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Die Klaviermusik darf als das ureigenste Schaffensgebict Sergej Prokofjews, des großen sowjetischen Meisters, angesehen werden, war er doch selbst einer der angesehensten Pianisten unseres Jahrhunderts, der einst heimisch war in den Konzertsälen Europas. Unter seinem vielfältigen Klavierschaffen nehmen neun vollendete Sonaten (zwei weitere blieben Fragment) den wesentlichsten Platz ein. Nach experimentellen Frühwerken wandelte sich Prokofjews Stil auch in diesem Genre in der letzten Schaffensperiode zu klassizistischer Klar heit, nicht mehr virtuose Brillanz stand im Vordergrund, sondern das echte künstlerische Bekenntnis im Sinne der Beethovenschen Klaviersonaten. Nach der Vollendung der Oper ,.Semjon Kotko“, die gegenwärtig an der Staatsoper zu sehen ist, skizzierte er im Sommer 1939 die 6., 7. und 8. Klaviersonate „auf Vorrat“, wie er es nannte, um die in seinem Schaffen eingetretene Atempause zu nutzen. Die endgültige Ausarbeitung erfolgte erst in späteren Jah ren, die auf dem heutigen Programm stehende 7. Klaviersonate B-Dur, op. 83, vollendete Prokofjew im Frühling 1942 in wenigen Tagen. Was dem Komponisten zunächst nicht gelungen war, geriet dem infolge der Kriegscreignisse aus Moskau Evakuierten unter dem Eindruck der Härten des Krieges: ein überzeugendes Werk von großer Wahrhaftigkeit und Tiefe der Aussage zu schaffen. So wurde die Sonate, die der Prokofjcwbiograph Nestjew mit Recht als die „linkeste aller Klaviersonaten“ des Meisters bezeichnet, ein deutliches Spiegelbild der Kriegsereignisse, denen sie gleichsam programmatisch verpflichtet ist. Das rechtfertigt auch die Aggressivität, die Schärfe und unerbittliche Schroffheit ihrer Klangmittel. Das Werk erhielt 1943 den Stalinpreis erster Klasse. Unversöhnliche Gegensätze, verkörpert von einem wilden, stürmischen Thema (Allegro in- quieto) mit harten Akkordschlägen und einem lyrischen Thema (Andantino espressivo e dol- ccnte), kämpfen miteinander im äußerst dramatischen Geschehen des ersten Satzes, aus dem schließlich die brutale Kraft des ersten Themas, das Krieg und Grausamkeit mit atonikalen Mitteln symbolisiert, siegreich hervorgeht. Wie die „Verkörperung eines friedlichen, durch nichts bedrohten Traumes“ mutet dagegen trotz dramatischeren Episoden im Variationenteil die lichte, ruhevolle Welt des zweiten Satzes in E-Dur, eines langsamen Walzers, an. Doch der dritte und letzte Satz beschwört zunächst erneut die vernichtenden, brutalen Kräfte des Krieges. Ein ostinat beibehaltcnes Baßmotiv, Akkorde und Rhythmen im 7 /8-Takt führen ausladende Ausbrüche herbei. Gegen Schluß des Werkes, bei zunehmender Klärung des tonalen Zen trums B, wandelt sich die Aussage zu einer Verherrlichung des Kampfes gegen alle Kräfte der Zerstörung und des Todes. Wie ein amerikanischer Kritiker äußerte, gibt der unerbittliche Rhythmus des Finales „einen Eindruck von der heroischen Unbeugsamkcit eines Volkes, das nicht zu schlagen ist“. Auch die sowjetische Kritik fand nach der Uraufführung des dem berühm ten sowjetischen Pianisten Swjatoslaw Richter gewidmeten Werkes 1943 in Moskau darin „das gesunde und zielgerichtete Weltgefühl des sowjetischen Menschen“ gestaltet. Eines der beliebtesten und bekanntesten Kammermusikwerke des großen romantischen Lied meisters Franz Schubert (1797 bis 1828) ist sein sogenanntes „Forellenquintett“, das Klavierquintett A-Dur, op. 114. Der Komponist schuf dieses Werk als ^jäh riger auf Bestellung des Bergwerksdirektors Sylvester Paumgartner in Steyr, bei dem er einige Male zu Gast war. Das von Schubert gleich in Stimmen ausgeschriebene Quintett war für die Hausmusiken Paumgartners, an denen dieser selbst als Violoncellist beteiligt war, bestimmt und richtete sich daher in seiner Besetzung gewiß auch nach den besonderen Erfordernissen dieses musikalischen „Kränzchens“: Nach dem Vorbild des damals recht beliebten Klavier quintetts von Hummel wurden dem Klavier, dessen Part hier weitgehend in einem weniger akkordisch begleitenden, sondern mehr auf melodische Linienführung bedachten Satz gehalten ist, in der Streichergruppe Geige, Bratsche, Violoncello und Kontrabaß gegcnübcrgestcllt. Als Ausdruck überschwänglicher, musizierseliger Lebensfreude weiß dieses wahrhaft sonnige, rei zende und sehr einheitliche Werk, dem man die glücklichen Ferientage, in denen es entstanden ist, so recht anmerkt, in seiner gelösten Heiterkeit den Hörer unmittelbar gefangenzunehmen und ihn in eine unbeschwert-frohe Stimmung zu versetzen. Nach dem anmutig-lieblichen, klangvollen ersten Satz (Allegro vivace) und dem innigen, im Mittelteil für kurze Zeit ein wenig melancholisch getrübten Andante ertönen im stürmisch fröhlichen, knappen dritten Satz (Scherzo - Presto) und seinem D-Dur-Trio heitere Tanzklänge. Der folgende Satz ist cs, der dem Quintett seinen Namen verliehen hat: vor dem Finale ein geschoben, bringt er als kleine Huldigung für den Auftraggeber Paumgartner, der Schuberts Lied „Die Forelle“ besonders liebte, Variationen über diese, hier etwas vereinfachte Lied ¬ melodie. Das Thema wird zuächst im Pianissimo allein von den Streichern vorgetragen, dann erhalten es in den ersten drei Variationen nacheinander das Klavier (in den hohen Oktaven), die Bratsche und das Violoncello zusammen mit dem Kontrabaß übertragen. In der vierten Variation wird die Melodie in d-Moll abgewandelt, die fünfte erscheint als Überleitung zum letzten Teil des Satzes, in dem die liebenswürdige „Forellen“-Melodie endlich abschließend noch einmal mit ihrer originalen, so charakteristischen Sextolenbcgleitfigur zu hören ist. Mit einem heiteren, rhythmisch beweglichen, an den Wiener Volkston anknüpfenden Finalsatz (Allegro giusto) klingt das Quintett in fröhlichster Laune aus. • D. U. Härtwig LITERATURHINWEIS]:: Nestjew: S. Prokofjew (Berlin 1962) Wcrle: Fr. Schubert (Leipzig 1951) Vorankündigung: Nächster Kammermusikabend im Anrecht D Dienstag, 22. Januar 1963, 19.30 Uhr » 2. Kammermusikabend 1962/63 6208 Ra III-9-5 1162 0,3 ItG 009/47/62