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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.07.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-07-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020719010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902071901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902071901
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-07
- Tag 1902-07-19
-
Monat
1902-07
-
Jahr
1902
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Bezugs.Preis t» der HariptexpedMou oder deu im Stadt- bejtrl iwd de» Vororten errichtet«» A«s- gaoestrlle» abgeholtr vierteljährlich 4.k(^ — »weimaltgir täglich» Zustellung in« Hau« k.bv. Durch di« Post bezog»« jü» Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich S, für dir übrigen Länder laut Zeitung-Preisliste. Marlion und Lr-edittour Ivhanut«gaff« 8. Fernsprecher 1KS und SLL Lilt«U»vP»ditt-«e«, Alfred Hahn, Buchhaudlg^ UotversttätSstr.S, L. Lösche, Kathartsenstr. I«, u. Köutg-pl. 7. Haupt-Fittale Vre-dm: Etrrhleuerstraß« Fernsprecher Amt I Ar. I7IA Haupt-Filiale Serlin: Königgräherstraße US. Fernsprecher Amt VI Ar. 83VS. Morgen-Ausgabe. Anzeiger. Ämtsölatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Votizei-Änrtes -er Ltadt Leipzig. Sonnabend den 19. Juli 1902. Anzeigen »Preis die 6gespaltene Petttzeüe LS H. Nirlam«» unter dem Aedacttous-rich («gespalten) 7K vor de» Famllienuach» richte» (6 gespalten) KV H. rabellartscher und Zlffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisung», und Offertenannahm« LS (»xcl. Porto). «rtra Beilagen (gefalzt), uur mit der Morgen-Ausgab«, oha« Postbesärderuug KO>-, mit Postbesärdernng ^l 7vö—» Innahmeschluß fiir Anzeigen: Abend-LnSgab»: vormittag-10 Uhr. Morgeu-AuSgaber k^cknutttag« 4 Uhr. Anzeige« siud stet« an di« Expedition zu richt»». Die Expedition ist Wochentag« mumterbrocheo geöffnet von früh S bi« Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol- iu Leipzig. 98. Jahrgang. Wer hat den Uutzen von einem Scheitern der Zollvorlage? Man schreibt unk: „In einem Artikel Uber die nächsten Wahlen erklärt die „Freisinnige Zeitung" sehr zutreffend, daß die Zoüfragc unter allen Umständen eine grobe Stolle spielen würde, «lüge nun der Zolltarifentwurf bis dahin zu Stande gekommen sein oder nicht, denn der Streit um den Entwurf bilde nur den ersten Abschnitt der Kämpfe. Die Haupteutschcidung fiele nach den Wahlen nnl den Handelsverträgen zusammen. Das Blatt erachtet Liesen Kampf für aussichtsvvller, wenn der Tarifentwurf scheitere an dem Widerstreit der Parteien oder der Uneinigkeit zwischen der Negierung und den Schutzzöllncrn. Diese durchaus zutreffenden Ausführungen des füh renden Organs der freisinnigen Bolkspartci sollten be sondere Beachtung bet Denen finden, die geneigt sind, den Entwurf zu Falle zu bringen, weil ihnen die Zölle nicht hoch genug erscheinen. Die Aussichten für die Gegner jeder Zollerhvhung sind bet einem Scheitern des Entwurfes vor Allem aus drei Gründen nicht ungünstig. Zum Ersten ist die Erregung eine viel gröbere, wenn nach nahezu zweijährigen parlamentarischen Verhandlungen über den Tarif gar nichts zu Stande gekommen ist. Solche Zeiten der Erregung über wirthschastliche Vorgänge sind aber ebenso den Radicalen günstig, wie die Zeiten der Erregung über nationalpolitische Streitfragen — man denke an das Septennat und noch vorher an die Wahlen nach den Attentaten auf den alten Kaiser — den rechtsstehenden Parteien vortheilhaft sind. Zum Zweiten haben die Gegner der Zollcrhöhnng beim Scheitern des Tarifcntwurfcs