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Nr. 1S7 — V Jahrgang Tonnabend den 18. Juni IVIO MchslschkUolksreltung Irliftclnt tSgllch «ach«, mit «»»nähme der Eon»- und ? tage. »«»gäbe ».: Mit .Die Zeit In Wort und Bild» dterteltahrltch. »,1» F» In Dresden durch Bolen 8,40 F«. In gans DeuIIchland frei Haus 8,82 >«»aabe v.r Ohne tllullrlerte Beilage vierteil 1.80 FS. I» Dresden d Boten S.I» FS. In ganz Deuiichland frei Hau» i» SS FS. — «tnikl-Nr. I« 4. — 8eitu„g«pre>»I. Br. S888. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit .nierate werden die Ngeivalteiie Pelilzeile oder deren Raum mit 8 4. Reklamen mit 80 4 die Zeile derechnet. bei Wiederholung«» entsprechende» Rabatt. Vnchdrnckerei, Redaktion und t«eschitft»steNei Dre»den, Pillniyer Strafte 4». - Fernsprecher I!»«» aürRitikaab» unverlangt. Schriftftiiche keineiverbindlichketl Redaktions-Sprechstunde: II-IS Uhr. Ois dsstsri ^vfviscffunAs-öonbong kflmnck IS uncl 2V pfsnnlgs, uristttdsttriioti suk Oslssn uncl ^usNüßsn, si-lialtsn 8>s dsi: Herling 8- ^oeßKroli, Derlen. ktisrtsriaßStt In ailsn Ldsctttsilsn. >iik Kein Fiasko der ivx Trimborn. Dresden» den 17. Juni 1910. Tie freisinnige und sozialdemokratische Presse prophe zeit das angebliche Fiasko der t<-x Trimborn. Bekanntlich sind nach ihr die Mehreinnahmen aus den hauptsächlichsten Lebensmittelzöllen für die Witwen» und Waisenversicheriing zu verwenden. Das Fiasko soll mm darin bestehen, das; die neuen Zölle nicht so viel Geld einbringen, wie 1902 all gemein Negierung und Parteien berechnet haben. Der Hinterbliebenenversicherungsfonds hat tatsächlich weniger an Einnahmen erhalten, als man bereclmete. Die Ursachen sind doppelter Art: zunächst das System der Einfuhrsck-eine, das diesen Fonds so schwer belastet. Tie hohe Ausfuhr an Roggen und Hafer lässt die Summe inimc, mehr zusainnienschmelzen und ganz anfzehren. Aber diese Bestimmung findet sich in demselben Zollgesetze, in dem die Icx Trimborn steht; immerhin wird man zu überlegen haben, ob nicht eine Aenderung der Bestimninngen über die Einfuhrscheine geboten ist. Wenn man vorschreibt, das; die Ausfuhr der betreffenden Getreideart die Einfuhr nicht übersteige» darf, dann würde die lax Trimborn mit einem Schlage Millionen erhalten. Aber dann leiden die Gegen den des Ostens schwer Not; sie wissen nicht, wohin sie mit ihrem Roggen sollen und werfen am Ende diesen zu sehr billigen Preisen in den Süden und Westen, so daß die ganze Landwirtsci>aft darunter leidet, ohne daß der Konsument einen Vorteil hat. Wir haben jetzt die billigsten Getreide preise seit langer, langer Zeit; aber die Brotpreise gehen in dem Verhältnisse nickst herunter. Hier ist eine Lösung sehr schwer. Wenn man aber die Haferausfuhr aus dem Süden beschränken würde, indem man keine Eiufuhrscheine mehr gibt, dann leiden gerade die kleinen und kleinsten Bauern sehr darunter. Immerhin muß die Frage der Ein fuhrscheine ernstlich geprüft werden. Tie zweite Ursache der geringen Einnahmen liegt in der erhöhten Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirt schaft; diese gewinnt heute aus einem Hektar Land mehr Weizen und Roggen als vor zehn Jahren. Man hat somit die fremde Einfuhr nicht mehr so nötig. Darin liegt der beste Beweis, daß der Zolltarif sich bewährt hat; er hat die Blüte und Kraft der de»tscl>en Bauernschaft herbeigeführt. Tas Geld bleibt im Lande und wandert nicht mehr in der selben Höhe nach Südamerika. Rußland »sw. Das ist sehr er freulich. Man darf die lax Trimborn nicht als eine selbst ständige Maßnahme ansehen, sondern muß sie als einen Teil des Ganzen betrachte» und fragen: Wie hat das Ganze gewirkt? Wenn somit in finanzieller Hinsicht nicht alles einge- trosse» ist, Inas man erwartete, so steht auf der anderen Seite fest, daß die lax Tramborn ihre Pflicht getan hat. Sie allein brachte es fertig, daß