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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.12.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021211027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902121102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902121102
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-12
- Tag 1902-12-11
-
Monat
1902-12
-
Jahr
1902
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Er setzi sich auf- höbe Pferd, spielt den Unschuldigen, dem man un erhörter Weise die Pistole auf die Brust geletzt habe, erläßt in diesem Sinne hochtrabende Erklärungen und versteift sich auf die Ausrede, daß, so lauge die Revolution in seinem Lande nicht niedergeschlagen sei, doch unmöglich jemand von ihm Geld eintreibrn könne. Dem ist einfach entgegcnzubalten, daß Castro selbst, stolz auf seinen Kriegs, uhm, in alle Welt bat hinau-telegrapbieren lassen, die Revolution sei beendet, normale Verhältnisse seien wiedergekebrt. Tie Nachricht, daß die deutschen und englische» Kolonisten in Caracas verhaltet worden seien, vermochte Cranborne gestern im englischen Unterbause noch nicht offiziell zu be stätigen, beute aber liegt die amtliche Bestätigung aus Paris vor, ja der rabiate SlaaiSlciter dieser „hochkultivierten" Muster- Republik hat, wie aus den folgenden Telegrammen hervor geht, den wahnwitzigen Bölkerrechtsbruch noch weiter aus gedehnt. Mau meldet uns: * Paris, 11. Dezember. (Telegramm.) Der diplomatische Agent BeneznelaS erhielt von seiner Regie rung die Mitteilung, datz Präsident Castro die im Lande befindlichen Deutschen und Engländer ver haften und die ihnen gehörigen Eisenbahnen sowie ihr sonstiges Besitztum mit Beschlag belegen liest. — Präsident Castro hat alle Venezolaner zn Sen Waffen gerufen und eine allgemeine Amnestie gewährt. Lange bat allerdings Castro, der Unerschrockene, seiner Heldentat sich nicht erfreuen köanen: Unverzüglich Hai sich, waS mit Anerkennung und Genugtuung festgestellt weiden muß, der amerikannche Ge>audte ins Mittel geschlagen und auf feinen jedenfalls sehr deutlichen Wink bin, daß Castro vergeblich auf die noch biS zuletzt erwartete Einmischung der Vereinigten Staaten rechne, Hal er wenigstens einen Teil seiner „Kriegsgefangenen" wieder herauS- gegeben. Die Nachricht lautet: * Washington, 11. Dezember. (Telegramm.) Ter amerikanische Gesandte in Caracas berichtet, -atz eS ihm gelungen sei die Freilassung der haupt sächlichsten deutschen und cngltschen Gesang cncn zu bewirke», und das; er auch auf die Freilassung der übrigen tScsangenen dringen werde. Für den Schaden, den der Präsident den deutschen und englischen Staatsangehörigen durch die brutale FleibeUs- entzicbung und die Beschlagnahme ihres Eigentums zagefiigt hat, wie überhaupt wegen des ganzen VölkerrechtsbincheS wird er resp. die Regierung von Venezuela nalürlich empfindlich zur Rechenschaft gezogen werden. Höchst er schwerend kommt noch hinzu, daß er grobe Excesse des Pöbels in Caracas gegen die deutschen und englischen AmtS- gebäude ruhig geschehen ließ. Man meldet unS darüber: * Euraya», 11. Dezember. (Telegramm.) S7 in Caracas ansässige Deutsche, sowie sämtliche englischen Untertanen wurden verhaftet. CS kam dort gestern abend zu «rosten BolkSkundgebunge». Der Hanfe bemühte sich, die Eingänge zur deutschen Gesandt schaft und znm deutschen Konsulat zn erbrechen. Die Polizei verhielt sich untätig. Englische und deutsche Fahnen wurden verbrannt. Jedenfalls sollten diese Demonstrationen die Antwort auf die Beschlagnabme der venezolanischen Flotte vor La Guayra sein, die tatsächlich erfolgt ist, obwohl die amtliche An, kunst im englischen Unterhause gestern gleichfalls noch unbestimmt lautete. Don den deuischen Marineoffizieren ist durch daS Vorgehen