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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.02.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-02-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020205021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902020502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902020502
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-02
- Tag 1902-02-05
-
Monat
1902-02
-
Jahr
1902
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Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Fanriliennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen rind Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ./6 60.—, mit Postbesörderung ./L 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Mittwoch den 5. Februar 1902. 98. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Die Friedensvermittelung. Es hat etwas lange gedauert, bis die eng lische Antwort auf das Bcrmittelungsangebvt des holländischen Ministerpräsidenten vr. Kuyper das Licht der Welt erblickt hat. Es stellt sich heraus, daß Kuyper's Vorschlag, -er dieselbe veranlaßt hat, thatsächlich darauf binausltef, durch eine nach Afrika zu entsendende Com mission mit den Bocrenführern zu verhandeln. Man war also nach dieser Seite gut unterrichtet. Geirrt haben sich indessen Diejenigen, welche vorauswissen wollten und voraussagten, daß die englische Antwort eine strikte ab lehnende sei. Das ist sie durchaus nicht, im Gegcntheil! Allerdings lehnt die Antwortnote jede, auch noch so freund schaftlich gemeinte „Intervention" ab, allein, das ist eine rein formale Sache, das sind ein paar Buchstaben, mit denen England sein Prestige zu dceoriren sucht. In Wirk lichkeit ist ihm das Anerbieten der „guten Dienste" Hol lands nur erwünscht. Das Cabinet weist cs allerdings zurück, daß ein fremder Minister ihm Vorschläge macht, aber es acceptirt andererseits die Vermittelung Kuyper's doch wieder, indem cs ihm, resp. den in Europa weilen den Boerendelegirten gestattet, ja ihn (resp. die Delegir- ten) geradezu animirt (so wenigstens fassen wir die etwas unbestimmte Sprache der Antwortnote auf), mit den Boerenführern Schalk Burger und Steijn von sich aus in Verbindung zu treten nnd diese zu ver anlassen, daß s i e Kitchener Vorschläge machen. Die Re gierung sei dann bereit, dieselben zu prüfen. Aber nicht genug damit. Man hat in London Eile, zu einem Friedcnsschlutz zu gelangen, denn man nimmt Anstoß daran, daß die Reise der Dclegirteu nach Südafrika min destens drei Monate dauern würde. Das Krünungsfest sicht bevor, und deshalb heißt es, sich sputen. Warum erst die lange Seefahrt? Man hat ja den Telegraph zur Ver fügung, -en „direkten Verkehr". Der Erfolg der holländischen „Intervention" ist also außer Frage, das Fricdensbcdürsnitz Englands ist größer denn je. Diese Auf fassung wird unterstützt durch ein noch vor dem Bekanutwerden der englischen Note publicirtcs Tele gramm -er „Daily Mail", die sich diesmal doch gut unter richtet gezeigt hat, aus dem Haag, in dem cs heißt, man sei in officiellen Kreisen der Ansicht, daß die englische Antwort nur eine v r o v i s o r i s ch e Z u r ü ck m c i s u n g und gleichbedeutend sei mit dem Vorschläge, die holländische Regierung solle sich v v n d e n k ä m p f c n d c n B o e r c n c i n e V o l lm a ch t geben lassen und dann wiederum an nagen. Man glaube, die englische Regierung würde Kuyper gestatten, sich mit Steijn und Schalk Burger in telegraphische Verbin dung zu setzen, um mit diesen beiden Vertretern der früheren Bocrcnrcgierung über das Aufgcben der Forde rung auf Unabhängigkeit zu verhandeln. Wird nun Kuyper diesen Weg cinschlagcn? Die