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W-^eMÜch -rsckcinen drei Nummern. PrLnumerationS- Preis 22j Sgr. (j Thlr.) vierteljährlich, 3 Tylr. für da« ganze Jahr, ohne Er, hShung, in allen Theilen her Preußischen Monarchie. Magazin für die Man xränun^u'rl auf dieses Reiblatt der ÄUz. Pr. SlaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straße , Nr. 14); in der Provinz so wie im Auslände bei den WotMig. Post-2en,ter». Literatur des Auslandes. Berlin, Mittwoch den 25. Oktober 1837. Rußland. Fürst Kantcmir. Ein biographisch-kritischer Versuch. Nachdem wir in unserem Artikel über die neueste Ausgabe der Russischen Klassiker") zu dem Resultat gelangt sind, daß cs gar keine Russische Klassiker gilbt, kommen wir jetzt aus denjenigen Schriftsteller, mit weichem jene Ausgabe der Russischen Klassiker eröffnet worden ist: auf Fürst Kantemir. Werfen wir einen Blick auf sein Leben und auf seine Werke, und zwar um so mehr, als aus einem gewissen büchst selt samen Mangel an Einsehen noch heutzutage Biele ganz falsche Vor stellungen von ihm haben, indem sic ihn nicht nur zu Len Russen zählen, sonder» auch, wie sizura zeigt, zu den Klassikern, ja, was freilich »och viel lustiger ist/sogar zu de» Dichtern! Der Name Kantcmir oder Kan-temir (Eisen-Blut oder Blut- Eisen) kommt in der Geschichte der Tataren häufig vor. Der Ahn der Knäse» vpn Kanlemir scheint sich aus der Krim in die Moldau über- gesicdelt und dann die Taufe empfangen zu haben und ein Bojar von großem Ansehen geworden zu seh». Seine Nachkommen wurden mit den der Fanariolischcn Fürsten und mit dcn Kanlakuzcne» verwandt, waren zum Theile Hospodare der Moldau und Dragomane der Pforte und zeichneten sich besonders durch Sprachkennwisse, so wie durch die Kunst, mit der Pforte stets übereinzustimmcn, aus. Dimitry Kantemir, stolz, herrschsiichtig, verschmitzt, bald dem Sultan eine Geisel für die Treue der Moldau, bald ein Hospodar derselbe», bekam dieses Amt zu letzt noch einmal im Jahre 1710 und glaubte in dem damaligen Kriege Peter s des Großen gegen die Türke» ein Mittel zu finden, sich zum selbstständigen Herr» der Moldau zu machen. Zu dcni Ende wurde ein geheimer Vertrag zwischen ihm und Peter geschlossen. Der Krieg be gann; sein unglücklicher Ersolg ist bekannt. Kantcmir entkam nur mit Mühe in das Russische Lager am Pruth, wo er sich in Peter s Wagen verborgen hielt. Als daun die Türken zu einer der ersten Friedens- Bedingungen seine Auslieferung machte», gab Peter zur Antwort: Nie werde ich darein willigen, meine Rettung durch das Verderben eines Manncs zu erkaufen, der mir sein Schicksal anvcrlraut hat. Ich habe Kanlemir mein Wort gegeben; er bat Alles für mich ausgeopscrl; und ich breche mein Wort nicht. Lieber trete ich den Türken mein Laud ab; denn dann behalte ich ja immer noch die Hoffnung, das Abgetretene einmal wikderzubekommen. Das Wort brechen aber heißt: dcr Ehre entsagen; und, dieser rnlsage», ist schlimmer, als dcr Herrschaft. — Kantcmir blieb daher in Rußland und wurde vom Zaar mit Gnaden- bezeugungcn überschüttet. Zugleich mit ihm waren alle seine Angehöri gen und 2000 Moldauer iidcrgrsicdeil. Er lebte auf seinen Güler», und zwar als so unumschränkter Gcbieler, daß er selbst am Leden stra fen konnte. Später indeß rief Pcler ihn an den Hof nach St. Peters burg, und Kanlemir war klug genug, einzusehcn,' daß