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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.10.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021029022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902102902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902102902
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-10
- Tag 1902-10-29
-
Monat
1902-10
-
Jahr
1902
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Er selbst aber und der engere Ver wandten- und Bekanntenkreis wußten, daß seine Lebens zeit nach Monaten und Tagen bemessen war, seitdem die anerkanntesten medizinischen Autoritäten eine Herz muskelentzündung in Verbindung mit Wassersucht und Zuckerruhr als Ursache seiuer Krankheit erkannt und festgestellt hatten. Diese hatte im Sommer schon einen solchen Umfang angenommen, daß er von einer geplanten Badereise gänzlich Abstand nehmen mußte. Unter der sorglichen Pflege seiner treuen Gattin, mit der er 34 Jahre in glücklichem Ehestande gelebt hat, ertrug er d-.e Schmerzen in schlaflosen Nächten mit großer Geduld. Nur dann empfand er die Schwere des Schicksals recht bitter, wenn es ihm nicht gestatten wollte, an den Veranstal tungen s e i n e r P a r t e i, der er mit ganzem Herzen angehörte, teilnchmen zu könncm Beklagte er es schon aufs innigste, daß er dem Begräbnisse Rudolf von Bennigsens, des von ihm so hoch verehrten Begründers der nationalliberalen Partei, fernbleiben müßte, so war ihm der Gedanke, daß er an dem Eisenacher Delegiertentage nicht teilnehmen konnte, noch schmerzlicher. Zog cs ihn doch als M i t g l i e d des Zentralvorstandes der nationalliberalen Partei mit aller Macht dorthin, wo für die nächste Zukunft derselben die entscheidenden Beschlüsse gefaßt werden sollten. Gewiß aber hat der Erfolg jener Tagung ihn den Lebensabend noch verschönt. An seiner Bahre aber trauert außer der schwer geprüften Witwe, zwei Brüdern und einer Adoptivtochter die ganze sächsische L a n d e s p a r t e i. Ihr schon von frühester Zeit an treu ergeben, hat er in ihr die angesehensten Ehrenämter bekleidet. Der nationalliberale Wahlverein für den 23. Neichstagswahlkreis machte ihn zu seinem Ehrenvorsitzenden, der Landesausschuß wühlte ihn zu seinem Mitglied und die Fraktion der Zweiten Ständckammer erkor ihn zu ihrem Vorsitzenden. In allen diesen Stellungen hat er sich ebenso sehr durch eifrige Tätigkeit, wie durch persönliche Liebenswürdigkeit ausge zeichnet und bekannt gemacht. Es würde vergeblich sein, alle seine Verdienste hier aufzählen zu wollen, nur an seine Tätigkeit als Berichterstatter der Fi n a n z d c p u t a t i o n A, welcher er seit seinem Eintritte in den Landtag, also seit 1891, angehürtc, über das Hütten- und Bergwesen und über den E t s c n b a h n e t at sei hier erinnert. Wenn er es auch schmerzlich empfand, daß er meist wenig Erfreuliches zu melden hatte, so widmete er sich doch den schmierigen Aufgaben mit einer Arbeitslust, die von allen seinen Kol legen hoch anerkannt wurde. Wer aber bedenkt, daß der im April über das Kapitel 16 erstattete umfangreiche Be richt unter den größten persönlichen Schmerzen verfaßt worden ist, der wird nicht zum wenigsten auch den großen Fr e im u t d e 8 M a n n e s zu schätzen wissen, der a l l e n politischen Faktoren das rechte Maß ihres Verschuldens an der sächsischen Eiscnbahnkalamität zumies. Dieser Bericht wird deshalb auch das politische Testament Kellners ge nannt werden können, das zu erfüllen die nationallibe- rale Partei in erster Linie berufen ist. Möge ihm bald an der Spitze der Landtagöfraktion ein würdiger Nach folger erwachsen! Der Vorstand des national- liberalen Landesvereins aber hat mit Recht in einem Telegramm an die Witwe der aufrichtigen Trauer Ausdruck gegeben, welche die Todcöbotschaft