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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.05.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960527021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896052702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896052702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-05
- Tag 1896-05-27
-
Monat
1896-05
-
Jahr
1896
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Wie die „Nat.-Ztg", deren Auslassungen über dieses angebliche Borhaben der Telegraph bereits mitgetheilt hat, so spricht sich auch die „Kreuzztg." entschieden gegen eine solche Veranstaltung aus, indem sie ansführt: „Was hat die „Reichsregierung" mit der privaten Vereinsfeier zu thun, welche die Engländer in übrigens recht ausfälliger Weise auf deutschem Boden vorzunehmen wünschen? Ihnen von „Reichs wegen" ein Fest geben, hieße die Bedeutung dieser von unserem Standpuncte ganz gleichgiltigen Thatsache gewaltig überschätzen und könnte nur dazu dienen, die Engländer in ihrer Mißachtung alles Festländischen zu bestärken. Man stelle sich nur einmal das Um gekehrte vor, daß die deutschen College» der britischen Ingenieure nach England gingen, um ihre Jahresversammlung drüben abzu halten; ist es denkbar, daß die Regierung des Lords Salisbury den Vorgang amtlich feiern würde?" Und die „Hamb. Nachr." knüpfen an dieses Citat folgende Bemerkung: „Diese Ausführungen dürfte» den Anschauungen des weitaus größten Theiles des deutschen Volkes entsprechen, das schwerlich die Absicht haben wird, sich zu Ehren dieser englischen Privatvereinigung, die obenein die stärkste Concurrenz für Deutschland auf ihrem Ge biete darstellt, in Unkosten zu setzen." Auffälliger Weise haben die Officiösen bisher über die Angelegenheit geschwiegen. Nun findet sich aber heute in den „Berl. N. N." folgende Notiz: „Auswärtigen Blättern zufolge steht es fest, daß dem Verein englischer Schifssingenieure, der zum Besuch der Gewerbeausstellung hierher kommt, seitens der Marineverwaltung aus An regung des Kaisers ein Fest gegeben werden soll, voraussichtlich bei Kroll. Wir nehmen diese Nachricht, die namentlich für alle Steuerzahler höchst befremdlich sein wird, hier nur auf, weil wir sie für ganz unglaublich halten und so ihre Widerrufung zu be schleunigen hoffen." Daß nunmehr ein Dementi nicht lange auSbleiben kann, liegt auf der Hand. Hoffentlich lautet es ebenso kategorisch, wie das Dementi, das kürzlich den Gerüchten über die angebliche Absicht des Kaisers, auch in diesem Jahre unsere getreuen Nachbarn jenseits des Canals mit einem Besuche zu beehren, entgegengesetzt wurde. Es wäre aber erwünscht, wenn auch der Quelle der neuesten Sensationsnachricht nachgegangen würde. Es wäre ja nicht schlechterdings unmöglich, daß Herr Liebknecht, der dem englischen Nationalgefühl alle nur erdenklichen Huldigungen darbringt, auch diese Nachricht in die Welt gesetzt hätte; aber der Führer der deutschen Socialdemokratie ist doch Wohl etwas zu vorsichtig, um solchen Mißbrauch mit dem Namen seines Kaisers zu treiben. Ein solcher Mißbrauch ist noch eher jenen englischen Corre- spondenten zuzutrauen, die schon durch die Gerüchte über den Kaiserbesuch in England den doppelten Zweck, den englischen Hochmuth anzustacheln und dem deutschen Kaiser Mangel an Selbstgefühl anzudichten, zu erreichen suchten. Die alte staatsrechtliche Streitfrage