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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020118025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902011802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902011802
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-01
- Tag 1902-01-18
-
Monat
1902-01
-
Jahr
1902
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Anzeigen »Prei- die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Rrdactiousftrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung « 60.—, mit Postbesörderung 70.—. ^nnahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol- in Leipzig. Nr. 32. Sonnabend den 18. Januar 1902. 98. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika, vaerenfreundliche Kundgebung in Paris. Die Direktion des Chätelet unterbrach am letzten Sonnabend die Reihe ihrer Abendvorstellungen von „IxrVozrugs 6s Lurettv", um den Saal, welcher einer der größten von Paris ist, für einen Vortrag zum Besten der Boeren frei zu geben. Das Pariser Damencomit« vom sou Laers hatte die Conferenz veranstaltet, und der Vortragende war derJonkheerSand- berg, der zu Anfang des Transvaaltrieges als Adjutant Joubert's und Botha's focht und an den Kämpfen bei Colenso, um Ladysmith herum und bei Spionkopje theilnahm. Noch bevor Präsident Krüger Pretoria verließ, wurde Sandberg unter dem Namen eines Pariser Journalisten mit Geheimdepeschcn nach Europa geschickt, und obwohl er sich seines Auftrages ohne Hinderniß entledigen konnte, so war die Rückkehr nach Süd afrika für ihn ausgeschlossen, da sein wahrer Name und der Zweck seiner Reise den Engländern inzwischen angegeben worden waren. Als Streiter für sein Adoptivland wirkte er seitdem auch in Europa, indem er zuerst in der Schweiz, dann in ver schiedenen Städten Frankreichs das Wort für die Boeren, vor Allem aber gegen die „Unmenschlichkeit der Gefangenenlager", ergriff. Die Sympathie sür die Sache der südafrikanischen Republiken, welcher ein Theil der Pariser schon während der An wesenheit des Präsidenten Krüger vor vierzehn Monaten stür misch Ausdruck gab, sicherten dem Vortragenden, der zum zweiten Male in Paris sprach, wieder ein volles Haus. Als der Vor hang der Bühne, von welcher der Jonkheer Sandberg sprechen sollte, unter den Klängen der ernsten Boerenhymne aufging, da erhob sich, nach einem Bericht der „Nat.-Ztg.", eine dicht ge drängte Menge, die aus allen Classen der Gesellschaft zusammen gesetzt war, und begrüßte stehend den Redner des Abends. Dieser, eine noch jugendliche Erscheinung, trug die schlichte, graue Boerenuniform mit dem braunen Patronengürtel und nahm in militärischer Haltung, die Hand an dem an der einen Seite aufgebogenen Hute, den Beifallssturm seiner Zuhörer ent gegen. Er schilderte die bcjammernswerthe Lage der Ge fangenen und wies auf die officielle Statistik der Todesfälle, besonders unter den Kindern, hin, auf die Berechnung der Kosten eines solchen Lagers des Elends, wonach in dem einen der täg liche Unterhalt jeder Person durch eine Summe von elf Centimes gedeckt wird, hie am besten versorgten aber dreißig Centimes pro Tag und pro Kopf nicht überschreiten. Von den helden- müthigen Boerenfrauen, welche trotz qualvoller Leiden, die sie selbst ertragen und ihre Kinder erdulden sehen müssen, und ihrem Widerstand gegen allen moralischen Druck von Seiten der Engländer, damit sie ihre Männer zum Niederlegen der Waffen bewegen, entwarf der Vortragende ein ergreifendes Bild. Dabei kam immer wieder