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und Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen nnd städtischen Behörden zn Freiberg nnd Brand. , Verantwortlicher Redakteur: Iuliu» Braun iu Freiberg. 1/» LU Erscheint jeden Wochmtag Abend» V,7 Uhr siir den .MV andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2d Pf., ^1- zweimonatlich 1M.S0 Pf. und einmonatlich7ü Pf. 38. Jahrgang. > Dovnerstag, veu 10. September. Inserate werden bis Vormittag 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für di« gespaltene Zelle oder deren Raum 1d Pf. 1885. Der Rormalarbeitstag und die Ueberftunden. Bekanntlich verhält sich der deutsche Reichskanzler zu der Frage des Normalarbeitstages durchaus ablehnend, während er die Lösung der Frage der Sonntagsruhe für noch nicht spruchreif erklärte und von genaueren Erhebungen abhängig machte, die bereits im Gange sind. Die deutschen Sozialreformen haben bis jetzt eine Richtung verfolgt, welche der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, Rodbertus, ziemlich klar vorgezeichnet hat. Um so interessanter ist es, daß ein Wiener Schriftsteller kürzlich zwei fast ver gessene Abhandlungen entdeckt hat, in welchen der berühmte Nationalökonom seine Ansichten über den Normalarbeitstag niedergelegt hat, welcher das A und das O der Sozial demokraten bildet. Rodbertus hält das Prinzip der gesetz lichen Beschränkung der Arbeitszeit für erwachsene männliche Arbeiter aus rechtlichen und wissenschaftlichen Gründen für unzulässig, läßt dasselbe aber für Frauen und Kinder aus Gründen der Gesundheitspolizei sowie aus erziehlichen Gründen durchaus gelten. Es ist bezeichnend, daß derjenige Nationalökonom, der bei anderen Angelegenheiten dem Staate gegenüber dem Einzelnen die weitesten Befugnisse einräumte. dem Staate das Recht bestritt, dem freien Manne darüber Vorschriften zu machen, wie viele Stunden er arbeiten dürfe. Er bezweifelte aber auch den Nutzen, den sich so viele Arbeiter von dieser Errungenschaft versprechen, war vielmehr der Ansicht, daß die pekuniäre Lage der Arbeiter durch die gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit verschlechtert statt verbessert werde. Jedenfalls sei, wie sich RodbertuS ausdrückt, der Normalarbeitstag trotz des Ru mors, der darob gemacht werde, „keine einzige Stunde Streik Werth'. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die von diesem Schrift steller von der Einführung des Normalarbeitstages ge fürchtete Lohnherabsetzung sich thatsächlich einstellen würde, wenn auch nicht wegen des von ihm angeführten sogenann ten .Lohngesetzes", sondern einfach deshalb, weil es in schlechten Geschäftsjahren, wo sich Handel und Industrie kaum über Wasser halten, die Arbeitgeber nicht aushalten können, für die geringere Tagesleistung den alten Lohn zu gewähren. Gerade jetzt, wo der Normalarbeitstag mit dem geplanten Verbote der Sonntagsarbeit in eine enge Ver bindung gebracht wird und rem wirthschaftliche Fragen so häufig mit religiösen Dingen verquickt werden, ist es von Bedeutung, daß der von dem Fürsten Bismarck am meisten anerkannte Nationalökonom von der moralischen und sitt lichen Seite des Normalarbeitstages gar nichts wissen will. Rodbertus bezweifelt durchaus, daß die dem Arbeiter geschenkte größere freie Zeit zur Hebung seines geistigen und moralischen Niveaus Verwendung finden würde. Wenn sich nun auch der Normalarbeitstag als ein zu stacker Eingriff in die persönliche Freiheit und als ein wirthschastlrcher Nachtheil charakterisirt, so läßt sich doch nicht verkennen, daß die Vorliebe vieler Geschäfte mit Ueberftunden zu arbeiten verwerflich ist. Darauf sollten die Fabrikanten ohne jeglichen