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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.05.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-05-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000523016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900052301
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900052301
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-05
- Tag 1900-05-23
-
Monat
1900-05
-
Jahr
1900
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Die Morgen-AuSgabe erscheint nm '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. Ne-action und Expedition: Aohanntsgaffe 8. Di« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. v. Niemi»'» Sortiur. Universitütsstraße 3 (Paulinum), Laut» Lösche. Kathariornstr. 14, Part, und König-Platz 7. Bezugs-Preis In der Hauptexpkdition oder den im Stadt- bezirk und den Vororten errichteten Au»- oavrstrllen ab geholt: vierteljährlich ^»4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» b.5O. Durch die Post bezogen für Leutfchland and Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte täglich« Nrruzbandirndung in» Ausland: monatlich >il 7.50. Morgen-Ausgabe. KMM TaMalt Anzeiger. Amisklatk des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Volizei-Ämtes der Ltndt Leipzig. Anzeigett'Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Rcdaction-strich (4ao- spalten) bO^t, vor den Familiennachrichtr» (6gespalten) 40^. 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Wird dieser Versuch nunmehr erneuert werden, und wird er, falls er stattfindet, von Erfolg begleitet sein? Manches spricht für, Manches aber auch gegen die Annahme der Herbei führung einer parlamentarischen Krisis in der nächsten Zeit. Für die Annahme eines Sturmes auf die Position des Ministeriums spricht zunächst der leidenschaftliche Haß, den es seinen Gegnern einflößt. Gewiß hat jedes französische Mini sterium von vornherein eine Gegnerschaft: einmal an den poli tischen Gegnern der im Ministerium vertretenen Parteien, und zweitens an jenen Ehrgeizigen, die gehofft hatten, ans Ruder zu kommen, die nun enttäuscht sind und die die Gelegenheit, ihre Hoffnung zu verwirklichen, um so rascher herbeiführen möchten. Aber die Abneigung gegen das gegenwärtige Ministerium geht weit über diese traditionelle Gegnerschaft hinaus. Es gilt als das Ministerium der Juden, der Dreyfusisten, der Kirchen feinde, der Panamisten. Und dieser Haß könnte um so eher Neigung empfinden, sich in einem wüthenden Ansturm auf das Ministerium Luft zu machen, als der Ausfall der Pariser Gemeinderathswahlen eine scharfe Absage der Pariser Bevölkerung an die Adresse des Ministeriums bedeutet. Wären nur die Hauptwahlen in Paris im Sinne der Nationalisten ausgefallen, so hätte dies noch hingehen mögen, aber da auch die eine Woche später stattgefundenen Stichwahlen ebenso ungünstig für die Anhänger des Ministeriums ausgefallen sind, so ist an der entschiedenen Opposition der Pariser Bevölkerung gegen die ministerielle Richtung nicht zu deuteln. Damit ist nicht etwa gesagt, daß die Pariser Bevölkerung ein halbes Jahrhundert später nicht vielleicht eine ganz andere Auffassung documentiren könnte, aber gegenwärtig steht Paris auf der Seite der nationalistischen Todfeinde des Ministeriums. Und dadurch dürfte mancher Abgeordnete, der vor den Osterferien noch mit dem Ministerium ging, jetzt der Gegenpartei zugeführt worden sein. Denn während es einem deutschen