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1877, Erschein« je»m Wochmtag «bmd« 6 Uhr für dm antrm Tag. P«U »intrljährltch S Marl SS Ps-, p»nm«><ulich 1 M. SO Pf. u. rinmonall. 75 Pf !! ^0. !! Insnat« «rrdm bi« Vormittag« 11 Uhr für nichst» Sonnabend, den Iv. März. , '""'^^.7'"" BergerHtME und Tageblall. Amtsblatt für die königlichen nnd Wüschen Behörden zu Freiberg und Brand. Verantwortlicher Redakteur: Iuliu» Braun in FretbergSdorf. Die angeblichen Äbrnstungsgedanken Rußlands. Seit Beendigung der diplomatischen Konferenz in Kon stantinopel ist bi» zum heutigen Tage eine Pause in den orientalischen Dingen eingetreten, die thril» mit kriege rischen, thetl» mit friedlichen Nachrichten ausgefüllt wird. An Thatsachen hat diese ziemlich lange Spanne Zeit blut wenig aufzuwetsen; der FriedenSschluß mit Serbien ist eigentlich da- einzige greifbare Resultat in dieser Hinsicht. Dafür schwirren von Tag zu Tag eine Unzahl Gerüchte in der politischen Atmosphäre, die heute auftauchen und morgen wieder verschwinden. Unter ihnen tritt in neuester Zeit mit einer gewissen Beharrlichkeit die Meinung in den Vordergrund, daß Rußland krieg-müde sei und noch ehe eS da- Schwert gezogen, abzurüsten wünsche. Unzweifelhaft liegt dieser Meinung die Thutsache zu Trundt, daß Rußland dem Friedensschlüsse mit Serbien keine Hindernisse bereitete, vielmehr denselben begünstigte. Den», sagt man, wollte Rußland wirklich den Krieg mit der Türkei, so würde e- seinen serbischen Vorposten nicht aufgegeben haben. Wir können diese Ansicht nicht al- richtig anerkennen. Von der Betheiltgung an einem rus sisch-türkischen Kriege konnte Serbien auf keinen Fall Bor- theil ziehen, weil bet der schließlichen Regelung der Orient- dtnge di, Großmächte nach tiefgründigen praktischen Er wägungen sich entscheiden werden und e» dabei nicht weiter in'- Gewicht fällt, ob einige Bataillone serbischer Milizen gegen die Pforte unter Waffen gestanden haben. Auch ist e- sehr unwahrscheinlich, daß der Krieg sich die Donau aufwärt- wenden wird und zwar au- politischen Rück sichten auf Oesterreich. Rußland hat in seiner Orient politik zunächst auf Oesterreich» Zustimmung zu sehen, weil es in diesem Falle auch Deutschlands sicher ist. Die größte Beiorgniß in den Wiener Hofkreisen besteht nun aber darin, daß durch eine Vorschiebung der russischen Streitkräfte nach Westen die sämmtlichen südslavischen Na tionalitäten sich erheben möchten, um die panslavisttsche Idee unter den Südslaven zu verwirklichen. Dem Kaiser Alexander scheint aber nicht- ferner zu liegen, als dem PanslaviSmuS zu dienen; er begünstigte diese Partei in Serbien nur so lange, als Rußland sich von einem serbisch- türkischen Kriege Nutzen versprach. Als sich jedoch heraus stellte, daß der Krieg in Serbien lediglich dazu diente, die türkische Armee zu schulen für den russischen Krieg, da verlangte man in Petersburg unter Drohungen von der Pforte die Gewährung eines WaffenstUstandes. Damit war da- militärische Vorspiel zu Ende und mit ihm die Heldenrolle des serbischen Bruders. Serbien hat sich dabei ruinirt. Das kommt davon, wenn sich der Schwache, pochend auf die Freundschaft des Mächtigen, in den Vorder grund der Weltbühne drängt. Die russische Regierung zog e- vor, lieber von den Serben treuloser Freundschaft ge ziehen zu werden, als sich mit Oesterreich zu entzweien. In Wien wünschte man von Rußland eine Bürgschaft da für zu erhalten, daß dieses ihm nicht di« südslavische Frage heraufbeschwöre; und diese Bürgschaft leistete Ruß land, indem «S den Fürsten Milan zum Friedensschluß mit der Pforte drängte. Dieser Akt sichert die Fortdauer guter Beziehungen zwischen Rußland und Oesterreich und wir meinen daher, derselbe sei mehr als ein Zeichen dafür aufzufassen, daß Rußland nicht die Abrüstung, sondern den Krieg mit der Türkei will und denselben unausgesetzt, diplo matisch und militärisch, vorbereitet. Die zweitwichtigste europäische Macht, mit der Rußland bei seinen Plänen im Orient zu rechnen hat, ist England. Allein materiell fällt diese Rechnung lange nicht so schwer in die Wagschaale, al- man gewöhnlich anzunehmen pflegt. Alle