die feste Zuversicht auf endlichen Sieg und der zähe Wille, bis auf den letzten Mann um die Un abhängigkeit zu kämpfen, zum Ausdruck. Solche Worte fanden bei dem Pariser Publicum, das schon bei Geringerem Anlaß Feuer fängt, jedes Mal ein lautes Echo, und die Aufgabe des Redners wurde durch den Enthusiasmus seiner Zuhörer sehr erschwert. Dieselben beschränkten sich nicht auf Beifallsbezeigungen, sondern ergingen sich vor Allem in Schmähungen und Drohungen gegen die Engländer, die sie zu „hängen" wünschten, wenn sich ihrer einige im Saale befänden. „Lassen Sie doch einen Aufruf an französische Freiwillige er gehen, und wir kommen Alle", oder: „Man schicke Kanonen an statt des Geldes" tönte es mitten in den Vortrag hinein, und die Conferenz gestaltete sich so zu einem tumultuarischen franzö sischen Protest Meeting gegen die englische Kriegführung. Man hörte: „Wir protestiren Alle, es sind di« Regierungen, die sich nicht regen", und Schimpfnamen gegen die Engländer flogen von allen Seiten durch den Saal, so daß der Redner oft minutenlang innehalten mußte. Plötzlich glaubte Jemand, einen einzelnen Sohn Albions in einer Loge zu entdecken, wüster Lärm erhob sich um ihn, gellende Stimmen schrien «durcheinander, die Köpfe der oben Sitzenden beugten sich über die Ballustraden, und aus der Höhe kam der menschen freundliche Rath: „Pfählt «ihn". Der Transvaalkämpfer schien denn auch durch ein« solche Wirkung seiner Schilderungen auf das Publicum, das eine so drohende Haltung annahm, einiger maßen bestürzt zu sein, denn er ermahnte es, nicht nach Rache zu schreien, sondern Gott die Vergeltung und das Ordnen der Dinge zu übexkaffen. Dieser Hinweis des gläubigen Mannes war freilich bei dem größten Theil der Zuhörer verfehlt, aber sie nahmen ihn wenigstens mit Schweigen hin und ließen dann ihrem Enthusiasmus beim Absingen der Marseillaise freien Lauf. * Wellington, 17. Januar. („Reuter's Bureau".) Eine große Versammlung, die heute hier unter dem Vorsitze des Mayors abgehalten wurde, nahm einen Bcschlußantrag an, in dem gegen die beleidigende Kritik, die im Aus - lande an der englischen Politik in Südafrika geübt werde, energisch Einspruch erhoben wird, Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. Januar. Drei Tage also wird der Reichstag auf die Besprechung der socialdemokratischen Interpellation betreffs der Arbeits losigkeit und der zu ihrer Behebung in Anwendung zu bringenden Maßregeln verwenden. Daß aus dieser langen Besprechung viel Greifbares berauskommt, ist freilich sehr fraglich. Im Reiche sind die Mittel knapp, in der Mehrzahl der Einzelstaaten ebenfalls. Die meisten Städte wissen kaum, wie sie sich helfen sollen, und auf dem Lande herrscht nicht ArbeitS-, sondern Arbeiternoth, weil ein großer Theil der in den Städten feiernden Arbeiter keine Lust zum Ab wandern hat. Und wenn wirklich eine Arbeitslosen-Ver- sicherung in Angriff genommen werden sollte, so würde sie wegen der Schwierigkeit der Ausgestaltung erst in Kraft treten können, wenn der Nothstand voraussichtlich sein Ende erreicht hat. Trotzdem ist es zu loben, daß der Reichstag sich so gründlich mit der Sache befaßt und eingehend alle Vor schläge prüft, die aus seiner Mitte gemacht werden. Es wird dadurch wenigstens der hetzerischen Agitation, welche die betrübende Lage für Parteizwecke auszubeuten sucht, der Boden entzogen und der Beweis erbracht, daß es weder den verbündeten Regierungen noch den Vertretern der bürgerlichen Parteien an gutem Willen gebricht, Abhilfe