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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.11.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-11-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19021111017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902111101
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902111101
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-11
- Tag 1902-11-11
-
Monat
1902-11
-
Jahr
1902
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DaS entsprach so gar nicht ihren früheren Gepflogenheiten, welche gewöhnlich den Grund satz vertraten, die russische Flagge dort zu lassen, wo sie einmal wehe, daß vielfach an der Aufrichtigkeit der Ab sichten ber Russen gezweifelt wurde. Genährt wurden die Zweifel durch eine Klausel des Vertrages, nach welcher das Zarenreich erst dann mit ber Räumung beginnen wollte, wenn die Ruhe in der Mandschurei hergestcllt wäre, und wenn die Haltung anderer Mächte es nicht an seiner Ab- sicht hindern würde. Gleichzeitig begannen die Petersburger Blätter, die Zustände in der Mandschurei sehr ungünstig zu schildern, wodurch die Kühnheit räuberischer Horden und die Schwäche der chinesischen Regierung in Hellem Lichte er schienen. Es konnte darnach kaum einem Zweifel unter liegen, -aß an der Newa geringe Lust zur Zurückzichuna der Truppen und zur Preisgabe der Mandschurei bestand. Und nun wird doch mit der Räumung auf einmal ernst gemacht, — anscheinend wenigstens. Vor einigen Wochen wurde eine Kundgebung aus Petersburg verbreitet, nach welcher die Rückgabe des streitigen Gebietes an die chine sische Regierung und die Entfernung des Militärs nun mehr ihren Anfang nehmen würden. Der Ankündigung ist jetzt die Tat gefolgt und die „Räumung der Mandschurei" nicht mehr nur ein Wunsch der Engländer und Japaner, sondern sic vollzieht sich langsam, aber rin- verkennbar. Betrachtet man indessen diese neueste, mit den alten Traditionen anscheinend unvereinbare Ak tion der Ruffen. so mutz man zur Erkennt nis gelangen, daß sie doch wesentlich anders auSsieht, wie sich nach dem flüchtigen Eindruck der Peters burger Kundgebung annehmen ließ. Die Zurückziehung -er Truppen besteht tm Grunde in gar nichts anderem, wie Larin, daß das früher im Lande zerstreut gewesene Militär an gewissen Punkten zusammengezogen wird. Rußland besitzt bekanntlich auf Grund des viel genannten Cassini-Vertrages aus dem Jahre 1896 das Recht, die mandschurische Eisenbahn, die von ihm errichteten Gebäude und das sonstige Bahnmaterial durch Truppenabtciluugcn „schützen" zu lassen. Dieses Recht ist durch die jüngste Vereinbarung in keiner Weise angetastet worden, und mau würde das in Petersburg auch niemals zugcben. Die er wähnte Bestimmung nun ist es, die die russische Diplomatie jetzt trefflich ausnutzt, indem sic den „Schutz" der mandschu rischen Linie als Mittel zur Befestigung ihrer Herrschaft über die Mandschurei gebraucht. Der neue Schienenweg berührt die meisten wichtigen Straßen und Städte des Landes. Alle diese Punkte können von den Russen durch Truppen in beliebiger Zahl besetzt werden. Die bis herigen Abmachungen haben über die Größe der Wacht» Mannschaften nichts bestimmt, und niemand wird cs hindern können, wenn 30—50 000 Mann dazu verwandt werden. Daß die Russen die Sachlage zu ihren Gunsten ausnutzcn werden, darf als selbstverständlich angesehen werden. Die russischen Truppen haben mehrere größere Städte der Mandschurei, wie Niutschwaug, Kirin und Mukdcn, verlassen; aber sie haben in der Nähe und längs des Bahnkörpers Stand lager bezogen, die ihre Stellung eigentlich nur weiter