die Frage der Witwen- und Waisenversicherung überhaupt marschieren konnte. Ohne die lax Trimborn hätten wir heute keine Vorlage, welche die Arbeiterversicherung in der genannten Weise ausbaut. Diese Tatsache steht unbestritten fest und darin liegt der hohe Wert der Vorschrift, die der verdiente rheinische Zentrums abgeordnete in das Zollgesetz gebracht hat. Wenn eine an dere Partei einen solchen klugen Gedanken gehabt hätte, würde man jeden Tag Freudenfeuer anzünden, da aber das vielgesclpnähte Zentrum diese gute Lösung herbeiführte, wird die Sacl>e schlecht gemacht. Tas läßt uns ganz kalt. Tie Arbeiterschaft weiß, daß sie es in erster Linie dem Zen trum z» verdanken hat, wenn für die Witwen und Waisen etwas geschieht, wenn nicht nur geredet, sondern bar Geld ausbezahlt wird. Ernährungsverhältnisse unserer Voltsschultinder. In England vercmlaßten im Jahre 1907 bestimmte, auf den Rückgang der körperlichen Tüchtigkeit einzelner Volksschichten bezügliche Erscheinungen die Regierung, eine besondere Kommission einzusetzen, die sich das Studium der „Entartungssrage" zur Aufgabe machen sollte. Tiefe Kommission kam nun auf Grund von Umfragen und reich haltigen Materialien zum Schluffe, daß man weniger von einer Entartung einzelner Volksschichten, als vielmehr von den Wirkungen einer Unterernährung und unzweckmäßi gen Ernährung weiter Volksschichten sprechen müsse und brachte nach dieser Richtung hin eine Reihe bemerkenswerter böser Tatsachen hinsichtlich der Ernährung der Jugend an die Leffentlichkeit. Tas engliscl>e Vorgehen bestimmte nun wieder bei uns die Zentralstelle für Volkswohlfahrt, der Frage der Ernährungsverhültnisse unserer Volksschulkinder nachzugehen und darüber ebenfalls eine Umfrage zu ver anstalten. Diese erstreckte sich auf 127, Städte verschiedener Größe und Gegenden und ergab eine Reihe von Anzeichen für eine Unter- bezw. unzweckmäßige Ernährung. An Stelle der Frühstückslippe und des Milchfrühstückes sind bei etwa 80 Prozent der Schulkinder Zichorienkaffee oder Tee, Kakao und ähnliche Getränke getreten. Nur 10 Prozent der Schul kinder bekommen ein Milchfrühstück. Doch auch hungernd müssen Kinder in die Schule wandern. 22 000 für die Ge samtheit berecl/net im Winter und noch mehr, etwa 90 000 im Sommer. Armut, Arbeitslosigkeit und Krankheit der Eltern, sowie frühmorgens beginnende Beschäftigung der Mutter außer dem Hause, aber auch Nachlässigkeit und Be- gnemlichkeit bildeten die Ursachen für den Ausfall des ersten Frühstückes. Weiter hat man berechnet, daß im Winter .0 Prozent, das sind etwa 180 000 Schulkinder, und im Sommer 9.1 Prozent, das sind 119 000, des Mittags nur einen kärglichen kalten Imbiß, bestehend auS Brot und Wurst, Butterbrot. Fettbrot, Brot oder Butterbrot mit Kaffee, Brot mit Käse oder gar nur aus Brot allein, zu sich nehmen könne». Bei diesen Feststellungen wurde die Wahr nehmung gemacht, daß namentlich in indnstriereichen Städten die Zahl der Kinder, die mit einem kalten Frühstück vorlieb nehmen müssen, eine recht Hobe ist und im Winter bis zu 20 Prozent der Gesamtzahl der Schulkinder in eini - gen Städten, im Sommer sogar bis zu 00 Prozent ansteigt. In »och viel größeren: Umfange hat die Gepflogenheit, den ' Kindern abends etwas Kaltes zu geben, nm sich gegriffen. > Fast die Hälfte der Kinder, 17 Prozent im Winter und II l Prozent im Sommer, erhält des Abends eine kalte Mahl- l zeit. Eine gewisse Fürsorge der Eltern für die Ernährung der Kinder kann allerdings darin erblickt werden, daß die mittags kalt gespeiste» Kinder hauptsächlich im Winter fast ' durchweg abends eine warme Mahlzeit bekommen. Ganz auffallend und überaus traurig ist die Tatsache, daß im ' Sommer etwa 1.0 000, im Winter 20 000 Kindern überhaupt kein Abendessen gereicht wird. In den letzten Jahren wurde - auch wiederholt von Lehrpersonen und