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reiKr-MMia« und Tageblatt »s I-Hrgiwg. ,/» Erscheint jeden WochmMg Nachmitt.V,S Uhr für dm .« 61. LLL?Ä'ESL2LM Tieustag, de« 8. Februar Tagesschau. Freiberg, den 7. Februar. Der deutsche Kaiser hat von dem Erlaß einer Pro klamation vor den Wahlen Abstand genommen. Die vom 27. v. MtS. datirte kaiserliche Ordre über weitere Uebungen des Beurlaubtenstandes im Etatsjahr 1886/87 ist an da» Kriegsministerium gerichtet, von dem General Bronsart von Schellcndorff gegengezeichnet und hat folgenden Wortlaut: „Auf de« mir gehaltenen Vortrag bestimme ich im Anschluß an meine Ordre vom 11. März 1886 hinsichtlich der Uebungen deS Beurlaubtenstandes im EtatSjahre 1886/87 daS Folgende: 1) Es sind zu 12 tägigen Uebungen zwecks Ausbil dung mit dem Gewehr bl/71. 84 einzuberusen aus der Re serve : u. bei der Infanterie 68 200 Mann, b. bei den Jägern und Schützen 4800 Mann, einschließlich der vom Kriegs- Ministerium festzusetzenden Zahl von Unteroffizieren. Die Bestimmung über die weitere Vertheilung hat durch da- KriegS-Ministerium zu erfolgen. 2) Zu dieser Uebung sind heranzuziehen die übungspflichtig« Reservist«, mit der jüngst« Jahresklasse beginnend, welche noch nicht mit dem Gewehr Ä/71. 84 ausgebildet find. Die zum 1. April 1887 zur Landwehr übertretende älteste Jahresklaffe der Reserve ist von der Uebung ausgeschlossen. 3) Die Uebung findet in der Zeit vom 7. bis 18. Februar 1887 statt,- die hierzu aus dem Be urlaubtenstande einzuziehenden Offiziere oder Unteroffiziere haben bereits am 6. Februar am Uebungsorte einzutrcffen. Wilhelm." — Fast alle deutschen Blätter theilen daS Schreib« des Kardinals Jakobim an den NuntiuS in München mit und begleiten dasselbe mit sehr verschiedenartigen Kommentaren. Der Kernpunkt des Schreibens ist in folgenden Sätzen ent halten: „Dem Zentrum in seiner Eigenschaft als politische Partei ist stets unbeschränkte Aktionsfreiheit eingeräumt worden; sobald es sich um Interessen der Kirche handelt, würde es in dieser Eigenschaft dieselben nicht nach eigener Anschauung ver treten können. Wenn der heilige Vater geglaubt hat, dem Zentrum seine Wünsche hinsichtlich des Sep tennats aussprechen zu müssen, so ist das dem Umstande zuschreiben, daß diese Frage mit Fragen von religiöser und moralischer Bedeutung zusammenhängt." Darnach läßt der Papst in der Septennatsfrage keine Freiheit und mißbilligt, wie dies aus einer andern Stelle des Schreibens deutlich her vorgeht, daß das Zentrum seine erste desfallsige Willenskund gebung ignorirte. Die Organe der Zentrumspartei äußern sich darüber sehr vorsichtig, aber um so unumwundener geben die deutschsreisinnigen Blätter ihrem Unmuth Ausdruck. Eines derselben sagt, mit derselben Logik könne der Papst auch jede andere Frage der inneren Politck zum Gegenstände seiner Einflußnahme machen. „Die Jacobmi'sche Depesche", bemerkt die „Berl. Ztg.", „giebt dem Zentrum mit der einen Hand die unbeschränkte Aktionsfreiheit in politischen Fragen, um sie ihm mit der ander« Hand sofort wieder zu entreiße«. Denn die Aktionsfreiheit des Zentrums hört doch sofort auf, wenn die Entscheidung darüber, was eine politische Frage, was eine religiöse Frage ist, dem Zentrum entwunden und dem Papst überantwortet wird. Noch dazu, wenn der Be griff der „religiösen" Frage so sophistisch weit gedehnt wird, wie in der Jacobini'schen Depesche." Das Septennat wird nach diesem Schreiben des Kardinals, welches für die streng gläubigen Katholiken entscheidend sein muß, eine Mehrheit find«; die Thatsache, daß