festigen. Die Engländer, welche anfangs über die „Nachgiebigkeit" des Zarenreiches jubelten, haben sich inzwischen überzeugt, daß ihre Freude voreilig war, und daß Rußland durch die „Räumung" nur einen neuen Sieg erfochten hat. Die Londoner Blätter schildern die Stand lager in anerkennenden Worten. Sic sollen ausgedehnte Kaserncubauten, in denen tausende von Soldaten unter gebracht werden können, enthalten und städtische Anlagen nach europäischem Muster mit allen modernen Erforder nissen besitzen. Russen sollen in großen Mengen in diese Standlager strömen, die in gewissem Sinne einen Sraat im Staate China bilden. Jetzt erkennen die Briten, daß die Russen zur Ausübung ihres Einflusses in der Mandschurei kein besseres Mittel ergreifen konnten, als die Zusammenziehung ihrer Truppen in diesen Standlager». Sie haben die Möglichkeit, die letzteren zu Stützpunkten ihrer Operationen zu machen, ohne darin von China, Eng- land und Japan behindert werden zu können. Sic können von dort aus weit beanemcrc Vorstöße in das Land unter nehmen, als es in den Städten der Fall gewesen wäre, wo «lach verschiedener Richtung Rücksicht genommen «verdcn mutz. Rußlands Druck auf Peking und die chinesische Re gierung wird nach der „Räumung" -er Mandschurei in wesentlich stärkerem Maße zu Tage treten, als es bisher der Fall war. Die Frage märe freilich, ob England und Japan sich bei dieser Wendung beruhigen werden, oder ob sie am Ende, sei cs auch mit Waffengewalt, dem Vordringen der Russen entgegcntretcn." Wir glauben, das letztere un bedingt verneinen zu müssen. England hat freilich im Süden Afrikas Frieden geschlossen nnd dadurch die Hände teilweise frei bekommen; aber die Zustände in seinen neuen Kolonien sind deshalb noch lange nicht so, daß man in London die Hände in den Schoß legen und wiederum auf Abcutcuer ausgehcn kann. Die Engländer werden unter allen Umständen den Frieden zu erhalten suchen; Japan wiederum fühlt sich allein nicht stark genug, um mit dem Zarenreiche den Krieg zu beginnen. So dürfte die Ruhe in Wen in nächster Zeit kaum gestört werden. Rußland selbst aber hat dnrch seine Taktik in der Mandschurei einen hervorragenden Erfolg errungen, der ihm einen festeren Rückhalt bietet, als die gewaltsame Besetzung des Landes. Deutsches Reich. -i- Berlin, lO. November. (Die Welfen in Braun schweig.) Nach dem hannoverschen Hauplorgane der Weifen partei haben die braunschweigischen Welfen oder, wie die „Deutsche Volkszeitung* sie nennt, „die vereinigten vaterländi schen Parteien deö Herzogtums Braunschweig", schon jetzt Kan didaten für die nächstjährigen RcichStagSwahlen in allen drei braunschweigischen Wahlkreisen ausgestellt. Da ein.Sieg der welfischen Bewerber ausgeschlossen ist, so sind großmütiger weise in zwei von den drei Wahlkreisen bürgerliche Bewerber ausgestellt worden (in Halbwegs aussichtsreichen Wahl kreisen stellen bekanntlich Welfen adlige Kandidaten auf). Wir sagen, daß die welfischen Kandidaturen in Braunschweig aussichtslos seien; aber immerhin haben sie bei den letzten NeichStagswahlen mehr als 10 000 Stimmen in den drei braunschweigischen Wahlkreisen aufgebracht. In keinem dieser Wahlkreise ist freilich der welfische Anhang so groß, daß die Partei Aussicht hätte, auch nur in die Stich wahl zu gelangen, aber immerhin haben sie in zwei von den drei Wahlkreisen den stolzen Erfolg zu verzeichnen gehabt, der Sozialdemokratie zum Siege zu verhelfen. In dem Wahlkreise Braunschweig, in dem die Sozialdemokratie einen Slimmenrückgang gegenüber den Wahlen von 1893 zu verzeichnen batte, war beim gemeinsamen Vorgehen der bürgerlichen Parteien in der