Schulärzten ange- ^ geben, daß bereits den schulpflichtigen Kindern von den ^ Eltern in voller Unkenntnis der dadurch eingeleiteten Ge- - simdheitsschädigungen alkoholische Getränke verabreicht - werden. Das trifft namentlich für Süddeutschland zu. Hinsichtlich der eben schon kurz erwähnten Ursachen ' ungenügender Ernährung ergeben die Feststellungen der ' Zentralstelle für Volkswirtschaft etwa bei 10 Prozent früh- i morgens beginnende Tätigkeit der Mutter außer dem Hanse ? und Nachlässigkeit; bei 20 Prozent Armut, Arbeitslosigkeit und Krankheit der Eltern, aber bei 90 Prozent Hast und ' Nervosität der Kinder. Auf die gleichen Ursachen wird auch i die Erscheinung znrückzuführen sein, daß etwa 9 bis -1 Pro- ? zent der Schulkinder ohne irgendwelchen Imbiß für ein ) Schulfrühstück in der Zehnnbrpause in die Schule kommen, e Von großer Wichtigkeit sind die Ursachen für die Verab- e rcichung eines kalten Mittagessens. Anßerhäusliche Be schäftigung der Mutter trägt bei etwa einem Viertel der r kaltsp-isenden Kinder die Schuld. Hier ist daran zn er- - innern, daß mehr als eine Viertelmillio» sämtlicher ver- > heiratetet Frauen heute tagsüber in den Fabriken beschäf tigt ist. und daß dadurch fast annähernd dieselbe Zahl schul- ! pflichtiger Kinder in Anbetracht der kurzen Mittagspause , und der weiten Wege auf ein kaltes Mittagsmahl angewie sen ist. Allerdings spielt hier auch die Unfähigkeit der - Frauen, schnell ein warmes Mittagessen zu bereiten, und i die nur zu begreifliche Unlust, die ihnen so kurz zugemessene d Erholungszeit mit einer anderen Tätigkeit auszufüllen, eine Rolle. Für eine Reihe von Industriestädte» und - namentlich für Berlin war dies festgestellt — ist die fort schreitende Einführung der englischen Arbeitszeit auf die Beschaffenheit der Mittagsmahlzeit der Frauen und Kinder nicht ohne Einfluß. Kommt der Vater mittags nicht nach . Hause, so wird eben nicht abgekocht. Hier sind der Unver- ^ stand und die Bequemlichkeit bedeutungsvoller als der Zeitmangel. Man wird der Zentralstelle für Volkswirtschaft für diese Erhebungen nur dankbar sein können. Es handelt sich um ein wichtiges nationales Problem, in dem von körper licher Frische und Leistungsfähigkeit für den Staat außer ordentlich viel abhängt! Politische Rundschau. Dresden, den 17. Juui 1910. — Der Herzog Paul Friedrich von Mecklenburg ist an einem Anfall von Nierenkolik erkrankt und erleidet große Schmerzen. DaS Allgemeinbefinden ist den Umständen nach befriedigend. — Weitere Veränderungen in der Kolonialverwaltung. Der Gouverneur von Deutsch Ostafrika. Freiherr v Rechen- kerg, soll nach der „Tägl. Rundschau" nach dem Rücktritte des Staatssekretärs Dernburg telegraphisch seine Beurlaubung bis zur Erledigung de« von ihm einznreichenden RücktrittS- gesuchS erbeten haben. Rechenberg wurde 1906 nach dem Rücktritte de« Grafen Götzen zum Gouverneur von Deutsch- Ostafrika ernannt und hat recht großen Einfluß ans Dern- burgS Eingeborenenpolitik gehabt, die dieser den Wünschen der Plantagenbesitzer gegenüber vertrat. Als Nachfolger werden genannt: RegierungSrat v. Winterfeld, früher erster Dezernent beim Gouvernement in Dar-es salam, Legations- rat Dr. Haber, der gegenwärtige Dezernent für Ostafrika im Kolonialamt und der Landrat des Kreises Gpremberg. Dr. WilkenS, der größte Grundbesitzer des Schutzgebietes. Wir halten diese Meldung für einen Versuchsballon; denn Rechenberg denkt nicht an seinen Rücktritt; eS liegt auch hierfür kein Grund vor. Der heutige Staatssekretär hat die Politik Rechcnbergs unterstützt. Es klingt wie ein schlechter Scherz, daß man den größten Grundbesitzer zum Gouverneur machen soll; das neue Kolonialbeamtengesetz gestattet dies nicht ohne besondere Zustimmung deS Reichs tages. — Der BundeSratSauSschuß für da« Schiffahrt«- abgabrngesetz tritt in Berlin am Freitag zu einer