Bvcrcn- dclcgirtcn werden es schwerlich thun, denn sic wissen sich einig mit den Führern im Kriege in der Aufrechterhaltung der Forderung vollster Unabhängigkeit, und auf dieser Grundlage will ja England bis jetzt noch nicht zu sprechen sein. Indessen wollen wir doch rcgistrircn, was der „Frkft. Ztg." aus Brüssel, 3. Februar, dcpcschirt wird: i)r. Leyds ließ in einer Unterhaltung durchblicken, daß er die Anerkennung der unbeschränkten Souvc- ränetät -er Republiken nicht mehr als diktatorische conckitio sins gua non ansehe. Vom Kriegsschauplätze lauteten die Nachrichten sehr günstig, und die Generäle dächten nicht an eine Uebergabe, nur über die Kindersterblichkeit würde furchtbar^geklagt. Demgegenüber schreibt die bverenofficiösc „Südafri kanische Corrcspondenz" in Brüssel untcrm 3. Februar: „Nach einer in der deutschen Presse erschienenen Mit theilung soll Präsident Krüger geneigt sein, eine bloße Autonomie anzunchmen, falls die im Felde stehenden Boerengenerale damit zufrieden sind. Wir sind in der Lage, zu erklären, daß diese Meldung der Begründung entbehrt." „Unser Berichterstatter im Haag hatte am Sonntag eine Unterredung mit einem erst seit Wochen vom Kriegsschauplätze herübcrgekommeneu Jrcistaatcr, der wir folgenden Dialog entnehmen: „Glauben Sie, daß die Note den Frieden herbeiführen wird?" „Das hängt vornehmlich von der militärischen Lage ab. Und ich glaube, daß England noch nicht genug er schöpft ist, um unsere Forderungen anzunehmen!" „Sie glauben also noch nicht an Frieden?" „Nein, leider noch nicht. Wir wünschten ihn wohl, wie wir ihn ja immer gewünscht haben. Aber wir wollen ihn heute nur um einen Preis, das ist unsere völlige Unab hängigkeit!" „Man behauptet aber, daß die Bürger sich schon mit einer weitgehenden Autonomie zufrieden geben würden!" „Das behaupten die Jingoblättcr, und ich gebe zu, daß solche Stimmen nicht gefehlt haben. Aber cs waren nur vereinzelte. Seit ich fort bin, haben wir solche Erfolge errungen, daß ich nicht annehmcn kann, daß unn unsere Leute auf halbem Wege stehen bleiben sollten. Im Be sonderen muß in Betracht gezogen werden, daß unsere Organisation heute derart ist, daß die Minderheit sich un bedingt der Mehrheit zu fügen bereit ist. Und schließlich, glauben Sie mir, wir wissen Alle, daß diesmal für unser ganzes Volk die Würfel fallen, dessen ist ein Jeder sich voll und ganz bewußt." Daß in London die FricdcnSstimmung vorherrscht, scheint außer Zweifel. Ministerpräsident K uypc r hat sich Montag zu einem Mitarbeiter des „Gaulois" wie folgt geäußert: „Was immer das Ergebnis) unseres Schrittes sein mag, ich glaube schon jetzt, sagen zu dürfen, daß seine sittliche Wirkung an sehnlich ivar. Unser Einschreiten hat die ganze Welt be wegt, und man folgt ihm mit leidenschaftlicher Spannung. Die Wcltmcinnng wünscht heiß das Ende dieses entsetz lichen Krieges. Wenn unsere Regierung die Antwort em pfängt, wird sic zur selben Stunde durch die Auswärtigen Aemtcr in London und Haag veröffentlicht werden. Das wird voraussichtlich Dienstag (also gestern) geschehen. Man muß und darf hoffnungsvoll sein. Der Fr i c d e w i r d z u S t a n d c k o m m e n, weil alle Welt ihn wünscht, auch England. Ich bin in England gewesen, ich wollte persönliche Eindrücke gewinnen, ehe ich handelte, ich wollte wissen, woher der Wind weht. N nn de n n , cr wcyt von dcr Friedcnsseitc her. Der K ö n i g m ö ch t c d c n Fr i c d e n v v r d cr K r ö n u n g hcrgestcllt sehen. Das walte Gott!" In einer Meldung der Londoner „St. James Gazette" nimmt die seit längerer Zeit als Vermuthung umlaufende Annahme, der Premierminister Lord Salisbury werde demnach st aus dem Amte scheiden, be stimmtere Form