, ohne daß Uung-lu sein Wort gehalten hätte, die Japaner au» dem Lande zu werfen. Nichtsdestoweniger wurde dieser Mißerfolg für ihn nur eine Stufe zu höherer Macht: er wurde in das Tsung li Damen be rufen und hatte dadurch die lang ersehnte Gelegenheit, sich durch alle möglichen Erpressungen zu bereichern. In diese Zeit fielen auch die bekannten Versuche, eine Reform in China einzuführen. Ein Theil des Tsung li Namens hatte sich auf Seite Kang Uu-weih's gestellt und war entschlossen, dessen von dem jungen Kaiser genehmigte Reformpläne durchzu führen. Es gelang indessen Uung-lu zusammenmit Kang-yih und dem Prinzen Kung, die chine sische Reformpartei im Tsung li Uamen zu besiegen. Kang Uu-weih aber und der alte Weng Tung-Ho ließen von ihren Bemühungen, des Kaisers Reformpläne durch zuführen, durchaus nicht ab; da gewannen Uung-lu und Kang- yih die Kaiserin-Wittwe für sich und bekämpften nun mehr offen den Kaiser selbst. Schon in dieser Zeit nämlich war Uung-lu entschlossen, nötigenfalls den Kaiser geradezu zu entthronen; daS um so mehr, als er sich ja sagen mußte, daß ihm der Kaiser seinen Widerstand gegen die Reformpläne niemals vergeben würde. Zunächst aber gelang eS ihm, zu bewerkstelligen, daß man ihn zum Dicekönig von Chihli machte; vor Allem that ihm das noth, weil er als solcher nicht weniger al» 50 000 Sol daten unter seinem Tommando hatte. Er rüstete diese mitdenbestenWaffenmodernsterConstruc- tion aus und ließ sie durch europäischeJnstructeure unterweisen. Auch war er weise genug, sich die Generale der ihm unterstellten Truppen zu verbinden, bis sie auf ihn schworen und bereit waren, für ihn durchs Feuer zu gehen. In diese Zeit fallen die hundert Tage, in denen der Kaiser Kwang-Hsü die vielen Reformedicte erließ, mit denen er eine neue Aera in die chinesische Geschichte einführen wollte. Uung-lu weigerte sich aber ganz offen, diesen EdictenFolgezuleisten. Da versuchte es der Kaiser, sicy der Person des Widerspenstigen zu bemächtigen, aber der Versuch schlug fehl, weil Uung-lu eben durch seinen Freund Kang-yih und durch den mit diesem verbündeten Prinzen Tsching über alle Vorgänge in Peking genau unterrichtet war; er erfuhr auch, daß der Kaiser den General Uuan Shi-kai, in den er großes Vertrauen setzte, nach Peking zu versetzen die Absicht hatte. Aber Jüan stand bereits so sehr im Banne Uung-lu's, daß er sich offen vom Kaiser lossagte. Daraufhin begab sich Uung-lu persönlich nach Peking, wo er am sechsten Tage des achten chinesischen Monats eintraf; am selbigen Tage fand die bekannte chinesische Palastrevolution statt, welche damit endete, daß Kwang-Hsü seines Thrones entsetzt wurde. Bei der Neuordnung der Dinge wurde nun Uung-lu zum Präsidenten des Finanz- und des Kriegs- ministeriums ernannt. Daß er, wenn nicht die treibende Kraft beiderEntsetzungdesKaisersKwang-Hsü, so doch im höchsten Grade bei derselben betheiligt gewesen ist, das geht aus dem Gesagten klar hervor. Es kommt noch dazu, daß Uung-lu, der etwa 60 Jahre alt war, durch die Entsetzung des Kaisers tatsächlich die Oberherrschaft in Peking erhalten mußte. Seine förmliche Thronentsetzung resp. Ermor dung ist ihm ja allerdings bei dem jüngsten chinesischen Neujahrs feste nicht geglückt. Trotz dieses Fehlschlages erklomm er eine neue Stufe der Machtfülle, wie schon einmal zuvor. Nunmehr wurde er sogar zum Kammerherrn des kaiserlichen Palastes und zugleich zum Generalissimus des ge - sammten