zu schaffen. Die gestrige Verhandlung war insofern von klärender Wirkung, als aus den vom Staatssekretär des Innern verlesenen Berichte der cinzclstaatlichen Regie rungen hervorging, daß der Nothstand nicht nur in den einzelnen Bezirken, sondern auch in den verschiedenen Industrie zweigen ein sehr verschiedener ist und daß daher die Anwen dung gleicher Mittel nicht zum Ziele führen könnte. — Rascher als der Reichstag seine erste Etatsberathung zu Ende gebracht hat, hat der preußische Landtag die seinige erledigt; er ist schon gestern nach nur zweitägiger Debatte damit fertig geworden. Neber den Etat selbst ist dabei auch in ihm nicht viel gesprochen worden. Am wenigsten in der gestrigen Sitzung, in der cs den Canalfrennden hauptsächlich darauf ankam, auS den Vertretern der Regierung heraus zulocken, wann eigentlich die neue Canalvorlage dem Hause zugehen werde. Wie zu erwarten war, blieben alle diese Versuche fruchtlos. Nachdem GrafBülow einmal daS Miquel'sche Recept, die Canalfrage nicht als Sprengbombe zwischen die zur Sammlung in der Zolltarisfrage bereiten Gruppen zu werfen, sich angeeignet hat, wäre er auch mindestens inkonse quent, wenn er sich über den Zeitpunkt der Wiederkehr des wasserwirthschaftlichen Projekts bestimmt äußerte, bevor die Zolltariffrage erledigt ist. Auch die Versuche, die Minister zu einer bestimmten Erklärung in dem Sinne zu veranlassen, daß sie über die Sätze des vorliegenden Zolltarif-Ent wurfs unter keinen Umständen binausgehen werde, schlugen fehl. Dafür veröffentlichen die officiellen „Berl. Polit. Nach»." in ihrer gestern Abend erschienenen Ausgabe folgende Er klärung: „Die Erklärungen deS Herrn ReichSkanzlerSunddeS Finanz. Ministers in der gestrigen Sitzung des Abgeordnetenhauses lassen keinen Zweifel darüber, daß, wie wir bereits wiederholt hervor» gehoben haben, die Staatsregierung voll hinter ihren Vorschlägen über die Gestaltung der landwirthschaft» lichen Zölle in dem neue« Zolltarife steht und zwar sowohl nach der Richtung, daß auch bei Vertragsverhandlungen niemals unter die von ihr vorgeschlagenen Minimal sätze zu gehen sein wird, als nach der anderen Richtung, daß ihre Vorschläge auch im Wesentlichen die Höchstgrenze bilden, bis zu der eine Verstärkung des Zollschutzes als mit den Lebensbedingungen der anderen großen Erwerbszweige noch verein bar angesehen werden kann. Diese Erklärungen werden zweifel- los Versuchen Vorbeugen, in der extremen agrarischen Presse und in Versammlungen dieser Art aufgestellte über triebene Forderungen zu Vorschlägen im Reichstage zu verdichten; denn man wird sich nunmehr, soweit dies noch nicht der Fall gewesen sein sollte, bestimmt überzeugt haben, daß solche Vor. schlüge keinen praktischen Erfolg haben können, daß sie vielmehr nur dazu dienen würden, die schütz, zöllnerische Mehrheit deS Reichstages zu spalten und so die Geschäfte der Gegner zu besorgen." Volle Klarheit darüber, wie weit eventuell die preußische Regierung über die vorgeschlagenen Sätze hinauszugeben sich bereit finden lassen wird, ist freilich durch diese Erklärung auch noch nicht gegeben. Und daß es bei den Vertragsver handlungen möglich sein werde, unbedingt an den vor geschlagenen Minimalsätzen festzuhalten, ohne die Verhand lung zum Scheitern zu bringen, kann der Inspirator der Erklärung sicherlich auch nicht verbürgen. Aber eben deshalb ist daS von den „Berl. Polit. Nachr." in die vorgestrigen Auslassungen deS Reichskanzlers und deS preußischen Finanz ministers Hineingelegte