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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.09.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-09-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000904019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900090401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900090401
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1900
-
Monat
1900-09
- Tag 1900-09-04
-
Monat
1900-09
-
Jahr
1900
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Wir sehen nur, daß die Absicht besteht, die Zwistigkeiten beizulegen und den Grund der Ver stimmung aus der Welt zu schaffen. Ob dieser Wunsch sich ver wirklichen läßt, muß natürlich abgewartet werden; in der Balkanpolitik spielen in der Regel so unbestimmte und schwer zu ergründende Momente mit, zu denen die Leidenschaften der Völker hinzutreten, daß die Herrscher und Regierungen der Slawen staaten mit ihren Plänen nur zu häufig vor der Macht der Ver hältnisse zurückstehen müssen. Der Ursprung der Verstimmung ist, wie bekannt, in den Um trieben des „makedonischen Comitös" zu suchen. Die Bewegung, die eine Umgestaltung Makedoniens erstrebt und vor den äußersten Mitteln nicht zurückschreckt, hat letzthin mit besonderer Energie und Schärfe gearbeitet. Bukarest ist der Schauplatz von Mord- thaten geworden, die nicht nur die Leiter de» Ausschusses be lasteten, sondern auch einen Zusammenhang mit bulgarischen Staatsmännern offenbarten. Wenigstens hat man beim Bul garen Kosakow, der an der Ermordung des rumänischen Pro fessors Michaileanu betheiligt war, einen Brief an den Minister Radoslawow vorgefunden, in welchem Mittheilungen über die Thätigkeit des makedonischen ComitLs in Rumänien enthalten waren. Außerdem ist es eine bekannte Thatsache, daß der Vor sitzende des Ausschusses beim Fürsten Ferdinand in Gnaden steht und sich des Schutzes desselben erfreut. Das Alles war der Buka rester Regierung kein Geheimniß und konnte auf die Dauer nicht unbeachtet bleiben. Der Notenwechsel, der wegen dieser Vorgänge zwischen beiden Cabineten Platz griff, ist bisher in keinem friedlichen Tone ge führt worden. Von Bukarest aus wurde mit Gegenmaßregeln gedroht, falls man in Sofia sich nicht dazu entschließen sollte, der verderblichen Agitation endlich einen Riegel vorzuschieben. Das Entgegenkommen der Bulgaren war bisher nur sehr ge ring. Anfangs schien es, als wollten sie überhaupt gar nichts thun; sie bequemten sich dann aber doch dazu, ihre Bereitwilligkeit zur Untersuchung der Beschwerden zu bekunden, falls sie das nöthige Material erhielten. Der Ton der Noten der Sofiaer Machthaber war so merkwürdig gehalten, daß die leitenden Kreise Bukarests an dem guten Willen der bulgarischen Re gierung ernstlich zweifelten. Obgleich nun der Schriftwechsel auf beiden Seiten an seiner Schärfe so gut wie nichts eingebüßt hat, wird gleichwohl in officiösen Artikeln andauernd ver sichert, der Höhepunkt der Spannung sei überschritten und die Beilegung des Streites im Grunde nur eine Frage der Zeit. Hoffentlich bewahrheitet sich diese Annahme, aber wir müssen immerhin die Möglichkeit ins Auge fassen, daß der Conflict zwischen Rumänien und Bulgarien schließlich in einem Zu sammenstoß ausartet und dann natürlich weite Kreise in Mit leidenschaft zieht. Schon die Meldung, daß die bulgarische Regierung die Donaufestungen Widdin, Sistowo und Mikopolis in Vertheidi- gungszustand setze, wirft auf die Lage ein bezeichnendes Licht. Die Thatsache selbst wurde von Bulgarien officiell nicht direkt in Abrede gestellt, nur