an. Die „St. James Gazette" sagt (wie gemeldet), sie sei in der Lage, aus bester Quelle zu er klären, daß Lord Salisbury mit Ende der jetzigen parla mentarischen Session zurücktrcten werde, wenn bis dahin der Krieg beendet sei. Immerhin geht daraus hervor, daß man in London mit einer Beendigung des Krieges in absehbarer Zeit rechnet und sich aus den politischen Abschnitt cinzurichten beginnt, der dem Kriege folgen wird. Die telegraphischen Nach richten aus Australien (vergleiche heutiges Morgcnblatt) sind nicht wenig dazu angethan, der Fricdeusslrömung Vorschub zu leisten. * Bern, 4. Februar. Die schweizerische Frei- maurer - Großloge „Alpina" hat an die eng lische Großloge ein Schreiben gerichtet, in dem der Wunsch ausgedrückt wird, den Krieg in Südafrika bald beendigt zu sehen, und in dem hauptsächlich auf die Zustände in den Concentrationslagcrn hingewiesen wird. Die englische Großloge antwortete unter dem 31. Januar in sehr verbindlichem Tone, bekämpfte jedoch entschieden die von den schweizerischen Freimaurern vertretenen An sichten, die, wie die englische Großloge behauptet, auf falscher Berichterstattung beruhten. Die englische Groß loge erklärte, daß König Eduard selbst die Beant wortung des Schreibens der „Alpina" befohlen und den Inhalt der Antwort gebilligt habe. Die Antwort enthält die schon bekannten Begründungen der Errichtung der Concentrationslager,, die hauptsächlich auf menschen freundliche Erwägungen zurückzuführcn sei. Außerdem wird gesagt, daß die Bewohner der Lager diese jederzeit verlassen könnten. Man habe Botha und Dewet mitgethcilt, daß sic die Bewohner der Lager übernehmen könnten, die Bocrcn seien aber dazu nicht zu bewegen gewesen. (Natürlich! Wohin sollen die Boercn mit den Frauen und Kindern? Die Farmen haben ja die Eng länder in Asche gelegt, alles Cigenthum confiscirt! Das ist auch ein Vorschlag echt englischer Menschenfreund lichkeit. D. Red.) Botha und Dewet seien auch auf gefordert worden, sich von den Zuständen in den Lagern bei Zusicherung freien Geleites zu überzeugen, sie seien aber nicht gekommen. Ein einziger Bocrcnhauptmann sei der Einladung gefolgt und habe nachher seine Be friedigung über die Conccntrationslager geäußert. * Washington, 4. Februar. Im Repräsen tantenhaus«: brachte Cochran einen Beschluhantrag ein, den Präsidenten Krüger einzuladcn, die Bereinigten Staaten als Gast des Landes mit völliger Bewegungsfreiheit zu besuchen, und eine Summe bis zu 25 000 Dollars anszuwerfcn, um die Kosten des Besuches zu decken. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. Februar. Von der vorgestrigen Sitzung des Reichstags entwarf die „Nat.-Ztg." das folgende liebliche Stimmungsbild: „Trostlose Oede herrscht im Sitzungssaale des Reichstags. Auf den für rund 400 Personen berechneten Bänken verliert sich eine winzig kleine Schaar standhafter Platzhalter. Am vollsten, so weit man bei diesem Anblick überhaupt von „voll" reden darf, ist es noch in den Reihen der äußersten Linken — die social- demokratischen Berussparlamentarier liefern durch ihre An wesenheit in dem leeren Hause den Beweis, wie gänzlich die Diälenlosigkeit des Reichstags den Zweck verfehlt hat, ihr Aus kommen zu erschweren. Die Worte der Redner hallen durch den weiten Saal unheimlich hohl; die wenigen Anwesenden, die sich so vereinsamt vorkommen, werfen von Zeit zu Zeit erwartungsvolle Blicke nach den Thüren, durch die im Ganzen noch nicht zwei Dutzend College» hineinspazirt sind — inan hat das Gefühl, als müßte jeden Augenblick unter Vortritt des Präsidiums eine allge meine Concentration aus dieser Lede in irgend ein kleines Bc- rathungszimmerchen erfolgen. Und in diesem ungemüthliche» „Milieu" wird