Zwang verzichten und im Bedarfsfälle lieber mehr Arbeiter einstellen. Der Wegfall der Ueberftunden würde die Beschäftigung vieler Arbeiter ermöglichen, die jetzt brotlos umherirren und als Vaga bunden dem Trunk und dem Bettel verfallen. Man wendet dagegen ein, daß die neuen Arbeiter nicht eingerichtet seien und doch bald wieder entlassen werden müßten. In den meisten Fällen genügen aber wenige Tage, um die neuen Aushilfe-Arbeiter einzurichten und bei Akkord-Arbeiten trifft den Geschäftsinhaber auch kein Nachthell. Wenn aber arbeitslose Menschen einige Wochen derart beschäftigt und vor der Nothwendigkeit, zu betteln, bewahrt werden, ist dies ein volkswirthschastlicher Vortheil, den man nicht unterschätzen darf. Der Fabrikant übt dadurch nicht nur ein Werk der Huma nität, sondern schützt auch seine ständigen Arbeiter vor der Ueberanstrengung «nd den damit verbundenen Nachtheilen. Es ist nämlich eine alte Erfahrung, daß die Arbeiter bei außerordentlichen Anstrengungen, die größeren Verdienst zur Folge Haven, sich auch besondere Vergnügungen gönnen und das durch Ueberstunden verdiente Geld verjubeln, während dasselbe genügen würde, brotlose Arbeiter aus der bittersten Noth zu befreien. Jeder Fabrikant, der an einem tüchtigen und nüchternen Arbeiterstande Freude hat, sollte Ueberftunden und nächtliche Arbeit abschaffen und lieber seine Leute an ein geregeltes Leben gewöhnen. Mancher Unfall, manche Feuersbrunst ist schon durch nächtliches Arbeiten verschuldet worden, weil die ermatteten, übermüde ten Arbeiter zuweilen ihr Werk nur noch mit halboffenen! Augen verrichten. Schon im Jahre 1868 ergab eine Enquste in der Schweiz die ungünstigsten Urtheile über die Nachtarbeit und Ueberstunden. In der Schrift: „Untersuchung und Bericht über die Lage der Fabrikarbeiter, erstattet an die gemeinnützige Gesellschaft des Kantons Zürich auf Grund der Verhandlungen einer von der Züricher kantonalen ge meinnützigen Gesellschaft niedergesetzten Kommission" heißt es u. A.: „Die in der Kommission anwesenden Industriellen bemerkten, daß sich das System der Ueberstunden wenig bewähre und man die Erfahrung mache, daß die Leute zuweilen am Tage absichtlich schlechter und langsamer ar beiten, um Ueberstunden zu haben; sie führten ferner an, daß man auch von der Nachtarbeit allgemein zurückkomme, weil dabei nichts herauskomme . . . Man nehme natürlich lieber frische, von der Nachtruhe gestärkte Arbeiter, welche besser vorwärts kommen, weder am Stoff noch an den Maschinen etwas verderben und bessere Waaren liefern. Auch seien Hcizungs- und Beleuchtungskosten in Anschlag zu bringen." Die deutschen Berufsgenossenschaften zum Zweck der Unfallverhütung werden voraussichtlich gegen Ueber stunden und Nachtarbeiten aus guten Gründen protestiren. Die Fabrikanten sollten im eigenen Interesse und auch ohne äußeren Druck auf übermäßige Anforderungen an die menschliche Arbeitskraft freiwillig verzichten, aus eigener Initiative jede gesetzliche Beschränkung der Arbeitszeit un- nöthig machen und dadurch die Vertheidiger der Forderung des Normalarbeitstages vollständig entwaffnen. Tagesschait. Freiberg, den 9. September. Allerwärts hat die entgegenkommende und sriedensfreund- liche Haltung, welche die deutsche Reichsregierung dem Kabinet von Madrid gegenüber bewahrte, den besten Eindruck gemacht. Die Erklärung der deutschen Regierung, daß die faktische Besitzergreifung der Insel Jap die Rechtsfrage nicht präjudizire, dürfte jedoch die Grenze des Entgegenkommens bezeichnen. Die neueste offiziöse Kundgebung hat folgenden Wortlaut: „Der Mangel an Besonnenheit, mit dem seitens der spanischen Presse und Bevölkerung die Thatsache der Lan dung