wegen der sogenannten justificirenden CabinetSorVreS, d. h. der im Gnadenweg er gangenen Erlasse, aus Grund deren im staatlichen Betriebe Be träge verausgabt oder in Ausgabe belassen oderzuvereinnahmcnde Beträgeniedergeschlagen werden,scheint jetzt in ein neues Stadium einrücken zu sollen. Der Kernpunct des Streites steckt in der Frage, ob die Volksvertretung das Recht beanspruchen könne, auch für die durch justificirende CabinetSorVreS gedeckten Posten der allgemeinen Rechnungen über den Staatshaushalt die Entlastung zu erkheilcn oder nickt. Für den Reichstag kommt noch die Frage der Gegenzeichnung hinzu für den Fall, daß von den justificirenden CabinctövrdreS im Bereiche der Militairverwaltung Gebrauch gemacht wird. Die jetzige Uebung gebt dahin, daß diese Cabinets- ordres nur von den betreffenden Kriegsministern der einzelnen Contingenle nach Einholung des Einverständnisses des Reichs kanzlers gegengezeichnet werden. Bis vor wenigen Jahren gab es auf dem Gebiete der Heeresverwaltung nur im Bereiche der preußischen Heeresverwaltung justificirende Cabinetsordres; seither sind solche auch bei den anderen Heeres-Contingenten ausgetreten. Bis zum Jabre 1879 waren alle betheiligten Factoren: Bundesrath, Reichstag, Reichskanzler und Rechnungshof, darüber einig, daß die Gegenzeichnung des Reichskanzlers notwendig sei. Erst auf einen von dem damaligen preußischen Kriegs minister erhobenen Widerspruch hin gestaltete sich die Frage zu einer Streitfrage, indem die Reichsregierung die Ver pflichtung des Reichskanzlers zur Gegenzeichnung bestritt. Die Mehrheit des Reichstags hat sich stets principiell für die Unerläßlichkeit der Uebernahme der Verantwortung für alle justificirenden Cabinetsordres durch den Reichskanzler entschieden; auch der Rechnungshof hat diesen Standpunct festgehalten. Anfangs suchte man nack einem moclus vivoucki, indem man anerkannte, daß die Angelegenheit von Grund aus nur durch ein Comptabilitätsgesetz zu regeln sei. Bei den allgemeinen Rechnungen bis 1883 begnügte sich der Reichstag mit einer Auskunftsertheilung der Re gierung über die Gründe des Ergangs der justificirenden Cabinetsordres. Bei der Berathung der allgemeinen Rech nung für 1881/85 aber wurde in einem Beschlüsse des Reichs tages ausdrücklich die nachträgliche Genehmigung aller durch solche Ordres gedeckten Posten durch die Volksvertretung für notbwendig erklärt. Da die Reichsregierung auf ihrem Stand puncte beharrte, ist diese Recknung vom Reichstag immer wieder an die Recknungscommission zurückvcrwiesen worden, so daß sie und alle folgenden heute noch der Erledigung harren. Die Stellung der Neichsregierung ist nicht dahin zu ver stehen, als ob die letztere oder das dem Reichstage allein Verantwortliche Organ, der Reichskanzler, überhaupt die Ver antwortung für die betreffenden Posten ablehnte. Die Argumentation der Neichsregierung geht vielmehr dahin, daß durch die Aufnahme dieser Posten in die all gemeine Rechnung und die Unterzeichnung der Vorlage betreffs der Gesammtrechnung durch den Reichskanzler der Letztere mittelbar auch die aus Artikel 72 der Reichs verfassung sich ergebende Verantwortung für die justificirenden Cabinetsordres übernehme. Die Reichsregierung dcducirt dann weiter, der Reichskanzler sei dem Reichstage für die betreffenden Posten wohl verantwortlich, es bedürfe aber nicht der nachträglichen Genehmigung derselben