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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.08.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-08-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000803022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900080302
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900080302
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-08
- Tag 1900-08-03
-
Monat
1900-08
-
Jahr
1900
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Noch sind keine fünf Tage verflossen, daß die rohe Faust eines verkommenen Subjects den Namen des edlen Königs von Italien aus der Liste der Lebenden gerissen, noch sind die sterblichen Ueberreste des beklagenSwerthen Opfers einer hirnverbrannten Welt- und Lebensanschauung nicht der Erde übergeben, und schon wieder kommt die allarmirende Kunde von einem neuen, diesmal zum Glück mißlungenen, zweifellos aber ebenfalls anarchistischen Attentats aus Paris, wo der Schah von Persien, der gegenwärtig der Gast der Republik ist, gestern Vormittag von einem Mordgesellen jählings überfallen wurde. Wir haben schon, nicht zwar, in Einzelheiten wohl aber in der Hauptsache übereinstimmende Berichte über die neue Schandthat mitgethcilt; hier ein weiterer: * Paris, 2. August. Ter „TempS" gicbt folgende Darstellung des auf deu Schah vo» Perfieu verübten Attentats: Ter 'Wagen des Schahs hatte ungefähr zwanzig Meter znrnckgelegt und kam bei einem neuen, noch unbc- wohntcu Hause vorüber, als plötzlich ein junger Mann im Arbeitskittel die Reihe der Polizei beamten durchbrach und mit eiucm Satze auf das Trittbrett des Wagcus des Schahs sprang, Hr hielt einen Revolver in Vcr Hand und richtete diese» aus die Brust des Schahs. Hs sei nuu, das; der Verbrecher zögerte oder erst zielen wollte, genug, der Schah konnte sich etwas nach links neigen und die rechte Hand des Mordbubcu ergreifen. Als dann der (Ärosjvczir diesen beim Handgelenk fasste und dieses heftig drückte, siel dem Mörder die Waffe aus der Hand. An demselben Angcnblick packten ihn ein Polizeiinspcctor nnd mehrere andere Polizcibcamtc, während die Menge in den Ruf ansbrach: „Nieder mit dem Mörder!" „Tod dem Mörder!" Ter Schah bewahrte völlig seine Kaltblütigkeit, während sich seiner Umgebung eine große Aufregung bemächtigte. Ter Schal» wollte nicht, daß die Spazierfahrt verschoben werde nnd befahl, das; der Wagen seinen Weg sortsctzc. Ter Attentäter ist der Polizei nickt bekannt, er scheint noch nicht lange in Paris und feines Zeichens entweder Zimmermann oder Dach decker zn sein. Man fand bei ihm einen Dolch und ein Taschentuch mit einer Matrikelnummer des l28. Infanterie- Regiments. Papiere hatte er nicht bei sich. Das Taschen tuch mit der Matrikelnummer scheint darauf hinzudcuten, daß er mit den Anarchisten in St. Denis (dort steht das betreffende Regiment) in Verbindung steht. Diese Spur wird die Polizei zunächst verfolgen. Man fand weiter in seiner Tasche die Nummer des „Journal", in der das Programm für die Absichten des Schahs ausführlich ent wickelt ist. Der Verbrecher wurde auf dem Polizeiburean pboto- graphirt. Da er gefesselt war, konnte er keinen Widerstand bieten, dock senkte er beständig den Kopf. Der Untersuchungs richter Vallös versuchte vergebens, ihn zu vernehmen. Der Untersuchungsrichter glaubt nicht, daß der Verhaftete einen ausländischen, sondern vielmehr einen baskischen Accent bat. Er ist ungefähr 30 Jahre alt, 1,71 m groß, Kat braune Augen, hellblonden Schnurrburt und dunkle Gesichtsfarbe. Der Untersuchungsrichter hat etwa 15 Personen vernommen, welche Zeugen des Attentats waren, und den Mörder nach dem Gefängniß de la Santo überführen lassen. Derselbe weigert sich, einen Vertheidiger