auch daS Bestimmteste, waS bei der jetzigen Lage der Dinge gesagt werden kann. Die große Polendebatte des preußischen Abgeordneten hauses ist dem Pariser „T e in p s" ein willkommener Anlaß, dem Polenthum jene Sympathien Frankreichs zu bezeugen, deren platonischer Charakter seit länger als einem Jahrhundert satt sam bekannt ist. Unbefangener beurtheilt das „Iournaldes Döbats" die preußische Polenpolitik, indem cs sowohl die Ge fahr der Polonisirung der Deutschen in der Ostmark als die Geschwätzigkeit des preußischen Vorgehens anerkennt. Aber das „Journal des Dubais" bezweifelt die Opportunität der preu ßischen Polenpolitik und verweist auf Oesterreich und Rußland als auf Staaten, «deren Polenpolitik Preußen befolgen müsse. Daß Preußen als ein Staat, der so gut wie vollständig ein nationaler Einheits staat ist, sich die österreichische Monarchie mit ihrem Völker gemisch schlechterdings nicht zum Muster nehmen kann, bedarf für einen Unbefangenen keines Nachweises. — Was aber Ruß land anbelangt, so hat erst vor wenigen Tagen der polnische „Goniec" die russische Unterdrückungspolitik gegenüber den Polen im Vergleich mit der preußischen auf das Schärfste mit genommen. Wir bringen aus dem „Goniec" nur in Erinnerung, daß die polnischen Kinder in Lithauen bei öffentlichen Feiern zu Ehren der Zarenfamilie die russischen Kirchen besuchen müssen, daß hiergegen opponirende Geistliche, sechs an der Zahl, nach Sibirien verschickt wurden, daß in Lithauen polnisch zu sprechen verboten ist. Vergleicht man mit diesen Maßnahmen die über aus vorsichtige, gelinde und gesetzmäßige preußische Polcnpolitik, dann begreift man das Erstaunen des „Goniec", daß weder in Großpolen, noch in Galizien Stimmen der Entrüstung über die Polenpolitik Rußlands laut werden. In der gestrigen Sitzung des eng lischen Uu terhauseS ist die Controvcrse Bülow Chamberlain nochmals zur Sprache gekommen. Es wird uns darüber berichtet: * London, IT.Januar. Mac Neill richtet au den Ersten Lord deS Schatzes Balfour die Anfrage, ob er dem Hause Abschriften der Versicherungen vorlegen wolle, die dem deutschen Reichs kanzler von der englischen Negierung gegeben und vom Grafen Bülow im deutschen Reichstage erwähnt worden seien, daß nämlich mit den in derEdinburgher RedeChamber- Iain's erhobenen Beschuldigungen gegen die deutsche Armee wegen Unmenschlichkeit nicht die Absicht verbunden gewesen sei, die Ge- sühle des deutschen Volkes zu verletzen. Ueber denselben Gegen- stand sind noch sieben Anfragen im Hause eingebracht. Balfour erwidert, rS seien in der beregten Angelegenheit amtlich keine Ver- sicherungen verlangt worden. Von Chamberlain seien keine Be- schuldigungen der Unmenschlichkeit gegen die deutsche oder irgend eine ander« Armee erhoben worden, wie dies in der Frage Mac NeillS angedrutet werde. Diese Thatsache sei dem deutschen Botschafter gegenüber in einer nichtamtlichen Unter redung vom Marquis of LanSdowne festgestellt worden. Nach Ansicht der Regierung bestehe keinerlei Nothwendigkeit, irgend eine Erklärung abzugeben, die bezwecke, Chamberlain's Rede abzuschwächen oder zurückzunehmen. (Lauter Bei- fall.) Auf die weitere Frage Mac Neills, ob Marquis of LanSdowne oder der deutsche Botschafter die Unterredung eröffnet habe, wird von der Regierung keine Antwort gegeben. ES ist ganz gut, daß die Affaire nicht zum Gegenstand amtlicher Erklärungen zwischen den beiden Cabinetten gemacht worden ist. Das hieße denn doch, einem Cbamberlain zu viel Ehre antbun. Es fehlte noch, daß