bisherigen Rüstungen Englands, die Absendung von schweren Geschützen nach Malta und ähnliche Vorbereitungen, treten so bescheiden auf, daß es damit seine militärischen Positionen im Orient kaum für die Defensive kriegSgemäß sicher stellen kann. ES mag ja sein, daß man die Türken noch heute heimlich mit Diesem und Jenem, was ihnen fehlt, von London aus unterstützt, aber das sind aller doch nur kleine Dinge, die bei der schwerwiegenden Krisis zwischen Rußland und der Türket keine Hauptrolle spielen. Und wenn selbst die Russen erst im Mai oder Juni die Feind' seligkeiten eröffnen sollten, so ist e» für England schon, jetzt zu spät, um bei den ersten Entscheidungen irgendwie ausschlaggebend eingretfen zu können. Wir sind überzeugt, daß Lord Beaconsfield sich über die Friedensliebe eines Theile» des englischen Volkes hinwegsetzen und einen Ver such mit Entfaltung der englischen Kriegsmacht zu Gunsten der Türkei wagen würde — wenn England überhaupt die militärische Macht dazu besäße. Aber sie ist eben nicht da. Wenn auch die englischen Milizen jetzt stärker und bester als früher sein sollen, so find sie doch noch keine Soldaten d. h. kein geeignetes Material für eine Opera tions-Armee. Die stärkste Flotte her Welt bleibt immer nur eine Beherrscherin der Meere, aber keine Beherrscherin der Länder. Sie kann wohl die Küsten der Länder ver wüsten, aber sie bleibt impotent in allem Uebrigen, wenn nebenbei nicht eine entsprechende Landarmee zur Stelle ist. Würde nun die türkische Armee den Engländern als ein Material erscheinen, das in Verbindung mit der englischen Flottenmacht ein Uebergewicht über die russisch» Streitmacht sichere, dann würden auch die Engländer jetzt mobilifiren. Die reichen Herren des JnselreicheS erkennen aber sehr wohl ihre Schwäche und werden sich deshalb hüten, mit den 100,000 Mann ihres LandheereS das sehr zweifelhaft« Spiel eine- Kampfes mit Rußland zu wagen. Wäre es England nicht 1854 gelungen, den Ehrgeiz Napoleon HI zu fesseln und ihn so lange festzuhalten, bis der Franzose des Kriegsruhms endlich genug hatte und sich jener Feste! entwand — so hätten wir nimmermehr einen Krimfeldzug in der Geschichte dieses Jahrhundert- zu verzeichnen. Dies sind die Gründe, we-halb wir den angeblichen russischen AbrüstungSgedanken keinen Glauben beimeffen können. Vie Agitationen der Sozialdemokraten, n. Daß die Unterhaltung dieser Agitationen ziemlich be deutende Opfer an Geld erfordert, leuchtet von selbst ein. Schon 1873 war ja in Hamburg beschlossen worden, drei ständige Agitatoren mit je 500 Lhlr. JahreSgehall anzu stellen, und Hasenclever, der frühere Präsident de- allge meinen deutschen Arbeiterverein- hat nach seiner eigenen Angabe in e nem Jahre gegen 1700 Thlr. au- der Ver einSkasse bezogen, wovon 1200 Thlr. an verschiedene Agita toren vertheilt worden. Ja einer Mittheilung de- „Neuen Sozialdemokraten" vom Jahre 1875 zufolge haben die deutschen Arbeiter im Jahre 1874 im sozialistischen Inte rest« (— di» Strikt- und Arbeitsausschüsse noch nicht einmal gerechnet —) nicht weniger al- 255,000 Mark aufgebracht, und wie der uns hier bekannte Geib vor Jahresfrist bei einer Landesversammlung der sächsischen Sozialdemokraten mitgetheilt, zahlt der Parteivorstand an jedem Ersten eine- Monat- 1800 Mark zu Agitations zwecken aus, während er mehr al- die gleiche Summe noch in gleicher Absicht im Laufe des Monat« vertheilt. Den Mittheilungen des „Wählers" entnehmen wir nachstehende Notizen, welche uns in die Organisation tiefer blicken lasten. Darnach hat die Partei 145 selbständige Redner, welche Vorträge halten können. Sie verlheilen sich in nach folgender Weise: Hamburg 22, Berlin 2l, Rheinland-West phalen 12, Bremen-Hannover-Braunschweig 12, Thürin gen 7, Gchlefien-Preußen-Pommern 7, Schleswig-Holstein 5, Baiern 10, Provinz Sachsen 9, Württemberg u. Vaden 6, Maingau 8, Sachsen — 26. Von diesen Rednern werden 8 vollständig besoldet, 37 find mit vollem Gehalt an den Parteiorganen al- Redakteure und Expedienten angesteflt, 6 werden von einzelnen Arbeitsbranchen voll besoldet, 8 vosi einzelnen Orten, 14 erhalten regelmäßige Zuschüsse, zu sammen 