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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.11.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001107017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900110701
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900110701
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-11
- Tag 1900-11-07
-
Monat
1900-11
-
Jahr
1900
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567. Bezugs-Preis kn der Hauptexpeditlon oder den im Etadt- bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen 'bgeholt: vierteljährlich.^! 4.5«-, bet zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS .St 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: viertrljährl. .St (>. Man abonnirt ferner mit entsprechenden! Postaufschlag bei den Postanstalten in der Schweiz Italien, Belgien, Holland, Luxem dura, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egnpten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expevilion dieses Blatte- möglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,« Uhr, die Abrnd-Ausgave Wochentag- nm 5 Uyr. Ne-attion rmd Erve-Morr: Ivbanni-gasie 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. v. Klemm'- Tortim. UmvrrsitÜtSstraße 8 (Paulinom), Louis Lösche, Katharinen str. 14, Part, und Königsplatz 7. Morgen-Ausgabe. WpMcr TagMtt Anzeiger. Amtsblatt des Äöniglichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes nn- M-lizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Mittwoch den 7. November 1900. Anzeigen-Preis die ssgcspaltcnc Pctitzcile 25 H. Rcclinncu unter veui Redaclionsstrich (4gc>'vnlteiu 75 b,, vor den FaniiliennalM richten «i gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertennniiahnle 25 ftrcl. Porto). 8rtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung .« VO.—, mit Postbeförderung 70.—. !Annahmtschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je otar halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpedilion zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr- Truck und Verlag von E. P olz in Leipzig. 91. Jahrgang. Die neueste „Affäre". L2 Berlin, 6. November. Dem moralischen Entsetzen, da- wegen der dort ohne Zweifel gerichtlich beschworenen, unverkennbar falschen An gaben von Könitz auSgebt, gesellt sich seit verwichenem Freitag ungeheuchelter Schauder vor ähnlichen Erscheinungen, wie sie sich vor einem Berliner Gericht abspielen. Nur daß die Dinge hier noch schlimmer liegen. Die Konitzer Falsch eide können vielleicht alle pathologisch erklärt, auf Suggestion zurückgesührt werden, in Berlin muß man wissentlich Unwahres ausgesagt, müssen Lügen vorgebracht worden sein. In Berlin ist zudem der dringende Verbackt amtlicher Korruption oder bedenklichster amtlicher Nebergriffe geweckt worden und bösartige Fälle müssen leider bereits als erwiesen angesehen werden. Dennoch gehen wir nur mit starkem mneren Widerstreben an die Erörterung dieser neuesten Affäre. Denn diejenigen Anschuldigungen, die, wenn wahr, die Zustände einer Behörde, der Berliner Eriminalpolizei, al« verderbte darthun würden, sind noch nicht erwiesen. Festaestellt ist bisher nur, nnd zwar durch Geständniß, dag der Criminalschutzmann Stier städter bei amtlichen Ermittelungen in unerlaubten Verkehr Mitzwei Frauen getreten ist, ferner daß der Polizeidirector v. Meerscheidt-Hüllesscm mit einem übel beleumundeten Manne freundschastlichen Verkehr unterhalten und von ihm Darlehen genommen habe. Der Mann ist August Sternberg, der Angeklagte in dem Proceß, der ein so großes öffentliches Interesse gewinnen sollte. Beides ist arg, beides aber noch kein Beweis allgemeinerer Corrnption. lleberdies erscheint nach den bishervorliegenden