anzunehmen und weist jede Nahrung I von sich. Bisher ist es noch nicht gelungen, die Persönlichkeit des s Attentäters festzustellen. Nach den Zeugenaussagen glaubt man annehmen zu dürfen, daß er Mitschulbige batte, welche bei der Thal zugegen waren. Auch soll man versucht haben, ihn nach ter Verhaftung zu befreien. Einige Personen bekundeten auf dem Polizeicommissariat, sie hätten eine Person, von der sie auch eine Beschreibung gaben, mit dem Verüber des Mordanschlags gegen den L-chah sprechen und im Augenblick der Ausführung des Verbrechens fliehen sehen. Es wird noch berichtet: * Paris, 3. August. (Telegramm.) Der Unter suchungsrichter Ballds vernahm gestern AbcuS mehrere Zeugen, insbcsonvcrc Sen Anspcctor des Sicherheits dienstes Billcriuc und den Maler Masih. Ttcscr sah den Verbrecher vor dem Palais der Souveraiue. wie derselbe mit den Füsse»« stampfte uud sagte: „Hs dauert lang." Ht» anderer, der ihn be gleitete, sagte: „Hs ist » Uhr", indem er Sie Uhr zog. „Der Schah wird nicht mehr langeaus- bleiben." „Verschwörung gegen die Souveraiue." Sofort bei dem Bekanntwerden des Pariser Mordan anschlags mußte sich die Vermuthung ansdrängen, daß der selbe ein weiteres Glied in einer Kette sei, die mit dem Königs mord in Monza begonnen. Die „Italic" schrieb vor dem Attentat auf den Schah, die Polizei habe wichtige Entdeckungen gemacht: Es handle fick um ein Complot, daS in Amerika und Paris geschmiedet und in Italien ausgesührt worden sei. Aehnlichc Verbreche»« feie»» in ganz Huropa geplant. Hierzu nehme man die folgende Meldung: * Paris, 3. August. (Telegramm.) Ter Vertreter der Staatsanwaltschaft soll einen« Jourualisten gegenüber die Ucbcrzcngnng ansgcdrück« haben, daß man einer Verschwör»»»« gegen die Sonveraine gegen überstehe. Ter gestrige Mordanschlag stehe mit den« Verbreche« in Monza in« Zusammenhang. Der Attentäter, dessen Wäsche mit „6. l)l." gezeichnet ist, sagte, wie verlautet, in dein Verhör, die Zunge weigere sich, zu erklären, was die Hand thun wollte. Hieraus wird, so fügt die Meldung hinzu, geschlossen, daß der Verbrecher wirklich beabsichtigt hat, den Mord zu begehen. Wir schließe»« weiter daraus, daß die Zunge des Mordbuben noch mehr zn verschweigen hat! In dem Briefe, den der Schah kurz vor dem Ucberfall erhielt, wird er um Geld gebeten und vor einem Atten tat gewarnt. DaS Schreibe»» ist aus Neapel, also aus einer italienischen Stadt, datirt. Dort mutzte man also von dem Anschlag wissen. Wie schon angedeutet, scheint der Attentäter aus den baskischen Theilen Frankreichs zu stammen, also kein Italiener zu sein. Der Anarchismus »st eben nicht eine Specialität der Apenninenbalbinsel, sondern international, aber in Italien hat er zweifellos sein Haupt quartier und seine gefährlichsten, verwegensten Anhänger. Weitere Meldungen: * Paris, 2. August. Der Schah kehrte um 4'/, Uhr nach Paris zurück, alsbald stattete ihm Präsident Loubet einen Besuch ab. Die Zusammenkunft, welche sehr herzlich war, dauerte fünf Minuten. Die Minister und das diplomatische Corps gaben im Palais des Souverains ihre Karten ab. Das Palais wird scharf bewacht. * Paris, 3. August. (Telegramm.) In der Umgebung des Schahs hält man den Mordanschlag für die That eines Irr sinnigen (?). Der Rciseplan des Schahs erleidet keine Abänderung. Ter Schah telegraphirte die Nachricht von dem Anschlag selbst nach Teheran. König Humbert -p. Von Taz zu Tag »nehren sich die Anzeichen, daß eine regelrechte anarchistische Verschwörung gegen das Leben des Königs von Italien bestanden hat und daß er von einem ganzen Cordon von Anarchisten umlauert war. Verhaftungen werden fortgesetzt vorgcnommen, welche dies bestätigen. Auch die Königin Margherita war als Opfer ausersehen