suchte man die Verstärkung der Wachen an der Grenze mit der gleichen, von Rumänien unternommenen Maßregel zu rechtfertigen. Es werden also jetzt schon Vorbe reitungen getroffen, um für den Fall des Ausbruchs der Feind seligkeiten einigermaßen gerüstet zu sein. Viel bemerkt wurde die Reise des Königs Karol zum Kaiser von Oesterreich. Dieser un erwartete Monarchenzusammenkunft giebt dem Conflicte zwischen den beiden kleinen Staaten doch ein ernsteres Gepräge, als man zugeben möchte. Bei den Besprechungen zwischen dem Könige und Kaiser, denen auch der Minister des Auswärtigen, Graf Go- luchowski beiwohnte, handelte es sich nicht nur um Vermittelungs bestrebungen, sondern um die Erwägung von Möglichkeiten und Folgen, die aus dem Conflicte zwischen Bulgarien und Ru mänien erwachsen können. Die Lage wäre in der That sehr ernst, gelingt es nicht, die Differenzen gütlich zu begleichen. Sollte es wirklich zum Kriege kommen, so würde zunächst die durch die Agitation des makedonischen ComitLs hervorgerufene Gährung dem Feldzuge einen ungewöhnlich leidenschaftlichen und erregten Charakter aufdrücken. Die Kämpfe würden sich weit über die Grenzen der beiden direkt betheiligten Staaten aus dehnen, und könnten die Serben, die Griechen und schließlich auch die Pforte zum Eingreifen veranlassen. Damit hätte man dann die orientalische Frage aufgerollt, und eS wäre unvermeid lich, daß Oesterreich und Rußland sich ebenfalls am Streite betheiligen. Daraus würde sich der lange vermiedene und allenthalben gefürchtete Weltkrieg mit Sicherheit entwickeln. Wer sehen demnach, daß genügend Ursache bestand, um den König von Rumänien und den Kaiser von Oesterreich über die Balkanverhältnisse conferiren zu lassen. Was den beunruhigen den Charakter der Angelegenheit gleichwohl mindert, ist der Umstand, daß die betheiligten Großmächte in China stark in An spruch genommen sind, daß sie unmöglich Verwickelungen auf dem Balkan wünschen können. Sollte Bulgarien nicht nachgeben wollen, so dürfte ein Machtwort de- Zaren genügen, um den Fürsten Ferdinand zur Anerkennung der Forderungen Rumäniens ' zu zwingen. Dieses Wort würde sicher ausgesprochen werden, wenn die Dinge sich weiter zuspitzen und die aufrührerische make donische Bewegung nach wie vor von Sofia geschützt und be günstigt wird. So lange also Rußland den Frieden auf dem Balkan erhalten will — und daran ist im Augenblick nicht zu zweifeln — ist der Ausbruch eines bewaffneten Conflict« zwischen Rumänien und Bulgarien nicht wahrscheinlich. Lu8t?al!a militari. I. Kriegsfreiwillige für China. Aus Sydney, 26. Juli, wird der „Welt-Corrrspondenz" geschrieben: Bor Kurzem bot Cavtain Hickson, Lommandeur der hiesigen ^N. S. Wales) Mannetrupven (i. e. die drigacke" und die „o»v«I »rtiUer^ tarces") Freiwillige au- den selben zum aktiven Dienst in China der Regierung an. Der Premierminister (Sir W. Lyne) autorisirte ihn darauf, Frei willige aufzurufen. Der wunde Punkt ist: werden die hiesigen Soldaten mit der Höhe des englischen Soldes zufrieden sein? Außerdem ist man im Allgemeinen recht gegen das Absenden von weiteren Truppen aus Neu-Süd-Wales eingenommen, weil so die Colonie von ihren Vertheidigern entblößt werde. Auch fürchtet man, daß diese plötzlich erwachte Kriegslust viele junge kräftige Leute, deren Dienste und Arbeit dem Gedeihen und der Wohlfahrt des Landes zu Gute kommen sollten, dem Lande ent zogen werden würden. Captain Hickson hat nun bei einem Appell obiger Truppen denselben die Bedingungen für Kriegs dienste in China vorgelegt. Diese sind: Die Leute müssen kräftig und