das Bündniß der Deutschfreisinnigen mit der klerikcüen Partei den Reichskanzler noch vor der Reichstagswahl zwang, sich des päpstlichen Beistandes zu ver sichern, bleibt aber als Signatur einer für die Liberalen un erfreulichen Wmdung besteh«. — Bei der am Sonnabend im preußischen Abgeordnetenhause stattgefundenen Be- rathung des Eisenbahnetats gab der Minister Maybach einen statistischen Nachweis über dm erheblichen Rückgang der Eisen dahnunfälle und bemerkte, die Verwaltung sei unausgesetzt für die möglichste Beseitigung der Unfälle bemüht und werde, soweit Beainte über die vorschriftsmäßige Stundenzahl syste matisch in Anspruch genommen würden, für Abhilfe sorgen. Die Klage über späte Benachrichtigung der Presse über Un fälle habe in den nothwcndigen Erhebungen über den Umfang Amtsblatt für die kuiglichea Md städtischen Behörden zn Freiberg und Brand Verantwortlicher Redakteur: Juli»» Braun in Freiberg. haben, in jener Ablehnung einen Sporn zu Rachegedanken empfunden haben. Bleibt der Fried« zwischen Frankreich und Deutschland jetzt trotzdem ungestört, so dankt man das wahrlich nicht dm Gegnem der Militärvorlage, sondern der deutschen Reichsregierung, welche durch rasche militärische Maßnahmen den revanchelustigen Franzosen die Ueber- zeugung lieferte, daß die Wacht an der Mosel heute so treu und fest steht, wie vor 17 Jahrm die Wacht am Rhein. Unnütze Kriegsfurcht. Während ein Theil der Bevölkerung sich durch die doch nur behufs Ausbildung der Truppen mit dem Repetir- gewehr erfolgte Einberufung von 73000 Reservisten un- nöthia in Angst setzen läßt, spottet ein anderer Theil der Bevölkerung der Kriegsfurcht und meint, dieselbe würde jetzt nur sür Wahlzwecke künstlich erzeugt und werde sich nach der Reichstagswahl rasch verflüchtigen. Das Eine ist so falsch wie das Andere. Je schlagfertiger das deutsche Heer erscheint, desto weniger kann unsern westlichen Nach bar die Lust ankommen, mit demselben anzubinden; um fassende Vorsichtsmaßregeln auf deutscher Seite beweisen deshalb noch keineswegs das Vorhandensein einer unmittel baren Gefahr. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich werden sicher von aber denBorgängen im Elysee- Palaste zu Paris weit mehr beeinflußt als von der deut sch« Rerchstagswahl. Wer nicht von Parteiwuth ver blendet ist, der kann unmöglich annehmen, daß Deutsch land und Oesterreich so große Aufwendungen nur zum Zweck eines Wahlmanövers machen und daß General Boulanger nur zur Förderung einer regierungsfreundlichen Wahl in Deutschland an der Ostgrmze Frankreichs Bar- rack« bau« und Truppenmassen zusammenziehen ließ. Ein entschieden freisinniges Blatt, das stets einen fast demo kratischen Anstrich trug, die Wiener „Neue Freie Presse" ist unbefangen genug, sich bei dieser Gelegenheit von der ihr sonst sehr sympathischen deutschen Opposition zu trennen und Folgendes zu schreiben: „Bei aller Vorliebe für eine starke Armee, welche die deutsche Reichsregierung hegen mag, und auch wenn man ihren Groll gegen den aufge lösten Reichstag in Rechnung zieht, ist es schwer anzu nehmen, daß die Kriegsfurcht lediglich als ein Hilfsmittel anzusehen sei, um die bevorstehenden Reichstagswahlen im Sinne des Septennats zu beeinflussen. Man ist ohne vollgiltige Beweise nicht berechtigt, die Reichsregierung eines solchen frevelhaften Spiels mit den höchsten Gütern des deut schen Volkes zu beschuldigen, und so bleibt nichts übrig, als anzunehmen, der Krieg werde wirklich in bedeu tenden und einflußreichen Kreisen Berlins für eine Noth- wcndigkeit