und zwar war es der schwer belastete Anarchist Lanner, ein Oesterreicher, welcher gegen sie den TodeSstreich führen sollte. Am Sonntag betrat Bresci (dies die richtige italienische Schreibung) die Capelle in der königlichen Villa zu Monza, offenbar mit dem Vorsatz, sein Verbrechen dort auszusühren, falls der König die Kirche betrete. Die in Mailand erscheinende „Lega Lombarda" berichtet: Augenzeugen des Attentates, auch ein königlicher Stallknecht, Kälten vor dem Untersuchungsrichter gesagt, daß sie im Augenblicke des Verbrechens vier oder fünf Personen mit schwarzen Cravatten gleich der des Mörders beim königlichen Wagen bemerkt Kälten. Nack Vollendung der That hätten diese Personen lebhaft geschrien, um die Verwirrung zu steigern und die Flucht des Mörders zu er leichtern. Gestern Nacht wurde Bresci, welchen seine chnische Rübe nicht verlassen hat, nach Mailand in das Gefängniß des Schwurgerichts überführt. Als er den Wagen bestieg, rief er den Leuten, die sich in der Nähe befanden, zu: „Seid ruhig, ich werde eher frei sein, als Ihr denkt!" Seine Zelle wird von innen und außen bewacht. Jedenfalls hat Bresci Grund, auf Hände zu rechnen, die bereit und vielleicht auch im Stande sind, ihm znr Flucht zu verhelfen. Die anarchistische Partei als solche soll arm sein, aber wenn man bedenkt, daß BreSci, der arm wie eine Kirchenmaus nach den Vereinigten Staaten ging, reich mit Geldmitteln versehen zurückkehrte, die Pariser Weltausstellung besuchte, ziemlich luxuriös lebte, Liebesverhältnisse unterhielt und als „Gentleman" auftrat, wenn man ferner sich erinnert, daß auch andere Propagandisten der That, wie der Mörder Carnot'ö, über eine wohlgcspickte Geldbörse verfügten, daß Luccheni, der Mörder der Kaiserin Elisabeth, ebenso wie Jener die Welt durchreiste, was doch nicht wenig kostet, so hat man den Beweis, daß eö den Anarchisten an reichlich fließenden Geldquellen nicht fehlt, und mit Geld läßt fick Vieles machen. Unter der italienischen Arbeiterschaft werden sich ohnehin Handlanger genug finden, ist sie doch socialistisch und anarchistisch bis auf de»» Grund durchsetzt. So wird aus Bern berichtet: Zahlreiche Italiener in der Stadt Biel (Canton Bern) verließen bei Bekanntwerden der Ermordung Humbert's sofort die Arbeit und stießen Freudenrufe aus. Einzelne Gruppen von Italienern durchzogen Montag Nachmittag singend und johlend die Stadt. Einer spielte eine Handharmonika." Uebrigens ist die „Schweizerische Depeschen-Agentur" gegenüber der Mittheilung eines Genfer Corresvondenten des Pariser „Matin", daß Bresci vor zwei Jahren in Genf ge wesen sei, zu der Erklärung ermächtigt, daß ein Individuum Namens Bresci in den Registern der Schweizerischen Bundes- Anwaltschaft nicht eingetragen steht und niemals in der Schweiz bemerkt worden ist. Derselbe ist der Polizeibehörde gänzlich unbekannt, so daß bestimmt anzunehmen ist, daß er sich nie in der Schweiz aufgebalten hat. Die Genfer Blätter dementiren ebenfalls diese Meldung des Pariser Blattes. Thatsächlick scheinen die Sckweizer Behörden seit der Er mordung der Kaiserin von Oesterreich, welche bekanntlich in Genf erfolgte, ein sehr wachsames Auge auf die Anarchisten, die dort einen Taubenschlag hatten, gehabt und das Mord- gesiutcl ihren Grenzen ferngehalten zu haben. Das gereicht ihnen nur zum Lobe und zeigt, Laß gegen jene Mörderbande sehr wokl etwas auszurichten ist, wenn die politische Polizei ihre Schuldigkeit ganz thut. Hier sei gleich noch bemerkt, daß nach einer Meldung der „Neuen Freien Presse" der in Turin verhaftete Lanner, welcher aus Trient stammen soll, der österreichischen Behörde als Anarchist nicht bekannt ist, dagegen aber Franz Widner, der zu den Anarchisten schlimmster Richtung gehört