ent scheidenden Sitzung zusammen, um dein Entwurf die letzte Gestalt zu geben, wie er Ende des Monats in der Plenar sitzung deS BundeSrats zur 'Beratung stehen wird. Tas prensi. Herrenhaus hatte gestern seine Schluß- schling. Es erledigte nach den Beschlüssen des Abgeordneten hauses noch das Eisenbahnanleihegesetz, den Entwurf be treffend den Nogatabschlnß und den Entwurf über die öffentlichen Feuerversicheriliigsanstalten. In einer ge meinsamen Schlußsitzung beider Häuser des Landtages ver las 'Ministerpräsident v. Bethmann Hollweg die königliche Botschaft, durch die die Session mit dem gestrigen Tage geschlossen wurde. — Gin konservativ-natioualliberaler Block. Die „Rheinisch Wests. Ztg." schreibt in ihrer Morgenausgabe vom Freitag: „Von besonderer Seite wird uns mitgeteilt, daß in diesen Tagen Verhandlungen eingeleitet worden sind, die ein Zusammengehen der Konservativen. Frei konservativen und Rechtsliberalen bei den kommenden Reichstagswahlen im Auge haben. ES wird gehofft, daß die Annäherungsversuche, trotz der letzten scharfen politischen Kämpfe im preußischen Abgeordnetenyause erfolgreich sein werden, da die Führer der Fraktionen angeblich von der Notwendigkeit eines Zusammenschlusses überzeugt sind." — Deruburg als Reichskanzler. Der Berliner Ver treter des „Standard" schreibt seinem Blatte: „In Kreisen, die den ruhelosen Ehrgeiz und die uner schöpfliche Energie Herrn v. Dernbnrgs kennen, glaubt man allgemein, daß er seine Stellung als Staatssekretär der Kolonien aufgegeben hat, weil er „at «aina tuturo <iucka" einen höheren Posten und zwar keinen geringeren als den deS Reichskanzlers einnehmen will. Herr v. Dernburg hat mit scharfem Blick erkannt, daß das Ende der jetzigen Kanzlerschaft wahrscheinlich nicht sern liegt. Er weiß auch, daß ein arger Mangel an brauchbaren Kandidaten für den höchsten Ministerposten im Reiche besteht. Er selbst hegt den Ehrgeiz, seinem Vaterlande als Kanzler ebenso wirksam zu dienen wie als Kolonialmtntster und will Reichskanzler werüen. Er fühlt, daß er größere Aussicht hat, dieses Ziel zu erreichen, wenn er ein unabhängiger Marn ist, als wenn er Staatssekretär für die Kolonien bleibt. Dies ist die Erklärung des Rücktritts v. Dernburgs, die heute in den bestinsormierten Kreisen gegeben wird; man glaubt, daß seine Laufbahn keineswegs beendet ist, sondern viel mehr im Begriffe ist. in ihr bedeutsamstes Stadium zu treten. . . ." So kann man eS auch in anderen ausländischen Blättern lesen; mich nach unseren Informationen ist cs zu treffend. daß Dernburg Reichskanzler werden will. Den „ruhelosen Ehrgeiz" hat er gewiß, aber das befähigt vor erst noch lange nicht zu einem solchen Amte. Uns kann es nur angenehm sein, wenn die Auslandspresse Dernburg aller Welt als Reichskanzler empfiehlt; wir wissen dann bestimmt, daß er es nicht wird. — Da» tollste Zeug über die neue (kvzyklika leisten sich Blätter des Evangelischen Bundes, allen voran dis „Tägl. Rundschau"; sie will erfahren haben, daß die An regung zu diesem Rundschreiben aus Deutschland gekommen sei. ES sei eine neue und wahrlich nicht uninteressante Episode'in dem Kampfe, der sich seit Jahren in der ZentrumS- Partei abspielt und der neulich wieder durch die Schrift „Köln als Gefahr für den Katholizismus" eröffnet werden sollte. „Mit einem Worte, man mache direkt oder indirekt die Gruppe Roeren für diese unerfreuliche Erscheinung ver antwortlich. ES heißt sogar, daß hohe kirchliche Würden träger ihr nicht fernstehen. Damit würden sich allerdings ganz neue überraschende Perspektiven eröffnen." Der ..KönigSberger Allg. Ztg." wird aus Berlin gemeldet: Gerüchtweise erzählt man heute im Abgeordnetenhause, daß die Grundtendenz der BorromäuSenzyklika ihren Ursprung in München lind in der Mitwirkung der sogen. Berliner Richtung habe. Man erzählt, daß ihr Inhalt bereits vier