eine viel positivere Handhabe für ihre Agitation. Ist der Entwurf vor den Neuwahlen angenommen, so wird es den zoll gegnerischen Parteien sehr schwer werden, die Wähler da von zu überzeuge», das, der Kampf gegen auf der Basis des Zolltarifs ausgcbaute Handelsverträge noch einen praktischen Erfolg haben könnte. Wenn aber der Wähler sich erst sagt: „Es nützt doch nichts", so stürzt er sich nicht mit besonderem Eifer in die Wahlbcwcgung. Gan; anders aber ist die Sachlage, wenn der Zvlltarifentwurf gescheitert ist. Denn in diesem Falle ist der Reichstag nach keiner Richtung hin gebunden und deshalb kann es der Wähler schaft viel eher plausibel gemacht werden, dab ein Parla ment mit starker radikaler Minderheit den Abschluss solcher Handelsverträge, die den bestehenden gegenüber Zoll erhöhungen auswciscn, hintertreiben könnte. Schließlich würde es ein die Agitation der Zollgcgncr stark unter stützendes Moment sein, wenn sic an dem gescheiterten Tarife exemplificircn könnten, dab die Freunde der Zoll erhöhung selbst nicht wüßten, was sie wollten, und deshalb gar nicht im Stande wären, in wirthschaftlichcn Dingen fruchtbare Arbeit zu leisten. Nimmt man hinzu, daß beim Scheitern des Zolltarifs der Regierung die Ausgabe einer wirksamen Wahlparole erschwert wird, so wird man zugebcn müssen, daß in diesem Falle die radicalen Parteien starke Trümpfe in der Hand hätten. Unter den linksstehenden Parteien aber wären es wiederum die Socialdcmvkratcn, die bei der all gemeinen Eonfusivn den Hauptfischzug thätcn. Die „Frei sinnige Zeitung" sagt abermals sehr richtig, daß der So cialdemokratie der Radau, nicht die Zollpolitik selbst, sondern die Ausbeutung der zollpolitischen Situation für ihre Parteizwecke die Hauptsache sei. Diese Taktik ist sicher lich alles eher als lvbenswcrth, aber sic ist zweifellos bei den Wahlen wirksam. Scheitert der Zolltarif deshalb, weil einem Theile der zollfreundlichen Mehrheit die Zoll sätze für Lebensmittel noch nicht hoch genug sind, so wird man soctalbcmokratische Wahlflugblätter von einer Blut- rünstigkctt erleben, wie sie selbst bei deu heftigsten Wahl kämpfen bisher noch nicht erhört gewesen ist. Und diese Wahlflugblätter werden ihre Schuldigkeit thun, da sie ja in erster Reihe auf diejenigen Elasten der Bevölkerung speculircn, bet denen eine drastische Sprache mehr wirkt, als sachliche und wahrheitsgemäße Argumente. Das Scheitern der Zolltartffragc also würde möglicher weise dem neuen Reichstage eine stärkere rothe Nuance geben. Ob damit etwas für die Interessen der Land- wirthschaft gewonnen wäre, das mag sich jeder Freund der Landwirthschaft selbst beantworten." Deutsches Reich. * Leipzig, 18. Juli. (Vom Coalition «recht der Arbeitgeber.) Da« Reichsgericht hat in den letzten Jahren mehrere Urtheile erlösten, die für die Auslegung des 8 1K2 der Gewerbeordnung, namentlich in Bezug auf die da durch den Arbeitgebern gewährte CoalitionS- freih eit, von erheblicher Bedeutung sind. Der 8 152 läßt in seinem ersten Absatz Vereinigungen der Gewerbe treibenden und der Arbeitnebmer zum Behuf« der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Entlastung der Arbeiter oder (Anstellung der Arbeit, zu, indem er die dagegen gerichteten Verbote und Straf bestimmungen aushebt; nach dem Absatz 2 begründen in dessen solche Vereinigungen weder ein klagbares noch ein natürliches Schuldverhältuiß, jedem Tbeilnehmer steht jeder zeit der Rücktritt frei. Es sind nun zwei Fälle zur Beur- theilung des Reichsgerichts gekommen, in denen es zweifelhaft war, ob der 8 (52 zur Anwendung zu kommen