gegen Venezuela, der Höchnkommandiereude unserer roiligen maritimen Streitmacht,Kapitän z. S. und Kommodore Scheder, in den Vordergrund gerückt. Herr Scheker ist am 17. November 1874 Leutnant, am l4. Juni l877 Ober leutnant und am 14. März 1885 Kapi änleutnant geworren (am 2. Mai 1870 war er in die Marine eingetieten). Als Kapuänlemnant war er zuerst Führer der 3. Kompagnie der 2. Mairosendivision. Als Kapitänleutnant weiter wird Georg Scheder zweiter Adjutant bei dem Kommando der Marinestation der Nordsee, dann hat er ein Kommando bei der SchisfS- jungenabteilung und wird hierauf zum Reichsmarineaml (militärische Abteilung) versetzt. Am 2l. Dezember rückt er zum Korvettenkapitän auf, erhält taö Kommando dcö Kreuzers 4. Klasse „B, ssaib" auf der australischen Station und kommt sodann wieder nach Berlin zurück zum Oberkommando der Marine. Am 15. Februar 1897 erfolgt seine Ernennung zum Fregattenkapitän und am 30. Juni desselben JabreS zum Kapi'äii zur See. Als solcher erhält er das Kommando über den Panzer „Bayern", nach Abgabe desselben wird er Kommandant des größten Panzers „Kaiser Wilbelm II.", sodann wird er unter Admiral Tnomsen Ckes des Stabes der Marinestation der Nord'ee. Das Kommando in Amenka hat er erst seit etlichen Monaten angelreien. — Mit der venezolanischen maritimen Streitmacht siebt es nun recht windig auS; cS sind vorhanden da« Kanonenboot .Nestaurador" (früher Jacht), 509 t Depl., die Torpedo fahrzeuge „Bolivar" (187l vom Stapel gelaufen, 57l t und 96 Mann Besatzung) und „Miranda" (1875 vom Stapel gelaufen, 200 t und 60 Mann Besatzung). Dieie beiden letzten unbedeutenden Kriegsfahrzeuge sind seiner Zeit von Spanien g kaust; außerdem besitzt Venezuela auch noch etliche Zolldampfer, von denen die bekanntesten sind „Mari>caU Ayacucho" (l40 t Depl.), „General Crespo" (l42 t), „Vencedor" (228 t). Die Arnneiung ist nalürlich eine lehr schwache und absolut nickt ins Gewicht falle de. Von den beiden Torperofadrreugen soll „Bolivar" (58 m lang, 7,0 m breit, 3,6 Tiefgang) 18,6 Knoien, „Mi randa" (4l,0 m lang, 5,8 m breit, l,6 Tiefgang) l2 Knoten lauten. Di« gesamte venezolanische Kriegsmacht kann siel» noch annähernd mit der „Vineta" allein messen, auf ter Kommocore Scheder seine Flagge gesetzt Hal. — Sonst wird uns noch gemeldet: * Port os Epain, 9. Dezember. Tie englischen Kriegs- schiss» „Eharyvbir", „Jndesatigable", „Alert", „Faiilome" und ,Ouail" sind am Montag hier konzentriert worden. In der ver- gangenen Nacht beschlagnahmte „CbarybLis' das venezolanische Kanonenboot „Bolivar" und landete di» Oiffliere hier. Tie Mannschaft wurde durch den „Alert" nah Äuiria gebracht. „Quart" ist in See gegangen, um das Schiff, welches die Orinokomündung blockiert, mit Beschlag zu belegen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 11. Dezember. Aus dem Reichstage. Die „vergröberte Geschäftsordnung" ist bekanntlich vor gestern im Reichstage mit 206 gegen 92 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen zur Emiübrung gekommen; beute er fährt man, daß die Nationalliberalen sämtlich mit „Ja" gestimmt haben. Dissidenten waren unter ihnen dies mal nicht, man müßte denn annchmen, daß bei den Abgg. vr. S mler, Quentin, Schlumberger und Sieg, die an der Abilimmung nickt tcilaenommen haben, eine Absicht lichkeit vorläge. Vizepräsident Büsing hat sich seiner Stellung wegen ebenso, wie Vizepräsident Graf Stol berg, der Abstimmung enthalten. Präsident Gras Ballestrem bat überhaupt nicht abgestimmt. Die Polen haben sämtlich mit „Nein" gestimmt, ebenso die Antisemiten, mit Ausnahme des Abg. Lotze. Die Fraktion der Welfen bat verschieden gestimmt, die Elsässer haben bis auf den Abg. Preiß und den Abg. Winterer mit der Mehrheit gestimmt. Der Sobn des früheren Reichskanzlers, Prinz