und bis zur»» vorigen Jahre in Triest lebte. Er flüchtete dann nach Paterson, wo er ein anarchistisches Blatt berausgiebt. In Lanner's Wohnung fand man zahlreiche anarchistische Schriften, darunter das Anarchistenlied „Oa ketroliera". Mit BreSci war er im Juni in Paris. In etwa 10 Tagen wird der römische Ministerratb schlüssig werden, ob Bresci vor ein Schwurgericht oder vor den obersten Gerichtshof gestellt wird. Man hofft die Unter suchung in etwa einem Monat zu beendigen. * Rom, 3. August. Wie verlautet, wird die Ueberführung der Leiche des Königs hierher am Sonnabend erfolgen. Graf Brambilla versichert, der König habe seine Memoiren in ein Albuin geschrieben, das dem König Victor Emanuel HI. übergeben wurde. — Wie die „Agenzia Etesani" meldet, wurde trotz eifriger Nachforschungen ein Testament des Königs Humbert bis jetzt nicht gefunden. Der Oberjägermeister Graf Carminati di Bram billa wurde nach Rom gesandt, um es dort zu suchen. Dadurch werden die Anordnungen wegen des Begräbnisses verzögert. Die Regierung soll formell vorgeschlagen haben, das Begräbniß in Rom stattfinden zu lassen. — In Turin trugen bereits 20 000 Bürger ihre Namen in die Subscriptionsliste für einen Kranz ein mit einem auf 10 Centissimi festgesetzten Betrag. — Tas Ministerium des Innern ordnete das Nähere zur Vorbereitung des Platzes im Pantheon an, wo die sterblichen Ueberreste des Königs ruhen sollen, bis eine dauernde Grabstätte errichtet ist. — Cardinal Ferrari soll der Königin Margherita einen eigenhändigen Brief des Papstes überreicht haben. — Tie Leiche des Königs wird nicht einbalsamirt, son dern heute Abend im Beisein der Majestäten und Prinzen in einen doppelten Sarg aus Blei und Nußbaumholz gelegt. — Der ita lienische Consul in Christiania wurde telegraphisch angewiesen, die nach den Polarmeereu abgehenden Walfischsahrer zu beauf tragen, die Trauernachricht dem dort reisenden Herzog Idee Abruzzen zu übermitteln. — Das Telegraphen - Bureau I in Mailand empfing und übermittelte allein gestern 32 000 Depeschen. I— Die Vorbereitungen für die Errichtung eines Grabmals im Feuilleton. 3, Gold nnd Klut. Roman aus Südafrika von O. Elster. Vkkbo!-n. Rasch näherten sich die Reiter, die vortrefflich auf englischen Halbblutpferden beritten waren. Der alte Herr Walter trug die in Südafrika gewöhnliche Tracht; graugelbe Blouse, weite, lederne Reithosen mit bis zum Knie reichenden Gamaschen und den breitrandigen Hut, den eine Straußenfeder schmückte. Ueber seinem Rücken hing eine doppelläufige Büchse, an seinem Gürtel Messer und Revolver. Ein weißer Vollbart umflatterte das tiefgebräunte Gesicht des alten Farmers, besten blaue Augen aber noch in Jugend frische blitzten. Die herkulisch gebaute Gestalt zeigte noch keine Schwerfälligkeit; der sechzigjährige Mann saß so leicht wie ein Jüngling im Sattel. Der „Bon", ein fast ebenholzschwarzer Zulu von einigen zwanzig Jahren, war eine schlanke, geschmeidige Gestalt, wie sie bei dem kriegerischen Zuluvolk so häufig getroffen wird. Er Ivar in ein einfaches, hellfarbiges Kattungewand gekleidet, das blousenartig seinen Oberkörper umschloß, während Füße und Beine ebenfalls in Gamaschen und weißgrauen Leinwandhosen steckten. Auch er war bewaffnet mit einer Büchse. Vor dem Hofthor sprang der Alte jugendlich leicht aus dem Sattel und warf die Zügel seines Fuchses dem Boy zu. Dann eilte er seiner Tochter entgegen. „Sie sind wieder handgemein geworden!" rief er. „Bei Dundee und Glencoe! Gestern haben sie die dickköpfigen Boeren ordentlich gehabt! Zweihundert Gefangene sind nach Lady smith abgeführt." „Wo stehen denn die Unsrigen?" „Bei Glencoe und Dundee — ein Seitendetachement bei Elandslaagte, wo wir gestern das deutsche Freicorps