überall in seinen Reihen hervorgerufen hat. Es lautet wörtlich: „Frau Kommerzienrat Kellner, Schönberg, Vogtl. Die Nachricht vom Tod Ihres Herrn Gemahls berührt mich und gewiß alle Parteifreunde aufs schmerzlichste. War doch sein Wirken im Landesverein, in welchem er seit langer Zeit eine hervorragende Stellung einnahm, wie an der Spitze der Landtagsfraktion höchst verdienst lich, ja geradezu vorbildlich. Sein Andenken bleibt in Segen. Ihnen aber wolle Gott Trost senden. Dr. Gensel." Aber auch der Zentralvorstand der nationalliberalen Partei beklagt aufs schmerzlichste den Verlust dieses tätigen, kenntnisreichen und überzcugungstrenen Mit gliedes. Er hat seiner Teilnahme neben einer Kranz spende in folgendem Telegramm an die Witwe Ausdruck gegeben: „Tief bewegt von der Kunde des Ablebens Ihres verehrten Gatten, spricht Ihnen der Zentralvvrstaud der nativnallibcralen Partei sein herzlichstes Beileid aus. Wir verlieren ein treues, langjähriges Mitglied, daS seine ganze Kraft stets selbstlos in den Dienst unserer guten Sache stellte. Sein Andenken wird unter uns un vergessen bleiben. Möge ihm die Erde leicht und Ihnen die allgemeine Teilnahme ein Trost in schwerer Zeit sein! vr. Hammache r." Einem Wunsche des Verstorbenen entsprechend wird die Leiche zur Feuerbestattung nach Jena übergesührt. Bei der vvrausgehenden Feier am Donnerstag nachmittag 2^ Uhr in Schönberg wird sich eine Anzahl seiner Land- tagskollegen mit dem Vorstände des Landesvereins zur letzten Ehrung vereinigen. Die Landtagöfraktion hat durch Herrn Gontard bereits einen kostbaren Kranz an die Witwe gesandt, dessen Schleifen die Aufschrift tragen: „Ihrem Vorsitzenden. Die Landtagsfraktion der II. Ständekammer." Auch das Präsidium des Landtages wird einen Kranz nicderlegen lassen mit der Widmung: „Ihrem Mitgliede. Die II. Kammer der Ständever- sammlung." Ihm aber, dem allezeit treuen Hüter des nationalen Gedankens, sei auch an dieser Stelle ein letztes Lebewohl nachgcrufen! Robert Adolf Kellner wurde am 3. März 1842 als der Sohn des Hoffriscurs Heinrich Kellner in Dresden geboren. Mit zwei Brüdern und einer früh gestorbenen Schwester genoß er eine gut bürgerliche Erziehung. Nach Absolvierung einer Realschule besuchte er die polytechnische Hochschule in seiner Vaterstadt, um sich den Ingenieur wissenschaften z» widmen. Als er hierin das Staats examen bestanden hatte, fand er als Direktor der Säch sischen Schiff- und Maschinenbauanstalt in Dresden An stellung. Als solcher wurde er auch in das dortige Stadt- verordnetcnkollegium gewählt, da er sich lebhaft an dem öffentlichen Leben beteiligte. Das Verlangen aber, die ausländischen Verhältnisse in seinem Fache gründlich kennen zu lernen, führte ihn 1868 auf zwei Jahre nach London, wo er als Manager einer großen englischen Maschinenfabrik Stellung nahm. Von dort wieder in die Heimat zurückkehrend, trat er in die Dienste der Firma E. F. Dietsch, der er bald infolge seiner Vermählung mit der Nichte des früheren Inhabers, Klara Dietsch, als Ehef vorstehen sollte. Tank seiner großen Tatkraft und Umsicht, besitzt heute die Firma Tietsch, Kellner <L Eo. drei große landwirtschaftlich-chemische Fabriken in Schönberg- Vogtland, Griesheim-Main, Nürnberg-Doos von gutem Geschästsrufe. König Albert hat die Verdienste Kellners um die Industrie Sachsens im Frühjahr 1001 durch die Verleihung des Kommerzienrattitels anerkannt. Im politischen Leben seines Vaterlandes spielte Kellner seit dem Jahre 189l eine bedeutende Rolle. Damals wählte ihn der 23. städtische Wahlkreis in den Landtag, dem er bis jetzt ununterbrochen angehört hat. Im nächsten Jahre wäre allerdings sein Mandat abgelausen, doch war seine Wiederwahl gewiß. politische Tagesschau. * Leipzig, 29. Oktober. Aus dem Reichstage. Wie müde der Reichstag der