Hohenlohe, Hal sich der Abstimmung enthalten. Der Abg. Prinz Schönaich-Carolatb, der Hospitant der Nationalliberalen, bat in der Sitzung gefehlt. Die W ikung der Neuerung zeigte sich gestern darin, daß die Obstrukiionisten ihre Versuche, die Verhandlungen durch Mittel ter Geichäflsordnung aurzubalten, fast gänzlich auf gaben. Es zeigte sich aber auch, daß alle bisherigen Ver- sckleppungZveriricke eben nur VerichleppungSversuche waren und mit Veib.sseruliaSversucken nickt daS Geringste gemein hrtten. Durch die „kox Gröber" sind bekanntlich nur die langen G sckästsordnungSdebalten abgeschnitien, nickt aber Ausführungen zur Begründung von AbändrrungSanträien; aber auch nicht ein einziger derartiger Antrag wurde gestellt, getchweige kenn zu begründen vei suckt. Statt dessen mackle man sich auf sozialdemokrailfcker Seile eine Weile das Vergnügen, nach den erstatteten Berichten über die Kommiisionsberatungen Zurückvcrweckllngsanträge zu stellen und gleichzeitig Ueber- ging zu, Tagesordnung über dieie Autiäge zu beantragen! Schließlich ließ man auch dieses im Wesen unwirksam gemachte Verschleppungsmanöver fallen. So gelang es, die roch außenstehenden 18 Referate in einer achtstündigen Sitzung zu erledigen, so daß beute endlich die sachliche Ver handlung über den Antraa Kardorsf beginnen kann. Auch mit diesem Gegenstände hofft man so bald fertig zu werben, raß noch vor W->bnach>en der Zolltarif in dritter Lesung endgültig verabichiedel werden kann. Tic „Spaltung" Ser Nationalliberalen. Die Meinungsverschiedenheiten, die anläßlich deS An trages Kardorff innerhalb der nationalliberalen Partei zum Ausdrucke gekommen sind, haben wieder einmal im linkeliberalen Lager die Hoffnung geweckt, daß eS zu einer Spaltung der nationalliberalen Partei kommen werde. Ein naiionaMberalcr Gegner des Antrages Kareo,fs, der Vize- Piäsirenr des preußncken Abgeordnetenhauses l)r. Krause, hat alle solche Hoffnungen gründlich berabgestimmt, indem er ra einer Veriamuiluna des Berliner naiwnalliberalen Vereins die vollkommen zutr-sfende Ueberzeugung aussprach, baß cS sehr bald gelingen werde, die Streitaxt zu begraben und den Frieden wieder herzustellen. Ueber solche Aussichten im höchsten Grade verdrossen, wendet sich die freisinnige „Vofstsche Zeitung" gegen Vr. Krause, fordert die Anhänger der nationalliberalen Partei auf, keine Beiträge mehr an die Parteikaffe zu zahlen, und schließt: „ES ist hohe Zeit, daß diejenigen unter den Nationalliberalen, die es noch ernst mit dem Liberalismus meinen, in ihrer Partei Musterung halten und sorgen, sich von denen zu trennen, die Streber oder Reaktionäre sind." Ungeschickter konnte die „Voss. Ztg." ihren Versuch zur Hinüberziebung der mit dem Antrag Kardorff unzufriedenen Nationalliberalen in das freisinnige Lager nicht beginnen als mit den Schimpfworien „Streber" und „Reaktionäre" für die nationalliberalen Unterzeichner des AniragS. Gerade durch dieAnwenrungrieserSchimpfworteaufMännerwieBassermann werden die Unzufriedenen, die dock durch manche Kluft von dem Freisinn beider Spielarten getrennt sind, an daS erinnert, WaS sie zu erwarten hätten, wenn sie sich unter daß Regiment vr. Barth stellten oder zu Herrn Richter abschwenkten und dann eS wagen wollten, eine eigene Meinung zu haben. Uebrigens bat die nationalliberale Partei schon Krisen über- standen, die viel schwerer waren als die jetzige, in der eS sich doch lediglich um eine taktische Frage bandelt, bei der eS sich bald genug — sobald nämlich die Verhandlungen über die neuen Handelsverträge beginnen — zeigen wird, daß ohne die rechtzeitige Fertigstellung der für die deutschen Unter händler nötigen Waffen die Lage dieser Unterhändler eine geradezu verzweifelte geworden sein würde. Und überdies werden schon die