gesund, nicht älter als 45 und nicht jünger als 18 Jahre sein, und sie dürfen ihren Dienst nicht verlassen, bevor die Marinebehörden in China ihre Genehmigung dazu ertheilt haben. Der Sold soll betragen: 5 Schillinge per Tag für Ge meine, 6 Schillinge per Tag für Unterofficiere 1. Classe und 5 Schillinge 6 Pence für solche 2. Classe. Dann wurden die Freiwilligen aufgerufen. Die Antwort fiel recht spärlich aus: es meldeten sich von den Naval Artillery Volunteers nur 26 Mann und gar kein Officier, und von der Naval Brigade 3 Officiere, aber kein einziger Mann. Trotz dieses Mißerfolges spricht man immer noch davon, daß ein kleines Contingent Marinetruppen von Sydney mit dem Dampfer „Salamis", welcher von der englischen Regierung für den Transport australischer Truppen nach China gemiethet worden ist, gesendet werden soll. Es geht das Gerücht, daß jeder Mann der Marinetruppen ein geheimnißvolles Circular erhalten habe, worin er gebeten werde, sich als Freiwilliger zu stellen. Man sagt, daß der Sold auf 7 Schillinge 6 Pence per ckiein erhöht, daß aber die Dienstzeit bedingungslos sei. Diese zweite Einladung wird sehr geheim gehalten. — General major French (Kommandeur der N.-S.-W.-Truppcn) sagt, daß, obgleich die Marinetruppen sich so lau verhalten hätten, es nicht die geringste Schwierigkeit machen würde, zwei gut ein- exercirte Compagnien zu senden, nur wünscht er, daß dann die Soldaten des sogenannten dritten Kontingents das Vorrecht er halten sollten. Eben erfahre ich, daß sich in Folge der zweiten, dringlichen Aufforderung nunmehr ziemlich 100 Mann von der Naval Brigade als Freiwillige gemeldet haben. Die Niederwerfung des Boxeraufstandes ist also nunmehr gesichert. II. Militärische Organisationspläne in Neuseeland. Auckland, 15. Juli. Der ehrgeizigste Staat Australiens, Neuseeland, das oft seine Sonderpläne verfolgt, beabsichtigt, sich eine besondere militärische Organisation zu geben. Der Cecil Rhodes von Neuseeland, Premierminister Sevdon, gab vor einigen Tagen eine wichtige Erklärung über die Landesverteidi gung ab. Der Hauptübelstand für effektive Landesverteidi gung sei der Mangel an Capital, und es wäre vom größten Vortheil, sowohl für England, als auch für die Colonien, wenn England das für Hafenschutz und Bewaffnung u. s. w. der Schutztruppe (ltoteusv torev) nothwendige Geld der Colonie Vorschüßen würde. Das würde den englischen Behörden eine Reservetruppe geben, die stets bereit und tauglich für activen Dienst und mit den modernsten Kanonen, Gewehren u. s. w. ausgerüstet sei. Tausende Neuseeländer seien willig und taug lich, Waffen zu tragen, und die Maoris (die Eingeborenen Neuseelands) würden eine gute Reserve bilden. Die Schutz truppen sollten folgendermaßen eingetheilt werden: u. permameut (ständige) ^l-tillei-^, d. Freiwilligen-Corps (voluntoer korees), o. Imperisl anä Ooloniul reserves, ck. ritis cluds (Schützenbündc), e. cacket corps. Die Freiwilligen betrügen jetzt 11500 Mann, und 6500 Mann mehr seien disponibel. Der Kostenanschlag für 18 000 Mann würde sich auf ca. 72 000 Pfd. Sterl. belaufen und 8000 Pfd. Sterl. für Manöver und Instruction. Eine kaiserliche (imperial gleich britisch) Reserve solle von Leuten der Freiwilligen-Corps formirt werden, welche sich auf drei Jahre verpflichten und eine jährliche Löhnung erhalten sollten. Diese Truppe würde aus ca. 8000 Mann und 2000 Maoris bestehen. Kostenanschlag dafür: circa 100 000 Pfd. Sterling per Jahr. Wenn die anderen australischen Colonien proportional zu ihrer Bevölkerung dasselbe thäten, so würde eine Reserve von über 50 