Reichstagsabgeordneten völlig gleichgiltig ist, wie die politische Richtung und die augen blickliche Stimmung der Berliner Bevölkerung ist, legt der französische Deputirte auf die Stimmungen der Boulevards einen großen Werth. Eigentlich sollte man erwarten, daß dem Ministerium noch etwas Ruhe gelassen werde. Zunächst sind die Nationalisten mit ihren Gegnern in einem sehnlichen Wunsche vereint: daß es nämlich dem Kaiser von Rußland gefallen möge, in diesem Sommer Paris und Frankreich zu be suchen. Nun ist die Thatsache des Besuches noch keineswegs als gesichert anzuschen, wenn auch französische Blätter mit echt republikanischem Eifer nachspllren, welche Tage des kaiserlichen Reiseprogramms noch unbesetzt und deshalb vielleicht für Paris frei sind. Die Wahrscheinlichkeit des Besuches würde nun aber beträchtlich herabgemindert werden, wenn Paris in diesem Sommer der Schauplatz von heftigen politischen Kämpfen, von Straßentumulten und von Ministerstürzen werden sollte: kurz, wenn Paris wieder der Schauplatz so wüster Scenen, wie sie im vorigen Jahre die schöne Stadt zu einem höchst unbehaglichen Aufenthaltsort für Fremde ge macht haben, werden sollte. Würden nun die Nationa listen das Ministerium stürzen, und würde der russische Kaiser nicht nach Paris kommen, so würde diese Thatsache von den Gegnern der Nationalisten zu «nein heftigen Stoß« gegen die Popularität dieser Gruppe ausgenutzt werden. Umgekehrt müssen sich die Nationalisten sagen, daß, wenn das gegen wärtige Ministerium den Sommer über am Ruder bleibt und der russische Kaiser doch nicht nach Paris kommt, sie dann im Herbst diese Thatsache gegen das Ministerium ausspielen können, indem sie sagen, daß Kaiser Nikolaus nur darum nicht nach Paris hätte kommen wollen, weil er sich von einem solchen Mini sterium nicht hätte die Honneurs machen lassen wollen. Zum Zweiten müßte doch auch die Weltausstellung ein Wörtchen mitsprechen, um die nationalistische Leidenschaft im Zügel zu halten. Oder wollen die Nationalisten die Verant wortung für die Gefährdung des Erfolges des Ausstellungs werkes auf sich nehmen? Und diese Gefährdung wäre vorhanden, wenn Paris der Gegenstand politischer Unruhen würde. Die diesmalige Ausstellung ist ein so unerhört kostspieliges Unter nehmen, daß ihr Besuch ein ganz enormer sein muß, wenn einigermaßen rin finanzielles Gleichgewicht hergestellt werden soll und wenn vor Allem die zahllosen mit der Ausstellung zu sammenhängenden Unternehmungen, an die ebensoviel Existenzen geknüpft sind, nicht verkrachen sollen. Nun hat die Ausstellung gleich zu allem Anbeginn verschiedenes Mißgeschick gehabt: voll kommene Unfertigkeit, ungünstiges Wetter, ein schwerer Un- glücksfall. Kämen noch dazu Straßentumulte nach Art der vor jährigen, so wäre daS Schicksal der Ausstellung besiegelt, und die Schuld an dem Unglücke würde natürlich mit Recht den Nationalisten beigemessen werden; mit der Sympathie der Pariser Bevölkerung für dies« Herren wäre «S jedenfalls vorbei. So befinden sich die Nationalisten in einem unbehaglichen Dilemna. Folgen sie ihrer durch die Siegesfreude gesteigerten Herzensneigung, so versuchen sie das Ministerium zu Falle zu bringen; folgen sie der Stimme der Vernunft, so lassen sie dem Ministerium noch bis zum Herbste Ruhe. Offenbar haben sie sich für das Erstere entschieden, denn die „Agence HavaS" meldet unterm 21. Mai: Der Deputirte Graf Eastellane hat seine Anfrage über eine von Rei nach in Digne gehaltene Rede in