angesehen." Wenn aber in diesen Kreisen der Gedanke wirklich jemals aufgetaucht sein sollte, daß es vor- theilhafter sei, die unvermeidliche Ausgleichung der Rech nung mit Frankreich so zu beschleunigen, daß sie vor dem Zustandekommen eines russisch-französischen Bündnisses er- folgt, läßt sich eine Verwirklichung dieses Gedankens doch zunächst nicht erwarten Das monumentale Wort des deutschen Reichskanzlers: „Wir werden Frankreich niemals angreisen!" bürgt dafür, daß ein Friedensbruch nur von französischer Seite zu befürchten sein kann, wogegen es freilich bei den schwankenden Verhältnissen in der Republik keine andere Bürgschaft giebt als die Schlagfertigkeit des deutschen Volkes in Waffen. Indessen mit Unrecht den regierungsfreundlichen Parteien in Deutschland vorgeworsen wird, aus dem Verhältniß zu Frankreich Kapital für die Wahlen zu schlagen, verwerthet die Opposition eine angebliche, die Kriegsgefahr vollständig verneinende Aeußerung des Kaisers in dreistester Weise für die Wablmache. Nach authentischer Feststellung hat der greise Monarch am 21. v. M. bei dem Empfang der preußi schen Herrenhaus-Deputatton über die militärischen Maß nahmen nur gesagt: „Die neuen Maßregeln, durch welche die Aimee gekräftigt wird, werden dazu dienen, jede Kriegsgefahr zu mindern." Dies hat den größten Theil der deutsch - freisinnigen und klerikalen Blätter nicht abgehaltcn, wenige Tage nachher eine völlig unbeglaubigte Meldung eines Berliner Korrespondenten des Londoner „Standard", der Kaiser habe bei der Ankündigung der Ein ziehung von Reserven zu den Generalen bemerkt: „Ich kann Ihnen sagen, es wird keinen Krieg geben", für ihre „Wahlagitation" zu benutzen. Dies veranlaßt der „Berliner Post" zu folgender Mittheilung: „Der Kaiser hat sich, wie wir bestimmt aus dem Munde von Ohren zeugen wissen, bei dieser Gelegenheit lediglich dahin aus gesprochen, das; die Maßregel der Einziehung der Reserven lediglich die Einübung derselben im Gebrauch des neuen Gewehres bezwecke und daß aus derselben in keiner Weise auf eine Kriegsgefahr zu schließen sei. Aber die Ver sicherung: „es wird keinen Krieg geben," hat der Kaiser, soweit bekannt geworden, gegen Niemanden ausgesprochen". Bei dem Empfang des Präsidiums des preußischen Ab geordnetenhaujes schwieg der Monarch bekanntlich voll ¬ ständig über die Kriegsbefürchtungen und erinnerte nur )aran, daß er ähnliche Erfahrung« wie jetzt mit dem Reichstage mit dem preußisch« Abgeordnetenhause in der Konfliktszeit gemacht habe, welche letztere erst durch den Krieg zum Abschluß kam So viel steht fest, daß der Kaiser und seine ganze Familie die Erhaltung des Friedens innig wünschen und erhoff«. — Thatsächlich besteht offiziell zwischen Deutschland und Frankreich bis jetzt kein Streiffall, aus welchem der Krieg hervorgehen könnte; trotzdem läßt sich nicht leugn«, daß ungeachtet der tadellosen amttichm Beziehungen ein gewisses Mißtrauen zwischen beiden Staaten in Folge der gegenseitigen militärisch« Maßnahmen vorhanden war. In den leitenden Kreis« Frankreichs konstattrte man aber in den letzt« Tagen mit großer Genugthuung eine ganze Reihe deutscher Friedenskundgebungen. Der mini sterielle „Temps" berichtete, Graf Bismarck habe zu dem französischen Botschafter Herbette gesagt, die 73000 Re servisten würden nur einberuf«, um sich in der Handha- bung des neuen Gewehres einzuüben. Dieselben feien übrigens nicht blos aus den Wcstvrovinzen, sondern aus dem ganz« Reiche einberuf« worden und würden zu be stimmter Zeit wieder entlass« und durch 20000 andere ersetzt werden, die