grobe Taktlosigkeiten eines solchen Mannes, dem jedes Verständnis für die feineren Nüancen internationalen SchicklichkeitS- und Ehrgefühls abgeht, eventuell den Anlaß zu gereizten diplomatischen Auseinander setzungen oder gar zu einem unheilbaren Bruche geben sollten! Aber waS durch eine solche Unterlassung gut gemacht ist, wird zu einem nicht unerheblichen Theile wieder dadurch ver dorben, daß die Ministercollegen des Herrn Chamberlain sich mit diesem gewissermaßen solidarisch erklären in der Behaup tung, der Colonialminister habe weder thatsächlich noch ab sichtlich die deutsche Armee verletzt und es sei daher nichts zurückzunehmen und nichts abzuschwächen. Wir haben also das gesammte englische Ministerium nicht um einen Deut höher einzuschätzen als den Mann, der es offenbar beherrscht. Wenn aber Lord Balfour mit seiner Bemerkung, eS sei dem deutschen Botschafter gegenüber festgestellt worden, daß gegen unsere Armee keine ehrverletzende Beschuldigung gefallen sei, den Schein erwecken will, als habe man sich in Berlin von dem Zutreffenden dieser Feststellung überzeugt und sehe die Sache als zu Gunsten England- erledigt an, so muß dem entschieden widersprochen werden. Graf Bülow hat weder in seiner ersten, noch in seiner zweiten, die Angelegenheit behandelnden ReichStagSrede eine solche Feststellung auch nur mit einem Worte erwähnt. Der englische Botschafter wird ja wohl den Versuch gemacht haben, Herrn Cbamberlain als unschuldiges Lamm hinzustellen, aber das schließt nicht ein, daß mau in Berlin Ja und Amen dazu gesagt habe. Daß dies nicht geschehen ist, geht aus v. Bülow's Aeuße- rungen klar hervor. Der Reichskanzler charakterisier Chamberlain's Anwürfe gegen das deutsche Heer als eine Unvorsichtigkeit und al- schiefe« Urtheil, das wenigstens den Schein erwecke, als könne der heroische Charakter und die sittliche Grundlage unserer nationalen EinheitSkämpfer entstellt werden. Die objektive Beleidigung bleibt also bestehen, sie ist nicht zurückgenommen. Dies stellen w i r fest — für alle Fälle. Der Zwischenfall Bülow-Chamberlain erinnert übrigens den „Figaro" an einen Vorfall ähnlicher Art: „Es ist nicht daS erste Mal", schreibt er, „daß die englischen Staatsmänner durch ihre Frechheiten andere Nationen verletzen. Im Jahre 1841 erlaubte sich Lord Palmerston in einer vor seinen Wählern gehaltenen Rede zu sagen, daß die franzö sischen Truppen in Algerien ihren Ruhm durch den .Charakter ihrer kriegerischen Operationen verdunkelt hätten . . . „Sie führen", sügte er hinzu, „die Weiber und die Kinder in Gefangen schaft, sie rauben allesRindvieh, alle Hammel, alle Pferde und sie verbrennen, WaS sie nicht wegnehmen können: die Ernten auf dem Felde und daS Getreide in den Speichern werden von dem Feuer der Eroberer verzehrt ..." Guizot, der damals französischer Ministerpräsident war, tadelte nicht auf der Tribüne der Deputirtenkammer die ungerechten und niedrigen Anklagen dcS Ministers der Königin Victoria, sondern er ließ auf diplomatischem Wege in London um Erklärungen bitten. Lord Palmerston erwiderte, daß ein Staatssekretär des Foreign Office ausländischen Mächten gegenüber nicht für Reden verantwortlich sei, die er in seiner Eigenschaft als Wahlcandidat gehalten habe. Und dabei blieb eS; aber es ist trotzdem interessant, zu constatiren, daß daS Gleichniß vom Splitter und vom Balken eigens für die englischen Staatsmänner erfunden zu sein scheint.", F-rriHet-n. Gesühnt. 