einedJnterpeNation umgewandelt. In Folge der Ein bringung dieser Interpellation scheint eS sicher, daß morgen in der Kammer eine Erörterung der allgemeinen Politik der Regie rung erfolgen wird. Ministerpräsident Waldeck-Rous seau wird sich der Kammer zur Verfügung stellen, und diese wird ohne Zweifel über ihre Beurthrilung der Lage sogleich im Reinen sein und sie der Regierung klar zu erkennen geben. Der Krieg in Südafrika. Nunmehr wird auch durch ein gestern in London ein getroffene» Telegramm Lord Robert»' der Entsatz von Maseking bestätigt. Der Feldmarschall berichtet: Oberst Mahon zog am 18. Mai 4 Uhr Morgen» in Maseking ein, nachdem er am 17. Mai neun Meilen von Maseking einen heftigen Kampf mit einer 1500 Mann starken Boeren- abtheilung zu bestehen gehabt hatte. Diese batte er nach einem fünfstündigen Kampfe und nach hartnäckigem Wider stande aus ihrer starken Stellung vertrieben. Am Morgen des Kampfes war eine Abtheilung kanadischer Artillerie nach einer Reihe von Eilmärschen zu Oberst Mahon gestoßen und leistete ihm werthvolle Hilfe. Der englische Verlust beträgt etwa 30 Mann. Die Verluste der Boeren sind schwer. Eine kurze und übersichtliche Darstellung der Belagerung von Maseking giebt folgende Tabelle, die von einem englischen Blatte aufgestellt wird: 1899. 14. October: Die Boeren erscheinen vor Maseking. 15. - Beginn der Belagerung. 16. - Cronje'S Kanonen eröffnen daS Feuer. 24. - Nächtlicher Ausfall. 3l. - Boerenangriff znrückgeschlagen. 3. November: Erfolgreicher Ausfall. 6. - Angriff auf die feindliche Position. 6. December: Plumer'» Angriff auf die Boeren bei Muchidi. 26. - Angriff der Garnison auf Game Tree Fort zurückgeschlagen. 1900. 25. Januar: DaS Spital von den Boeren bombardirt. 29.—31. - Heftiges Artilleriefeuer. 19. Februar: Die Garnison auf Pferdefleisch angewiesen. 24. - Zurückgeschlagener Boerenangriff. 6. März: Plumer bei Lobatsi geschlagen. 26. - Fürchterliches Bombardement der Boeren. 31. - Plumer bei Ramathlabama zurückgeschlagen. 11. April: Heftiges Bombardement. 12. Mai: Letzter Angriff der Boeren. Sie werden mit schweren Verlusten zurückgeschlagen. 18. - Entsatz. Die abenteuerliche Meldung des „Daily Expreß" und der „Daily New»", die ganze um Maseking befindliche Streit macht der Boeren sei nebst ihren Geschützen gefangen genommen, kann man ruhig in das Reich der Erfindung verweisen. Schon die Zablverhältnifse schließen diese Mög lichkeit aus, da auf beiden Seiten die Truppenzahl ungefähr gleich ist. In der Depesche, die Milner an Chamberlain über die Befreiung MafekingS sandte, fügt dieser, wie Reuter auS London meldet, hinzu, die Entsatzcolonne sei eine gemischte Streitmacht unter dem Obersten Mahon und etwa 2300 Mann stark. Man hielt sie bisher für bedeutend schwächer, aber auch bei diesem Stärkeverhältniß wäre nicht gut denkbar, daß eine Einschließung der boerischen, auf 3000 Mann an gegebenen BclagernngSarmee erfolgt wäre. Der unermüdliche Vertheidiger der Stadt, Oberst Baden-Powell, hat den Lohn für seinen Muth und seine Ausdauer in der Beförderung zum Generalmajor erhalten. Die Mittheilung, daß General Bar ton aus Taung« den Entsatz MafekingS gemeldet habe, muß überraschen. Barton gehört zu HunterS Truppen und diese waren zuletzt amtlich auS Christiana am Vaal gemeldet, während ein un glaubwürdiges Gerücht sie schon KlerkSdorp besetzt haben ließ. Indessen war Barton damals wirklich in TaungS. Lort Roberts meldete nämlich aus Kroonstad vom 21: „Hunter