Volltext Seite (XML)
T(d Zweites Blatt. 1L WWMMWs WM, Wo, MrMn M die MWidm AmLsbtcrLL für die Kgl. KmtshauptmanMafL zu Meißen, das Kgl. Amtsgericht und den Stadtrath zu Wilsdruff. Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abonnementpreis vierteljährlich I Mark. Einzelne Nummern 10 Pfg. — Inserate werden Montags und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Nr. 100 Dienstag, den 15. Dezember 1885. Die Falschmünzer. Kriminal-Roman von Gustav Lössel. (Fortsetzung.) Nachdruck verboten. Dies war in einem jener kleineren Räume, welche nur durch eine einzige Gasflamme erhellt wurden und deren der Fuchsbau eine be schränkte Anzahl zur Verfügung hatte. Es waren nur wenige Männer darin, und diese nahmen von den Eintretenden keine Notiz. Unter ihnen befand sich auch ein Kahnfahrer, welcher schon stark angetrunken war. Riston faß in der hintersten Ecke des Zimmers; in der andern Ecke lag ein schwarzes Bündel, welches dem Schiffer zu gehören schien und das Duprats Aufmerksamkeit nicht weiter erregte. Er dachte nur noch an Riston, auf den sich seine Blicke jetzt for schend richteten. Dieser war ein Mann in vorgeschrittenen Jahren, mit einem ver wilderten Aussehen und einer entsprechenden Unstätheit in feinem Blick und ganzen Wesen. Sein unrasirtes Gesicht war mit ungleich mäßig vertheilten Bartstoppeln bewachsen. Markante Züge, tiefe Fal ten und ein gelber Teint vollendeten das wenig einnehmende Antlitz. Duprat wurde ihm von Dryden als ein gewisser Steiner vorge stellt, der in Amerika, wo Riston gewesen fein wollte, einen verschol lenen Bruder hatte, über den er von Jenem Etwas zu erfahren hoffte; er selbst gab sich als reicher Mann. Das Beste und Theuerste, was Küche und Keller des Vater Christoph Hergaben, mußte heran. Riston schwelgte in einem Genuß, welchen er sehr, sehr lange entbehrt hatte. Er freute sich der gebildeten Gesellschaft, der reichbesetzten Tafel, der feurigen Weine und guten Cigarren, welche Duprat aus seinem eigenen Vorrath ihm darbot, kurz, des ganzen vergnügten Beisammenseins. Seine eingesunkenen Augen leuchteten noch einmal auf, wie ein halb erloschenes Feuer, wenn ein plötzlicher Windstoß es trifft; in seine pergamentgelben Wangen kam etwas Farbe, und seine übliche Wort kargheit war einer regen Gesprächigkeit gewichen. Die Art und Weise, wie er aß und trank, verrieth bessere Gewohnheiten, als er sie letzthin Pflegte. Auch seine Ausdrucksweise war eine solche, daß man sofort den Eindruck eines gebildeten Menschen empfing. Sicher konnte nur eine unglückliche Verkettung von Umständen Riston zu Dem gemacht haben, was er war; kein innerer Drang zum Bösen und Gemeinen, wie er die meisten der hier verkehrenden Menschen beseelte. Es war die günstigste Stimmung und Stunde, um den Münz fälscher zum Erzählen feiner eigenen Lebensgefchichte zu bringen und Duprat war entschlossen, sich diese einzige Gelegenheit nicht entgehen zu lassen. Er wollte keine Wiederbegegnung mit Riston und hier nicht mehr zurückkehren. Jener sollte ihn hiernach noch einmal ganz nnd gar vergessen, damit er später feine Hände nicht merkte, wenn es ihn zu vernichten galt. „Ich bedaure unendlich", sagte Riston jetzt mit schwerer Zunge, „Ihnen von Ihrem unglücklichen verschollenen Bruder gar nichts mitthei- len zu können. Ich habe den Namen Steiner niemals nennen hören, trotzdem ich in der Welt schon recht weit umhergekommen bin." „Will ich schon glauben," entgegnete Duprat mit einem eigenthüm- lichen Blick auf den Baron: „Wohl möglich, daß mein Bruder drüben seinen