habe. In dem einen Falle hatten, nachdem die Brodträger einen Boykott über einzelne Bäckereien verhängt batten, die sämmtlichen Bäckermeister sich geeinigt, daß sie mit Rück sicht auf diesen Boykott keinem Brodhändler, Brodträger, Wirth oder Kutscher, wenn derselbe vorher nicht bereits regelmäßiger Abnehmer der Bäckerei gewesen war, Back- wäaren direct oder indirrct liefern wollten. In dem andern Fall hatte der Verein der Baugeschäfle von Berlin und den Vororten beschlossen, daß jedes Mitglied bei Vermeidung einer Conventionalstrafe in jeden Bauvertrag eine wörtlich vorgeschriebene Streilklausel aufnehmen solle, wonach bei Ausständen oder Aussperrungen sich die Frist für di» Bau ausführung ohne Weiteres um die Dauer des Ausstandes oder der Aussperrung verlängern sollte. Da« Reichsgericht hat diese beiden Verträge auf Grund von 8 (52 der Ge werbe-Ordnung für unverbindlich erklärt. -i- Berlin, 18. Juli, lPolitische Phantaste reien.) Das „Berl. Tagcbl." ist gefällig genug, dem Grafen Bülow eine schwere Sorge, die ihm nach der Meinung des Blattes seinen Sommeraufenthalt im Bad Norderney verkümmert, abzunehmcn. ES stellt sich näm lich den Reichskanzler vor, wie er, am Meercsstrande cin- herwandelnd, unausgesetzt darüber grübelt, wie er wohl zu einer sicheren parlamentarischen Mehr heit kommen könnte. Das „Berl. Tagebl." ist bereit, ihm diese Mehrheit zu verschaffen. Der Reichskanzler braucht blos auf die Sätze des Zolltarifs zu verzichten und zu denen der gegenwärtigen Handelsverträge zu- rückzukchren, dann hat er die liberale Linke für sich, lieber das Wesen dieser liberalen Linken ist sich freilich das „Berl. Tagebl." nicht ganz klar. Das ergirbt sich schon daraus, daß es meint, die liberale Linke stehe in Wehrfragen durchaus nicht mehr auf dem früheren nega tiven Standpunkte. Sie werde, wenn im nächsten Jahre eine neue Heeresvorlagc komme, die selbe sorgfältig prüfen, und was nun gar die Flotten- forderung anbekreffe, so besäße man in liberalen Kreisen insonderheit für eine Verstärkung der Auslandsflottc zum Schutze des Handels große Sympathien, während das Wort von der „gräßlichen Flotte" agrarischen Kreisen entstamme. Das „Berl. Tagebl." opcrirt fortwährend mit dem Worte „man". Wer ist denn aber „man"? Doch wohl nur die freisinnige Vereinigung, denn die frei sinnige Volkspartei hat gegen die letzte Hecresforderung ebenso gestimmt, wie gegen die beiden Flvtteuvvrlagcn, und sie wird im neuen Reichstage sicherlich nicht anders verfahren. Wir stehen in Lieser Hinsicht mit unseren Sympathien sicherlich auf Seiten der freisinnigen Ver einigung, aber als Realpolitiker müssen wir in Erwägung ziehen, daß die freisinnige Bolkspartci über genau doppelt so viel Mandate verfügt als die Bereinigung. Die 14 Mann der freisinnigen Vereinigung sind denn doch eine zu schwache Basis für die Bildung einer Mehrheit. Das „Berl. Tagebl." rechnet freilich auch nicht sowohl mit dem gegenwärtigen Reichstage als mit der Zu sammensetzung des künftigen. Man lasse nur die Neu wahlen sich völlig frei und unter der Wahrung des Wahl geheimnisses vollziehen, dann werde sich die Sache schon machen, wenn die Regierung die Parole ausgäbe: „Für oder wider Handelsverträge." Das „Berl. Tagebl." er hofft davon eine Mehrheit, sogar mit Ausschluß der Socialdemokratie. Es ist ein Zeichen vollkommener Un kenntnis; der thatsächlichcn Verhältnisse, wenn man den Wahlbceinflussungcn, wie sie hier und da Vorkommen, einen entscheidenden Einfluß auf den allgemeinen Aus gang der Wahl zuschrcibt. Das Entscheidende ist die Vvlksstimmung und