Etatsberatungen klar macken, daß dir nalional- literalen Mitunterzeichner des Antrags Kardorff durch diesen Sckritt an die Seile der Konservativen und deS Zentrum- nicht die leiseste Verpflichtung übernommen baden, auf dieser Seite auck dann zu verharren, wenn eS gilt, wirklich reaktionären Gelüsten entgcgenzutreten oder streberische Versuche zu durch kreuzen. DaS Zentrum gibt sich jedenfalls der törichten Hoffnung nickt hin, die nationalliberalen Freunde de- An- uagö Kardoiff als Bundesgenossen für sogenannte Toleranz- Bestrebungen gewonnen zu haben, die eine noch weitere Be festigung der klerikalen Herrschaft bezwecken. Schon das wird dazu beitragen, den kleinen Sturm in den nationallibe ralen Gewässern zu beschwichtigen. Endlich konnte zur An lockung von mißvergnügten Nationalltberalen ein Organ der Freisinnigen Volkspartei die Zeit gar nicht ungünstiger wählen. Denn der Führer dieser Partei, der Abgeordnete Eugen Richter, wird wegen seine- Widerstandes gegen die sozialdemokratische Obstruktion nicht bloß von der Freisinni ien Vereinigung als reaktionär verschrieen, sondern auch von An hängern der Freisinnigen Volk-Partei selbst mehr oder weniger heftig angegriffen. Ganz abgesehen von den Angriffen der Berliner „Volksztg.", ist ein Vertrauen-votum für Richter soeben in einer gemeinschaftlichen Versammlung des Breslauer FortschiittSvereins und deS Vereins Franz Ziegler hinter trieben worden! Unter solchen Verhältnissen hat die „Dossiicke Zig." Grund genug, sich mehr um den Zuiammen- ualt des Fortschritts als um die „Spaltung" der National liberalen zu bekümmern. „kereot fustttla, seä Lut UunxLiia l" Das angesehene und starkverbreitete Blatt der unga rischen „ U n a b h ü n g i g k e i t s pa rt ei", der Buda- pcsli hirlap", hat unlängst wieder einen neuen Beweis feiner hirnverbrannten Auffassung der Nattonali tätenfrage geliefert, indem es in einem Artikel, der die Ueberschrift „Eigentum" führt, die Aufteilung von Feuilleton. 10) Oer llntersuchungsrichrer. Roman von Heinrich Kornfeld. Nachdruck verboten. „Die Verhandln«-« wird sich bequem in einem Tage er ledigen lassen", meinte Staatsanwalt Selling. „Der Fall ist einfach genug." Der Untersuchungsrichter nickte, und während sich eine verhaltene Spannung in seinen zuckenden Mienen malte, fragte er: „Wie glauben Sic, daß der Urteilssprnch aus fallen wird?" „Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Schwielinski ver urteilt werden, obgleich man ja bei den Schwurgerichten feiner Sache niemals sicher sein kann. Die Laienrichter lassen sich oft von Dingen beeinflussen, die eigentlich außer halb der maßgebenden Erwägungen liegen, von Stim mungen, Gcsttylcn und ängstlichen Rückuchtcn auf ihren Gcwisscnszustand. Die Unsicherheit und die mangelnde Ucbung, einen Fall ruhig zu prüfen und einen Urteils spruch abzugcbcn, verleiten oft zn Freisprüchen, die mit der juristischen Beurteilung einer Sache in schreiendem Widerspruch stehen. Der Untersuchungsrichter hatte diese weitschweifigen Aeußc»ungcn mit gesenktem Gesicht angchört. Jetzt strich er sich über das Haar und erhob den flirrenden Blick zaghaft. „Mir scheint doch", sagte er in einem eigentümlich ge preßten. verhaltenen Tone, „daß das Belastungsmaterial nicht ausreicht. Ein direkter Beweis ist überhaupt nicht da." „Der liegt selten in einer Mordsache vor", meinte Staatsanwalt Selling. „Die Indizien aber sind doch in diesem Falle vollkommen ausreichend, ja geradezu er drückend. Nach meiner Auffassung verhält sich die Sache so: Schwielinski ist mit der Absicht gekommen, mit dem Assessor Wrede, der ihn aus der Wohnung verwiesen hatte, Abrechnung zn halten. Die unerwartete Abwesen heit seiner Mutter veranlaßte ihn zu dem Diebstahl. Nach dem er die geringe Beute, die ihn sicherlich nicht