durch den Reichs tag; denn die Verantwortung des Reichskanzlers Werve ge deckt durch das Recht der Krone. Reichstag und Rech nungshof dagegen stützen ihre Auffassung nickt nur auf den Artikel 72 der Verfassung, welcher bestimmt, daß der Reichskanzler über die Verwendung aller Einnahmen des Reiches jährlich im Reichstag und Bundesrath Rechnung legen muß, sondern auch auf den Artikel 17, wonach der Reichskanzler die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers gegenzuzeichnen hat. Im Jahre 1892 versuchte der Reichstag die Meinungsverschiedenheit aus Grund eines Antrags des nationalliberalen Abg. Piescbel in der Weise ru begleichen, daß er unter Wahrung seines principieüen Standpunktes auf die Gegenzeichnung der einzelnen justificirenden Cabinetsordres durch den Reichskanzler verzichtete, dagegen den Erlaß einer Gesetzesbestimmung forderte, welche den Rechnungshof zur Kenntlichmachung der nur durch justificirende Cabinetsordres gedeckten Posten in den all gemeinen Rechnungen verpflichtete. Formell wenigstens würde dadurch das Budgetrecht des Reichstags gewahrt sein. Der Antrag kam wegen Beschlußunfähigkeit des Reichstags nicht zur Entscheidung. Im Jahre 1893 wählte man im Interesse der Beilegung des Streites eine noch mildere Form, indem man eine Resolution annahm, welche die Reichsregierung aufforderte, den allgemeinen Rech nungen über Reichsbausbalt s u mm arische Na ch w e isu n g e n über die erlassenen justificirenden Cabinetsordres beizufügen. Zur Erfüllung dieses Verlangens Hal sich jetzt endlich die Reichsregierung durch den Reichsschatzsecretair bereit erklärt, und die Rechnungscommission schlägt nunmehr dem Reichstag vor, die bisher verweigerte Entlastung für die Rechnungen von 1884/85 rc. zu crtbeilen. Damit dürfte denn der alte Streit zwischen Reichstag und Reichsregierung vorläufig, dis zur Feststellung eines Comptabilitätsgesetzes, aus der Well geschafft sein. Die französische Regierung legt zwar derorleanistischen Bewegung nur geringe Bedeutung bei; immerhin ist der Behörde die Weisung zugegangen, schärfste Wachsamkeit zu üben und insbesondere den Herzog von Orleans bei seinem etwaigen Erscheinen auf französischen Boden sofort feslznnehincn. Das Auftreten des Herzogs von Orleans und die Rührig keit, welche die „Jungen" unter den Royalisten entwickeln, haben übrigens die Bonapartisten in große Unruhe ver setzt, und sie fragen sich, warum ihr Prätendent, warum Prinz Victor sich nicht rühre. Der Prinz läßt durch gute Freunde antworten, er habe kein Geld. Als Erbtheil seines Vaters besitze er blos 10 000 Francs Rente. Damit er in Brüssel wenigstens einigermaßen standesgemäß leben könne, gebe ihm die Ex-Kaiserin Eugenie jedes Jahr 30 000 und die Schwester seines Vaters, die Prinzessin Mathilde Demi dow, 20 000 Francs. Er hänge also materiell von den beiden allen Damen ab, die ihm überdies jedes active Eingreifen in die Politik verboten hätten, denn sie besäßen bedeutende Güter in Frankreich; die Prinzessin Mathilde lebe beständig in Paris oder in Saink-Gralien bei Enghien, und die Kaiserin Eugenie halte sich oft in Süd-Frankreich auf. Beide fürchteten, die französische Negierung könnte ihnen allerlei Unannehm lichkeit bereiten, sie vielleicht sogar ausweisen und ihre Güter confisciren, wenn sie erführe, daß Prinz Victor ihr Geld zu einer politischen Agitation auSgebe. Immerhin ist eS möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß Prinz Victor andere Gründe für seine Zurückhaltung bat. Er scheint den rechten Augenblick noch nicht für gekommen zu erachten und sich nicht vorzeitig verbrauchen zu wollen. Dem Herzog von Orleans gegenüber hat er den Vortheil des eminenten Zaubers, welchen der Name Napoleon immer noch in Frankreich übt, während die Geschichte der Orleans nicht geeignet ist, die Sympathien der Franzosen für das Königthum zu erhöben. Hinterließ Napoleon I. dem Lande auch eine schlimme Erbschaft, so kann es das ruhmsüchtige französische Volk doch nickt ver gessen, daß die Jabre von 1796 bis 1812 die Glanzzeit ver französischen Geschichte darstellen. In wie großen Mißkredit sich zudem die dritte französische Republik ge bracht hat, ist gelegentlich der kürzlich mit Ach und Krach beendeten Regierungskrisis, der eine neue Krisis über Nacht folgen kann, genugsam betont worden. Der ehrliche Mann verabscheut die Corruption, der maßvolle Politiker haßt die ins Ungemessene gehende radikale Phrase, der begüterte Rentier fürchtet die wachsende Macht des Socialismus, der ruhige Bürger ärgert sich über die ewigen Ministerkrisen; kurz, die Mißwirtbschaft der dritten Republik hat auch bei den ungezählten Tausenden, die an sich keineswegs monarchisch gesinnt find, die aber Ruhe und Ordnung im Vaterlande höher schätzen, als das Bekenntniß zum republikanischen Katechismus, die Sehnsucht nach einem Manne erweckt, der geeignet ist, daS Land einer ruhigen Entwicklung entgegen zuführen. Zum fünften Male in diesem Jahrhundert hat sich gestern in Moskau der feierliche staatlich-kirchliche Act der Zaren krönung vollzogen. Es geschah unter helleren, glücklicheren Vorzeichen als je zuvor. Alexander I. kam nach einer Palast revolution, nack der Ermordung seines Vaters zur Negierung. Ihm folgte Nikolaus I. unter den Schrecken der Dekabristen- verschwörung. An seinen Sohn Alexander II. fiel die Regie rung inmitten des unglücklichen Krimkrieges, der seinem Vater das Herz gebrochen batte. Alexander III. empfing die Krone, nachdem sein Vorgänger von einer Dynamit bombe zerschmettert sein Leben ausgehauchl hatte. Keine schwere Schicksalsfügung solcher Art hat dem jetzigen 28jährigen Herrscher den Weg zum Throne gebahnt. Weder über Rußland selbst, noch über der sonstigen politischen Welt hängen drohende Wolken, und nichts beeinträchtigt die wohl wollende Theilnabme, mit der Europa daS feierliche Schau spiel begleitet, das die heutige Machtfülle des Zarenreichs in einem überaus glanzvollen Bilde vor Augen führt. Zwar ist Zar Nicolauö Alexandrowitsch politisch noch sehr wenig mit seiner Person hervorgelreten, er Hal, indem er ebenso wenig den autokratischen Kaiser wie den Reformkaiser hervor kehrte, weder zu übermäßigen Erwartungen, die der Ent täuschung, noch zu dunklen Befürchtungen, die der Verwirk lichung harren, Anlaß gegeben, aber der Umstand, daß diese Persönlichkeit eine milde, wohlwollende, sympathische ist, weckt freundliche Ahnungen und die Hoffnung darauf, daß er ein fegens reiches Wirken für die wirtbschaftliche und geistige Hebung seines Volkes sich als Ziel gesetzt hat und die europäische Cultur auch im fernen Westen zu ihrem Rechte gelangen lassen will und diese Hoffnung findet eine Stütze in dec edlen, humanen und in freiheitlicher Lust start gewordenen Gesinnung der deutschen Prinzessin, welche der Zar gestern die