nicht die Wahlbccinslussuug. ES ist ferner eine völlig phantastische Annahme des „Berl. Tagebl." daß die „ungeheure Masse des Volkes" für den Fortbestand der gegenwärtigen Handels verträge abstimmen würde. Von denjenigen Wählern aber, die in diesem Sinne stimmen werden, werden sicher lich fünf Siebentel der Socialdemokraiie, zwei Siebentel den beiden freisinnigen Parteien angehörcn. Und mit einem auf diese Weise gewählten Reichstage sollte Graf Bülow in der Lage sein, „weitere Reformen trotz der Locialdcmokratic" dnrchzuführcn? Wenn Graf Bülow den Rath des „Berl. Tagcbl." befolgt, so wird er aller dings auch nach unserer Meinung der Sorge um die Schaffung einer Mehrheit ledig werden, denn er wird dann im nächsten Jahre sorgenfrei am Strande der Nord see lustwandeln können als — Erreichskanzler. Der ganze Artikel des „Berl. Tagcbl." erinnert sehr leb haft an seinen Artikel vor etwa 14 Tagen mit dem klassischen Satze: „Wir verlangen nicht, daß sich die Polen als preußische Untcrthancn fühlen": die Fast nachtsstimmung scheint bet dem Blatte epidemisch ge worden zu sein. * Berlin, 18. Juli. (Ein amerikanisches Lohn system.) Die Erfolge der amerikanischen Industrie auf dem eigenen wie auf fremden Märkten, die den Anlaß zum Schlagwort von der „amerikanischen Gefahr" gegeben haben, basiren in erster Linie auf technischen Fortschritten, die sowohl die Verwendung von Maschinen als die Organisato» der Ar beitsmethode betreffen, bei der vornehmlich auf eine konstante Steigerung der Leistungsfähigkeit der Arbeiter Bedacht ge nommen wird. Ein beachtenöwerthes Beispiel dieser Art bietet daS Prämiensystem in verschiedenen amerikanischen Maschinenfabriken; dem jüngsten Bericht des englischen Con- sulS in Philadelphia entnimmt die „Soziale Praxis" hierüber folgende Mittheilungen: Nachstehendes Prämiensystem sür die Entlohnung der Arbeiter ist gegenwärtig in mehreren großen Werkzeug- und Maschinenfabriken in Cincinnati in Kraft; die Bedingungen desselben sind: 1) Jedem Arbeiter wird sein regulärer Tagelohn garantirt, so lange er in Diensten der Firma oder der Gesellschaft steht. 2) Tie für die Ausführung einer Arbeit vorgeschriebene Zeit soll nie kürzer bemesten werden, als die beste Zelt betrug, in der dieselbe Arbeit mit den gleichen Werkzeugen im Taglohn ausgeführt wurde. 3) Kein Arbeit»«: soll entlassen werden, weil e« ihm nicht gelang diese Arbeitszeit zu unterbieten. 4) Führt ein Arbeiter die ihm zugewiesene Arbeit in kürzerer als der vorgeschriebenen Zeit au«, so erhält er als Zuschlag zu seinem regulären Lohn für jede ersparte Arbeitsstunde die Hälfte deS auf diese entfallenden Lohnes. b) Eine einmal fixirte Zeit für eine Arbeit soll nicht reducirt werden, außer bei Einführung von neuen Arbeitsmethoden für die betreffende Arbeit. 6) Die Prämie wird am nächsten Lohntage nach Vollendung der Arbeit ausbezahlt. 7) Nach Ablauf »ines Jahreö steht es jedem Arbeiter frei, außer halb des Prämiensystems zu arbeiten. 8) Wird daS System abgeschafft, so soll von den Arbeitern nicht eine gleiche Schnelligkeit ohne entsprechende Lohnerhöhung ver langt werden. Die Bestrebungen der Arbeitgeber, daS System zu ver breiten, werden angesichts der hervorragenden Resultate des selben begreiflich. Der Arbeiter verdient Wohl mehr, aber die Leistungsfähigkeit ver Fabrik wird dadurch wesentlich ge steigert und gleichzeitig werden die Arbeitskosten für jede einzelne Arbeit wesentlich verringert. Es erhellt dies z. B. aus folgenden Daten, betreffend die Ausführung einer und derselben Arbeit, für die eine Arbeitszeit von 40 Stunden vorgeschrieben wurde: Arbeitszeit Löhne pro Tag Kosten der Arbeit Stunden Toll. Doll. 40'/. 