befriedigt, sondern nur seinen Appetit gereizt hatte, zu sich gesteckt, begab er sich in das Zimmer deS Assessors. Ich glaube, da- in -em sittlich verwahrlosten Burschen von vornherein die feste Absicht vorhanden war, an dem Assessor Rache zn nehmen und ihn sodann zu berauben. Vielleicht hoffte Schwielinski, einen größeren Betrag zu siuden, der ihm ermöglichen würde, ins Ausland zu flüchten. Ich denke mir, daß sich zuerst ein Wortwechsel zwischen den beiden entsponnen, in dessen Verlauf der Assessor den dreisten Burschen aufgefordcrt haben mochte, das Zimmer zn ver lassen. Vielleicht griff er dabei, um seiner Aufforderung, welcher der andere natürlich nicht nachkam, mehr Wirkung zu geben, zu seinem Säbel. Das war natürlich für den Schwielinski das Zeichen, den Revolver, den er vorher für alle Fälle zn sich gesteckt hatte, hcrvorzuholen und sein Opfer niederzuschieben. Von der Beraubung des Er mordeten hielt den Mörder die Dazwischenkunft feiner Mutter ab." „Nach Ihrer Darstellung", entgegnete der Unter suchungsrichter, während es in seinen Augen anfblitzte und eine plötzliche Röte in seine Wangen stieg, „Hütte sich Schwielinski in Notwehr befunden." „In Notwehr?" Der Staatsanwalt schüttelte unwillig mit dem Kopf. „Ganz und gar nicht. Freilich hatte ja der Ermordete den Säbel in der Faust und es ist nicht aus geschlossen, daß er die Waffe ergriffen hatte, nm den dreisten Burschen zu bedrohen, aber noch wahrscheinlicher ist, daß er erst zu dem Säbel gegriffen, als er sich von dem anderen vermittels des Revolvers angegriffen sah. Ja, die letztere Annahme, daß Schwielinski der erste gewesen ist, der die Waffe gegen den anderen richtete, scheint mir doch die richtigere. Jedenfalls ist sicher, daß der Bursche mit der Absicht eines Verbrechens in die Wohnung des Assessors gedrungen war, daß also vorsätzlicher Mord vor lag. Das erweist klar die Tatsache, daß er ja einen Re volver mit sich geführt haben mnß. Daß er die Waffe nur in der Absicht des Mordes zu sich gesteckt hatte, kann als sicher angenommen werden, um so sicherer, da ja, wie alle keine Freunde nnd Bekannten einstimmig ausgesagt haben, sonst nie eine Schußwaffe bei ihm bemerkt worden ist." „Ja, der Revolver!" wandte der Untersuchungsrichter ein. „Das ist auch einer der unaufgeklärten Punkte. ES ist bet Schwielinski kein Revolver gefunden worden nnd nie hat jemand bei ihm einen solchen gesehen. Notorisch ist auch, daß er kein Geld besessen, und daß er das Geld, das bei ihm vorgefunden wurde, erst am Tage des Mordes bet seiner Mutter gestohlen ha». Wie soll er also zu dem Revolver gelangt sein und wo hat er ihn gelassen?" Der Staatsanwalt lächelte. ,Mo er -en Revolver gelassen hat? Einfach: er hat ihn nach der Mordtat versteckt oder was noch wahrschein licher ist, fortgeivvrsen, wahrscheinlich in den Fluß. Und wie er zu der Waffe gekommen ist ? Mein Gott, er hat sie sich eben auf irgend eine Weise verschafft, das Geld dazu gestohlen oder sich durch einen gelegentlichen Verdienst er worben. Dieser unaufgeklärte Puntt kann meine Ansicht, daß wir in Lchwielinoli den Mörder zu erblicken haben, nicht einen Augenblick lang erschüttern. Sicher ist, daß Schwielinski ein Subjekt ist, dem man die Tat zutrauen kann, ebenso sicher ist, daß er sich zu der Zeit, da die Tat geschehen ist, am Tatort befunden hat. Ein Zweifel ist da doch kaum noch gestattet. Einer muß es doch gewesen sein, nnd wer sollte cS sonst gewesen sein?" Der Untersnchungsrichter strich sich über die Stirn. Seiner in sich zufammcngesunkenen Gestalt sah man an, wie müde nnd gebrochen er sich fühlen mußte. „Sie vergessen", erwiderte er mit schwacher Stimme, „daß ein Unbekannter kurz vor Schwielinski bei dem Er mordeten gewesen ist." Staatsanwalt Selling zuckte mit den Achseln und