rückt längs der Eisenbahn mit Vorräthen für die Garnison in Maseking vor und richtet einen Hospitalzug zur Beförderung der Kranken und Verwundeten nach Kimberley ein. Methuen verließ Hoopstad, um mit HunterS Streitmacht zusammenzuwirken." ES ist demnach, bemerkt die „Kölnische Zeitung", klar, daß Roberts seinen Plan plötzlich geändert hat. Ursprünglich beabsichtigte er offenbar, Hunter und Methuen, den einen nördlich, den anderen südlich vom Vaal verrücken zu lassen. Er ließ sie eine Rechtsschwenkung machen und in nordöstlicher Richtung vorrücken. Hunter war in dieser Bewegung bis Christiana, Methuen bi« Hoopstad gekommen. Sie sind, wie nunmehr ersichtlich wird, zur alten Marschrichtung zurückgeschwenkt und folge», wie zu Anfang, der Bahnlinie weiter, Hunter an dieser marschirend, Methuen den rechten Flügel deckend. Ob der einzige Grund dafür die Berproviantirung der Besatzung von Maseking ist, wie Robert» angiebt, darf man füglich bezweifeln. Für eine so untergeordnete Aufgabe wäre ein so starke- Aufgebot arge Kraftvergeudung. Man wird also wohl annehmen müssen, daß Robert- seinen Feldzugsplan geändert hat undHunter, sowie Methuen von Maseking au» in Transvaal einfallen lassen will, um den Feind, wenn er bei Johannesburg und Pre toria oder südlicher am Vaalufer Widerstand zu leisten ver suchen sollte, in den Rücken zu fallen und ihn zu zwingen, mit zwei Fronten zu kämpfen. Zum Theil wird ihn die Nothwendigkeit, selbst in Kroonstad länger zu verweile», zu dieser Aenderuna veranlaßt haben. Wenn er selbst nicht den Hauptstoß führe» konnte, dürften sich seine viel schwächeren Flügel auch nicht über seine Front linie hinauSwagen, ohne Gefahr zu laufen, in eine mißliche Lage zu kommen. Hunter und Methuen hätten also in Christiana und Hoopstad oder ein wenig nördlicher liegen bleiben müssen, bis die Hauptarmee wieder actionSsahig war. Da» war aber schon vom Standpunkte der Verpflegung eine heikle Sache. E» erscheint deshalb verständlich, wenn der Oberstcommandirende sie wieder zur Eisenbahn abschwenken ließ, an der sie ungehindert und wohlverpflegt vorrücken und zur rechten Zeit mit ihm zusammen in Transvaal einfallen können. Uncontrolirbar sind die folgenden Meldungen: * London, 22. Mal. (Telegramm.) Der Berichterstatter de» „Daily Thronte!«" in Kroonstad berichte», General Dewet 259. Mittwoch den 23. Mai 1900. 94. Jahrgang. spreche sich für die Wasfenstre ckung aus, wenn annehmbare Bedingungen erlangt würden. General Botha dagegen ralhe zum Widerstande. — „Morning Post" berichtet au» Kroon« stad unter dem 20. Mai: Die Boeren verlassen Harry- smith und wenden sich nach Norden. E» läuft daS Gerücht um. daß der Vanreenen-Paß frei sei, und der Botha-Paß nur von wenigen Boeren vertheidigt werde. Aus Pretoria meldet „Reuter's Bureau" unterm 21. Mai: Eine unter freiem Himmel abzehaltene Versammlung, der 200 Personen beiwohnten, berieth über die Sachlage im Falle einer Be lagerung Pretorias. Es wurde ein Ausschuß eingesetzt, der für die Sicherheit der Frauen und Kinder Sorge tragen soll. Gleichzeitig wurde der niederländische Consul auf gefordert, seiner Regierung zu rathen, daß sie zum Schutze der niederländische» Unterthanen die nöthigen Maßregeln ergreife. Deutsches Reich- -4- Berlin, 22. Mai. (Die Nationalliberalen und die Ersatzwahl in Waldenburg.) Die Reichstags ersatzwahl in Waldenburg ist auf den 26. Juni angesetzt worden, so daß uns kaum noch fünf Wochen von dem Wahl termin- trennen. Wie gewöhnlich, sind