68 Von den übrigen erhalten 6 gelegentlich Zuschüfle, und 20 werden ziemlich regelmäßig unter Berllik- fichtigung der jeweiligen Umstände zu einzelnen Agitation»» touren berufen, wa- auch von jenen Agitatoren gilt, welche regelmäßige Zuschüsse beziehen. Fügen wir dem hier Gesagten noch hinzu, daß sich die Einnahme der Partei binnen 1 Jahre und 2 Monaten auf 53,974 Mark beziffert hat, wovon die obgenannten 68 sogenannte Beamtete und Agitatoren besoldet werden, während mit denselben noch 77 unbesoldete Redner Hand in Hand gehen. In der That eine Organisation, welche denen Allen, welche der sozialistischen Sache bisher mit verschränkten Armen gegenübergestanden, vielleicht sie im Stillen belacht oder vornehm bemitleidet haben, die Augen zur Genüge öffnen könnte oder müßte! Wie aber, wenn wir erst jener Agitation gedenken, die ganz in der Stille arbeitet und doch da» Meiste erreicht, da» Größte vollbringt, jener Agitation, die stumm die böse Saat au»ftreut uiid doch der sichern Erndte am ruhigsten entgegenfieht, einer Erndte, von der wiederum so viele lange kaum ein« Ahn ung gehabt zu haben scheinen, — wir meinen die sozial demokratische Press«. Im Dienste der sozialistischen Sache erscheinen nicht weniger al- 91 Blätter periodisch, eine Zahl, di«, wenn auch diese Zeitschriften über die ganze Welt sich vertHellen, doch an sich schon gewiß genug zu denken giebt. Und von diesen 9l Blättern kommen auf Deutschland 45, be- ziehendlich wenn man die in deutscher Sprache erscheinenden alle rechnet, 55. (In den letzten paar Jahren hatte sich die Zahl nahezu verdoppelt.) Also im deutschen Lande und unter dem deutschen Volke ist der Hauptheerd der ganzen ozialistischen Bewegung, — und da» ist doch gerade da» Volk, da- «ine geschichtliche Kulturmtsfimi unverkennbar und unleugbar von der Vorsehung zugewiesen erhalten hat, da- Volk, da- vor Allem die Aufgabe zu erfüllen hat, die höchsten idealen Güter der Menschheit, Recht und Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit zu hüten und zu schätzen, die Aufgabe, um mit den Worten der verewigten Königin Sidonie zu reden, den Glauben an eine sittliche Welt ordnung, den Glauben an das Gehetmniß einer in den Völkerschtcksalen waltenden göttlichen Gerechtigkeit, den Glauben an die Wahrheit und Kraft de- Evangelium- zu wahren und zu verbreiten. Daß darum auch auf deutsch«« Boden da- Geschick de- Sozialismus entschieden werden muß und wird, bedarf wohl kaum noch einer weiteren Dar legung. Anfänglich haben als die beiden offiziellen Haupt organe der sozialistischen Bewegung der „Neue Sozial demokrat" (von Hasselmann seiner Zeit nicht ohne Geschick redigtrt) unv der „VolkSstaat" gegolten, der erstere das Hauptorgan ter Lassalleaner, der »weite das der Eisenacher Linie. Seit dem I. Oktober 1876 aber gilt nunmehr al» dar einzige offizielle Blatt der gesammten Arbeiterpartei das von Liebknecht uno Hasenclever redigirte Blatt „vor wärts", welche« schon bei der Ausgabe der zweiten Nummer nicht weniger als 11.500 Abonnenten zu verzeichnen hatte. Wir haben im „vorwärts" nichts weiter als eine Fort setzung des früheren „VolkSstaat", und schon der letzte Kongreß in Gotha hat gqeigt, daß die revolutionärste Partei in Deutschland die Majorität und da» Uebergewicht erlangt hat. An die Stelle der früher gratt» vertheilten, aber zu viel Kosten verursachenden „Wahlflugblätter" ist di« von Hasselmann redigirte „rothe Fahne" getreten. Einen besondere: Werth hat man von Anfang an auf die Lokalpresse gelegt. In Berlin und Breslau, in Bremen und Hamburg, in München und Augsburg, in Stuttgart und Frankfurt, in Nürnberg und Duisburg, in Offenbach und Hanau, in Braunschweig und Elberfeld, in Apolda und Dottmund, in Dresden und Chemnitz, in Glauchau und Crimmitschau erscheiuen Wochenblätter, die die sozialistische Sache fördern und verbreiten sollen. Als Unterhaltungs- >latt dient „Die neue Welt" (eine in Leipzig erscheinende Wochenschrift); als sozialistische Witzblätter haben wir den „Eulenspiegel" (in Mainz), die „Leuchtkugeln" (in Braun schweig), die „Raketen".(in Chkmn'tz redigitt) zu verzeichnen GM- Ketttllet,» i» »er veil«,e.