000 Mann stets zum activen Dienst innerhalb oder außerhalb der Colonien disponibel sein. — Zum Schluß schlug der Premierminister vor, daß eine mili tärische Conferenz unter dem Vorsitz des Lord Roberts oder eines anderen Generals abgehalten werden solle. Die Wirren in China. Ein Prophet? Außerordentlich beacbtenSwerlb ist eine Betrachtung, die der frühere deutsche Gesandte in Peking, Herr v. Brandt, in der „Deutschen Rundschau" über die Lage in Cbina anstellt. Sie ist vor der Ankündigung einer Wendung in der russischen Politik geschrieben, und dies vor Allem verleiht den Auseinandersetzungen ihre große Bedeutung. Ob Herr v. Brandt al- ein Wissender hier, dem außer Amt Befind lichen, bekannt gewordene Tbatsachen mittbeilt, oder ob er als überaus scharfblickender Kenner der Triebfedern der Politik der fremden Mächte, insbesondere Rußland-, vorbersagt, müssen wir dahin gestellt sein lassen. Zn letzterem Falle sind seine Unheil« als Mahnungen noch werthvoller, denn der Verfasser hätte sich dann, wenigstens waS Rußland angeht, als echter Prophet erwiesen. Er schreibt u. A.: „Mit Bezug auf China wird man gut thun, zwischen zwei Strömungen zu unterscheiden. Die Bewegung der Boxer ist unzweifelhaft aus dem in weitesten Kreisen vor handenen Fremden- und Cbristenhaß bervorgegangen; wie weit zu der Entstehung und schnellen Entwicklung derselben auswärtige, d. h. nicht locale, sondern hauptstädtische Ein- flüsse und Hetzereien beigetragen haben mögen, muß sür den Augenblick unentschieden bleiben. Es wird aber kaum einem Zweifel unterliegen können, daß man in Peking in dieser Bewegung viel fach eine zum Mindesten nicht unerwünschte Unterstützung der auf die Aufrechterhaltung der Integrität und Un- abhangigkeit Chinas gerichteten Tendenzen der Regierung gesehen hat. Ob und wie weit die chinesische Regierung durch die Bewegung fortgerissen worden ist, oder inwiefern die Besorgnis; vor fremden Ein- und Uebergriffen sie zu Schritten getrieben haben mag, die von der Verzweif- iung und dem Glauben eingegeben wurden, daß eS sick für sie um einen Kampf sür und um die eigene Existenz bandle: auch das wird ebenfalls erst später mit Sicher heit entschieden werden können. Für den Augenblick muß man sich mit Vermuthnngen begnügen und mit Bezug auf diese bildet ein erst am 30. Juli von russischer amtlicher Seite veröffentlichtes Telegramm des Chefs der russischen asiatischen Bank in Peking, Pokotilosf, vom 15. Juni einen Beitrag von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Das Schriftstück, welches den zweiten Tbeil des Telegramms bildet und bis jetzt, angeblich wegen der bei der Dechiffrirung sich berauSsteltenden Schwierigkeiten, nicht veröffentlicht worden war, lautet folgendermaßen: „In Folge der Ankunft unserer verschiedenen Detachements haben auch die Japaner beschlossen, 2000 Mann herbeizurufen und so die Zahl der fremden Besatzungstruppen auf 8000 Mann zu erhöhen. Die Mehrzahl der Gesandten hat entschieden, wenn die Detachements ankommen, in Peking die Schaffung von fremden Nieder lassungen, wie siebereils in dengeöffnetenHäfen bestehen, zu verlangen. Herr von Giers (der russische Gesandte) wird sich bemühen, diese Forderung auf die Ernennung eines fremden PolizeicommissarS unter dem Be fehl der Gesandten zu beschränken. Verschiedene der Gesandten wünschen eine besondere Regentschaft über den chinesijchen Kaiser einzusetzen und die Kaiserin-Wittwe von der Macht zu entfernen, aber Herr von Giers besteht darauf, die Kaiserin an der Macht zn erhalten, da irgend welche andere Combinationen einige der Gesandten