Kaiserkrone aufs Haupt gedrückt bat. Durch das Krönungsmanifcst geht ein Zug großer Milde, namentlich gegen politische Verbrecher hindurch und selbst wenn eö bei diesem für einen russischen Selbstherrscher schon sebr weit gehenden Gnadenerlaß vorerst sein Bewenden hätte und die Aufhebung der Körperstrafe, sowie die Gewährung maßvoller konstitutioneller, religiöser und nationaler Freiheiten ver geblich erwartet worden wäre, wüßte man doch, daß die Zukunft des russischen Volkes in guten Händen liegt, die Segen spenden werden, wenn cs die inneren Bedürfnisse und die geschichtliche Entwickelung des ganz anders als die europäischen Staaten gearteten Reiches an der Zeit erscheinen lassen. Wie immer aber die inneren Verhältnisse Rußlands sich gestalten werden, auf die politische Stellung Deutschlands zu dem gewaltigen Nachbarreiche können sie keinen Einfluß üben. Rußland ist in dem letzten Jahrzehnt zu einer Welt macht allerersten Ranges geworden; sein Kaiser herrscht nicht nur vom Schwarzen Meer bis zum Stillen Ocean, vom Eismeer bis zu den Grenzgebieten Indiens, er herrscht auch in Paris, am Goldnen Horn und in Peking, ohne daß diese FeniH-tsir. Die Tochter des Millionärs. Llj Roman aus dem Englischen von L. Bernfeld. (Nachdruck verboten.) „Ein Herr? Wer ist es? Hat er seinen Namen nicht genannt?" „Nein, gnädiges Fräulein, er wollte ihn nicht sagen." „Melden Sie ibn bei Mrs. Hopley, Thomas!" „Die gnädige Frau find ausgesahren, und Mr. Hopley befindet sich in der Fabrik. Ich habe das dem Herrn ge sagt, und da fragte er, ob er daS gnädige Fräulein sprechen könne. Er wartet im Salon." „Es ist gut, ich werde kommen." Beatrix kehrte sogleich um und schlug den nächsten Weg nach dem Hause ein. Ein eigenthümliches Gefühl der Erregung hatte sich ihrer be mächtigt, und ein Gedanke war plötzlich in ihr aufgestiegen, der sie erbeben ließ. Konnte Victor Greville der Besucher sein? Hoffnung, Liebe und ein heißes Verlangen, ihn zu sehen, stiegen zu gleicher Zeit in ihrem Herzen auf. Als sie die Thür zum Salon erreicht hatte, zitterte sie so sehr vor Erregung, daß sie genöthigt war, erst einige Augen blicke zu warten, um ihre Selbstbeherrschung wieder zu er langen. Endlich nahm sie all ihren Muth zusammen und öffnete die Thür; und dann schien das arme wildschlagende Herz plötzlich still zu stehen, denn vor ihr stand mit einem böslichen Lächeln auf dem Gesicht — der alte Mayblow. „Ach, Herr Doctor, Sic sind eS!" sagte Trixie matt, und sie kam sich sehr thvricht vor, Laß sie hatte annehmen können, Victor wäre der Besucher. „Ja, mein verebrtes, gnädiges Fräulein, ich bin es", rief der alte Herr, galant ihre Hand an seine Lippen führend. „Ich bin hochbeglückt, Sie einmal wieder zu sehen, und zwar, erlauben Sie mir es auszusprechen — reizender und be zaubernder als je." „Und was hat Sie nach Manchester geführt, Herr Doctor?" fragte Trixie, indem sie sich bemühte, freundlich und liebens- würdig zu sein. „Es wird meinen Eltern sehr leid thun, Sie verfehlt zu haben, sie sind Beide nicht zu Hause." „Ja, ich habe eS bereits gehört, und ohne Ihren ver ehrten Eltern auch nur im Geringsten nahe treten zu wollen, muß ich gestehen, daß es mir gar nicht unangenehm ist. Ich werde dieselben doch noch sehen, da ich mich einige Tage hier aufzuhalten gevenke — ick bin im „Hotel London" abgestiegen — für den Augenblick bin ick sehr glücklich, daß ich Sie allein