Stichwahl der Sieg deS bürger lichen Bewerbers möglich. Der Wahlkreis Holzminden siel infolge der welfischen Kandidatur zum ersten Male der Sozial demokratie in die Hände. Diesen Erfolg können die wel» fischen Kandidaturen möglicherweise auch bei den nächsten Wahlen haben, und wenn der Ehrgeiz der Welfen hierauf gerichtet ist, so haben sie ja mit der Ausstellung eigener Kandidaturen das rechte Mittel zum Zweck gewählt. * Berlin, 10. November. (Zentrum, Reichskanzler und BundeSrat.) Die „Köln. VolkSztg." ist tief verstimmt gegen den Reichskanzler und oen BundeSrat, denen sie folgender maßen den Text liest: Invvilch-n hört man von dc? s'f-sch-regierung immer noch nichts. Der Reichskanzler geht zum Kaiser, und der Kaiser besucht den Reichskanzler zu langen Konferenzen. Aber man hört und sieht nicht, Laß etwas dabei hcrauskommt. Die Passivität des Reichskanzlers beginnt etwas wahrhaft tragisch Großartiges zu gewinnen. Unnahbar sitzt der leitende Staatsmann in seinem PalaiS in der Wilhelmstraße. Vielleicht ist er noch dabei, die Aktenstöße aufzuarbeiten, welche sich während seines verlängerten Ferienaufenthaltes in Klein-Flottbeck angehäuft haben. Derweil mutz Graf PosadowSkv im Reichstage die verbündeten Regierungen allein vertreten. Da aber wirklich nichts Neues passiert und die Lage un verändert dieselbe bleibt, so weiß auch er nichts Besseres zu tun, als zu schweige». Auf der Ministerbank sieht's so gemütlich und harmlos aus, als ob es den Bundesrat gar wenig anginge, was da unten im Parterre des Reichstages vor sich geht. Ter Reichstag tut ja nur seine Pflicht, wenn er auch unter den größten Opfern die weitschichtige Vorlage durch berät, welche der Bundesrat ihm unterbreitet hat. Gewiß, er tut nur seine verfassungsmäßige Pflicht; und er tut in der Tat diese Pflicht und wird sie tun bis zum Ende. Aber neben dieser Pflicht des Reichstages steht doch auch die Pflicht deS Bundesrats, zu tun, was an ihm ist, und unhaltbaren Zuständen ein Ende zu machen. Wenn der Bundesrat dieser Pflicht sich nicht zu erinnern scheint, so darf darum der Reichstag immer noch nicht aushören, seinerseits seine Pflicht zu thun, so lauge wie e« geht. Aber wenn die Sache hernach rin unerfnulicheS Ende nimmt, so soll man dem Reichstage keine Borwürfe machen, sondern für diese die richtige Adresse im BundrSratr fachen. Wahrscheinlich ist dieser Artikel nur die Einleitung zu einem weiteren, in dem die „Köln. VolkSztg." dem Reichskanzler und dem Bundesrate klar macht, was sie eigentlich zu tun haben. Und da das klerikale Blatt nach den wiederholten feierlichen Erklärungen der Vertreter deS Bundesrats nicht erwarten kann, daß dieser noch in letzter Stunde in Sachen der Mindest zölle „umfällt", und da eS auch vom Reichskanzler nicht verlangen kann, daß er hinter jedem säumige» Ab geordneten herreist und ihn in den Reichstag treibt, so bleibt nichts anderes übrig, wie die genaue Bezeichnung des Preises, für den das Zentrum seiner Herzensneigung zum Umfallen und zur Herbeiführung stark besetzter Häuser, in denen die Obstruktionisten machtlos sind, nachkommen kann. Also heraus mit klaren Forderungen! * Berlin, 10. November. Zu der Reise de- preußischen Eisenbahnministers an die süddeutschen Höfe liest man in einer Zentrums-Korrespondenz, die beachtenswerter Weise sogar vom „Bayer. Kur." ohne Anstand ab gedruckt wird: „Daß die deutsche Eisenbahngemeinschaft das Ziel ist, auf daS man es in Berlin abgesehen hat, ist wohl nicht zu leugnen. Man hat aber gar nicht nötig, die anderen Staaten darum schroff zu behandeln und Zwang onzuwenden, wie seiner Zeit bei der Hineinziehung der Nachbarn in den Zollverein. Man darf auf die „Entwicklung" vertrauen, die Gemeinschaft schon von selbst bringen wird, wenn man nur Geduld hat. In Württemberg ist ja bereits eine starke Strömung für den Anschluß." Hierzu bemerkt di« „Nat.