Berichten die Behauptung, der Polizeidirector habe von Sternberg zu einer Zeit Geld entliehen, al» gegen diesen schon polizeiliche Untersuchung wegen Vergehen gegen die Sittlichkeit schwebten, ja er habe eine Schuld erst zurückgezablt, als Sternberg schon in Hast saß, noch nicht vollständig erwiesen. Ebensowenig geht aus den Berichten mit voller Bestimmtheit hervor, daß der Schutz mann Stierstädter gestanden habe, in den erwähnten uner laubten Verkehr zu dem Zwecke getreten zu sein, um bei dienstlichen Ermittelungen Erfolg zu haben. Die Berichte sind überhaupt nickt durchweg zuverlässig, können eS nicht sein, und dies ist ein weiterer Grund zur Zurückhaltung sowohl im Reseriren als namentlick im Ur '.heilen. Da aber, wie telegraphisch gemeldet, bereits der Minister des Innern und sogar der Reickskanzler und Ministerpräsident Gras Bülow der Angelegenheit nn amt lichen Interesse näher getreten sind, so verbietet sich der Presse, die öffentlich interessirendc Vorgänge zu verfolgen hat, weiteres vollständiges Abwarten. lieber den Proceß Sternberg haben viele Blätter gleich dem „Leipz. Tagebl." zunäckst nicht ausführlich berichtet, weil ihm Anschuldigungen zu Grunde liegen, die das nicht sen sationslüsterne Publicum nicht interessiren und zudem wider wärtig sind. Es genügt auch heute, nachzuholen resp. in Erinnerung zu bringen, daß Sternberg in einem früheren Verfahren von der Anklage unsittlicher Handlungen in inebreren Fällen freiqesprochen, in einen« Falle aber ver- urtheilt worden ist. DaS vernrtheilende Erkenntniß hat das ReichSgerickt aufgehoben, die Sacke wurde an das Berliner Landgericht I. zurückgewiesen und die dadurck noth- wendig gewordene erneute Verhandlung ist es eben, die sich so erregend gestaltet bat. Die Verurtheilunz war erfolgt auf Gruno der Aussagen eine- halbwüchsigen Mädchens, NamenS Woyda, das über an ihm selbst von Sternberg verübte strafbare Handlungen mit aller Bestimmtheit be lastend ausgesagt batte. In der jetzigen Verhandlung — und damit beginnt das öffentliche Interesse — erklärt die Woyda mit der gleichen Bestimmtheit und mit einer allen Vorstellungen des Präsidenten trotzenden Festigkeit, sie habe zuerst die Un wahrheit gesagt, der Eriminalichntzmann Stierstädter habe Alles in sie hineinverhört und hineinzedroht, sie habe sich vor dem Manne gefürchtet, aber alle in den früheren Ver handlungen von ihr gemachten Angaben seien völlig er logen gewesen. Stierstädter bestreitet daS nicht nur auf das Entschiedenste» sondern er kehrt — er ist offen bar ein Mann von Gewandtheit, ja Raffinement — den Spieß sofort nm, indem er der anS den nunmehrigen Aussagen der Zeugin Woyda hervorgebenden, gegen ihn gerichteten Beschul digung sträflicher Einwirkung die gegen andere, auch höhere Beamte sich kehrende Anklage der unerlaubten Einwirkung zu Gunsten Sternbergs entgegensetzt. Er sagt es nicht gerade heraus, aber er deutet an, daß die Zurück nahme der Aussagen der Woyda auf Bemühung de» Criminalcommisfarö Thiel zurückzusühren seien, ganz un verblümt aber bezichtigt er diesen seinen Vorgesetzten, sowie den Polizeidirector v. Meerscheidt-Hüllessem, sonstiger pflicht widriger, im Interesse des Sternberg gemachter Verdunklung»- versuche. Sternberg » Vermögen wird auf über ein Dutzend Millionen geschätzt und Stierstadter wirft mit großen Summen, die zu verdienen gewesen, von denen durch Tbiel gerade ihm ein Löweaanthril mehr oder weniger deutlich geboten worden sei. nur so um sich. Er beschuldigt noch andere seiner Vorgesetzten, sowie College» und den Vertheidiger Sello, von dem er gesagt haben soll, e» werde dem Iustizrath nicht» übrig bleiben, al» sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen. Andere — Beamte — würden