aufge rieben haben." „Deine Landsleute, Vater. . . „Ah, bah, wenn sie mit den Boeren gemeinsame Sache machen, sind's meine Landsleute nicht mehr. Gieb mir zu essen — ich bin hungrig, bin kurz nach Mitternacht fort geritten." Der Alte setzte sich an den Tisch und ließ sich das Früh stück trefflich munden. „Hast Du von Henry gehört?" fragte Mary nach einer Weile. „Ich habe ihn sogar gesehen ... er kam von Elandslaagte, wo er mit den Natalfreiwilligen die Feuertaufe erhalten hat. General French sandte die Gefangenen unter Bedeckung eines De tachements der Natalfreiwilligen nach Ladysmith. Das Detache ment commandirte Henry. Er wußte nicht genug von dem Ge fecht bei Elandslaagte zu erzählen — das deutsche Freicorps ist so gut wie vernichtet — Oberst Schiel, der es führt, ist ver wundet in unsere Gefangenschaft gerathen. Die meisten der deutschen Officiere sind tobt über verwundet." „Die Armen ... für ein fremdes Land ihr Leben dahinzu geben . . „Ja — ich verstehe meine heutigen Landsleute nicht mehr. Du weißt, Mary, daß ich stets mit großer Liebe meines deut schen Vaterlandes gedacht habe . . . aber es hat sich da so viel verändert, daß ich es kaum noch als mein Vaterland betrachte. Du bist zwei Jahre in Deutschland gewesen, vielleicht denkst Du anders . . . ." Mary blickte gedankenvoll in die Ferne. „Ich hoffte", sprach sie leise und langsam, „Deutschland sollte einst mein Vater land weiden — das ist nun vorüber . . . ." In vollem Galopp sprengte in diesem Augenblicke der Ver walter Wedekind auf den Hof und hinter ihn drein stürmten mit Geschrei die schwarzen Arbeiter und Arbeiterinnen. Vor der Veranda sprang Wedekind aus dem Sattel. „Mister Walter, sie kommen!" rief er. „Zum Teufel auch, Mann — wer kommt?" fragte Walter, sich erhebend. „Die Boeren! Sehen Sie dort nach dem Waldesrand, Sir, dort können Sie die Gewehre blitzen sehen!" Am Rande des etwa eine englische Meile entfernten Waldes tauchten einige Reiter auf kleinen, aber derben und sehnigen Pferden auf. Der breitrandige Hut, die hohen, kräftigen Ge stalten, das über die Schulter hängende Gewehr, Uckd der um die Brust gehängte Patronengürtel ließen sie als Boeren aus Trans vaal oder dem Oranje-Freistaat erkennen, die keinerlei »ckili- tänsche Uniform besaßen, sondern in ihren grauen, wolligen Jagd- und Feldanzügen in den Krieg zogen. „Ihr habt Recht, Weidekind — das sind Boeren! Was wollen die Burghers hier in dem stillen Seitcnthal? Alle Wetter, jetzt kommen sie hierher!" In schlankem Galopp näherte sich die Patrouille dem Ge höft und hielt binnen Kurzem am Thore, wüthend umbellt von den Hunden, während sich die schwarzen Arbeiter scheu in ihren Hütten verkrochen. Herr Walter trat den Boeren ruhig entgegen. „Was giebt mir die Ehre, die Burghers Transvaals begrüßen zu können?" fragte er. „Ihr seid kein Afrikander?" fragte der Anführer der Truppe. „No, Sir, ein Engländer . . . ." „So sind wir an dem richtigen Platze. — Wir kommen als Fourageure einer größeren Abtheiluny, welche dort im Walde lagert, Sir. Unsere Leute haben Hunger und Durst, Sir — wir wollen einige Rinder von Euch holen, wenn's Euch recht ist, Sir?" setzte er mit breitem Lachen hinzu. Ein Schatten verfinsterte das Antlitz Walter's, und die Zornesröthe stieg ihm in die Stirn. Er war im Begriffe, heftig zu erwidern, als ihm Wedekind auf deutsch zuflüstevte: „Es sind ihrer mindestens Fünfhundert, Herr Walter, da ist nichts zu machen . . . ." Der Führer des Boerencommandos horchte auf. „Ihr seid Deutsche?" fragte er. „Allerdings . » ." „Euer Gkück — sonst hättet Ihr kein Stück Eurer Heerde behalten, Sir. Aber die Deutschen haben sich brav bei Elands laagte geschlagen — sie lagern mit uns dort im Walde. Werbe Euch einmal