-Ztg.": „Wenn selbst in die partikularistische ZentrumSpresfe Bayerns Ausführungen dieser Art Eingang finden können, so verschlägt es wenig, daß die „Franks. Ztg." bayerischer ist als die Bayern Wiaistar Budde aus seiner Reise mit Mißtrauen verfolgt und die für die Eisenbahngemeinschaft vorhandene Strömung mög lichst unbedeutend darzustellen sucht. DaS Blatt weiß nur von „Wühlereien" der schwäbischen und badischen Wöll warths und bestreitet das Anwachsen der einer Eisen bahngemeinschaft freundlichen Auffassung in Württem berg, das sich, wie es geringschätzig meint, „höchstens auf einige GrotzhandelSleutr" beschränke. Es berührt doch recht seltsam, daß gerade die „Frankfurter Ztg." damit indirekt den „Großhandelsleuten" daS Urteil über diese Fragen abspricht; sollten sie nicht im Gegenteil zu den zu ständigsten Beurteilern solcher VerkehrSangelegenheiteu ge hören? Wir können vorläufig mit dem Zugeständnis ganz zufrieden sein, daß in diesen kompetenten Kreisen die Ueberzeugung von der Notwendigkeit einer Ver- kehrSvereinheitlichunz weiter um sich greift, ebenso wie mit der vielsagenden Bemerkung, daß die Verhält nisse in KarlSrnhe, „wenigsten« jetzt noch" nicht anders liegen — deutet sie doch die Erkenntnis an, daß auch hier der Umschwung mit der Zeit zu gewärtigen ist. An gesichts dieser Aenderung deS Tons sowohl in der klerikalen iv:e in der volksparteiiichen Presse partikularistischer Observanz Haden wir keinen Anlaß, unö erneut in die Streitfrage: ReichSeisenbabnen oder Anschluß an die preußisch-hessische Gemeinschaft? einzulaffeu und zu wiederholen, daß nur der letztere Weg gangbar ist. Wir warten ruhig die Entwicklung F-rrillrtsn. Wie ich den „Lrenham Herold" gründete. Tine tragikomische Geschichte von E. Carl«- Kaempf. Nachdruck verboten. ,/Künf Cents der „Brenham Herold", der neue „Brcn- ham Herold"", brüllte der Zeitungsjunge aus voller Lunge, ohne jedoch mit seinen Anstrengungen sonderlichen Erfolg zu erzielen. Ich war der Redakteur und Mitinhaber dieses Unter nehmens und schlich verschämt schon seit dem frühen Morgen hinter dem Jungen her. Meine hochgespannten Erwartungen sanken jedoch immer tiefer und tiefer, denn bis jetzt waren ganze vier Exemplare verkauft worden! Seit ungefähr einem Jahre befand ich mich in Texas und seit acht Tagen in dem freundlichen Städtchen Brenham, an -er Mittcl-Tcxas-Linic der Santa Fe« Eisenbahn gelegen. Damals war es noch klein. Die Be wohner des Städtchens waren znm großen Teil Deutsche, und auch die Farmen in der Umgebung gehörten zumeist deutschen Familien. Dabei hatte Brenham zwar eine gnte englische Zeitung, aber keine deutsche. Kein Wunder, daß ich vollkoimnen einverstanden war, als mir der alte Mr. Tobias Smyth — er hatte es für notwendig gehalten, seinen schönen deutschen Namen Schmidt zu amerikanisieren — den Vorschlag machte, mit ihm zusammen eine deutsche Zeitung in Brenham zu gründen. „Eine deutsche Zeitung in Brenham ist ein dringendes Bedürfnis", sagte er, emphatisch auf den Tisch schlagend, daß die Stühle in der alten Kneipe wackelten, „ich wieder hole eS, ein dringendes Bedürfnis. Und der Zeitpunkt ist außerordentlich günstig für das Unternehmen. Die Baumwollernte war ausgezeichnet; orxo haben die Leute Geld! Daß sich jeder deutsche Farmer eine deutsche Zci- tung halten wirb, ist selbstverständlich. Ich sage Ihnen, cs stecken Millionen in diesem Projekt, Millionen. Jim, noch einen Schnaps!" Die Millionen imponierten mir. Die Hauptsache war die Kapitalfrage. Smnth hatte kein Geld. Ich hatte ganze 200 Dollars, sagte ihm aber, ich hätte nur 150 — man konnte ja nicht wissen. 