die Socialdemo kraten zuerst auf dem Plane erschienen; sie haben natürlich den „Genossen" Sachse, dessen Wahl für ungiltig erklärt worden ist, wieder aufgestellt. Zweifellos werden ferner Candidaten der freisinnigen Lolkspartei und des CentrumS ausgestellt werden. Ob zwischen den gemäßigten Parteien wieder eine Zersplitterung eintritt, indem je ein Candidat der Nationalliberalen und der Reichs partei aufgestellt wird, steht noch dahin. Don diesen Candidaten sind diejenigen des CentrumS und der freisinnigen Volkspartei lediglich Zählcandidaten. Da« Centrum ist in diesem Wahlkreise, der nur zu 29 Procent katholisch ist, „geborene Minorität", ganz abgesehen davon, daß ein erheblicher Theil der katholischen Arbeiterbevölkerung socialistisch wählt. WaS die Freisinnigen anlangt, so haben sie den Wahlkreis zwar zweimal inne gehabt, nämlich 1894 und 1890, aber seitdem ist ihre Stimmenzahl rapide beruntergegangen. Während sie im Jahre 1890 noch über 7000 Stimmen aufbrachten, kamen sie 1893 nur auf 3600 und 1898 gar nur auf rund 3000. Begründete Aussicht, der Socialdemokratie den Wahlkreis ad- zunehmen, haben also nur die gemäßigten Parteien; diese Aussicht wird selbstverständlich herabgemindert, wenn auch diese Parteien, wie eS 1898 der Fall war, sich auf zwei Candidaten zersplittern. Wird eine Einigung zwischen ihnen erzielt, so können sie, wenn auch nicht gleich im ersten Wahlgange siegen, so doch jedenfalls der socialdemokratischen Stimmenzahl sehr nahe kommen. Die Frage ist nun, ob ein nationallibrraler oder ein reichsparteilicher Candidat größere Aussicht besitzt, in der Stichwahl — denn nur darauf kann eS hinaus kommen — gewählt zu werden. Diese Frage sei hier nicht vom parteipolitischen, sondern vom Zweckmäßigkeitsstandpuncte auS untersucht. Zuzugeben ist von vornherein, daß der reicks parteiliche Candidat bei den Wahlen von 1898 eine sehr erheblich größere Stimmenzahl auf sich vereinigt hat, als der national liberale Bewerber, sodaß zweifellos der Beweis erbracht ist, daß die Reichspartei im Wahlkreise mehr Anhang hat als der National- liberaliSmuS. Auf der anderen Seiteabersei daran erinnert, daß es in den letzten 1'/» Jahrzehnten nur einmal geglückt ist, den Wahlkreis Waldenburg den radikalen Parteien zu ent reißen und zwar durch einen nationalliberalen Candidaten. Die Reichspartei hat weder 1893 noch 1898 vermocht, gegen die Socialdemokratie obzusiegen; bei den Wahlen von 1898 fehlten ihr zwar nur wenige Dutzend Stimmen, aber man muß daran denken, daß diesmal ihre Aussichten erheblich schlechter sind, als damals. Bei der Stichwahl wird die Entscheidung zwischen dem Candidaten der gemäßigten Parteien und dem der Socialdemokrati« nicht sowohl durch daS Crntrum, daS immer nur zwischen 1000 und 1500 Stimmen aufzubringen vermochte, herbeigeführt, als vielmehr durch die Freisinnigen, die trotz ihres Rückgänge- noch immer über 3000 bis 4000 Stimmen verfügen. Nun waren die Frei sinnigen wohl noch zu keiner Zeit so erbittert gegen die conservativen Parteien, wie gerade jetzt, wo ein Mitglied der Reichspartei bei der Berathung der lex Heinze durch einen höchst unbesonnenen Ausspruch die linksstehenden Parteien mehr erregt hat, als es selbst den» Centrum gelungen ist. In dieser Stimmung dürften die Freisinnigen, wenn rin reickSpartei- licher Candidat in die Stichwahl kommt, sich nicht mit Stimm enthaltung begnügen, sonder», geschlossen für den socialistischen Bewerber stimmen, dessen Wiederwahl