Tarifdebatten oder wenigstens der Auslassungen der Fraltionsredner über dieses Thema ist, zeigte sich gestern so recht deutlich Daran, daß die Abgg. Gras Kanitz, Zwick, Segiy und Depken vor einem beschlußunfähigen Hause sprachen und daß dann plötzlich der Saal sich füllte, als Staatssekretär Graf Posadowsky das Wort ergriff. Der größte Teil seiner Zuhörer halte sich also vorher in Räumen aufgehalten, bis zu denen die Stimmen der genannten Redner nicht drangen, oft genug mag es vorkommen, daß Abgeordnete, die selbst für stundenlange Ausführungen Autmerktamkeit fordern, den Erwiderungen ihrer Gegner entfliehen. UebrigenS veidiente eS der vielgeplagte Staats'ekrelär des Innern vollkommen, daß ein volles Hauö seinen Darlegungen folgte. Seine groß angelegte Rede mochte wohl duich Vie Einsicht angeregt sein, daß die zweimaligen Ausführungen des preußischen Land- wirtschaflsminislers v. Podbielski in den letzten Tagen nicht den gewünschten Eindruck hervorgebracht batten; jedenfalls wurden diese Ausführungen durch den Grafen Posadowsky wesentlich ergänU und vertieft. Der schwierigen Ausgabe, gleichzeitig der Linken nachzuweisen, daß auch bei hohen Einfuhrzöllen die Getreidepreise sinken können, und der Mehrheit zu Gemüte zu führen, daß die Zollsätze der Regierungsvorlage der deutschen Landwirtschaft hin reichenden Schutz gewähren, entledigte sich Graf Posa- dowsky mit gewohnter Geschicklichkeit. Er stellte dann der Not der Landwirtschaft die Hebung der Lebenshaltung der deutschen Arbeiter gegenüber und bezeichnete es als Auf gabe der Negierungen, den Klembaucrnstanv noch mehr zu beben. Er verwies aus die bedrückende englische Latifunbien- wirtschasl und sprach die Hoffnung aus, daß es möglich sein werde, auch für andere preußische Provinzen Ansiedelungs kommissionen zu schaffen. Hinsichtlich des Zolltarifs im allge meinen, d^r Lieb- und FleijchzöUe im Besonderen, faßte Graf Posadowkly nochmals alle Argumente zusammen, die von derselben Stelle au« teil« von ibm selbst, teils von anderen Mitgliedern ter Regierung schon wiederholt dargelcgt worden sind. Der Staatssekretär richtete allerdings seine AuSsüb» rungen, wie man cs gewöhnt ist, fast aueschließl'ch an die Linke, als wenn diese daö Haupthindernis de« Zustande kommen« de« Zolltarifs wäre. Zu guterletzt mußte Graf Posadowsky aber natürlich doch zur Hauptsache kommen und der Mehrheit den eindringlichen Rat geben, von ihren Weiterzehenden unrealisierbaren Forderungen alsbald abzu lassen und sich auf die Regierungsvorlage zu beschränken. Graf Posadowsky schloß nut der bereits vom Grafen Bülow auSgeiprochenen Warnung: Wenn dieserZolllaris scheitere, werde schwerlich ein neuer vorgclegt werden. Der Eindruck dieser Rede war unverkennbar ein tieser; daß er aber tief genug sei, um die Kompiomißiuebrbeit beute bei der Abstimmung über die Schlachtvieh- und Fleischzölle zum Abgehen von ihren Forderungen zu bewegen, ist leider nicht anzunebmen. Die vielfach innerhalb dieser Mehrheit herrschende Sehniuchl nach einer günstigen Gelegenheit zur Umkehr scheint den Herren noch nicht gekommen zu sein. Nord-Schleswig und der SlerikalismuS. Im gegenwärtigen Augenblicke, da der Kronprinz von Dänemark zu Besuch in der Hmrptstadt des Reiches weilt, nimmt sich ein klerikaler Angriff auf die von Preußen in Nord-Schleswig befolgte Politik recht eigenartig aus. Im angeblichen Gesamtinterefse der „ger manischen Gemeinbürgerschast", d. h. des Zusammengehen« Deutschlands, Dänemarks, Schwedens und Norwegens, bekämpft die katholische „Rheinische Volksstimme" die „planmäßige Entnationalisierung einer kleinen Zahl dänisch sprechender, aber mit uns Deutschen stamm verwandter Bewohner Nord-Schleswigs". Im Gegensätze hierzu nennt es die „Rheinische Vvktsslirmne" eine deutsch nationale Tat, „wenn das