veranlassen würden, für ihre Candidaten Sitze in der Regentschaft zn verlangen. Außergewöhnliche Schwierigkeiten müssen für Cbina aus den ungeheuren Entschädigungsforderungen aller Mächte für die Zerstörung von Eisenbahnen und fremden Häusern und Kirchen entstehen." Wenn etwas von den in diesem Telegramm angedeuteten angeblichen Plänen fremder Vertreter zu den Obren der Chinesen gekommen ist, so kann der Ausbruch der Bewegung in der Hauptstadt selbst kaum noch Wunder nehmen, so sehr man auch die Art und Weise, wie dieselbe sich entwickelt Kat, bedauern und für strafbar erklären muß. Wichtiger vielleicht aber noch als der durch das Telegramm gewährte Einblick in das, was der Erhebung vorauögegangen, ist die Thatsache, daß dieses Telegramm, das an den russischen Finanzminister Witte, einen der hervorragendsten Staats männer, die Rußland und vielleicht Europa in diesem Augen blicke besitzen, gerichtet war, in dem „Am tl i ck en Anzei ge r" veröffentlicht worden ist. Es liegt daher nicht fern, in demselben, neben einer Apologie für Rußlands frühere Politik gegen China, ein Programm für die zukünftig zu beobachtende Haltung zu erblicken, WaS in der Thal durchaus mit Herrn Witte'S Ansichten, so weit dieselben bekannt geworden sind, und seiner bisherigen Handlungs weise übereinstimmen dürfte. Man wird daher wohlthun, anzunehmen, daß Rußland, wenn es auch für das, was in Peking geschehen ist, respective noch geschehen kann, in Gemeinschaft mit den anderen Mächten Genugtbunng zu fordern nickt unterlassen dürfte, sich in seiner weiteren Haltung China gegenüber ausschließlich von den Interessen leiten lassen wird, welche seine geographische Lage und die Entwickelung Sibiriens, sowie Rentabilität der transsibirischen Bahn ihm auferlegen. In England wird man nicht abgeneigt sein, sick ebenfalls wesentlich von Verkehrs- und Handelsinteressen leiten zu lassen. Lord Salisbury bat seit Jahren eine ganz entschiedene Scheu vor jedem energischen Vorgehen gegen China gezeigt, das vieles in die Arme Rußlands treiben könnte, und er wird nm so mehr an dieser Auffassung fest halten, als die englische Industrie und Finanzwelt bereits ernstlich unter den Zuständen in Ostasien zu leiden beginnen. Auch in Japan wirb man einer, wenn auch nur partiellen Er ledigung des Zwischenfalls nicht unsympathisch gegenüber stehen; man bat militärisch und politisch die Probe auf das Exempel der Bereitschaft und Bereitwilligkeit Europas und der Vereinigten Staaten, einen activen Antheil an den Vorhängen in Cbina zn nehmen, geinackt, und man wird in Tokio zu der Ueber- zcugung gelangt sein, daß, wenn in Amerika gar keine Lust zu einer solchen Betheiligung vorhanden ist, dieselbe auch bei den meisten europäischen Staaten eine nicht übermäßig große sein dürfte. Ungelöst ist für Japan nur nock das russische k in dem ckinesischen Näibsel, und eS wird wohl auch noch sür einige Zeil zu den unbekannten Größen gehören, da Rußland sich der unbestreitbaren Vortheile erfreut, keine Volksvertretung zu besitzen und Zeit zu baden. Dem Abschluß einer Verständigung zwischen den Vereinigten Staaten und Cbina steht nur die Doppel züngigkeit der chinesischen Regierung entgegen; wäre man in Washington über diesen Punkt beruhigt, so würde nichts nicht nur einer solchen Verständigung, sondern auch der Uebernabme der Vermittelung zwischen Cbina und den anderen Mächten seitens der Vereinigten Staaten im Wege stehen, und man würde in Europa Unrecht thun, die Be deutung einer solchen Möglichkeit zu untersckätzen. In weiten politischen und commerziellen Kreisen