14j Roman von E. Eschricht. Nachdruck verdotrn. (Schluß.) Als das traurige Geschäft beendet war, sagte der Assessor zu dem Stabsarzte: „Wir haben eine ernste Stunde auch für uns hinter uns. Wäre die Unfallversicherung mit interessirt gewesen, hätten wir die Umwechselung der Flaschen nachträglich bekennen müssen. Damit würde ein Verdacht wachgerufen, der vielleicht sonst gar nicht entstanden wäre; wir hätten die Sache nach allen Richtungen hin verschlimmert. Schwiegen wir — so schädigten wir vielleicht die Gesellschaft und hätten uns eines Betruges schuldig gemacht. Schrecklich, daß man auch bei solchen Ge legenheiten, wo man einem theurcn Tobten «ine Rücksicht erweisen möchte, immer mit der langweiligen, abgedroschenen Tendenz floskel angefallen wird: „Ehrlich währt am längsten."" Am nächsten Morgen schon erfuhr auch Emilie die Unglücks botschaft. Mit dem Tode dieses Mannes löste sie das letzte Glied von ihrer Beziehung zu den Menschen und sie verlor den ein zigen und letzten Freund, den Liebling und die Hoffnung ihres Vaters — vielleicht noch in seiner Sterbestunde, wo der Doctor ihm versprach, Emilie nie zu verlassen. Auch unter diesem Schicksalsschlage beugte sie sich tiefer und legte zu der alten Last das neue Kreuz. Aber sie zog sich nun wieder ganz in die Sophaecke des Vaters zurück, konnte Stunden lang ohne Regung, fast ohne Gedanken dasitzen; und die rüstige, tnätige Louise machte keinen Versuch, sie herauszureißen, ihre -ipf«ch« Logik war: Sie muß «s Alle- bei sich selbst durcharbeitrn, helfen und trösten kann Keiner! Beschäftigen und auftrciben könnte ich sie wohl — aber das verzögert nur die Pein. Eines Tages wird die Jugend siegreich in ihr auferstehen, und dann wird sie geheilt sein; bei ihr ist Alles voll und wahr — sie muß sich selbst Niederfinden. Und Elise Muleschott hob die Filethände himmelwärts und seufzte: „Ach, ach — ja, ja! Es kommt noch Vieles — ach, diese Träume zur Nacht und diese Unruh« der Seligen! viele Thränen, Louise" — „Na, laß man sein — jau-l man nicht! Du kannst mir leid thun!" Aber es kam noch mehr — es kam, wie der erste Blitz aus dem dunkel umzogenen Himmel! Unter schönerem Himmel, im Lande der Sehnsucht und Liebe, der Lorbeeren und Cyprcssen war ein Sohn geboren, ein schöner, gesunder, kräftiger Knabe — aber seine Mutter, die strahlende, üppige, andere Emilie, «hatte das junge Leben ihres Kindes mit dem eigenen bezahlt. „Die Frau ist todt! Ach, Fräulein Emilie, und der klein« Sohn leb?— ich habe sie nie leiden gemocht — ruber daß sie so hin «gemußt hat, ist doch schrecklich! Wer sollte es glauben, diese Emilie, diese andere Emilie todt! Und Muleschottrn's alte Eliser ist rein, wie unklug! Nu verwechselt sie di« beiden Seligen rein durcheinander! Und so verweint war sie, daß sie gar nicht mehr sehen konnte aus den alten, verschwollenen Augen! Herr, mein Gott, was ist das für ein Elend! So viel Unglück und Tod und Sterben — und der Rest von Allem ist nun so ein kleines, nacktes Kind — und «wie wird es dem ergehen, muß noch so jung beid« Eltern verlieren?!" „Ja, Louise — auch das wird kommen — auch sein Vater »wird nun bald hinüb«rgehen! Gottlob, daß dieser Rest von Allem I wenigstens ein Knabe ist — er ist im Stand«, dereinst sein Leben I selbst zu gestalten, wird seinen Berus haben und sein« Arbeit!" „Arbeit, Fräulein — die haben auch wir! wenn Fräulein nicht so reich wären, müßten Sie wohl arbeiten, und ernähren sich durch Ihre hübsche Blumenarbeit — ich wollte wohl, Fräulein arbeitet« auch jetzt wieder!" Emilie gab ihr keine Antwort — sie dachte