2 2.72 38'/. 8 2.58 18'/. 3.16 1.59 18 3.22 1.57 Durch das Prämiensystem wurde allmählich die sür eine bestimmte Leistung erforderliche Arbeitszeit von 40 auf 18 Stunden und damit ihre Kosten von 2,22 auf 1,57 Dollar reducirt, wogegen der Arbeiler einen Prämicnzuschlag von 1,72 Dollar fiir jeden Tag dieser Arbeit erhielt. Die Arbeit geber behaupten, es wäre daS einzig gerechte Lohnsystem, da innerhalb desselben jeder Arbeiter seiner Leistungsfähigkeit entsprechend entlohnt würde. — In unterrichteten Kreisen wird es als recht unwabr- scheinlich bezeichnet, daß die dem Bundesrath vorliegende Börsengesetznovelle dem Reichstage noch vor Erledigung der Zolllarisvorlage zugeben werde. Man wolle in Re- gierungskrcisen durchaus die Cvmplication vermeiden, die sich mit einem solchen Vorgehen in der politischen Situation er geben würde. (Hamb. Nachr.) — Der Wiener Correspondent der „Daily Mail" will aus guter Quelle wissen, Graf v. Bülow und Graf Go- luchow Ski hätten ein Abkommen getroffen, wonach die deutsche Regierung mit allen Mitteln der von den All deutschen in Oesterreich begonnenen Agitation in Deutschland entgegentretcn solle, während anderer seits die österreichische Regierung sich verpflichte, die unruhigen Elemente unter der polnisch en Be völkerung Oesterreichs zu verhindern, die preußischen Polen zum Widerstaude gegen die Maßnahmen zu ermuthizen, welche Vie preußischen Behörden gegen die polnische Nalio- Fenittetsn. Caracas. Von Otto Leonhardt. »>ochrri«7 verdotcn. Die venezolanische Revolution, deren Entwickelung hier seit Monaten mit um so größerem Interesse beobachtet wird, als Deutschland bedeutende wirthschastliche Inter essen in Venezuela hat und zahlreiche Deutsche im Lande wohnen, scheint ihrem Abschluß entgegen zu gehen und zieht sich um die Hauptstadt Earaeas zusammen, in deren Nähe, vor deren Thoren vielleicht die Führer der beiden Parteien sich wohl bald in einer Entscheidungsschlacht messen werden. Der bekannteste und in mancher Hinsicht auch interessanteste der neueren Präsidenten von Vene zuela, Guzman Blanco, hat seiner Zett erklärt, er wolle aus Earaeas das New Z)c>rk Südamerikas machen, hinter dem tönenden Worte liegt immerhin so viel Wahrheit, daß Caracas durch seine Lage und durch die Fruchtbarkeit des Landes, dessen Hauptstadt es ist, das Zeug zu einer großen und blühenden Eapitalc hat. Die Ltadt zählte schon im Beginne des 10. Jahrhunderts an die 50 000 Einwohner; aber das furchtbare Erdbeben vom 26. März 1812, das Tausende unter den Trümmern ihrer Häuser begrub, und die darauf folgenden politischen Ereignisse haben die Ein wohnerzahl bis unter 20 000 hcrabgcdrückt. 1807 war sie kann wieder auf 47 000 gestiegen und 1801 betrug sie 72 500, ein Wachsthum, das immerhin von der bedeutenden Lebenskraft und der Wichtigkeit der Stadt ein sprechendes Zcugniß ablcgt. Aber diese wachsende Großstadt bereitet Dem, der sie zum ersten Male betritt, in der Regel eine arge Enttäuschung. Nichts findet er da von tropischer Ueppigkeit oder von phantastischer Erscheinung: er findet eine Stadt, die, wie die altspantschen Städte gewöhnlich, in regel» mäßige Häuserguadrate eingctheilt ist. Sie ist sehr aus gedehnt, weil alle Häuser in Rücksicht auf die Erdbeben gefahr nur einstöckig gebaut sind; und da die Häuser von Caracas zugleich jene aus dem alten Orient überkommene Bauweise festhalten, wonach die Häuser an der Straßen seite schmal und durchaus schmucklos gehalten werden, so sieht der