nun auch gar noch über ein so uugemüthliches, „metaphysisches" Thema wie das Gesundbeten gesprochen — ha, welche Lust, Zuschauer und Zuhörer auf der Tribüne des deutschen Reichstages zu sein!" Genau dasselbe Bild bot das „hohe Haus" gestern; nur sprach man nicht rom „Gesundbeten", sondern von der neuen Abtheilung im Statistischen Amte für die Aufgaben der bisherigen Commission für Arbeiterstatistik und vom Patent- amte; und als man sich glücklich bis zum Etat des ReichS- versicherungSamtS durchgearbeitet, redete der Abg. Stadt hagen noch den größten Theil der „standhaften Platzhalter" zum Tempel hinaus. Aber was nutzt es, solche Bilder zu zeichnen? Ebensowenig wie Jemand den jetzigen Reichstag gesundbeten wird, wird ihn die Presse gesunr-höhnen. Wir fürchten sogar, daß er sich nicht einmal durch Anwesenheitsgelder gesundzablen lassen würde. Tenn das Nebel, an dem ein großer Theil seiner Mitglieder krankt, hat auch deren Wähler erfaßt und die Lauheit und Gleichgiltigkeit dieser Kreise dürfte durch An- wcsenbeitögelder für die Abgeordneten nicht in das Gegen- iheil verwandelt werden. Es wäre übrigens undankbar gegen die standhaften Platzhalter, wenn man nicht anerkennen wollte, daß sie auch gestern manche fruchtbare Anregung gaben. So betbeiligten sich au der Debatte über die neue Abtheilung im Statistischen Amte mit Erfolg die Abgeord nete» Pachnicke (frcis. Bgg.), Bebel (soc.), vr. Spahn (Eentr.) und Or. Hasse. Der nationalliberale Redner hatte außer anderen Anregungen, auf die der Director des RcichSamts deö Innern Wermuth entgegenkommend einging, auch eine solche dahin ergeben lassen, daß die ständigen Stellen im statistischen Amte nicht allein den Juristen Vorbehalten bleiben möchten. Der Staatssekretär erwiderte darauf, cS seien auch jetzt schon StaatSwisscnschaftler im Amte tbätig. Im klebrigen würden Nationalökonomen um so besser wirken können, wenn sie sich auf juristische Kenntnisse cder auf umfassende praktische oder sonstige wissenschaftliche Erfahrungen stützen könnten. lieber die zukünftige Tbätigkeit der neuen Abtheilung sprach sich der Staatssekretär in einem Sinne aus, der weit bis in die äußerste Linke befriedigte. An das Capitel des Patent- Feuilleton. Rittmeister Eckhoff. Roman von A. von Trystedt. Nachdruck vcrbetrn. Als Paul wieder hereinkam, erhellte sich sein ganzes Gesicht. „Gottlob, daß -er Anfall vorüber ist!" sagte er herzlich, „waS war es nur, Herr Döring? Ich habe mich ja halb- todt geängstigt!" Döring zog ein Couvert aus der Tasche, dem er ein Schreiben entnahm. Er reichte es Paul hin. „Bitte, lesen Sic, dann sollen Sie das Weitere hören!" Uud Paul Weber las mit einigem Staunen die Vor ladung znr Testamentscröffnnng in Hamburg. Das Do kument beunruhigte ihn. Daß man ihm dieses Schrift stück vorlegte, konnte er doch nur auf eine Weise deuten. Die Dörings erwarteten jedenfalls eine bedeutende Erbschaft. Damit wurde Eva ei» Goldfischleiu, nach welchem ein simpler Ingenieur die Hand nicht ansstrcckcn durfte! Er war ganz blaß geworden und seufzte verstohlen aus tiefster Brust. Der Kellner brachte den Wein, aber wenn Döring die Gläser nicht gefüllt hätte, so wäre er vielleicht unberührt geblieben! „Stoßen wir an, Herr Weber, auf eine glückliche, freudenreiche Zukunft! Zwei Hochzeiten an einem Tage! DaS wird ein Aufruhr werden! Aber ich liebe dergleichen Ungewöhnlichkeiten, wo Alles auf dem Kopfe zn stehen scheint! Man hat dabei das angenehme Gefühl, als gleite man unbeschadet auf einem tollen Strudel dahin, genau wissend, daß man früher oder später das seichte Ufer wieder erreichen muß!" Auf die Wangen des jungen Mannes kehrte langsam die Farbe zurück. In übcrwallcndrr