Namen wechselte. Dennoch würde es mir gewissermaßen eine Erleichterung sein, wenn ich nur etwas Genaueres über das Land er fahren könnte, welches meinem unvergeßlichen Bruder Raum zum ei genen Herde oder zum Grabe gewährte." „O, so rasch stirbt es sich nicht in einem Lande", sprach Riston, „welches nur in einzelnen wenigen Theilen ungesund, im Ganzen aber so voller Hülfsquellen ist, daß mau bei einiger Anstrengung und Be fähigung nicht untergehen kann. Sie meinen Ihr Bruder habe seinen Namen geändert. Nun ja, die Neigung dazu ist ja bei allen Aus wanderern vorhanden; und besonders jüngere Leute neigen dazu, in dem Gedanken, einmal als reicher Mann zurückkehren und unter dem angenommene» Namen Vergeltung üben zu können, für alles empfan gene Gute und Böse. Natürlich bleibt das meistens Illusion, und Jene bereichen nur um einen Namen mehr die Liste der Verschollenen." „Das klingt wie Selbsterfahrenes", sagte Duprat lauernd. „Ha ben Sie vielleicht einen solchen Fall aus Ihrem Freundeskreise zu ver zeichnen?" „Ja, von mir selbst", entgegnete Riston. „Auch mein Name ist ein angenommener, und ich folgte damit einem unstillbaren Rachetrieb. Sie suchen einen Bruder, um ihn zu helfen, ihn wieder aufzurichten, wenn er gefallen ist; und ich suche den gleichen nahen Verwandten, um ihn zu vernichten und aus seiner Höhe herabzustürzen, die er mit Hülfe eines Verbrechens erklommen hat. Leider ist er allem Anscheine nach meiner List zuvorgekommen und hat auch seinen Namen geändert. Ich suche nach ihm vergebens; seine Spur ist bei mir verloren gegan gen. Und so werde ich wohl als — Vagabond enden, indessen er auf seidenen Kissen sich zur Ruhe legt. Daß er verdammt sei!" Man war jetzt beim Champagner angekommen, welcher — aus irgend einem Diebstahl herrührend — kein schlechter war. Riston stürzte sofort mehrere Gläfer davon hinunter, und die Wirkung war die gewünschte. Er that seinen Gefühlen keinen Zwang mehr an und sagte, was er dachte. „Sie müssen schwere Kränkungen von ihrem Bruder erfahren haben." „Kränkungen?" fuhr der Berauschte auf. „Was mehr brauchte er mir gethan zu haben, als daß er mich um mein reiches Erbe be trog und dann das Weite suchte, um mich im Elend verkommen zu lassen. Er ist Schuld an meinem Nachleben, dessen düsterste Schat tenseite noch lange nicht die ist, welche sie hier sehen. Wäre es blos die Erbschleicherei, die könnte ich ihm verziehen haben, denn Segen kann an jenem Gelde doch niäit haften. Aber er hat mir noch mehr gethan — weit mehr, als ich zu fagen vermag. Nicht aussprechen darf ick es; ich müßte es denn hinausschreien in die Welt und — nicht Wein, sondern Gift nehmen, um den wahnsinnigen Schmerz zu betäu ben, der bei dem bloßen Erinnern meine Brust durchwühlt. Ach! Ich bin elend, elend, so entsetzlich elend; ein gebrochener Mensch, eine zer störte Existenz, ein vernichtetes Ich. Aber nicht genug damit. In meiner Brust haucht auch ein Dämon, und der heißt Erinnerung. Nun wissen Sie, warum ich keinen höheren Genuß mehr kenne als den, mich zu betrinken und zu betäuben; warum mein ganzer Lebens zweck nur Rache ist. Freilich wird sie mir wohl niemals werden, so wenig wie mir vollständiges Vergessen werden kann. Und so schleppe ich die Last meines Daseins mit mir dahin von Jahr zu Jahr, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde. Wundern Sie sich da noch, wenn ich meinem einzigen Bruder fluche, ihn vernichten, an ihm zum Mörder werden möchte, wenn ihn sein Verhängniß mir in den Weg führen follte." Duprat und der Baron waren diesen