auch nur eine bestimmte Dienstzeit hätten. Sodann werde die Einberufung aufhören. Gespräche, welche Herbette mit anderen Diplomaten in Berlin hatte, ergab« ebenfalls friedliche Anschauung«. Der Berliner Korrespon dent der Londoner „Morning-Post" erfuhr Folgendes: „Auf dem Hofballe theilte der französische Botschafter Herbette dem Grafen Bismarck mit, eine Depesche seiner Regierung «suche ihn zu erklären, daß Frankreich von den friedlichsten Absicht« beseelt sei; er solle alle Gerüchte über französische Rüstungen nachdrücklich in Abrede stell«. Herbette erklärte ferner, daß im letzten Kabinetsrath in Paris beschloss« worden sei, daß fortab keine weiter« Truppenbewegungen in Frankreich ohne Genehmigung des Staatsrathes (?) statt finden sollten." Ferner verlautet, daß der deutsche Bot schafter in Wien, Prinz Reuß, dem dortigen französischen Botschafter Decrais die ftiedlichsten Versicherung« ertheilte, wie denn auch der deutsche Botschafter in Paris, Graf Münster, deir. Minister Flourens bestimmt erklärte, seine Nachrichten aus Berlin ständen vollständig in Widerspruch mit den an der Pariser Börse verbreiteten düsteren An schauungen. Demgemäß sprach sich bei dem letzt« Empfang im Elysee Palast der Präsident Grsvy dahin aus, er habe begründete Hoffnungen auf Erhaltung des Friedens. So scheint der Schaden, den etwa der „Messerschneide-Artikel" der „Post" angerichtet, ausgebessert, dennoch würde es gut sein, wenn eine ähnliche Vermehrung des Zündstoffes in Frank reich in Zukunft unterbliebe. Die Warnung der „Leipziger Ztg." davor, die Knegsfrage ja nicht zu einer „Frage Boulanger zuzuspitzen, hat gewiß bei den jetzigen 'Pariser Verhältniss« die vollste Berechtigung. Unendlich schwer lastet der Druck der Ungewißheit der politischen Verhältnisse auf der ganzen Geschäftswelt, aber es ist nicht zu rechtfertigen, wenn der Nachtheil, den Handel und Wandel in letzter Zeit erlitten, der regierungsfreundlichen Presse in die Schuhe geschoben wird. Leute, welche be haupten, die Furcht vor dem Knege sei nur ein Agitations mittel der Septennatsfreunde, machen damit der Geschäfts welt ein sehr schlechtes Kompliment und überschätzen damit die Macht der Presse bei Weitem. Die große Geschäfts welt legt zwar einen gewissen Werth auf Aeußerung« leitender Blätter, aber sie prüft dieselben sorgsam, ehe sie sich davon beeinflussen läßt. Wenn sich kleine Spekulanten durch die Schwarzseherei irgend eines Journals zu über stürzten Verkäufen verleiten lassen, nutzen das die großen Banken und Börsenmänner nach eingeholten Informationen sehr bald zu ihrem Vortheil aus und stellen durch massen hafte Käufe das Gleichgewicht bald wieder her. Eine vorübergehende Panik an einem Börsentage können Zeitungs notizen Hervorrufen, eine förmliche Deroute niemals. Auf der einen Seite ist der Staatsanwalt, auf der anderen der Selbstschutz der Geschäftswelt stark genug, um zu verhin dern, daß zahlreiche Blätter Kriegsgerüchte aus der Luft herunter holen und damit zu Wahlzwecken eine Schädigung des Handels und Verkehrs verursachen. Die Ablehnung des Septennats hat die deutschen Geschäftsleute nicht ohne Grund beunruhigt, weil sie davon eine Ermuthigung der Chauvinisten in Frankreich befürchten mußten. Die fran zösische Handelswelt wurde ebenfalls beunruhigt, weil that sächlich die „starken Minderheiten", welche allezeit Frank reich zum Schauplatz unberechenbarer Ereignisse gemacht Inserate werden bis Bormittag 11 Ubr angenom- mm und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile I.OO T oder deren Naum Ps