des „Iltis" (also nicht der „Hyäne", wie von den meisten Blättern gemeldet worden) auf der Insel Aap aufge- faßt worden ist, hat bei uns, wo man gewohnt ist, den Weg diplomatischer Verhandlungen bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierungen nicht zu verlassen, wesentlich überrascht. Das Kanonenboot hatte den Auftrag, welchen cs jetzt aus- gesührt hat, schon vor mehreren Wochen erhalten. Niemand konnte damals erwarten, daß eine Thatsache, wie sie bei den neuerlichen kolonialen Ausgleichungen wiederholt vorgekommcn cst, die spanische öffentliche Meinung um ihre ganze Ueber- lcgung bringen würde. In Beziehungen mit anderen Nationen wäre ein solches Vorkommniß undenkbar. Selbst wenn die deutsche Regierung die unberechtigte Erregbarkeit der spanischen Nation aber hätte in Anrechnung bringen und auf den Karo linen ros intogru für spätere Verhandlungen offen halten wollen, so wäre es wegen Mangels an jeder Verbindung nicht mehr möglich gewesen, den „Iltis" noch zu erreichen. Das Kanonenboot hat seiner Zeit die Ordre erhalten, nach erfolgter Besitzergreifung Manila anzulaufen und mittels des spanischen Telegraphendrahts das Veranlaßte zu melden. Auch hieraus ist ersichtlich, daß man bei uns nicht im Entferntesten geglaubt hat, in Spanien einer Aufnahme unserer Mittheilung über die Flaggenhissung zu begegnen, wie sie jetzt dort Platz gegriffen hat." Die allgemeine Stimmung in Deutschland geht aber jetzt ent schieden dahin, daß die Nachgiebigkeit gegen die spanische Dynastie nur bis zu dem schon erfolgten Angebot der schieds richterlichen Entscheidung gehen könne. Lehnt Spanien diese ab, wie es bis jetzt noch den Anschein hat, dann muß es auch die Folgen tragen, die bei der Unmöglichkeit des Landkampfcs und der notorischen Schwäche der spanischen Flotte sehr schwere sein könnten. Wie die „Magdeburger Zeitung" ausführt, sind die Spanier nicht nur an ihrer Küste in Europa, sondern an verschiedenen Punkten des Weltmeeres, vor allen Dingen im Philippinenarchipel, sehr faßbar, während sie auf Bundes genossen sich bei ruhiger Uebcrlegung selber keine Rechnung machen werden. Der Krieg bringt auch das Recht der Er oberung niit sich. Sehr ernst wäre cs, wenn sich eine der „Köln. Ztg." zugcgangene Nachricht bestätigte, die deshalb bis jetzt auf Mißtrauen stößt, weil sie über Paris eingetroffen ist. Dort wurde behauptet, der deutsche Konsul von Saragossa sei ermordet worden. Bis jetzt fehlt noch jede Bestätigung dieser sensationellen Meldung. Daß in Saragossa und Valencia die Wogen der Leidenschaft ganz be sonders hochgehen, ist daraus ersichtlich, daß die dortigen Stadthäupter dem Beispiele des Generals Salamanca nach« ahmten und die preußischen Orden zurückschickten, während Pöbelhorden deutsch-feindliche Kundgebungen veranstalteten und allerhand lärmenden Straßenunfug trieben. Unser Kaiser begab sich gestern früh mit den königlichen Prinzen mittelst Extrazuges auf der Stettiner Bahn nach dem Manöverterrain des Gardekorps bei Buch, kehrte aber schon Nachmittags wieder nach Berlin zurück. — Die deutsche Kaiserin ist vorgestern Abend in Baden-Baden eingetroffen, woselbst gestern ein offizielles Diner stattfand. — Auf der Durchreise nach Karlsruhe wurde die Kronprinzessin von Schweden vorgestern Abend in Berlin vom deut schen Kronprinzen, de« Prinzen Heinrich von Preußen und der Erbprinzessin von Meiningen begrüßt. — Zum Em pfang des Kaisers trifft man in Karlsruhe bereits umfassende Vorkehrungen. Am nächsten Donnerstag erfolgt der Einzug in die beflaggte Stadt unter Kanonensalven und Glockengeläute. Die Bürger, Feuerwehr, Militärvereine, Schützen und Schüler bilden Spalier; die Begrüßung des