lächelte geringschätzig. „Pah, dieser Unbekannte macht mir wenig Sorgen. Auf die Angabe Schwielinskis brauchen wir doch wohl gar kein Gewicht zu legen, denn es ist natürlich, daß der Verdächtige sich bemüht, den Verdacht von sich abzuwälzcn und zu diesem Behufe die unglaublichsten Dinge erfindet." „Aber der Zeitungsjunge!" rief der Untersuchungs richter mit nervöser Aufgeregtheit. Staatsanwalt Selling sah erstaunt zu dem heftig Gesti kulierenden hinüber. - „Ihr Eifer für den Angcschuldigtcn macht Ihrer Ge wissenhaftigkeit alle Ehre", versetzte er begütigend, „aber ich meine doch, Sie gehen in dieser Beziehung zu weit, lieber Herr Deinhard." „Ich halte ihn nun einmal für unschuldig", beharrte der Untersuchungsrichter voll Eifer, und die starke Tc mütsbewegnng, in der er sich augenscheinlich befand, zog ihn von seinem Stuhl in die Höhe. „Ich habe die feste Ueberzeugung. daß Schwielinski des ihm zur Last gelegten Verbrechens nicht schuldig ist, ein so schlechtes Subjekt er auch sonst sein mag." Der Staatsanwalt mochte diese Hartnäckigkeit, mit der der Untersuchungsrichter für eine in seinen Augen ganz verlorene Sache eintrat, und die Erregung, die er dabet ganz unnötiger Weise an den Tag legte, für einen Aus fluß seiner krankhaften Ueverreiztheit halten, -enn er lächelte nur leis«, fast unmerklich. „Ihr Optimismus stellt Ihrem Herze» das beste Zeug nis aus", erwiderte er. „Ich bin in meiner langen Amts tätigkeit pessimistischer geworden. Ich bin nicht für die Schuldlosigkeit eines Menschen begeistert, der so schwer belastet ist, wie dieser Schwielinski. Worauf gründen Sie denn Ihre Ansicht von seiner Schuldlosigkeit'?" „Auf die ganz bestimmte Aussage des Zeitungs jungen." „Pardon!" Der Staatsanwalt lächelte. „Daraus gebe ich gar nichts. Sie wissen, Kinder haben eine rege Phan tasie. Kein Wunder, daß seine Einbildungskraft dem Zeitungsjungen, als er von dem Morde hörte, vorspiegelte, er sei dem Mörder begegnet. Die Zeit stimmte ungefähr: in dem Hause, in dem die Mordtat stattgesundcn, ist ihm ein unbekannter Mann begegnet, der es — wahrscheinlich aus einer harmlosen Ursache — sehr eilig hatte. Der Knabe hat zwar nicht gesehen, daß der betreffende fremde Herr aus der Wohnung des Assessors kam, aber er nimmt es an, ja, es steht bei ihm fest, daß er nur ans der Woh riung des ermordeten Assessors gekommen sein kann. Er hat eine Tür Zuschlägen hören, das ist natürlich Wredcs Tür gewesen. Gesehen hat er es zwar nicht, aber es kann nur Wredes Tur gewesen sein, und der Fremde, der ihn in seiner Eile fast umgerannt hätte, ist der Mörder gewesen. Denken Sic sich einmal in die Seele dieses Knaben, Herr Landrichter! Wie schaurig schön für ihn das Bewußtsein sein muß, einem Mörder begegnet zu sein, und wie prächtig er nun damit vor seinen Geschwistern nnd Schulkameraden grobtun kann!" Der Untersuchungsrichter atmete hörbar laut. „Ich bin aber doch der Ansicht", sagte er, „daß es Pflicht der Untersuchung ist, dieser Spur nachzugchen." „Dieser Pflicht sind Sie ja in gewissenhafter Weise nach gekommen, lieber Herr Deinhard. Ein greifbares Re sultat haben Ihre Nachforschungen nicht ergeben." „Freilich", gab der Untersuchungsrichter mit verlegenem Gesichtsausdruck zu und vermied es, dem Blick des Staats anwaltes zn begegnen, „ich habe nichts gesunden. Aber die Staatsanwaltschaft ist vielleicht erfolgreicher. Ich meine, die Staatsanwaltschaft sollte dieser Spur noch weiter nachsorschcn. Vielleicht gelingt es ihr, herauszu bekommen, wer in letzter Stunde bei Wrede gewesen ist und vor allem, wer ein Interesse an dem Tode Wredes haben konnte. Ich vermisse bei Schwielinski bas leitende Motiv." „Ich nicht. Das Motiv beb ihm «ar Rache und di« Absicht tu rauben."
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