Nordamerikas hat der Gedanke, daß der Stille Ocean dazu bestimmt sei, ein amerikanisches Meer zu werden, wie daS Mittelländiscke Meer einst ein römisches war, festen Boden gefaßt, unk wenn man vielleicht auch nicht gesonnen sein würde, zum Schwert zu greifen, um diesen Traum zur Wirklichkeit zu machen, so wird man dock jeden Fehler eines Gegners — und WaS sind die europäischen Mächte für Amerika anders? — benutzen, um ibn derselben näher zu führen. — In diesen Auseinandersetzungen sind die Gründe gegeben, die befürchten lassen, daß da«, was bisher die verschiedenen Mächte zusammengebalten bat, nack dem Wegfall der Besorgniß für da- Schicksal ihrer LandSleute anderen, mehr politischen und damit engsichtigeren Erwägungen weichen muß Für den aufmerksamen Beobachter kann e- kaum einem Zweifel unterliegen, daß man weder in Rußland, noch in Japan, weder in England noch in den Vereinigten Staaten geneigt sein dürfte, über rin gewisse- Maß der Anforderungen an China hinaus zu gehen; nian ist auf der einen Seite bereit, Li-Hung Chang als Friedensvermittler und Unterhändler anzuerkennen, während mau auf der anderen, ganz besonders auf der russischen Seite an der Kaiserin-Regentin festhalten zu wollen erklärt. Diesen centrifugalen Tendenzen gegenüber wird die Stellung Deutschlands eine ganz besonders schwierige; man hat dort, wenigstens in einzelnen Kreisen, mit solcher Zähigkeit an der Ansicht fcstgehalten, daß ein Vorstoß auf Peking vor dem Herbst aussichtslos sei und daher unter lassen werden müsse, daß die Entsatzcolonne schließlich vor und in Peking angekommen ist, ohne daß ein einziger deutscher Soldat sich in idren Reiben befunden hat. Daraus einen Grund für weitere, ausschließlich deutsche militärische Operationen ableiten zu wollen, dürfte um so bedenklicher sein, als das lose Gefüge deS gemeinsamen Oberbefehls einem solchen Verlangen kaum Widerstand zu leisten im Stande sein würde. Wir werden im Gegentheil gezwungen sein, mit den tbatsächlichen Verhältnissen und der entschiedenen KriegS- oder Cociflictsmüdigkeit einer Mehrzahl der alliirten Mächte zu rechnen, wenn wir uns nicht der Gefahr auSsetzen wollen, uns schließlich nickt nur der chinesischen Negierung, sondern auch einer oder der anderen der fremden Mächte, vielleicht sogar einer Coalition derselben gegenüber zu finden. Die Thatsache, daß die Kaiserin-Regentin und der Kaiser aus Peking verschwunden sein sollen, scheint allerdings dafür zu sprechen, daß die fremden Mächte sich für den Augenblick keiner Negierung oder nichts, waS man als eine solche ansehen kann, gegenüber befinden; aber bei einigem guten Willen wird es nicht an der Möglichkeit fehlen, sich auf Grund der Vorstellungen Li-Hung-Tscbang'S eine solche zu constrniren, die wenigstens dem Bedürfnis; nach Abschluß einer Verständigung genügend erscheint. Es ist daher zum Mindesten nicht unmöglich, daß der Generalissimus der ver einigten fremden Streitkräfte sich bereits bei seiner Ankunft in Nordchina einer centrifugalen Bewegung der Mächte gegen über sieht, die durchaus geeignet erscheinen könnte, einerseits sein Oberkommando und andererseits die besonderen deutschen Interessen auf das Ernsteste zu gefährden. Unter den Umständen wird es ganz besonders nothwendig sein, sich über die Ziele der deutschen Politik klar zu werden, da man die Kräfte des deutschen Reiches für Fragen engagirt, über deren Bedeutung und Tragweite sich wenigstens die öffentliche Meinung in Deutschland durchaus nicht klar zu sein scheint. „In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister", und