starke Deutsche Reich dem kleineren dänischen Volke die Hand der Versöhnung ent gegenstreckte und in der kleinen schleswigschen Nordmart einen dauernden und gesetzlichen Rcchtszustand schaffen wollte, welcher den dort lebenden Dänen und Deutschen das volle Maß nationaler Gleichberechtigung in Ver waltung, Kirche und Schule erteilen würde. Tann wäre die Brücke wieder hergcstellt, über die sich das Nord germanentum und das Südgcrmanentum wieder die aus richtige Freundeshand reichen könne." — Was das klerikale Blatt hier fordert, ist nicht mehr und nicht weniger, als die Durchbrechung der ein heitlichen Verfassung und Verwaltung Preußens zuGunstcn einer verschwinden den Minderheit. Man braucht nur an die Konse quenzen, die aus einer derartigen Durchbrechung von den preußischen Polen gezogen werden würden, zu denken, wenn man etwa sonst nicht geneigt sein sollte, das Ver langen des klerikalen Blattes a limine abzuweisen. Der in Nord-Schleswig bestehende gesetzliche Rechtszusland muß unter allen Umständen aufrecht erhalten bleiben. Sobald das Dänenttun in Nord-Schleswig sich unverkenn bar und dauernd als einen Bestandteil der preußische» Staatsbürger fühlt, kann die preußische Verwaltung die heute stramm ungezogenen Zügel etwas nachlassen — eher nicht. Mit der Haltun »Deutschlands gegen über dem Königreiche Dänemark hat die preußische Politik in Nord-Schleswig nichts zu tun. Tas Verhältnis zwischen den beiden Ländern war dadurch charakterisiert, daß Unversöhnlich keit lediglich auf der dänischen Seite gefunden wurde. Was die Deutschen anbelangt, so haben sie seit einem Menschen alter die Leistungen des nördlichen Nachbars unbefangen gewürdigt, zu Tausenden die dänischen Inseln besucht und sich dort durchaus wohl gefühlt. Im Hinblick hierauf har die öffentliche Meinung Deutschlands die Annäherung des amtlichen Dänemark an das Reich, wie sie im Besuche des dänischen Kronprinzen sich bekundet, sympathisch aus genommen. Wie aber die Reise des Kronprinzen von Dänemark trotz der von Preußen in Nord-Schleswig ge führten Politik erfolgt ist, so wird die öffentliche Meinung Deutschlands daran fcsthalten, daß zwischen der Annähe rung Dänemarks an das Reich und der Dänenpolitik Preußens stets reinlich geschieden werde. Chamberlains Reise nach Südafrika Die Nachricht, daß Kolonialsckretär Chamberlain Ende November nach Südafrika zu reisen gedenkt, um dort an Ort und Stelle sich über die Verhältnisse zu informieren und deren Lösung persönlich in die Hand zu nehmen, läßt in England alle anderen Fragen in den jetzt vorliegenden englischen Blättern zurück treten. Von dem Vertrauen, welches Cbamberlain in Eng land geniest, könnte wohl, so wird dem „Hann. Kur." aus London geschrieben, kein besserer Beweis gegeben werden, als durch die Tatsache, daß selbst die liberale Presse von Mr. Cbamberlams Besuch in Südafrika sich gute Folgen verspricht. Daß im Laufe de« Monats November der Cbam» berlainsche Entschluß in der englischen Presse noch eingehende Besprechung finden wird, liegt auf der Hand. Die ver- tchiebenen Parteien in Südajrika und die Vertreter der verschiedenen Interessen werden nickt versäumen, durch ihre Frrrilleton. Compama Clyador. 2Sj Roman von Woldemar Urban. verboten. Neunzehntes Kapitel. Mit dem neuen Jahre trat Isa ihr Engagement im Stadttheater an. Fünfhnndert Mark monatlich und Gar derobegelder, zwei Jahre Kontrakt und drei Monate Ur laub, das waren die Errungenschaften, für die sie sich bei dem jungen Doktor Habicht bedankt hatte- Sie kam sich sehr wichtig vor und nahm es mit ihrer künstlerischen Lauf bahn sehr ernst. Mit der unverwüstlichen Kraft und Leistungsfähigkeit der Jugend warf sie sich auf immer neue Rollen und entschleierte dem Publikum durch ihre originelle Auffassung, durch ihre frische Phantasie