Dankbarkeit streckte er Julius beide Hände entgegen. „Tic weisen mich nicht zurück, trotzdem Eva die Aussicht hat, eine reiche Erbin zn werden?" stammelte er, „o tausend Dank für so viel Güte! Nun mag es mein stetes Bestreben sein, mich eines solchen EdelmutheS würdig zu zeigen!" Julius legte wieder beide Hände über seine Augen. Während einiger Minuten blieb er ganz stumm. Dann sagte er langsam, als müsse er immer erst nach den rechten Worten suchen: „Sie denken nun natürlich, wir sind ganz hoffnungs froher Erwartung, aber gerade das Gcgentheil ist der Fall! Es sind Millionen, die wir in Kurzem unser Eigen nennen werden, mein Bester, und doch ist cs mehr, als wahrschein lich, daß ich gezwungen bin, mir angesichts dieses reichen Erbes eine Kugel durch den Kopf zu schießen!" Paul sah ganz verstört zu dem Sprechenden hinüber. „Barmherziger Himmel, wie Sic mich erschreckt haben, Herr Döring! Was aber in aller Welt kann Sie zu einem so furchtbaren Entschluß treiben?! Vielleicht — ich bin Ihnen zwar noch ganz fremd, aber wenn ich hoffen dürfte, Ihr Vertrauen gewonnen zn haben, — wie glücklich würde mich das machen! Wollen Sic mir Ihr Herz ausschütten, thcurer, hochverehrter Herr? Mehr aufrichtige Theilnahmc, als bei mir, können Sie nirgend wo anders finden!" Er sah, daß Döring furchtbar litt. Und der Gedanke, hier vielleicht trösten, retten zu können, berauschte ihn fast dermaßen, daß er darüber vergaß, zu ermessen, wie un erträglich schwere Sorgen auf seinem zukünftigen Schwie gervater lasten mußten, um ihn zn einem so trostlosen, schmachvollen AuSwcge zu treiben — zn dem Tode eines Selbstmörders. Julins hatte hinter halb geschlossenen Lidern hervor ganz genau beobachtet. Nun lächelte er fast befriedigt. Es schien ja Alles bestens nach seinem Wunsche zn gehen. „Wie ich Ihnen schon andeutctc", fuhr er in einem ele gischen Tone fort, „ist cs mir nicht gelungen, eine sichere Position zu erreichen. Sie können sich nun vielleicht an nähernd vorstellcn, wie schwer cs war, die Jugend der beiden heißgeliebten Kinder sorglos und froh zu gestalten. Stephanie und Eva sollten doch nicht zusehen, wie ihre Altersgenossinnen sich vergnügten! Ich wollte doch, daß sic theilnahmen au Allem, was der Jugend verlockend er scheint! Das mar nun freilich ein Kunststück in Anbe tracht der mir nur kärglich zusließcndcn Einnahmen. ES galt, uniintcrbrochcn zn entbehren, und darauf zu sinnen, wie das deficit in meiner Caste auszuglcichen sei. Immer war mir der Kops wüst von schweren Sorgen, bis sich mir eines Tages Hilfsauellcn ganz unerwartet öffneten, die ich leider nur zu oft in Anspruch zu nehmen gezwungen war. Und diese Benutzung fremden Geldes wird mir nur zum Verhängnis) — schon sehe ich den Hafen vor mir und muß doch elend uutcrgchen —" „Sie sind einem Wucherer in die Hände gefallen" — warf Paul ernst ein. Einem Wucherer! DaS ist das rechte Wort! Heute ließ er mir sämmtliche, seit einem Jahrzehnt angcsammcltc Wechsel präsentircn mit dem Vermerk „zahlbar nach Wicdersicht!" Und ich, der ich in wenigen Tagen Millio nen besitzen könnte, muß nun elender drcißigtauscnd Mark wegen meiner Familie den schwersten Kummer bereiten, denn der Besitzer der Wechsel, Schüttler, läßt sich auf eine Einigung nicht ein. ES ist ihm darum zu thun, mich in den Tod zu treiben!" „Drcißigtausend Mark", wie unter einem Banne stehend, und noch einmal sprach er die Worte aus mit selt sam heiserer, belegter Stimme, — „Drcißigtausend Mark —" In Döring'S Kopfe mar blitzschnell ein, wie es ihm schien, famoses Rcchcncrcmpcl entstanden. „Meine Schul den betragen nur Zwanzigtauscnd", dachte er, „eS ist am vernünftigsten, ich lasse mir die ganze Summe geben, dann