getroffen bade, denn es war mir hauptsächlich darum zu thun, Sie zu sprechen." „Sie überraschen mich. Doch bin ich unfähig, zu errathen, was Sie mir zu sagen haben könnten, Herr Doctor!" „Mein sehr verehrtes Fräulein, eine ganz besondere und zwar sehr zarte Angelegenheit ist es, die mich hergcführt hat." Beatrix wechselte die Farbe und eine leise Unbehaglichkeit überfiel sie. „O, Sie böse, böse junge Dame!" sagte der Doctor, ibr scherzend mit dem Finger vrohend. „Ich hätte große Lust, mit Ihnen zu schelten, und Sie verdienten eigentlich, daß ich sehr schlecht aus Sie zu sprechen wäre!" „Wollen Sie mir nicht sagen, wodurch ich Ihren Zorn erregt habe?" fragte Beatrix etwas kübl. „Ja, daS will ich Ihnen sagen: Sie haben meinem armen Freunde, dem Grafen v. Sanfoine, daS Herz gebrochen!" „Ick verstehe Sie nicht, Herr Doctor!" sagte Beatrix mit großer Zurückhaltung. „Mein theures Fräulein, bitte, zürnen Sie mir nicht. Wissen Sie denn nicht, daß ich der Vertraute von halb Lonvon bin, alle jungen Leute kommen zu mir, um mir ihre Wünsche und Hoffnungen anzuvertrauen und mich um meinen Beistand zu bitten. Und das that auch mein lieber junger Freund, der Graf v. Sanfoine, gegen den Sie so grausam gehandelt haben. Er bat mir Alles erzählt, der Aermste, und mich gebeten, ein Wort zu seinen Gunsten einzulegen." „DaS ist nur unbegreiflich!" ries Trixie ungeduldig. „Wenn der Graf v. Sanfoine schon so indiScret gewesen ist, Ihnen zu erzählen, daß ich auf die Ehre, Gräfin v. Sanfoine zu werden, verzichtet habe, so hätte er Ihnen auch gleichzeitig sagen müssen, daß mein Verzicht ein endgiltiger gewesen ist." „Gemach, gemach meine Theure! Das Nein junger Damen ist oft kein endgiltigeS, und besonders, wenn ein so schöner Titel in der Ferne winkt. Der Graf hat jedenfalls seine Hoffnungen nicht aufgegeben — ist er doch gegenwärtig in Manchester, um seine Bewerbung zu erneuern und hat mich gebeten, ihm den Weg zu bahnen!" „Der Graf in Manchester!", rief Trixie erschrocken, und ein Gefühl von Bangigkeit beschlich sie bei diesem Gedanken. Sie erkannte sofort die Gefahr des Erwachens der ehr geizigen Hoffnungen ibrcS VaterS und begann zu fürchten, daß ihre Mutter sie von Neuem quälen könnte, die Wünsche ihrer Eltern zu erfüllen. Alle Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten, denen sie kaum entgangen war, mußten da durch wieder von Neuem über sie hereinbrechen. Sie fühlte, daß sie auf alle Fälle versuchen müsse, den Grafen nebst seinem Vermittler zur Abreise zu veranlassen, ehe ihr Vater noch von deren Ankunft gehört hätte. „Kebrcn Sie zu ihrem Freunde zurück, Herr Doctor, und haben Sie die Freundlichkeit, ihm eine Bestellung von mir ausrichten!" „Meine theuere Miß Hopley, ich werde entzückt sein, Ihrem Wunsche zu willfahren, was darf ich ibm sagen?" „Sagen Sic ihm, daß kein Mann von Ehre jetzt den Wunsch hegen kann, mir seinen Namen zu geben." „Mein verehrtes Fräulein —" „Es ist so, Herr Doctor, Sie haben wahrscheinlich noch nichts von den unangenehmen Ereignissen gekört, welche im letzten August in dem Hause des Colonel Larcombe statt gefunden haben." ES wurde ihr sebr schwer, das auSzusprecken, aber sie war entschlossen, die Wahrheit zu sagen, um sich ein für alle Mal von den Nachstellungen des Grafen Sanfoine zu be freien. Sie mußte bei den letzten Worten sehr bleich ge worden sein und war nicht wenig überrascht, als die — wie