200 Dollars sind ein gan-er Hausen Geld für einen jungen Kerl, der keine Ahnung hat, wo er wieder Geld hcrbekvmmcn soll, wenn diese fort sind. Nun war der alte Smnth Feuer und Flamme. Zuerst der Name. „Brenham Herold." Der war sehr schön und hatte einen poetischen Klang. Gut! Setzen und Drucken würden wir selbst; Hülfokräftc zu bezahlen, wäre bei unserer groß artigen Kapitalseinlage etwas schwierig gewesen. Und cs ging auch so. Smnth konnte famos setzen, und ich — ich mußte cs eben lernen. „Man muß alles verstehen in Mal- hcurika", meinte er. Die Redaktion übernahm ich; die Lokalberichtcrstattung besorgten wir zusammen. Ter Alte brüstete sich mit den guten Verbindungen, die er hatte. Das war ganz richtig; sie waren nur zu gut, wie ich später heranssand. Jetzt ging cs an die Arbeit. Wir mieteten ein Haus — dieses hatte früher als Ziegenstall gedient. Es bestand aus zwei Räumen, die durch eine Hvlzwand getrennt waren. Die fehlenden Fenster wurden durch Hereingcschnittcne viereckige Ocffnungcn ersetzt. Luftig war cs, sehr lustig, aber das war für uns nur ein Vorteil bei dem heißen Klima. Das große Firmenschild fabrizierten wir selbst, indem wir ein Brett, das der alte Smyth bei einem Spa ziergang „gefunden" hatte, mit weißer Farbe anstrichen und auf diesem Untergrund mit grcllroten, weithin leuch tenden Buchstaben „Bnchdrnckerci des „Brenham Herold"" malten. Nun konnte es an die innere Einrichtung gehen. Die 150 Dollars waren für leihweise Ueberlassnng einer alten Tiegeldruckpresse, sowie zweier Kästen mit Lettern nnd andern dazu gehörigen Kleinigkeiten bereits anSgcgeben, und so blieb für die Einrichtung der Redaktion allerdings nichts mehr übrig. Jedoch auch hier schafften wir Rat. Der Besitzer der Grocery lKrämercij an der nächsten Ecke fand sich gegen das Versprechen einer Gratis-Anzeige bereit, uns eine große und zwei kleine Kisten, die auf seinem Hofe Herumlagen, abzutretcn. Die große Kiste überklebten wir, nachdem die eine Längswand heraus- geschlagen war, mit braunem Papier, und der Schreib tisch war fertig. Die zwei kleinen Kisten dienten als Sessel; roter Plüsch wäre allerdings hübscher gewesen^ auch ver mißte man bei längerem Sitzen die Polsterung ganz bc- dcntend. Nun begann meine Tätigkeit als Redakteur. Mitzwei Bleistiften und einem Notizbuch bewaffnet, besuchte ich eine Bar nach der andern und schrieb aus sämtlichen mir in die Hände fallenden Zeitungen die mir zusagenden Artikel einfach ab, dann ging cs zurück ins Sanktum; und während ich die gestohlenen Leitartikel ins Deutsche über setzte, arbeitete Smyth, deu unvermeidlichen Cigarrcn- stummcl zwischen den Zähnen, im Schweiße seines An gesichts am Setzkasten. Endlich war die erste Ausgabe, 100 Exemplare stark, fertig. Vier davon verkauften wir, wie eingangs erzählt. Ich ivar tief betrübt, wenn ich an meine schönen 150 Dollars dachte. Mit der Zeit jedoch ging es besser, und nach Verlauf von zwei Monaten hatte der „Brenham Herold" eine Auf lage von 500 Exemplaren. Die Sache hatte aber ihren Haken. Die Zahlungs weise unserer Landabvnncnten war nämlich eine höchst eigentümliche. Die Farmer, die von Haus aus geizig waren und hier in Amerika den Wert des Geldes erst recht schützen gelernt hatten, waren nämlich durch nichts zur Herausgabe baren Geldes zu bewegen, sonoern er legten ihre Abonncmentsgebühren in — Naturalien, ja, manchmal sogar in lebendigen Werten, wie Hühner, Ziegen