kann Stephanie sich einige elegante Toiletten ver schreiben lasten und wir sind nicht gezwungen, in Ham burg eine so ganz pauvcrc Rolle zu spielen. Dieser junge Mann würde den Nest deS Geldes auch wohl nur für sich verwenden. Es kommt aber viel darauf an, daß wir Stcphanie's zukünftigem Gatten ein wenig imponircn. Er mag uns für gut situirt halten! Das sichert Stephanie für später viele Freiheiten bezüglich deS Gcldausgcbcns. Würde sic sich ganz als Fräulein von Habenichts ein führen, so möchte der Gemahl sie dereinst auch dement sprechend knapp mit Taschengeld versorgen." Döring hatte sich nun Weber gegenüber gewisser maßen als ein Opfer seiner Pflichten dargcstcllt, aber die Abweichung von der Wahrheit beunruhigte ihn nicht im Mindesten. Im Gcgentheil hielt er in Anbetracht der peinlichen Situation, in der er sich doch nun einmal be fand, alle Mittel für erlaubt, die ihm Befreiung aus dem Dilemma versprachen. „Drcißigtanscnd Mark", bestätigte er nochmals mit einer verzweifelten, tragischen Bewegung, „und wenn ich das Geld bis morgen nicht zur Stelle schaffen kann, —" er griff nach seinem Glase, das er in einem Zuge leerte — „cs gtebt eben keinen Ausweg, ich entgehe meinem Vcr- hängniß nicht!" Paul Weber trocknete sich den kalten Schweiß von der Stirn. Er hatte keinen Anlaß, diesen Mann für einen Fabulanten, uud vbenein für einen der ärgsten Art zu halten. Man sprach allgemein in hochachtungsvollem Ton von Döring, war er doch generös und kam all seinen Ver pflichtungen nach — daß er mit Franke's Banknoten zahlte, wußte Niemand. Dem noch jungen Manne, welchem das Leben bisher häßliche Erfahrungen und Enttäuschungen erspart hatte, erschien Eva s Vater noch in besonderem Grade vcr- chrungswürdig. Wie Hütte er auch in dieser Stunde über ein klares Ur- theil verfügen können, wo er, noch umfangen von dem Rausch erster, leidenschaftlich und tief empfundener Liebe, Eva's Kuß zu fühlen glaubte, ihre warmen, thanfrischen Lippen, die sic ihm so hingehend dargeboten. Sein ganzes Gefühlsleben war gesteigert und der brennende Wunsch, hier zu helfen und sich den Dank des heißgeliebten Mädchens zu sichern, betäubte schon jetzt die Furcht, die sich instinktiv in ihm regte, die Furcht vor etwas Schrecklichem, das seiner sicheren Ruhe, seinem bis her so wolkenlos glücklich dahingcflossencn Dasein drohte. „Es wird sich doch ein Freund finden, welcher für Sie bürgt", stammelte er, bemüht, sich in dem neuen Un geahnten, das da über ihn hcrcinbrach, zurechtznsinden. „Ha! Freunde besitzt mau nur, mein Bester, so lange die Taschen gefüllt sind —" er behielt cs für sich, daß er außer Franke überhaupt keinen Bekannten besaß, mit dem er vertraulicher verkehrte, „wenn ich einen Ausweg wüßte, würden Sie mich nicht so verzweifelt sehen." Er stützte wieder den Kopf in die Hand und ein erschüttern des Anfscnfzcn ließ Paul erschauern. Ein Wort drängte sich auf seine Lippen, das seiner thörichten Gntmüthigkcit alle Ehre gemacht, das ihn aber auch verpflichtet, ihn in einen gefährlichen Cvnflict ge bracht hätte, und deshalb zwang er die Aentzerung nieder. Hätte er geahnt, daß Döring bereits ganz eingehend mit diesem, dem fremden Geldc rechnete, so wäre er viel leicht mißtrauisch, sehend geworden. Aber er glaubte sa an diese hoffnungslose Verzweiflung, und er bebte davor zurück, die Folgen derselben in Betracht zu ziehen. „Wenn ich Ihnen doch nur rathcn, helfen könnte", murmelte er, „aber ich bin ganz außer Stande — freilich, ein Ausweg muß gefunden werden, das ist selbstverständ lich —" „So finden Sic einen", erwiderte Döring mit hartem Lachen, „ich bin mit meiner Weisheit zu Ende!"
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