dann außer Zweifel stünde. Kommt hingegen ein nationallibrraler Bewerber in die Stichwahl, so kann man darauf rechnen, daß ein erheb licher Theil der Freisinnigen für diesen rinlreten würde. Gewiß wird den conservativen Elementen dcS Kreises ein Opfer zugemuthet, wenn sie, die an Zahl stärker sind, al« der gemäßigte Liberalismus, zu Gunsten de« Letzteren ver- richten sollen, aber nur so würde eS möglich sein, der .socialdemokra tischen Partei ein Mandat zum Reichstage abzunehmen. L. Berlin, 22. Mai. (Pferdebahnschaffner streik und Einigungsämter.) Es ist ein eigenthüm- liches Zusammentreffen, daß an demselben Tage, an dem der Streik der Berliner Straßenbahn-Angestellten seinem Ende zu geführt worden ist, die 16. Commission deS Reichs tages den Bericht des Abg. Freiherrn von Heyl über die An träge Lieber-Hitze und Pachnicke-Roesicke genehmigt hat. Der Antrag der Commission an die Regierungen, für die Pflege deS Frieden» zwischen Arbeitgeber und Ar beitnehmer gesetzliche Bestimmungen über die Formen her- beizuführen, in denen die Arbeiter durch Vertreter an der Rege lung gemeinsamer Angelegenheiten betheiligt und zur Wahr nehmung ihrer Interessen bei Verhandlung mit den Arbeitgebern und mit den Organen der Regierung befähigt werden —, dieser Antrag kann sich nunmehr auf den Streit der Berliner Straßen bahn-Angestellten als auf weiteres wirksames Material berufen. Die Annahme der Vermittelung durch den Oberbürgermeister K i r s ch n e r hat mit Recht, noch ehe die Consequenzen davon te kannt geworden waren, die größte Befriedigung hervorgerufen. Daß die Streikenden sich an den Oberbürgermeister wandten und daß die Direktion seine Vermittelung annahm, beruht aber am letzten Ende auf einem glücklichen Zufall. Gäbe es eine gesetzlich geordnete Instanz, die bei Streitigkeiten, wie die vor liegenden, gehört werden müßte, so bestünde in ungleich höherem Maße die Aussicht, daß Contract bruch und Arbeitsein st ellung ebenso ver mieden würden, wie die verhetzende Ein mischung der socialdemokratischen Partei. * Verltir, 22. Mai. (Die Börsensten er-Beschlüsse der Budgetcommission.) Die Verhandlungen der Budget commission über die Erhöhung der sogenannten Börsensteuer sind jetzt beendigt. Die Beschlüsse der zweiten Lesung sind für die Commission endgiltige. Bei der Unzulänglichkeit der Berichte über die bekanntlich nicht öffentlichen Verhandlungen war eS bisher für die Außenstehenden ganz unmöglich, den Umfang dieser Beschlüsse zu übersehen. Wir geben daher nach der „Nat.-Ztg." eine kurze Zusammenstellung: 1) Emissionöstempel (Effectensrempel). Dieser »st erhöht für inländische Actien auf 2 vom Hundert (bisher 1 Proc.), für ausländische Actien auf 2sr vom Hundert (bisher 1'/- Proc). Dabei ist als weitere wesentliche Er- böhung beschlossen worden, daß die Steuer nicht vom Ncnn- werthe der Actien, sondern von dem Courswerthe, zu welchem dieselben zur Ausgabe gelangen, erhoben werden soll. Inländische Renten- und Schuldverschreibungen sind von 4 vom Tausend auf 6 vom Tausend erhöbt worden. Es ist gelungen, den gleichen Satz für ausländische Staatspapicre und ausländische Eisenbahnobligationen festzuhalten. Alle übrigen ausländischen Renten- und Schuldverschreibungen sollen 1 vom Hundert zahlen. In Betreff der bisherigen Ausnahmen von diesen Sätzen (Communalpapiere 1 vom Tausend» Pfandbriefe 2 vom Tausend) ist beschlossen, die beiden Kategorien aleichzustellen und auch die Connnunal- papiere mit 2 vom sausend zu besteuern. 