wenigsten» ^vnrzeln". Stierstadter versichert, man habe nickt nur Tbiel, auch Andere hätten den von ibm in der Sternberg- Sache bewiesenen ErmittelungSeifer durch sträfliche Andeutungen wie die, er solle .vernünftig" sein, .an seine Familie denken", zu zügeln versucht. Er hat weiter behauptet, Sternberg habe die Berufung de» Staat»anwalt« Romen, der in dem ersten Proceß die Anklage wider ihn ver treten, in da- Kriegsministerium betrieben und durch gesetzt. Au- den Berichten gebt aber nicht hervor, ob Stierstädter glauben machen will, Sternberg habe au» „Erkenntlichkeit" gegen Romen dessen Beförderung berbei- geführt, oder ob man annehmen soll, der Beschuldigte habe au» Furcht vor seinem früheren Ankläger dessen Versetzung betrieben. Was diesen Punct betrifftso liegt ohne Zweifel ein Schwindel vor. Auch lrriminalcommifsar Tbiel bestreitet Alles und behauptet im strikten Gegen sätze zu Stierstädter'S Aussage, dieser sei ihm gegenüber immer wieder auf die Sacke Sternberg zurückgekommen. Die Aussage der beiden Beamten standen sich bei der Eon- frontation unvereinbar gegenüber, „einer muß lügen", sagt nian sich in Berlin und hierin irrt man nicht. Auf Stierstädter siel ein weiterer ungünstiger Lichtstrahl durch die Angabe Thiel'S, der Schutzmann habe sich bei Gelegenheit einer Bierspende, die der Commissar aus Anlaß seines Ge burtstages den Schutzleuten seines Decernat» gab, viehisch betrunken; an dem Eriminalcommissar Thiel fällt un angenehm auf, daß er am Tage nach diesem Zusammen- trinkcn den Untergebenen nickt nur in dessen Woh nung besuchte, sondern ihn hierauf auch zu weiterem Biergennß bei Tucker mitnahm. Auch bei dieser Gelegenheit, so behauptet Thiel, sei Stierstädter immer wieder mit der Strrnberg'schen Untersuchung „gekommen", und Stierstädter bleibt dabei, Thiel habe sowohl bei Tucker al» Tags vorher Bemerkungen gemacht, die auf Bestechungs versuche hinausliefen. von Meerscbeidt - Hüllesem war beim Schluß der vorliegenden letzten Berichte noch nickt vernommen. Sternberg bat aber bereits ein geräumt, daß der Polizeidirectör in seinem Hanse verkehrt und Darlehen, darunter eine Hypothek, von ihm ent nommen habe. Die Hypothek soll, wie erwähnt, erst nach der Verhaftung Sternberg's gelöscht worden sein. Ein Blatt bemerkt dazu, gelöscht bedeute nicht immer zurückbezablk. Jedenfalls ist hier bereit» Schlimme» erwiesen. Die „Post" meint, man sollte annehmen, daß Sternberg schon längst bei der Polizei in schlechtem Rufe gestanden haben müsse, und das ist naiv. Sternberg stand nickt nur bei der Polizei, sondern ganz allgemein seit vielen Jahren im allcrschlechtesten Ruse. Er ist u. A. der Mann der Weimarischen Bank und des Oelheim- Schwindels, und daS hat Herr v. Meerscheidt natürlich gewußt. Weitere- bedarf der Aufklärung. Ob sie erlangt wird oder ob die Affäre Stierstädter-Thiel verkonitzt, wer kann e» wissen? Die Vorgesetzten werden wie die Gerichte natürlich Alles thun, waS sie im Interesse der Auf hellung und Reinigung zu thun vermögen. Die etwas früh zeitige halbamtliche Ankündigung von Maßregeln, deren Noth- wendigkeit sich später von selbst ergiebt, und die halbamtliche Fest stellung deS vom Reichskanzler bekundeten Interesses können aber kein sonderliches Gefallen erregen. DaS Eine wie da- Andere deutet ans eine nervöse Hast hin, die in den letzten acht Jahren gerade auch in politisch und social wichtigen Eriminalsachen auf falsche Wege getrieben hat. Wir erinnern nur an des Frhrn. v. Marschall Flucht in die Ocffentlichkeit und an die Verhaftung de» Herrn v. Kotze. Die Wirren in China. Die russische Antwort. Der „Russische Invalide" berichtet, wie nnS aus Peters burg telegrapbirt wird: Rußland bat hinsichtlich des deutsch- engliscken