dies aus einer leicht verzeihliche» Anwandlu»g von Mißtrauen geschehen war. Des halb blieb er ganz in dcr Hauptstadt. Daselbst vermählte er sich (zum zweiten Male) mit dcr sehr jungen Tochirr des Fürsten Trubezkop, wo bei er seine Moldauische Tracht ablegte, seine» Barl abschiiitl und ganz und gar Russe und Hofman» wurde. Zuletzt begleitete er den Zaar aus dessen Feldzüge gegen Persien, erkrankte aber während desselben und starb auf seinen Gütern im Jahre 1721. Denselben Feldzug wachte auch Anliochus, dec jüngste seiner vier Söhne (1708 geboren), mit. Dieser scheint aber keineSwegeS sein Liebling gewesen zu sevn; .1719 ließ er ibn in Petersburg in das PreobraschenSkischc Regiment einlrcten. Einmal schlug er ihn fast zu Tobe, als er ihn ans seinem Posten schlasend gesunden. DeS Vaters Testament besagte: Wie er den Zaar ersucht haben wolle, sein ganzes Vermögen bcm beste» seiner Kinder zu geben, ober welchem er wollc. — Da ging Anliochus völlig leer auS; dcn» Konstantin, einer seinrr Brüder, durch Berheiralbung mit des Fürste» Gaiizi» Tochter diesem und len Dolgoruky's c»g verbunden, trug die ganze väterliche Erbschaft davon. Anliochus wurde nur wie aus Gnaden erhallen und sah sich gezwungen, sorljudiene», trotz seinem Widerwille» und seiner schwachen Gesundheit. Auch er Halle aber das beständige Erblheil seines ganzen Stammes: auSgebreitele Kenntnisse, besonders Sprachkennlniffe, überkom men. (Sein Baier verstand gleich ausgezeichnet Türkisch, Arabisch, Persisch, Moldauisch, Alt- und Neu-Griechisch, Lateinisch, Jtaliänisch, Kirchen-Slawonisch und Französisch. Er schrieb auch Geschichtsbücher in Lateinischer Sprache, dichtete Türkische Lieder und verfaßte ein *) S. Nr. 127 des Magazins. System dcr Muhammed-attischen Glaubenslehre.) Seine Leh rer waren dec gelehrte Grieche Kondoidp und Jlvnskp, unter drre» Lei tung er un Lateinischen und Griechische» schon zu Hause so rasch vor wärts schritt, daß er i» seinem zehntcn Jahre eine Griechische Rcde in Gegenwart Pclcr'S des Großen hallen und 1727 eine Symphonie zum Psalter erscheinen lassen konnte. I» dcn Zeile» seincr härlestcn äußere» Bedrängnisse fand cr Erguickung in den Wissenschaften, im Schreibe», im Ucbersctzen und in der Durchsicht des Wörlcrbuchs ter Wisscnschasle», da- damals hcrauskam. Fortwährend von dcn Sciuigen vernachlässigt, verfiel er am Ende gar darauf, Russische Verse zu schrei ben, und z.chcr ist Acrgcr scinr cisic Begeisterung gewesen. — Den Großen seinev Zeit waren die ncucingesührte» Deuizchen und Römer verhaßt. Fürst Galizin sagte Lies ganz öffentlich; mid Mcnschikoff und seine Nachfolger zeichneten sich in Rücksicht auf die Wissenschaften eben auch nicht aus. Eine gelehrte Partei war damals diejenige, zu welcher Männcr gehörten, wie Tbeophan Prokopowitsch, Fürst Trubezkoy, Lud wig Prinz von Hessen-Homburg, dcr altc Fürst Tfchcrkaskp und noch cinige Andere. Bei diese» sanden die Gelehrten und die Studie» Achtung und Unterstützung. Trubezkoy verlebte nach der Schlacht von Narwa 18 Jahre in Schwedischer Gesangcnschaft; sein Neffe aber war ei» treuer Freund unseres Anliochus luid brachlc den jungen Dichlcr in diese Gesellschaft, wo ihm selbst Tbeophan seinen unaufhörlichen Spott über die Geistlichen »ach altem Style so wenig übelnabm, daß cr ihn sogar im Gcgt»lheile (in freilich nur sehr millelmäüigcn Bcrsen) »ach Lesung