2) Umsatzsteuer. Dies war der streitigste Punct. In erster Lesung hatte Pie Commission beschlossen, dieselbe von r/io vom Tausend sich eine große Anzahl von Papieren (alle Actien und ausländischen Papiere) auf vom Tausend zu erhöben. In der letzten Sitzung ist eS gelungen, für ftie ausländischen Staatspapiere und Eisenbahnobligationen den alten Satz wieder herzustellen, so daß jetzt dem erhöhten Satze von */io vom Tausend nur unterliege» sollen: in ländische und ausländische Actien, sowie diejenigen aus ländischen Renten- und Schuldverschreibungen, welche keine Staatspapiere oder Eisenbahn-Obligationen sind. Dies ist ein ganz wesentlicher Erfolg. Ferner ist die bisherige Stempelfreiheit der Abschlüsse bi» 600 ./l aufgeboben. Dazu kommt dann noch die Heranziehung der sog. CompensationS- gesckäste zu den Stempelabgaben. 3) Außerdem ist noch eine Em issionSsteuer ans Bergwerksantheile (Kuxe) von 2 voin Hundert und eine Steuer vom Umsatz in diesen Papieren von 1 vom Tausend beschlossen worden. ES ist nicht anzunehmen, daß an diesen Sätzen (niit Aus nahme vielleicht der Emissionssteuer auf Kuxe) im Plenum noch etwas geändert wird, jedenfalls nicht nach unten, da eine große Mehrheit §ür dieselben eintritt. Die dissentirenden Mitglieder der Commission haben gegenüber den ursprüng lichen Beschlüssen immerhin noch wichtige Verbesserungen erreicht. LS Berlin, 22. Mai. (Privattelegramm.) Die gestern Abend der „Köln. Ztg." von hier zugegangene Nachricht, daß nach längerem Widerstreben deS CentrumS eine Einigung über die Gestaltung der lex Heinze bereits erzielt sei, war falsch. Erst heute ist es zu einer Einigung ge kommen, und zwar auf der vom Präsidenten im Senioren convent vorgeschlagenrn Basis. Der Vorschlag des Präsidenten wurde in Form eines Antrags Hompesch im Reichs tage eingebracht und hier sofort in erster, zweiter und dritter Lesung erledigt. Er enthält sämmtliche bisher angenommenen Paragraphen der lex Heinze, laß' hingegen den tz 184b (Theater-Paragraph) ganz fallen und enthält von 184» (dem Schaufenster-Para graphen) nur die Strafbestimmung für Laö Verkaufen uns Anbieten der betreffenden Schriften und Abbildungen an Personen unter 16 Jahren. Er enthält also eine reck» spitzige Fußangel für die Buch- und Kunsthändler, die sehr sorgsam verfahren müssen, wenn sie sich vor Strafe sichern wollen. 6.8. Berlin, 22. Mai. (Privattelegramm.) Der verband deutscher BerusSgenoffcnschaften hat heute i - einer Versammlung einen Protest gegen die Beschlüsse dec Reichstag» bezüglich der Einrichtung territorialer Schiedsgerichte an Stelle der berus-genossenschaftlichen erhoben. Von 65 deutschen BerufSgeoossenschaften waren Vertreter entsandt; die übrigen hatten sich bereit» vorher der bekannten Protestresolution angeschlossen. tztz Berlin, 22. Mai. (Privattelegramm.) Dar Staat-ministerium trat heute Nackmittag 3 Ubr unter dein Vorsitz de- Fürsten Hohenlohe im Reich-tag-gebäude zu einer Sitzung zusammen. v. Berlin, 22. Mai. (Privattelegramm.) Tie „Nat.-Ztg." dementirt selbst ihre Meldung von einer bevor stehenden Verlobung der »An«,in Von Holland. D Berlin, 22. Mai. (Telegramm.) Die „N. A. Z." meldet: Sicherem vernehmen nach ist die seit langer Zeit angestrebte Einigung über die Ausstellung gemein samer Grundzüge für di« medieinischen Promotion«, Ordnungen sämmtlicher deutschen Universität«» durch rin« V«rständigung dir b,»heiligten Unttrricht«-
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