den Officier berschicken." „Nicht nöthig, Sir", entgegnete der alte Walter. „Habe keine Sehnsucht, die Bekanni'schaft des Herrn zu machen. Was Ihr braucht, sollt Ihr haben — Wadekind, weise den Burghers an, was sie verlangen. Good bye, Sir —" Er berührte leicht den Rand seines Hutes und kehrte in das Haus zurück, ohne sich nach den Boeren umzufehen. „Ein verdammt stolzer Patron", brummte der Anführer der Patrouille. „Wenn Commandant Kranz uns nicht befohlen hätte, allen Streit mit den Bewohnern zu vermeiden, würde ich ihm eine derbe Lection geben. — Na, und Ihr da, seid sein Ver walter?" „Yes, Sir. . ." „So kommt, wir brauchen Futter für dreihundert Pferde und Fleisch und Mehl für vierhundert Mann ... Ich denke, zehn feiste Rinder werden genügen . . ." „Ich denke auch, Sir. Wollen wir zum Kraal gehen?" „Gebt Euch keine Mühe, Mann; wir fangen uns die Thiere selbst. Sorgt Ihr nur für Mehl und Futter für unsere Pferde " Lachend ritten sie davon, und der alte Wedekind sah mit schmerzlicher und zorniger Wehmuth, wie sie zehn der schönsten Rinder aus dem Viebkraal hervorholten und sie dem Walde zu trieben, an besten Rande die Boerenschaar ihr Biwak aufge schlagen hatte. Die Boeren mußten auf einem raschen Streifzuge bogriffen sein, da sie keine Wagen oder Packthiere bei sich führten. Dagegen führten sie zwei mit vier Maulthieren bespannte Maximgeschütze mit, deren blanke Läufe in der Hellen Morgensonne blitzten. Faste alle Boeren waren beritten. Nur eine kleine Anzahl — vielleicht fünfzig Mann — waren ohne Pferde. Mißmuihig begab sich Wedekind nach dem Wohnhaüse, um seinen Herrn von den Forderungen der Boeren zu unter richten. Viertes Capitel. In diesem Augenblicke fielen im Walde einige Schüsse. Im Nu waren die Boeren bei ihren Pferden. Eine Abtheilung zu Fuß drang rasch in den Wald ein; man hörte Rufe und heftiges Gewehrfeuer. Eine Patrouille sprengte an den Lommandanten heran, und die Männer redeten eifrig auf einander ein. Der Commandant, ein alter Felbcornet mit grauem, lang herab wallendem Haar, wies nach dem Hügel, auf dem Gcorgsfarm lag. Sofort sprang die Bedienungsmannschaft der Aöaxim- oeschütze in den Sattel, die Peitschen klatschten auf die hageren Rücke»» der Maulthiere, und in gestrecktem Galopp preschten die Geschütze mit den Bedienungsmannschaften den Hügel hinauf. Die weidenden Rinder uno Schafe stoben nach allen Seiten auseinander, die Hunde bellten wüthend und zerrten wie wahn sinnig an ihren Ketten, Herr Walter ließ Vas Hofthor schließen und ermahnte die zitternden Schwarzen zur Ruhe, aber er selbst hatte vor Erregung keine, denn das Manöver der Boeren ließ darauf schließen, daß eine englische Abtheilung in der Nähe sei, und daß sich die Boeren hier, neben seiner Farm, zum Kampfe vorbereiteten. Jetzt protzten die Maximgeschütze neben den Scheunen des Gehöftes ab. Walter bewunderte die Gewandtheit der Leute im Bedienen der Geschütze; die Mannschaft bestand aus jungen, kräf tigen Burschen, anscheinend den Söhnen wohlhabender Boeren- familien, denn ihre Kleidung war verhältnißmäßig reich und Ihre Pferde vorzüglich; der Führer der Geschütze blieb im Sattel und beobachtete, neben dem einen Geschütz haltend, den Saum des Waldes, während die Mannschaften bereit standen, jeden Augen blick auf den auftauchenden Feind zu feuern. Der Haupttrupp der Boeren saß ebenfalls bereits im Sattel, indessen die zu Fuß Kämpfenden den Waldsaum besetzt hielten. Im Walde selbst wurde noch immer geschossen. Da erschien auf der Straße, welche weiter südlich aus dem Walde hervortrat, eine Colonne Soldaten, deren gleichmäßigen Uniformen man es ansah, daß sie dem britischen Heere angehörten. Die Colonne
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