das Wort paßt auch auf den Politiker, wenigstens auf jeden, der Anspruch auf den Namen eines praktischen Staats mannes macht." AuS den Schlußsätzen spricht eine Besorgniß, die in Deutschland von allen Besonnenen getbeilt wird, wenn sie sick auch dafür und für andere Beweise einer nüchternen Auffassung politischer Dinge von Bedientenseelen als „Philisterseelen" schimpfen lassen müssen: die Besorg niß vor einer Politik, die nicht vor dem Versuche zurück schreckt, mit dem Kopfe durch die Wand zu rennen. Herr v. Brandt tbut überzeugend dar, daß alle fremden Mächte Realpolitik zu treiben fest entschlossen sind. Daß er dem Finanzminister Witte eine Rolle in der Leitung der russischen Chinapolitik und zwar eine Hauptrolle znweist, wird dem einen oder anderen deutschen Phantasten als die Regung einer besonders philisterhaften „Philisters«!«" er scheinen. Der Mann aber hat Recht, und der Leitung des deutschen Auswärtigen Amtes — das entnehmen wir Zeitungen, die unabhängig sind, aber in ernsten auswärtigen Fragen die Fühlung mit den osficiellen Berliner Diplomaten unterhalten — sagt Herr v. Brandt nichts Neues. Es ist nur zu hoffen, daß die ge ordnete Behörde die Oberhand behält und nicht die Ver treter der Meinung, daß Deutschland in China Besonderes erreichen müsse, auch auf die Gefahr hin, mutterseelenallein politisch zu diletliren. * Berlin, 3. September. Nach telegraphischen Nachrichten aus Peking bat der spanische Geschäftsträger Cologan als Doyen des dortigen diplomatischen Corps in einer bei der Bei« setzungsfcier für den Freiherr:! v. Ketteler gehaltenen Ansprache den Lcgationssekretär v. Below dem Kaiser das Beileid des ge jammten diplomatischen, Corp- bezüglich der Er mordung v. Ketteler's zu übermitteln. (N. A. Z.) * Loudon» 3. September. Die Blätter stimmen darin überein, daß die Mittbeilung Rußlands, Laß es entschlossen sei, ohne Rück sicht aus die Entschlüsse der anderen Mächte, seine Truppen zurückzuziehen, eine sehr ernste Krisis herausbeschwöre, ihr Widerspruch gegen »ine allgemeine Zurückziehung der Truppen bleibt aber unerjchüttert. Alle Blätter sind der Ansicht, daß der Entschluß Rußlands, mit einigen in der russischen Note vom 25. August bezeichneten Zielen der russischen Politik in keiner Weise in Einklang zu bringen sei. »Daily New-" führen aus, die Einigkeit unter den Mächten werde durch den Entschluß einer Macht, ihre Truppen zurückzuberufen nicht gestört. — „Daily Chronicle" bemerkt, da- Verhalten Ruß land- zerstöre nicht nur die Einmüthigkeit der Mächte, sondern mache auch die ganze Lage der Verbündeten zur Zielscheibe de- Spottes der Chinesen, die bei der triumphirendrn Rückkehr der Kaiserin unvermeidlich zu dem Schlüsse gelangen müßten, daß sie die verhaßten Fremden vertreiben würden. Wenn Sali-bury dieser Führung solge, welchen Schutz werde er dann wohl noch in Zukunft den britischen Unterthanen in China bieten können? — „Standard" betont, die russische Note stelle England vor ein kait aooowpli, da- in »iaer Weis« ge« schaffen worden sei, die nicht gerade hüsltch gegen di« übrigen Mächte zu nennen sei. Wenn man Peking der altgewohnten Tor« ruption und dem im Niedergänge befindlichen Dr-poti«mu- wieder prei-gebe, so könne da« nur drn«n paffen, di« nicht d«n Wunsch hätten, China während der nächsten Jahr« in glücklich,« und fist« geordneten Verhältnissen zu sehen. Soli-bnry w«de nicht verfehlen, in Berlin, wie in Washington seine Einwände gegen eine solche Politik de« Rückzüge- Larzulegen. England wünsche, daß nicht« gethan
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