Abkommens unter dem 28. October folgende Ant wort ertheilt: Das zwischen Deutschland und England geschloffene Abtommen ändert nickt vom russischen Stand punkte in wesentlicher Weise die Lage der Dinge in China, Der erste Punct des Abkommen», der bestimmt, daß sich die an den Flüssen und Meeresküsten befindenden Häfen überall wo die beiden genannten Regierungen Einfluß ausüben, frei nnd offen für den Handel bleiben, kann von Rußland sym- pathisch angenommen werden, indem diese Bestimmung in keiner Weise den durch die gegenwärtigen Verträge bestehenden statu-, qnc> ändert. Der zweite Punct entspricht um so mehr den Absichten Rußlands, da bei rem Entstehen der gegenwärtigen Verwickelungen Rußland zuerst die Aufrechtbaltung und Integrität des himmlischen ReickeS als Grundprincip seiner Politik in China proclamirt bat. WaS den dritten Punct betrifft, der die Möglichkeit der Ver letzung diese« Grundprincip» vorauSsiebt, so kann die russische Regierung, indem sie sich auf ihr Circular vom 25. August beruft, nur ihre Erklärung erneuern, daß eine derartige Ver letzung Rußland zwingen werde, die von ibm eingenommene Haltung je nach Umständen zu verändern. Der vierte Punct erfordert keine Commentare. Mandschurei. Die „Nowoje Wremja" berichtet au» Wladiwostok unter dem 3l. Oktober: Der Generalgouverneur Grodekow befindet sich noch in der Mandschurei. In Charbin, Wladi wostok und Nikolsk sind mehr al» zehn Ho-pital- und Apotbeken- Baracken für die kranken und verwundeten Soldaten eröffnet worden. Die Fieber- und Typbu-erkrankungen unter den Truppen in der Mandschurei nehmen ab. Kriedenatzerbandlnn-en Zu einer Mittheilung, daß in wenigen Tagen den chinesischen Unterhändlern die Note übergeben werden würde, die die von den Machten an China zu stellenden Beding ungen enthält, bemerkt die „Nationalztg.": „Ganz so weit ist die Angelegenheit nach unseren Informationen noch nicht. Allerdings finden täglich Eoaserenzen zwischen den Gesandten statt, «m di« Basi» zu gewinnen, auf welcher die Vertreter der Mächte völlig gemeinsam vergeben können. Zu diesem Zwecke ist Wohl auch, wie wir schon früber gemeldet, ein reger trlegrapbischer Verkebr zwischen Peking und den Regierung,u im Gange, aber die vollständige Uebereinstimmung ist noch nicht erzielt, die notbwendig sein würde, um Li-Hung-Tfchang jede Möglichkeit der Hoffnung zu nehmen, daß er schließlich dock noch durch Sonververbandlungen mit dieser oder jener Macht irgend welche Erfolge erreichen könnte. Erst dann, wenn diese Uebereinstimmung vorliegt, treten die Vertreter der Mächte in Peking mit den chinesischen FriedenSuaterdäntlern in Verhandlungen ein. Ob die Note der Machte an China eine gemeinsame sein, oder von jeder der acht Mächte in identischer Form besonders überreicht wird, ist noch nicht entschieden." Dein „Ostasiat. Lloyd" find mit Bezug aus die tSrnwrSunz von ketteler S folgende Mittheilungen zugeganzen: Wie wir aus zuver lässiger Quelle erfahre», war Freiherr von Ketteler in der letzten Zeit keineswegs mehr per-wau A'rtta bei den Ministern deS Tsung li Hamen». Auffallender Weise war daran nicht am wenigsten der Umstand schuld, daß von Ketteler chinesisch sprach. Bei den Conferenzen auf dem Tsung li Hamen soll es nicht selten vorgekommen sein, daß der Gesandte seinem Dolmetscher, der mit den üblichen Höstich- keitsphrase» daß Gespräch cinleitete, nm erst allmählich aus das eigentliche Thema zu kommen, plötzlich inS Wort siel und nun selbst mit weniger zierlichen, aber nm so unzwei deutigeren Phrasen gleich „in mvckirw re?" ging. DaS konnten die Chinesen nickt vertragen, sie fühlten sich durch diese Art der Behandlung gekränkt und fingen an, Herrn von Ketteler leidenschaftlich zu Haffen. Ein (von nnS schon