chinesischen Heeres befördert. Von diesem Augenblicke an können ohne seine Einwilligung militärische Actionen nicht mehr stattfinden. Und da diese Thatsache durchaus feststeht, so wird es ihm wenig nützen, wenn er jetzt versucht, seinen alten Freund, den Prinzen Tuan, zu verleugnen, um ihm und den Boxern die Ver antwortung für das in die Schuhe zu schieben, was sich in den letzten Wochen in und um Peking ereignet hat. Die Schreckenszeit in Peking. Tie Chiucscn drängen weiter. Mit jedem Tage rückten uns die Chinesen näher. Mehr und mehr drangen sie vom Nordosten in den Fu ein, so daß sie die Verbindungen zwischen der englischen Gesandtschaft und denen im Osten abschnitten. Sie brannten sich ihren Weg von Haus zu Haus frei. Unter guter Deckung setzten sie die Giebel in Brand, indem sie dazu petroleumgetränkten Stoff auf langen Stangen benutzten. Wenn sie nicht auf die Dächer reichten, warfen sie petroleumgetränkte Feuerbälle oder schossen Pfeile ab, deren Spitzen mit brennendem Zeug um wickelt waren. So bahnten sie sich unter Benutzung eines schweren Geschützes einen Weg durch die Häuser und Höfe des prinzlichen Palastes. Ein verwegener Versuch der Japaner, das Geschütz zu nehmen, schlug fehl, die Kulis kamen zwar auf 4 Meter nahe, waren aber genöthigt, sich zurückzuziehen. Ihr tapferer Führer Hauptmann Ando erhielt einen Schuß in die Kehle, während er die Mannschaften anfeuerte, ein Matrose wurde schwer Verwundet und ein christlicher Freiwilliger ge- tödtet. Hauptmann Ando war zum Besuch nach Peking ge kommen, zwei Tage, bevor die Eisenbahnen abgeschnitten worden waren. Er hatte sich rückhaltlos zum Dienst gestellt, und da er ein junger Officier von großer Geschicklichkeit und unermüd licher Ausdauer war, ward der Verlust allgemein bedauert. Am 8. war die Lage im Fu bedrohlich, denn die Japaner waren bis auf 13 Matrosen und 14 Freiwillige zusammengeschmolzen. Aber je weniger der Vertheidiger wurden, um so mehr wurden sie unaufhörlich aufgeboten, um eine Linie zu halten, die stets länger wurde. Sie erhielten Verstärkung durch ein halbes Dutzend Zollbeamte, als Freiwillige dienende Studenten und sechs britische Matrosen. Nichts zeigt besser, wie gering an Zahl unsere Garnison war, als die Thatsache, daß man unter „Verstärkung" fünf oder zehn Mann verstand. Unter fünfzehn Mann begriff man schon eine große Verstärkung. Unsere Ver stärkungen wurden eben nach Mann bemessen und nicht nach Compagnien. Mit einer solchen Streitkraft wurde eine Ver schanzungslinie, die sich von dem Außenhof des Fu im Osten über die freien Plätze bis zur äußersten Nordwestecke erstreckte, bis zum Ende gehalten. In der nordwestlichen Ecke war bei einem künstlichen Hüttenwerke eine gemischte Streitkraft von 15 Italienern und 5 Oesterreichern stationirt. Die Stellung war indeß sehr gefährlich und man hatte einige Mühe, die Süd länder auf ihren Posten zu behalten. Man fand zwar nicht, daß eS ihnen an Muth mangelte, allein die Attacke war eher ihre starke Seite. Es fehlte ihnen der ruhige, geduldige Muth, der dazu gehört, in Sandsäcken vergraben hinter Schießscharten zu sitzen, wo der Feind ihnen auf Rufweite nahe war. Sie rannten immer hin und her. Am 9. brach ein plötzlicher Schrecken auS, eine wilde Flucht, und die Stellung war ge räumt. Der Civilist, der das Commando führte, Herr Caetani von der italienischen Gesandtschaft, handelte sehr kaltblütig und bewog seine Leute zur Rückkehr, 5 Oesterreicher