Kaisers erfolgt durch den Bürgerausschuß. Während der folgenden Tage finden die Manöver des 14. Armeekorps statt. Sonntag Nachmittag erfolgt der Vorbeimarsch der Schüler vor dem Großherzog« lichen Schloß unter Vorantritt der Schülerkapelle; später bringen die vereinigten Männergesangvereine dem Kaiser ein Ständchen. Das von der Stadt Berlin dm Mitgliedern der Inter nationalen Telegraphm-Ksnflrmz gegebene Fest im Rathhause ist großartig verlaufen. Mit den silbernen und goldenm Ketten geschmückt, empfingen die Väter der Reichshauptstadt ihre Gäste, denen sich auch die diplomatischen Vertreter und Repräsentanten der preußischen Regierung zugesellt hatten. Die Minister v. Puttkamer, Maybach, v. Goßler und Friedberg, der Staatssekretär v. Stephan und mit ihnen ein ganze- Heer fremder Diplomaten bewegten sich in dem Festsaal des Rath- hauses. Die Mitglieder der Telegraphen-Konferenz waren fast vollzählig erschienen; sie zeigten sich überrascht von der würde vollen Pracht, welche sich ihnen darbot. Der Bürgermeister Duncker begrüßte die Gäste in deutscher Sprache. Man grup- pirte sich dabei zwanglos um die Rednertribüne vor der Bühne und von den Galerien herab lauschten die Damen der Stadtväter. Unmittelbar darauf antwortete der Vertreter Italiens, Herr D'Amigo, und pries in französischer Sprache in seinem Danke Berlin, das würdig sei, an der Spitze eines so herrlichen Reiches wie Deutschland zu marfchiren. Er schilderte, wie gern man dort gewesen, wie ungern man scheide und er for derte damit eine Replik des Stadtverordnetenvorsteher vr. Strohmann heraus. Es folgte ein geistreiches Festspiel, da von Wildenbruch in aller Eile gedichtet hatte. Die preußische Regierung soll sich mit der Absicht tragen, die Zahl der Lotterieloose, die jetzt 95 000 beträgt, auf rund 200000 zu erhöhen, wovon die erforderliche Zahl, vielleicht einige dreißigtauscnd, für sogenannte Freiloose in Ab zug kommen würde. Die Zahl der Gewinne soll sich ent sprechend erhöhen und ihre Beträge würden dem bestehenden Münz- (Mark-) System angepaßt werden. — Bei der am 7. d. M. in Neu-Strelitz stattgefundenen Hoftafel, an welcher 350 Personen der verschiedensten Stände theilnahmen, brachte der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin den Toast auf dm fürstlichen Jubilar, den Großherzog von Mecklenburg« Strelitz aus, der mit herzlichen Daukesworten erwiederte. Abends fand ein Fackelzug, eine Illumination der Stadt und ein großes Feuerwerk statt. Alles verlief glänzend. Der Großherzog und die Großherzogin von Mecklenburg-Schwerin sind inzwischen wieder nach Schwerin zurückgekehrt. Nachträglich verlautet, daß der österreichische Kronprinz am vorigen Sonnabend einer ernsten Gefahr glücklich entgangen ist. da fein Wagen, in welchem er von dem Manöver « Tulln nach Laxenburg zurückfuhr, von den scheugewordmen Pferden umgeworfen wurde. Der Kronprinz, welcher in den Graben fiel, kam mit einigen Hautabschürfungen davon. — Unter de« Vorsitze des Kaisers hat Montag Nachmittag in der Hofburg :iu mehrstündiger Ministerrath stattgefunden, welchem die sämmtlichen in Wim anwesenden österreichischen Minister bei wohnten. Das Resultat der Berathungen war wohl das seit« drin erschienene kaiserliche Patent, durch welches der öster reichische Reichsrath auf den 22. d. M. einberufen wird. — Der Versuch, das Radfahren für militärische Zwecke zu ver wenden, hat sich bei dm letzten österreichischen Manövern be währt. Bier Offiziere und vier Unteroffiziere brachten, auf ihren Bicyklen fahrend, die Befehle des Höchstkommandirenden an die verschiedenen Generalstäbe. Die Radfahrer sollen sich als schneller und ausdauernder als berittene Ordonnanzm er-