immerfort an das Kind, und «wer es pflegen würde. Wenn es doch ihr Kind wäre — ein Lächeln der Freude ging über ihr Gesicht — wie eine Ge wißheit kam ihr der Gedanke, Theuerdank würde ihr das Kind geben — und bei dieser Vorstellung erstand plötzlich in ihr der Muth zum Leben, das Bsdürfniß zur Thal. Und da war sie wieder, die Jugendkraft, auf die Louise so lange gewartet hatte! Aber Theuerdank blieb stumm. Eines Tages war er mit dem Kinde und seiner Pflegerin, von Ernst begleitet, wie ein Sterbender in sein Haus zurückgekehrt. Di« großen Unruhen und Erregungen in allen Kreisen, die diese Heimkehr veranlaßt hatte, waren dem ruhigen Willen des Kranken, Niemand sprechen, Niemand sehen zu wollen, «wieder gewichen; die drei Söhne hatten die Stadt nach einigen Tagen verlassen und der letzte Akt des Trauerspiels bereitete sich vor, hinter den geschlossenen Vor hängen und Thüren des großen Kaufmannshaufts zu Ende zu gehen. Es half nichts, daß der feine, weltgewanote Arzt, der die Stell« Hellwig's eingenommen hatte, mit heiteren Mienen kam und mit einer niedlichen Anekdote sich verabschiedete — er täuschte den Todtkranken nicht einen Augenblick über seinen Zustand. Der Konsul betrat nicht mehr sein Comptoir, verließ aber zur gewohnten frühen Morgenstunde das Bett und ließ sich ange- kleidet auf das Ruhebett lagern. Die Wiege mit dem Kinde stand im Nebenzimmer unter dem Biwe des großen Scipio. Von seinen Polstern aus blickte der Kranke viel sinnend hinüber. Und oft mußte er jener Nacht gedenken, in der er sich überredet batte, sein Schicksal gestalten zu können, ein dargobotenes Glück zu genießen — den Wunsch der Leidenschaft und Liebe! Und nun war Alles vorüber — nur das Kind lag da; denn auch er — er hatte mit dem Leben zu zahlen! Das Kind war immer zufrieden; cs hielt seine regelmäßigen Mahlzeiten und gedieh rosenroth hinter den geballten Fäustchen. Zu keinem Kinde seiner ersten Ehe hatte sich Theuerdank gefreut wie zu diesem; es wuchs ihm täglich mehr ans Herz und immer mußte es ihm gezeigt werden, ehe es in seine venetianische Gondel hinter die seidenen Vorhänge zurückgelegt wurde, di« in empor gehobenen Händen der Gondelier trug. Und die Sicherstellung der Zukunft dieses Knaben war die letzte Arbeit Theuerdank's, bei der er stundenlang mit Meding conferirte. Es war gegen Ende September. Der Kranke, scheinbar Wohler, als seit langer Zeit, fing an, umher zu gehen; aber einem kurzen heftigen Hustenanfall war «in Bluterguß gefolgt, der ihn völlig erschöpfte und zurückwarf. Einige Tage später fiel er dem Arzt in die muntere Plau derei mit der ruhigen, bestimmten Frage: „Ist es bald vorüber? Sie wissen doch, daß ich die Wahrheit verlangt«, die Sie mir auch versprachen, täuschen Sie mich nicht, jetzt will ich wissen." Da wurden die jovialen Mienen ernsthaft, und wortlos neigte der Arzt den Kopf. „Es ist gut, Doctor, und ich danke Ihnen. Heute ist ein Gedenktag — der Sirius steigt auf und den müssen wir ehren." Als ihn der Arzt verlassen hatte, klingelte Theuerdank Mule« schotten herbei, und mit.seiner leisen, kaum vernehmbaren Stimme befahl er: „Lassen Sie Blumen bringen und sorgen Sie für hübsche Bcrtheilung in allen Zimmern; und heute Abend beleuchten Sie Alles. Gegen 10 Uhr lassen Sie einspannen und fahren zu Emilie Heinzer — ich gebe Ihnen ein Schreiben mit." Sie fuhr wohl erschreckt zurück, aber er wehrte ihr mit beiden Händen, „kein Geräusch, MuleschotteNr und kein« Ausrufungen,
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