erwähnter) Vorfall ans der allerletzten Zeit schlug dann dem Faß den Boden auS. Freiherr von Ketteler hatte wenige Tage vor seinem Tode eigenhändig einen Boxer in der Legationsstraße zum Gefangenen gemacht nnd nach der deutschen Gesandtschaft gebracht. Er theilte dieö dem Tsung li Hamen mit und forderte, daß sofort einige Mit glieder deS Tinng li Hamen» ans der Gesandtschaft den Boxer zur Execution abholen sollten, andernfalls er selber den Gefangenen erschießen würde. Thatsächlich kamen auch einige höhere Beamte auf die Gesandtschaft, darunter angeblich auch der Frcmdenhasser Hsn-t'nng. Bei dieser Gelegenheit soll der Gesandte Hsü t'unz offen in» Gesicht gesagt haben, daß er nnd Prinz Tnan dieHäupter der Boxer seien. Hsü-t'ung und die Anderen brachen in schallende« Gelächter an« und empfahlen sich. Zwei oder drei Tage später war von Ketteler erschossen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, um hier Ursache nnd Wirkung zu combiniren. Jedenfalls kann jetzt, nachdem dieser Vorfall bekannt geworden ist, kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß die Ermordung unseres Gesandten von der regierenden Partei befohlen war. Sie war der wohlvorbereilete feige Racheact der sich durchschaut fühlenden Häupter der fremden feindlichen Bewegung. Auf die Art ist auch daß um zwei Tage verfrühte Telegramm über die Ermordung v. Ketteler'» erklärlich. Freifrau vou Ketteler, die Wittwe des Ermordeten, ist am 22. October in Detroit im Hause ihres Vater», de» Eisenbahnpräsiventen Letyard, eingetroffen. Sie war noch zu leidend, um sich von den Reportern, die sich auf jeder Haltestatiou an sic heranzudrängen suchten, sprechen zu lasten. Ihr Bruder, der sie in Hokobama abgeholt batte, theilte der Presse mit, daß seine Schwester auch ihm bisher nur wenig mitzntheiken im Stande gewesen sei. Sie hat nur wieder holt die Ueberzeugung geäußert, daß ihr Gatte einen Heldentod gestorben fei. Ihrer Mittheilung zufolge hatte Herr von Ketteler einige Tage vor seiner Ermordung die anderen Gesandten vor verrälherischen Plänen der chinesischen Negierung gewarnt. Als dann die chinesische Regierung den Gesandten und ihren Familien anbot, sie unter militärischem Schutz nach Tientsin ziehen zu lassen, schöpfte man Verdacht. Die Gesandten lehnten daS^Anerbieten ab. Herr v. Ketteler begab sich am nächsten Tage nach dem Tsung li Hamen mit der allen Gesandten angekündigten Absicht, die chinesische Regierung auf die Probe zu stellen. Er sagte, daß sein Gang ihm wahrscheinlich den Tod cinbringen würde, doch auS dem Erfolge oder Mißerfolge seiner frei willig übernommenen Mission würden die Gesandten ersehen können, ob die chinesische Negierung Verratb im Schilde führe oder nicht. Er bestieg die Sänfte, um sich nach dem Tsung li Hamen tragen zu lassen. Doch schon nach wenigen Schritten trat cin chinesischer Soldat von hinten heran nnd erschoß ibn. Der Krieg in Südafrika. Eine neue Erhebung der Vverc» ist im Werke, daran ist kaum mehr zu zweifeln. Ueberall tauchen kleinere oder größere Commando» auf, wohlbewaffnet und verproviantirt, besetzen von den Engländern verlassene oder nur schwach geschützte Orte, souragiren nach Herzenslust, üben an den Gefangenen Justiz und begrüßen die von den Siegern hier und dort aufgestapelte wertbvolle Munition als gute Beute. Da der Brand an vielen Stellen zugleich ans- lodert, ist e» den Engländern nicht möglich, immer gleich bei der Hand zu sein, sie werden hierhin und dorthin comman- dirt, kommen vor lauter Hetzjagden nicht zu Atbem und zersplittern in der bedenklichsten Weise ihre Streitkräfte. Am meisten Sorg« muß eS aber Lord Robert» und seinen Londoner Auftraggebern macken, daß sogar in der Cap colon ie, zunächst in der Gegend