Trixie glaubte — sehr ernste und gewichtige Mittheilung von dem alten Schwätzer mit einem fröhlichen und sorglosen Lachen entgegengenommen wurde. „O ja, ich habe davon gehört! Ihr BrillantbalSband ist Ihnen gestohlen worden und die kluge Polizei fand dann beraus, daß Sie selbst den Diebstabl begangen hätten. — Jawohl, eS war eine kurze Zeit lang daS Tagesgespräch, aber jetzt ist man längst darüber binweg, wichtige Ereignisse haben den kleinen Vorfall in den Hintergrund gedrängt." „Gott im Himmel, ist eS wirklich wahr, was Sie sagen", rief Beatrix, verzweiflungsvoll die Hände zusammcnschlagend. „Ist eS wahr, daß die ganze Welt den Verdacht kennt, der auf mir ruht und man seinen Scherz damit getrieben hat. Wissen Sie und weiß auch der Graf v. Sanfoine, daß dieser Polizeibeamte mich thatsächlich angeklagt hat und ich mög licher Weise zur Verantwortung gezogen werden konnte, wenn eS meinem Vater und dem Colonel nicht gelungen wäre, die Sache niederzuschlagen?" „Aber meine theuere Miß Hopley, daS ist ja vollständig lächerlich!" „Lächerlich oder nicht, Herr Doctor, kein Mann kann wünschen, einem Mädchen, aus welchem ein solcher Verdacht rubt, wie auf mir, seinen alten ehrlichen Namen zu bieten. Der Graf v. Sanfoine kann nicht darum wissen." „Bitte sebr um Verzeihung, Miß Hopley. Der Gras v. Sanfoine weiß Alles sehr genau. UebrigenS war er zu jener Zeit in Highmoor." „Aber diese entsetzliche Anklage wurde erst nach seiner Abreise gegen mich vorgebracht." „Er ist von Allem unterrichtet, Miß Hopley, und er findet es empörend, daß man Sie überhaupt beschuldigt hat. Kein Mensch mit gesundem Verstände wird ein solches Wundermärchen von einer Dame in Ihrer Stellung glauben. Der Unsinn liegt ja auf der Hand. Der Graf kümmert sich nicht im Mindesten um die ganze Geschichte!" „Wollen Sie sagen, daß er daS, was mir zur Last ge legt wird, nicht glaubt?" „Sicherlich nicht, auch nicht einen Augenblick!" Trix.ie wurde nachdenklich, eine Weile saß sie schweigend da, müßig mit dem Besatz ihres Kleides spielend, endlich sagte sie mit leiser Stimme: „Das ist hübsch von dem Grafen, sehr edel!" „Ja, er ist wirklich ein guter Mensch, das kann ich Ihnen sagen. Und sein Wunsch, Sie zu heirathen, noch so lebbait wie je." Trixie blickte I)r. Mayblow scharf an und sagte kübl: „Der Graf von Sanfoine wünscht mich meines Geldes wegen zu beiratben, Herr Doctor!" Bei dieser rückhaltslosen Erklärung wurde vr. Mayblow sichtlich verlegen und hatte es fast den Anschein, als ob eine schwache Röthe über sein faltiges gelbes Gesicht zog. „Aber meine Liebe — meine beste Miß Hopley," rief er mit einer abwehrenden Handbewegung, „wie können Sie so etwas sagen?" „Warum denn nickt, Herr Doctor, der Graf hat es mir doch selbst bestätigt." vr. Mayblow war so verblüfft, daß er Trixie fassungslos anstarrte, die ihn einige Augenblicke schweigend beobachtete und dann hellauf lachte, sie hatte seit langer Zeit nicht so herzlich gelacht. „Das hat gar nichts zu sagen," rief sie auS. „Der Graf und ich sind deshalb doch sehr gute Freunde und ick habe ihn gern, trotzdem er den Goldfisch von „Sapavo" Heirathen möchte, lediglich um sich zu bereichern. Bitte, sagen Sie ihm, daß ich ihm durchaus nicht« nachtrage, und eö mir angenehm fein würde, ibn später einmal wieder zu sehen; an», wie ich mich gefreut hätte, daß er dieser ad*
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