usw. Natürlich konnten wir das Zeug nicht immer gleich an den Mann bringen, und so wurde zeitweise unser Geschäftslokal seinem ursprünglichen Zwecke, dem eines Stalles zurückgegcbcn. Die Schererei, die ich mit dem Verkauf von all den Sachen hatte, ist nicht zu beschreiben. Smyth nämlich war dazu nicht zu gebrauchen; der ging höchstens in die nächste Kneipe und vermöbelte die ganzen lebendigen AbonnementSgcbühren für ein paar Flaschen schlechten Schnaps! Wahrlich, unsere Abonnenten behandelten uns schlecht; die Zeitung war aber auch darnach. Unsere Typen waren miserabel, und eS waren auch nie genug von einer Sorte vorhanden. Oft kam es auch vor, baß wir anflngen, einen Artikel in kleiner Antiqua zn setzen; dann, als die aus ging, kam fette Borgis an die Reihe und am Ende Ver salien — lauter große Buchstaben. Oft ließen wir auch eine halbe oder ganze Spalte offen für die „nicht cingc- trosscnen Telegramme". Wir schlugen uns eben so durch. Endlich aber tam doch der Krach, den ich schon lange befürchtet hatte. Daß unser „Unternehmen" sich so lange über Wasser halten konnte, war nur der persönlichen Färbung der Lokal- bcrichterstattnnn zuznschreiben, welche Tobias Smyth be sorgte. Wo er seine Lokalnachrichten hernahm, ist mir immer ein Rätsel geblieben, aber so etwas Unverschäurtes war noch nie bagewefen. Die intimsten Familienange legenheiten zerrte er unbarmherzig ans Licht der Ocffent- lichkeit, nnd cs verging kaum ein Tag, an dem nicht ein wütender Bürger ans unsere Redaktion stürmte und Sühne verlangte für irgend eine schwere Beleidigung. Gewöhnlich endete die Sache damit, daß der alte Smyth furchtbare Prügel bekam — ich drückte mich immer. Und oie Prügel waren jedesmal wohlverdient: gegen den „Brenham Herold", war der „Arizona Kieker" der reinste Waisenknabe! Eines schönen Tages beschuldigte Smyth mehrere an gesehene Bürger, daß sic bei einem Besuche auf einer ent lcgcnen Farm mehreren Pferden die Erlaubnis erteilt hätten, mit ihnen zu reisen. Am Abend nach dem Er scheinen der betreffenden Nummer erschienen fünf dieser Ehrenmänner, bis an die Zähne bewaffnet, auf unserer Redaktion. Mr. Editor zu sprechen?" „Jawohl, das bin ich", gab ich betrübt zu. „Ihr habt den Artikel von den gestohlenen Pferden ge schrieben?" war die drohende Frage. „Xc>, no", beeilte ich mich schleunigst zu erwidern; mir ahnte nichts Gutes. „Dafür ist Mr. Smyth verantwort lich." Mit diesen Worten wollte ich zur Tür, um meinen Sozius herbcizurusen, wurde jedoch, mit vorgebaltencm Revolver, freundlichst ersucht, micht nicht zu bemühen, und die Herren begaben sich in den Nobenranm ans die Suche. Es dauerte nicht lange, so fanden sie Mr. Smyth — in der Papierkiste. Anch ihm wurde die Frage vorgelegt, ob er der Ver fasser des Artikels sei, nnd als er lebhaft bedauerte, sich nicht genau erinnern zu können, versetzte ihm einer der liebenswürdigen Besucher ein paar furchtbare Jagdhiebe mit einer schweren Maulticrpcitschr. Jetzt fiel eS Mr. Smnth ein, daß er die Geschichte geschrieben hatte. Die Lache ging sehr schnell. Mr. Smnth wurde einfach vor die Wahl gestellt, sofort gehängt zn werden oder un verzüglich Brenham für immer zu verlassen. Er entschied sich für das Letztere. Er hätte eine Luft veränderung nötig, sagte er. Gegen mich hatte man -war nicht«, aber der „Brenham Herold" war mir gründlich verleidet — ich fuhr nach St. Louis und wurde Rcpprter am „Globc Democ rat". Sang- nnd klanglos war der „Brenham Herold" ein- geschlafen, und das bedauernswerte Brenham ist, meines Wissens, noch jetzt ohne deutsche Zeitung!
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