Wanderer in den Straßen nichts, als Fenstergitter und Ziegeldächer, Ziegeldächer und Fenstergitter in end loser gerader Flucht, und nur die Farben der Häuser und die Gcschäftsschilder bringen wenigstens einige Abwechse lung in dies monotone Bild. So gesehen macht die Stadt geradezu einen ärmlichen Eindruck. Und doch ist sie das nicht. Tritt man in die dürftig erscheinenden Häuser ein und gelangt in den offe nen Hof, bas Patio, so blickt man mit freudiger Uebcr- raschnng auf das liebliche Bild eines reichen und schönen Gartens, der vielleicht noch durch eine Fontäne Kühlung erhält; dieser Raun, ist es, der den eigentlichen Mit- telpunct des häuslichen Lebens bildet. Er ist Wohn« und Speisezimmer, Salon und Garten zugleich, hier werden Besuche empfangen, dtc Mahlzeiten eingenommen, die häuslichen Arbeiten verrichtet, und hier unter dem tief blauen Himmel, unter Farbenpracht und üppigem Blllthenbuft erkennen wir auch, daß wir uns iu einer Tropenstadt befinden. Hinter den Fenstergittcrn der Straßenfront aber — Glasfenster sind in Caracas unbe kannt — sitzen des Nachmittags und des Abendö die schönen CaraqüenaS, Blumen in dem aufgelösten reichen schwarzen Haare, und knüpfen mit den vorübergehenden Bekannten ein Gespräch an. Die CaraqüenaS sind be- kannt durch ihre Schönheit: schwarze Augen, prachtvolles Haar, ebenmäßige GesichtSzügc und ungewöhnliche Grazie der Bewegungen zeichnen sie aus, und ihre Feucrblicke haben auch schon manchen deutschen Landsmann versengt. Der monumentale Thetl von Caracas, der die Ein tönigkeit seiner Anlage unterbricht, gruppirt sich um die Plaza Bolivar. Hier erhebt sich das eherne Reiterstand bild des Befreiers, hier da« „Gelbe HauS" deS Präsiden ten, die unvermeidliche Jmitttation des Weißen HauscS in Washington, übrigens ein wenig bedeutendes Gebäude. Das Postgcbäube, die Kathedrale, der erzbischöfliche Palast vollenden die architektonische Physiognomie der Plaza Bolivar; in der Nähe befindet sich das in griechischem Stile gehaltene Capitol, in dem die Parlamente tagen, und die gothtsche Universität, ein pompöses Gebäude, das vielleicht den imponirendsten Eindruck unter allen Baulichkeiten von Caracas macht. Aber die Plaza Bolivar ist nicht nur das monumental« Centrum der Stadt, sondern auch das ! Her» threS Lebens. Hier treffen sich die Neugierigen, hier ! halten dte Wagen «nd die Pferdebahnen, hier strömt die ganze Stadt zusammen, um zu plaudern und zu klatschen, zu sehen und gesehen zu werden, und wenn an den Aben den ein Orchester seine feurigen Weisen hier erschallen läßt, während das ganze elegante Caracas auf der Plaza auf- und abwandelt, dann entfaltet sich hier ein entzückendes Bild. „Ein Eoncertabcnd auf der Plaza Bolivar bleibt Jedem so unauslöschlich in der Erinnerung haften, wie die Fahrt in die blaue Grotte auf Capri oder die Beleuchtung des Heidelberger Schlosses durch vengaliscycs Feuer." Die Milde der Nacht, die Düste der Tropenpflanzen, das klare Licht des Mondes und der feierliche Glanz des südlichen Kreuzes vereinigen sich mit dem lebendigen und heiteren Leben nnd Treiben ans dem Platze zu einem einzigen Bilde. Und doch giebt es einen anderen Punct, wo man viel leicht ein noch schöneres Bild von Caracas in sich auf- nchmen kann. Unweit des Bahnhofs erhebt sich der Cal- vartenhügcl, den Guzman Blanco in eine herrliche Garten anlage umgewandelt hat, und von hier aus hat mau euren unvergleichlichen Blick auf die Stadt und ihre Umgebung. Hier überblickt man die ganze Längenausdehnung von Caracas, und über ihre Häuserguadrate, über das Grün der