Ausführungen mit Aufmerk- famkeit und einem stummen Grauen gefolgt. „Ich wundere mich nur über Eins", sagte der erstere jetzt, „daß Sie noch den Muth haben, zu leben, wo sie sich doch selber sagen, daß es Ihnen nicht gelingen wird, Ihren Bruder zu entdecken und zur gerechten Vergeltung zu bringen. Ihr Lebenszweck ist mithin ver fehlt, und Vergessen bringt Jlmen, wie Sie selber andeuten, nur der Tod. Wozu leben Sie dann noch?" Duprat sandte hiermit feinem Freunde einen verständnißvollen Blick zu, welcher so viel sagte wie: „Man thäte diesem Unglücklichen ja einen Gefallen, wenn man seine entsetzlichen Leiden mit einem ra schen Ende abkürzte." Und der Baron nickte dazu. „Warum ich noch lebe?" sagte Riston dagegen. „Ich habe es mich selbst schon oft gefragt. Und dann immer war es mir, als wenn eine innere Stimme mir sagt ^: „Lede nur, und Du wirst gewißlich finden, was Du suchst." Ich glaubte dieser Stimme nie; ich erkläre sie auch heute für eine Lüge. Und dennoch gehorsame ich ihr, und lebe wie ich kann, weil ich — muß. Aber sprechen wir nicht mehr davon. Das ist Nichts für eine fo frohe Stunde. Ich habe auch heitere Erinnerungen, und die werden uns besser über den Abend hin helfen als solche düsteren Reminifcenzen, die doch nur Andeutungen sind und Ihnen unverständlich. Von Amerika wollten Sie Manches wissen. Nun, füllen Sie die Gläser, und Sie sollen genug hören, um keine Müdigkeit zu empfinden, so lange ich rede." Duprat kam dieser Aufforderung bereitwilligst nach. Ristons Ge schichte hatte ihn gewaltig angeregt, und seine Neugierde ließ ihn ihn hoffen, daß, wenn Jener erst im Zuge sei, er seine Vorsicht ver gessen und ihm noch etwas mehr von dem verrathen werde, was er gern wissen wollte. Der Baron secundirte ihm bereitwilligst darin, denn er hoffte, durch Duprats Mitwirkung sich endlich eines Verbündeten entledigen zu können, der ihm beim Einlenken in ruhigere sichere Bahnen ver- hängnißvoü werden konnte. Ahnungslos von den tückischen Gedanken beider Männer, erzählte Riston jetzt von seinen Reisen und Wanderungen, welche ihn über ei nen großen Theil der alten und neuen Welt geführt hatten. Er hatte sich einen schlechten Erzähler genannt, aber seinem Vortrage mangelte doch nicht Lebendigkeit und jene Wahrheit, welche das wahrhaft Fes- felnde bei allen Berichten und Erzählungen ist. Währenddesfen näherten sich von der inneren Stadt zwei Männer dem „Fuchsbau", welche ebenfalls in einer sehr bewegten Unterhaltung begriffe! waren — Soltmann und sein zu ihm gestoßener Freund Neubert. Sie befanden sich noch in dem belebtesten Stadttheil unweit des Casss, in welchem sie zusamwengetroffen waren. „Aber nun sagen Sie mir endlich", drängte der Assessor, „was soll ich in dem Teufelsnest da, wo sie doch wissen, daß der Schwer punkt meiner kriminalistischen Thätigkeit gerade nach der entgegenge setzten Seite gravitirt. Führen Sie mich in eine Gesellschaft von Ca- valieren, und ich will Ihnen alsbald diejenigen bezeichnen, welche eine nähere Bekanntschaft mit mir zu scheuen haben; aber in diesen „Fuchs bau", unter gemeine Räuber und Mörder — ich danke! Und dann werde ich gleich so auffallen, daß sie sich sagen werden, „Der gehört nicht zu uns." „Sollen Sie auch", entgegnete Neubert, „sollen Sie auch. Es handel sich da um eine veritable Kümmelblättchengesellschaft, bei wel cher ich — angeblich ein früherer und wegen Kirchenraubs entlassener Küster — als Schlepper fuugire. Den „Pfaffen" nennen Sie mich mit einer verstecken Anspielung darauf, daß auch deren Treiben eitel