und ihren lebhaften Sinn für Form und Gestaltung die Wunder des unver gänglichen Genies eines Mozart, Rossini und anderer Komponisten. Sie blieb auch jetzt in ihrem kleinen Häus chen in der Nähe des Südfriedhofes wohnen und wünschte auch gar keine bessere Wohnnng. Ihr Privatleben war das eingezogenste, was man sich denken kann. Sie hatte keine Zeit für aufregende Festlichkeiten. Die Nollen, die sie in sich aufnahm und neu schuf, nahmen Geist und Körper in gleicher Weise in Anspruch. Ihr ganzer Umgang waren ihre Blumen und Fräulein Elise, die nicht müde wurde, ihr die Briefe vorzulcsen, die sic aus EanneS erhielt. So konnte cs nicht ausbleiben, daß Isa schon von früh an, eigentlich seit ihrem ersten Auftreten, in der Gunst des Publikums festsaß. Verschiedene Umstände kamen ihr zu Gunsten. Direktor Bennewitz, der wohl sah, was er für eine Zugkraft in Isa besaß, versäumte keine Gelegenheit, den neuen Stern leuchten zu lassen. Professor Hennig, der stolz auf seine schöne und geniale Schülerin war, trom petete ihren Ruhm nach allen Richtungen der Windrose auS, und das Publikum selbst, das sich von der Dar- ftellunglkraft Isa» gepackt, erschüttert m»d gerührt fühlte, bereitete ihr die lärmendsten Ovationen. Man trug sie auf Händen, und wenn sie eine Equipage gehabt hätte, so hätte man ihr nach berühmten Mustern die Pferde aus gespannt. Sie hatte aber keine. Sie wollte auch keine. All ihre Wünsche und Sehnsucht verkörperten sich in ihrer Kunst. Einer ihrer eifrigsten Verehrer war — so unglaublich das klingen mag — Herr Rechtsanwalt Habicht I. Er versäumte fast keine Vorstellung, in der sie auftrat. Er, der sich früher nie um das Theater gekümmert und be hauptet hatte, alle seien Esel, die ihr gutes Geld weggäben, um sich im Theater von anderen etwas vormachen zu lassen, er saß jetzt still und andächtig lauschend in einer ver steckten Parterreloge und ließ sich keinen Ton, keine Be wegung entgehen. Oft fragte er sich selbst, was denn das eigentlich sei, was ihn dabei wie ein Zauber, wie eine Offenbarung fesselte, was das Publikum veranlaßte, zu klatschen und zu schreien, zu toben und verrückt zn werden, wenn Isa sang? Was sang sie denn nun eigentlich ? Was war es, das sie zur Meisterin und Beherrscherin der Ge müter machte? Es war einfach der Nachklang der Romantik, die Isa sozusagen schon mit der Muttermilch eingesogcn, jener sonderbarenWunder- undFabelwclt, die wie Sphärenmusik die Dissonanzen des Lebens auflöst und von der die nüch terne, moderne Welt sich abwendet. Isa glaubte selbst an Wunder, das Schwert des Don Inan de Maüara mit seiner milden Inschrift und hundert andere Symbole, die ihre Mutter ihr übermittelt, wurden für sie zu Leitsternen in dem Wirrnis des Lebens, in ihrer Seele blühte und duftete die blaue Blume der Romantik und ihr Wider schein war es, der ihre Zuhörer fesselte und hinriß. Alle Welt litt unter den greulichen Dissonanzen, die das Ein maleins der Habicht und Konsorten in die Welt gebracht, und jubelte Isa erlöst und befreit zu, wenn sic mit einem Ton, mit einer freien Regung ihrer heiterrcincn Seele diese Dissonanzen löste. Deshalb fühlte sich auch besonders der alte Habicht von der Kunst Isas ergriffen. Er wußte wohl, baß das Ein maleins, nach dem er sein ganzes Leben lang gerechnet, falsch war, daß seine Summe nur Reue und Schmerzen, Wunden und Leiden war, für die Isa, vielleicht ohne daß sie es wußte, linde Heilung und Vergessen gab. Im Anfang des Sommers, bald nach der Rückkehr des jungen Herrn Habicht, sand die Hochzeit von Isas einziger Freundin mit diesem statt. Das war das einzige Mal, daß Isa in dieser Zeit in Gesellschaft ging und auverhaiv des Theaters sang. Sie konnte bei dieier Gelegenheit nicht um hin, einige Lieder vorzutragen, darunter dasjenige, das in der „Concordia" seiner Zeit so seltsamen Ersuch gehabt: „Willst du dein Herz mir schenken, So fang es heunlich an " Auch in dieser kleinen Versammlung hatte sie damit einen überraschenden Erfolg. Es hatte ihr ja die ganze Zeit nicht an Verehrern gefehlt. Man schickte ihr Briefe, Bouquets, Geschenke massenhaft ins Haus — natürlich ohne jeden Erfolg. Aber an diesem Abend nahte sich ihr zum ersten Male ein junger Mann, ein Graf Kälteren, der nicht mehr und nicht weniger beabsichtigte, als sie zur Gräfin Kälteren zu machen. Er schwur Stein und Bein, daß er nicht ruhen wolle, bis sie ihn erhöre. Sie lachte darüber zunächst. Auch der alte Herr Habicht setzte ihr ernsthaft auseinander, daß Graf Kälteren nicht nur ein sehr reicher Mann, sondern auch unabhängig und in jeder Beziehung eine gute Partie sei. Sie solle das nicht übersehen und sich alles recht überlegen. Aber Isa rechnete nicht nach dem Einmaleins des Herrn Habicht. Sic sah bei solchen Gelegenheiten immer die düstere, nur spärlich mit Ocllampcn erleuchtete Kapelle des heiligen Jsidoro im Dome von Sevilla vor sich, der auf seinen steinernen Annen das Schwert Don Juans de Maüara trug, mit der fürchterlichen Inschrift: Ich glaube nichts, ich liebe nichts, ich hoffe nichts. Ihr feinfühliger Takt als Frau und Künstlerin sagte ihr, daß sich all diese Leute mit einer gewissen Begehrlichkeit ihr näherten. Da bei kam sie zu kurz. Sic wollte nicht der gelegentliche Zeit vertreib eines Mannes sein, und wenn sie überhaupt einem Manne je angchörcn sollte, so mußte dieser von ihr als Frau und Künstlerin Achtung und Liebe und Bcrständnis haben, ihrem Körper und ihrer Seele in gleicher Weise huldigen. Und das konnte nur einer! Bon Monsieur August hörte sie seit einiger Zelt gar nichts mehr. Im Anfang hatte er noch manchmal an ihren Vater geschrieben, meistens von Paris, einmal aber auch von London aus. An Isa selbst schrieb er nie, auch war, wenn jetzt von ihm die Rede, nie mehr von Monsieur August, sondern nur von Herrn Altmann die 'Rede. Von ihrem Vater wußte Isa, daß im vorigen Winter seine Mutter gestorben und er von dieser sieben nnddreißigtauscnd Mark geerbt habe, die in einer Ber liner Bank deponiert worden waren. Er befand sich also jedenfalls nicht iu schlechten Umständen, das war aber auch alles, was sic erfahren konnte. Was er sonst tat und trieb, wußte sie nicht. Da fiel ihr im Lause der Zeit auf, daß der Mozzo oster Ansichtspostkarten, manchmal sogar Zeitungen erhielt. Es stand auf den Postkarten nichts Geschriebenes. Es hätte das auch gar keinen Zweck gehabt, denn der Mozzo konnte es ja doch nicht lesen. Aber eine gewisse Verbindung ließ sich mit dem Mozzo auf diese Weise doch Herstellen. Manch mal, wenn eine solche Karte in ihre Hände geriet und sie sie dann dem Mozzo gab, fragte dieser mir: „Woher?" Sie sagte ihm dann das nach dem Poststempel. Meist waren sic aus großen Hauptstädten, wie Paris, Peters bürg, Rom, in letzter Zeit kamen sogar solche aus New Zjork, Chicago, Philadelphia, und der Mozzo nickte dann verständnisinnig, besah lange Zeit mit großem Respekt die Bilder, die auf den Karten sich befanden und war sehr stolz. „Wer schickt die Karten, Mozzo?" fragte sie eines Tages. Sic wußte ja wohl, daß sie nur von Monsieur August kommen konnten, denn sonst hatte der Mozzo niemand, von dem er eine solche Aufmerksamkeit hätte erwarten können. Aber sie wollte es von ihm hören, nm vielleicht dabei noch mehr zu erfahren. Indessen ließ sich der Mozzo auf nichts ein. „Weiß nicht , erwiderte er nirr kurz und eigentümlich geheimnisvoll. „Tn weißt es nicht?" sagte sie streng. „Du bist ein schlechter Mensch, Mozzo, du lügst. Du weißt es sehr wohl." „Ich bin gut", erwiderte der Mozzo, „die anderen stnd die Bestien." -
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