östlich der Bahnlinie De Aar-Oranjeriver-Station Aufständische sich zeigen und es nöthig macken, daß der englische Höchstcommandirenbe auch dorthin wieder stärkere Trnppendetachement» entsendet. Un» wird hierüber berichtet: * Lonban, 6. November. (Telegramms „Reuter; Bureau" berichtet auS Maser« unter dem 31. Oktober: Die Zahl der an der Grenze de» Basutolande» sich sammelnden Boeren wächst. Ein Commando von 1400 Mann steht dicht bei Ladybroad. Die Stadt und der Distrikt FickSburg sind in den Händen deS Feindes. Die Doerrn, die FickSburq besetzt hatten, standen unter Hermanns Stayn, der Gouvrrnevr der Stadt war Rodenbach. Bei der Be. setznng der Magazine wurde FickSburg ganz ausgeplündert auch in Privathäusern wurden Plünderungen vorgenommen. Tie englische Fahne wurde heruntergeholt und in Stücke zerrissen, dir die Boeren an dir Schweife der Pferde banden. Mehrere Ein geborene wurden erschossen, und andere auf offener Straße brutal geprügelt. Ein angesehener Kaufmann ward« verhaftet und in da» Boerenlager tran-portirt, um dort vor rin Kriegsgericht gestellt zu werden. Ferner wurde ein Postbeamter gefangen gesetzt. Bon den Engländern in FickSburg zurückgelassene Muni tion wurde von den Boeren entdeckt. — Dasselbe Bureau ke richtet aas Cradock unter dem 4. November, man glaube, datz ein Boerencommando bei Petersville südlich des Oranjeslrisses stehe. Ein Soldat des Walisischen Regiments wurde am ver gangenen Mittwoch erschossen, als er bei Philipktown, wohin eine englische Garnison gelegt ist, aus einem Patrouillenganq« begriffen war. Präsident Krüger AuS Dschibuti, il. November, meldet die „Agence HavaS": DaS Kriegsschiff „Gelderland" ist Nut dem Präsidenten Krüger an Bord gestern hier eingetroffttt und wird drei Tage hier verweilen. Zn Port Said soll „Gelter land" die erforderlichen Anweisungen über die Landung in Europa erhalten. Präsident Krüger, dessen Gesundheit» zustand sehr gut ist, äußerte, als er von den jüngsten Siegen der Boeren hörte, seine lebhafte Freude. k)r. Hey inaiins erklärt, Präsident Krüger komme nur in Urlaub nach Europa. Aus Paris wird der „Voss. Ztz." berichtet: Die Nationalisten gruppe der Kammer hat den Beschluß gefaßt, cen Präsidenten Krüger bei dessen Landung in Marseille festlich zu empfangen. Einen gleichen Beschluß faßte auf Gallis' Antrag der Pariser Stadtrath, der sich jedoch auf Vorschlag des Socialisten LabnSguiere herbei ließ, die Erklärung hinzuzufügen, daß die Kundgebung sich nicht gegen daS englische Volk richte, daS man für die Politik seiner Regierung nicht verantworiich halten könne. Der Stadtrath will Krüger bei der Ankunft in Paris am Bahnhof feierlich begrüßen und ins Stadthaus geleiten, wo ihm ein Ehrenlrunk gereicht werden soll. Lor» Roberts AuS London, I. November, wird uns geschrieben: Es scheint nun doch festzustehen, daß Feldmarschall Loro Roberts allen Ernstes an die Heimreise denkt, und nach ven letzte.. Berichten aus Pretoria soll er sich am 20. d. M. in Durban nach England mit Frau und Töchtern einschiffen. Der alt- Soldat hat vorher noch einen schweren Gang gethan, indem ec in Begleitung seiner jüngsten Tochter lseine Frau mußte bei dec älteren Tochter, sie an oec Dysenterie erkrankt ist, in Pretoria bleiben)vaS Grab seines einzigen Sohnes bei Chiooley in Natal besuchte. Leutnant Roberts von Ser Schützen-Brigade fiel bekanntlich bei dem tapferen Versuch., einige der bei Eolenso von ven Engländern !m Stiche gelassene!! Geschütze in Sicherheit zu dringen, wofür ihm von Ver Königin noch nach seinem Tove das Victoria Kreuz zugesprochcn wurde, daS ver alte Feldmarschall jetzt neben seinem eigenen, welches er sich vor langen Jahren in Indien erwarb, trägt. — Es muffen bittere und trübselige Gedanken gewesen sein, die dem britischen Obergeneral am Grabe seines Stolzes und seiner Hoffnungen die Seele bewegt haben. Er hatte nur den einen Sohn zu ver lieren, und kann also den Tausenden und Abertausenden nach fühlen, die auf beiden Seiten um die Opfer dieses fluchwürdigen Krieges trauern. Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist es gegenwärtig bei den Engländern mehr oenn je nur ein sehr kleines Schriitchen, uns die Roberts'scheu P r o c l a in a t i o n e n Haden in Süo afrika und in der übrigen Welt bereits häufig genug Kops schütteln, Abscheu und selbst Heiterkeit erzeugt. Einfach der bluffend für kontinentale Begrifft ist aber erst die allerneueste Kundgebung des Felomarschalls, welche sich dieses Mal nich: etwa an die ungezogenen Boeren richtet, s-ndern an — die lieben Landsleute daheim. Roberts wendet sich in einem offenen Briefe, ver der gesammten britischen Presse zu gegangen ist, an das englische Volk, und zwar tu einer Weise und in einer Sache, die besonders an der Hand der am letzten Montag bei Gelegenheit des „Siegeseinzuges" der City-Frei willigen in London gemachten Erfahrungen von Interesse sind und zugleich sehr humoristisch wirken, weil der ganze Inhalt merkwürdige Streiflichter aus den englischen Charakter wirst. Der Feldmarschall schreibt von seinem Hauptquartier in Pretoria an die englische Presse wie folgt: „Erlauben Sic mir, durch Ihr werthes Blatt einen Appell an meine Landsleute zu richten und mich über einen Gegenstand auszusprechen, der mir sehr ani Herzen liegt und mich seit längerer Zeit beschäftigt hat. Alle Bevölkerungsclaflcn Englands haben ein so hohes Interesse für die Armee bewiesen während dieses Krieges, daß es leicht ver ständlich ist, wie sie der Rückkehr unserer braven Soldaten und Matrosen mit Freuden entgegensetzen, um diesen einen würdigen Empfang zu bereiten. Der Charakter dieses Willkommens und sein eventueller Einfluß auf die Reputation unserer Truppen sind cs, um die ich besorgt bin, und über die ich mich äußern möchte. Ich hofft zuoerläßlich, daß der Willkommen nicht die Form des „Tractirens" der Mannschaften mit berauschenden Getränken in Wirths - häusernu. s. w. annehmen, uns dadurch vielleicht veranlassen wird, daß die Soldaten in Exccsse gerathcn, die dann wieder Vie „8vlckier?i vk tlio tzueon' in den Augen der Welt (!) dcgradir.-n müssen, jener Welt, oft mit uuoerhehlter Bewunderung die großartige Arbeit verfolgt haben, welche unsere Soloaten suc ihre Königin und ihr Vaterland vollfiihrt haben." — (Das ist starker Tabak, Herr Feldmarschall.) — „In ihrer großen Herzensgute (!), in ihrer bescheidenen Höflichkeit und Dankbar keit werden die Mannschaften es sckyvierig finden, die Annahm dessen zu verweigern, was ihnen durch ihre zu großmiithigen Freunde dargebolen werden wird. Deshalb Vitt« ich dos eng lischt Publicum ernsthaft, meine tapferen Kameraden nicht in Versuchung zu führen, sondern ihnen liebe dabei behilflich zu sein, daß sie die glänzende Reputation doch halten, die sie der kaiserlichen Armee gewonnen haben. Ich Lin sehr stolz, constatiren zu können, und zwar mit absoluter Sicherheit, daß das Betragen meiner Armee vom Be ginn des Feldzuges au bis heute ein exemplarische» gewesen ist (!). Nicht ein einziges ernstliches Verbrechen ist zu meiner Kenntniß gebracht worden", (wie vorsichtig sich RndertS hier ausdrückt), „und eS lag keine Nothwendigkeit vor. die Leute zu ermahnen, daß sic sich ordentlich betrügen." (Kitcheuer erveß i n Auftrage des Lord Roberts sofort Lei Ucbernahm« de» Ober befehls einen warncndrn Armeebefehl, in welchem das Plündern u. s. w. aufs Schärfste oerurtheilt wurde.) — „Ich habe meine«
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