Zuckerrohrfcldcr und der Wiesen erheben sich die Berg riesen der Kette, die das Thal von Caracas von der Küste trennen. Den majestätischsten Anblick unter diesen Riesen giebt die siila ckc Caracas, der „Stuhl" von Earaeas, der 2700 Meter hoch ist und zuerst von Humboldt bestiegen wurde. Die Schönheit dieses Anblickes wird gewöhnlich noch durch interessante atmosphärische Schauspiele erhöht. Steht man Nachmittags ans dem Ealvarienbcrgc, so dringen plötzlich dichte weiße Nebelmaffcn aus dem Ge birge heraus und ballen sich an den Bergen fest: besteigt man ihn Morgens, so ist die Stadt in das Ncbelmecr ver sunken und nur ihre Kirchthürme tauchen wie Inseln daraus hervor. Das Klima non Caracas ist ein ewiger Frühling genannt worden, aber beim Anblick dieser Ncbcl- gewölke glaubte sich schon Humboldt aus den milden Thälern der heißen Zone nach Deutschland, ans das mit Fichten und Birkcnbäumen bewachsene Harzgebirgc versetzt. Wie schon bemerkt, darf man sich durch die beinabc ärmliche Außenseite der Stadt nicht täuschen lassen. Es herrscht viel Wohlhabenheit in Caracas. Tückuige aus ländische Elemente haben sich hier eine solide Existenz be gründet und aus dem Lande ziehen neben zahlreichen In dividuen, die das Gold auf dem Pflaster der Hauptstadt zu finden hoffen, doch auch viele wohlhabende Haeiendcros nach Caracas, die hier die Früchte ihrer Arbeit in Ruhe und Behaglichkeit genießen wollen. Olinda erwähnt u. A. den großen Blumcutuxus, der in Caracas getrieben wird; es sei, sagt er, nichts Lettenes, daß man sich mit Sträußen im Preise von 200—400 beschenkte. Dabei bleibt aller dings zu bedenken, daß der Geldwerth ein erheblich ge ringerer ist, als bei uns. Die persönliche Arbeitsleistung ist überaus theuer, und was bei uns die Mark ist, das ist dort im Allgemeinen der Peso lDollar). Das geistige Leben der Stadt sindct natürlich seinen Mittelpunct in der Universität. Auch auf diesem Geviete hat der that- trüftige Guzman Blanco viel geleistet; und wenn auch das wankelmüthigc, souveräne Volk von Venezuela später ein mal sein Denkmal umgcstürzt hat, so bleibt doch drc Thal- fache, das Caracas Guzman Blanco viel verdankt, un umstößlich. Von ihm stammt die Bibliothek, die etwa M OM Bände zählt; von ihm das Museum, um das sich ein Deutscher, I>. Ernst, große Verdienste erworben hat; cs besteht in der Hauptsache aus einer Mineralien- und zvolvgischen Sammlung, aus ethnographischen Gegen ständen und auS Objecten, die für die Geschichte Les Lan des von Interesse sind, wie z. B. der Sarg Bolivar s. Von Gnzman Blanco stammt auch das Tbccttcr auf der Plaza de Carabobv, ein durch Größe nnd Rcicktthum überaus impo- nircndes Gebäude: die südamcrikauischcn Hauptstädte siud ja durch ihre Leidenschast für Prachttheater bekannt, und so durfte auch Caracas nicht zurückstehcn. Merkwürdiger immerhin war das Theater, das Humboldt in Caracas traf, in dem der Zuschaucrraum ohne Decke war, so daß man die Schauspieler und den gestirnten Himmec zugleich beobachten konnte. Mag Caracas auf den ersten Blick wenig anziehend er scheinen, wer länger dort wohnt, pflegt die Siadt mit ihrem herrlichen Gcbirgspanvrama, mit ihrer reichen Flora, mit den schönen Frauen und dem heiteren Leben, mit ihrem ewigen Frühling lieb zu gewinnen. Doch ihr Schicksal liegt in der Hand des Volkes von Venezuela; und so lange dieses Volk keine reifere Auffassung von seinen Pflichten gewinnt, so lange cs den Staat nur als Aus- bcutungsvbjcct betrachtet, wird Caracas nie das werden, was cs sein könnte.
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