seiner ersten Satire lobend auSzeicknele. Dasur ward die sem aber auch die zweite gewidmet. Nach Peler'S II. Tode jedoch änderte sich die Lage dcr Linge. Man beschloß, Len Thron aus Anna Iwanowna zu übertragen. Anliochus war derjenige, welcher die bc- rühintc Berufung dcr Kaiserin verfaßte. Aber Parteiungen blieben nach wie vor rege und tbälig; die Dolgorukp'S und ihre Anhänger wurden zwar gestürzt, und Lcs Anliochus Gönner und Freunde lrugen freilich Guadcnbezcigunzen und Ehrcnstcllcn davon; er selber indeß sah sogleich, daß für ibn nichlS zu hoffen war. De» Bcunrnhigungcn »nd Umtrie ben dcr hof^Parleie» zu enlgchcn, biclt cr es daher für besser, Ruß land zu verlassen. Er suchte und erhielt die ehrsame und friedfertige Stelle eines Residenten in England. Dort verbrachte er siebe» ruhige Jahre, allen Wünsche», wie allen Verleumdungen enlfremdel. Größere Zerstreuungen erlaubte» ihm weder seine Gesundheit, noch seine Ver mögens-Umstände; deshalb lebte cr in seinem stillen Kabinette Len Studien, übersetzte des Horaz Episteln (die 1744 erschienen), den Cor nelius NepoS, Justin, Epiklel's Apophihegmen und Lrn Algarotti (Alle« aber nur Versuche von Uebersetzungen, ohne Bedeutung). Schon 1710 war seine Uebcrsetzung Ler in jenen Tagen glänzenden Gespräche über die Medrhcii der Wellen von Foulen elle gedruckt wor be». Weiler ist bei seinem Lebe» nichts von ihm im Druck erschiene,!. Seine Satiren sind erst 1762 und später, zugleich mil seinem Fontenelle, nochmals aufgelegt worden. Eben so übersetzte er ein anderes Buch, das seinen Zeitgenosse» die Kövfe ganz verdrehte: Dee Persischen > Briese von MonleSguieu; dieser, ManpcrlniS und Horaz, als Philo soph sowohl, wie als Dichlcr, waren seine Lieblinge. Ader seine Gesundheit wurde immer schwächer; auch waren dic Aergernisse sür ibn noch kci»cswcglS zu Ende: Er halte einen heimli chen mächtigen Feind an Ostermann, der „diesen bescheidenen Gelehr te»" fürchtete. Anliochus crbicll weder Titel noch Belohnungen und blieb fortwährend Geschäftsträger, was er schon 1728 geworden war, bis er endlich 1711, in „Anerkennung seiner Wolstbesliffenbeit und aus Achtung für seine berühmte Abstammung", zum Minister ernannt wurde. Nun bat er um Urlaub, weil er gern nach Italien wollte. Anstatt dessen erhielt er aber plötzlich die höchst schwierige Stelle eines Gesandten am Hofc zu Versailles. Dort Hoffle Ostermann Lurch »ich. tige Beilcumdnngc» ihn zu verwickel» und zu verderbe». Als Kammcr- berr ging er 1718 nach Paris, und sogleich zeigte sich das Mißliche seiner Stellung zwischen zwei so hinterlistigen Männer», wie Fleury und Ostermann. Glaubte doch z. B. Ostermann, als er Kantemir'S Bericht über Fleury's Cbaraktcr erhielt, der Satiriker habe sei» (Oster manns) Bildniß enltvorfen, und wurde nur »och mehr erbittert, als Fleury ihm ciumal schrieb, daß Fürst Kanlemir Alles wohl sehr rasch adlhue, da er ja durch Lio Lehren eines so große» Ministers, wie Ostcr- mann, gekeilel würde. — Weik Anliochus nun sorlwährend Borwürse und Verweise empfing, beschloß er, um seinen Abschied nachzusuchen. Da bekam cr plötzlich Lie uncrwarlclc Nachrichl von dem Ableben der Kaiserin Anna und von Lem Ende der Biron'schen Regentschaft. Nun sah er Lie Unballbarkeil dcr nencn Regierung wohl voraus und schickte des halb seinen ersten Bericht nicht geradezu, sondern an einen seiner Freunde,