wurden abgelöst und britische Matrosen nahmen ihren Platz ein. Auch in der Folge wurde immer eine britische Abtheilung dort belassen. Man war um diese Stellung in beständiger Sorge, denn der Verlust des Fu würde die englische Gesandtschaft gefährdet haben. Eine Krupp'sche Kanone überschüttete aus einer Entfernung von 50 Meter den Posten mit Schrap- nels und Granaten. Um die Brustwehr zu stärken, hätte man sich einem Gewehrfeuer auf 20 Schritt aussehen müssen, während man, um den Posten zu erreichen, eine Feuerzone durchschreiten mußte, die vielleicht die heißeste der ganzen Vertheidigungs- linie war. Viele Leute wurden hier verwundet und einem Italiener wurde der Kopf weggeweht. Der Granaten hagel machte es schließlich unmöglich, dort auszuhalten. Die vorgeschobenen Posten wurden verlassen und die Schildwachen kehrten zur Hauptabtheilung zurück. Kaum war das geschehen, al» die Chinesen nachrückten und unser Bertheidigungsmittel gegen unS selbst benutzten. Tie französische «n» die «rutsche Gesandtschaft. Inzwischen erging e» auch der französischen und der deutschen Gesandtschaft schlecht, und täglich wurden Leute ge tobt e t. In der deutschen Gesandtschaft platzten Granaten in dem Salon des Gesandten. Die meisten andern Gebäude waren wegen ihrer in die Augen fallenden Höhe unbewohnbar, doch blieb jedes Mitglied der Gesandtschaft auf seinem Posten, Ebenso in der französischen Gesandtschaft, wo sich die Oester- / reicher befanden, auch Herr und Frau v. Rosthorn an der Seite- ihrer Leute. Die französischen Freiwilligen und Or. Matignon hielten standhaft in ihrer Gesandtschaft aus, obgleich letztere beinahe in Ruinen lag. Ihre Kaltblütigkeit und Entschlossen heit stand in merkwürdigem Gegensatz zu der Verzweiflung ihres Gesandten, der unter dem Rufe: „Alles i st ver loren!" das französische Archiv in einem Graben bei der britischen Gesandtschaft melodramatisch verbrannte. Chinesen und Franzosen waren so dicht beieinander, daß man die Stimmen der chinesischen Officiere hören konnte, wie sie ihre Leute aufmunterten. Chinesen waren sogar in der Gesandt schaft selbst. Ihre Geschütze bombardirten die Wohnung des Gesandten buchstäblich L baut portaut, und das Geräusch der crepirenden Geschosse war schrecklich. Doch wichen die Mann schaften nicht von ihrem Platz. Am 8. wurde der österreichische Befehlshaber, Capitän T h omann von der „Zenta", durch eine crepirende Granate getödtet. Er sprach gerade mit Capitän Labrousse und Capitän Darcy, die Beide unverletzt davonkamen. Capitän Thomann war nur auf einen kurzen Besuch nach Peking gekommen und in Folge der Zerstörung der Eisenbahn zurück gehalten worden. — Näher rückend, brachten die Chinesen dann eine Krupp'sche Kanone vom Tschienmen und fuhren sie hinter einer Mauer auf dem Gipfel der Stadtmauer auf, ge rade gegenüber der amerikanischen Barrikade in einer Ent fernung von 35 Meter. Capitän Percy Smith und Herr Loesch, ein junger, deutscher Ofsicier, waren dort commandirt mit der gemischten Hcereskraft, Amerikanern, Briten und Russen, die die Stellung seit Anbeginn gehalten hatten. Plötzlich schoben die Chinesen einen Verschlag vor und deckten so das Geschütz blos. Sie feuerten gerade auf die vor ihnen liegende Mauer, hinter der zehn Briten und zwei Russen in Deckung waren. Das Geschoß crepirte über ihnen, ohne Jemand zu treffen. Dann zogen sie das Geschütz gleich wieder zurück. Beim zweiten Schuß warfen die Briten sich zu Boden und als die Granate crepirt war, sprangen sie auf und feuerten eine Salve in die Bresche; das geschah schnell und war tapfer, doch konnte die Stellung nicht gehalten werden. Ehe indeß Jemand getroffen wurde, ereignete sich ein seltsamer Vorfall. Als daS Geschütz zum fünften Male abgefeuert wurde, fiel eine Masse Steine und Erde von der Mauer; letztere hatte durch die crepirenden Granaten eine weite Bresche erhalten oder war er schüttert, allein das Geschütz schwieg. Der Krieg in Südafrika. Buller S Rückkehr. Ueber die Ursachen, welche Buller veranlaßten, so plötzlich und noch vor der Rückkehr Roberts' das ihm übertragene Commando niederzulegen, werden sehr verschiedenartige Ge rückte in Umlauf gebracht. Wahrscheinlich ist, daß Buller sich weigerte, einen ibin von Roberts ertheilten Befehl aus- zufübren. Sehr bemerkt wird auch, daß der militärische Kritiker der „Times" es für angemessen findet, alle früheren Niederlagen Buller's ins Gedächtniß zurückzurufen und daran die Erklärung zufügt, daß Buller der ihm gestellten Aufgabe keineswegs gewachsen gewesen sei und daß er gezeigt habe, daß er die nöthigen Eigenschaften für den Posten eines Ober» besehlShaberS nicht besitze. Die Kriegslage. „Daily Telegraph" schreibt: „Wenn man Machadodorp, Pretoria und Standerton als die drei Spitzen eines Dreiecks annimmt, dessen Seiten durch die Linie des Vormarsches von Natal nach der Hauptstadt des Transvaal, durch General Buller'S Hauptbewegunz nach Nordostcn und durch Lord Roberts' Marsch ost wärts längs der Delagoa - Eisenbahn gebildet werden, so wird man bemerken, daß der Raum zwischen diesen drei Seiten noch nicht von der britischen Armee oder auch nur von Streifscorps durchzogen worden ist. ES befinden ich in diesem Theil deS Landes keine sehr bedeutenden Städte, und Bethel, nach dem die Provinz benannt ist, ist nur ein Dorf, das auf der Wasserscheide zwischen dem Oliphant- und Vaal-Fluß liegt. Die Marschlinie von General French von Machadodorp nach Heidelberg geht quer durch dieses Dreieck, und bevor er Carolina erreicht hatte, wurde die berittene Infanterie unter Colonel Mahon bereits in ein hitziges Gefecht verwickelt, und hat eine lange Verlustliste aufzuweisen. Auf dem Wege singen die Carabinieri einen Transport. Ohne Zweifel wird daS Heidelberg - Commando, dessen Führer sich bereit- vor vierzehn Tagen übergeben hat, und daS dauernd die Verbindung zwischen Heidelberg und Standerton unter brochen hat, vom General French zerstreut werden — hoffent lich für alle Zeiten. Weiter im Norden des Transvaal setzt General Littelton seinen Marsch auf Middelburg mit scheinbar nur geringem Widerstande fort. — Lord Robert« wird wahrscheinlich daS Cap zu Beginn deS November ver lassen, da er seine Pläne geändert hat. Der Feldmarschall bat in Pretoria mit einer Reihe von AbschiedSparadeu und Empfängen begonnen. Den letzten Berichten zufolge ist die Eisenbahn zwischen Heidelberg und Standerton noch immer unterbrochen. Im Südosten von Standerton hält sich ebenfalls eine ziemlich bedeutende Boerenabtheilunz auf, denn ein Transport unter Colonel Campbell, der nach Brede gehen sollte, wurde an gegriffen. Sir LeSlie Nundle, dessen Hauptquartier sich in Vrede befindet, rückte zur Unterstützung des Transporte» heran und trieb die Angreifer zurück. Zwei Mann vom Transport und sieben Mann von Rundle'S Detachement wurden verwundet."
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