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und V^issen LäelisisLtie Vollcsreitung ^stirxsnx 1928 Ihre Rache Von kuni Tremel-Eggert Wie die Turnbacher Kösellies gestorben war. wurde ein halbes Jahr lang von nichts anderem geredet als von ihr. Dabei war sie mir eine arm« Schneiderlies. die jahraus, jahrein an ihrer Maschine, droben in ihrem Giebelstübchen hockte und nähte. Erst wenn es dunkelte, huschte sie mit dünnen Röcken in die Läden und kaufte das Wenige, dessen sie bedurfte. Dann stieg sie keuchend, denn sie litt von einer schweren Erkältung her an Asthma, ihre drei hühnerleitersteilen Treppen wieder hinaus in ihr Stübchen. Nach neun Uhr abends aber, wenn die Maschine stillstand. fass sie oft bis weit nach Mitternacht in ihrer finsteren Stube am Fenster und guckte herunter auf den Marktplatz, herunter ins Städtchen. Wenn die Leute ihr blasses Gesicht wie eine» grauen Schatten hinter den Scheiben zu sehen meinten, liefen sie schneller und schlugen den Mantel fester um sich, damit die Lies nicht hineinsehen könne in ihr Inerstes. Sonderbar lachte dann die Lies, ein schepperndes Lachen, wie wenn man mit einem Sack voll Scherben rasselte. Waren auch nichts wie Scherben da drinnen, nichts mehr heil noch ganz, und war dock, auch einmal jung gewesen, die Lies, mit einem leuchtendblonden Zops, Augen so blau und blank wie ein Sommertag und schmalen Fichen, die austrate», als tanzten sie durchs Leben llnd sie hat getanzt, die Lies, seinerzeit, wie des reichen Weiszgerber Einziger hinter ihr her war. wie der Teufel hinter einer armen Seel'.- ..Ick, mus, dich haben", keuchte sein hecher Atem ihn ihr wirres Ohr. und seine Arme lagen wie Klemmern um ihren schlanken Leib. Im Anfang stieg sie ihn wohl zurück, erzitternd vor dem Widerhall, den seine Worte in .hrem Herzen, seine Liebkosungen in ihrem Blute fanden. Aber wie fein Begehren wuchs und seine Liebes- und Treue- s.hwürc den Himmel stürmten, wurde sie gläubiger mit jedem Tag. vergas, Uber ihrer Schönheit ihre Armut und seinen Reichtum und fiel ihm endlich in die Arme wie eine überreife Frucht. Einigen Atonalen voll Rausch und Seligkeit folgte ein furchdlnrres Ernüchtern in der Stunde, wo sie ihm sagte, wie cs um sie stand. Vorfrühling rvar. einer der wilden, herrischen, in denen Sturm und Föhn über Nacht den härtesten Schnee zu grauen Wassermassen zusammensott Auf dem schmalen Weg außerhalb des Städtchens, an dem die Rodach entlanglies, trasen sie sich. In jener Nacht al»er war die Rodach kein kleines, lindes Flüßchen, sondern ein wirbelndes, gelbes, wildes Wasser, das sich drohend und gurgelnd dahinwälzte. Und doch iibertönte das Schreien des unglücklichen Geschöpfes, das da von dem. der ihr Liebe und Treue schwur, in die Tiefe gestoßen wurde, das Tosen der Wasser. Fort raste der Bursche in die sternenlose Nacht, hinter ihm war das Grauen. Me er am andern Morgen heruntcrkam in Herr katzenzagel schmuggelt Humoreske von Karl Lütge. Wenn der Herr Magistralsrat Katzcnzagel aus Dornbirn in Vorarlberg dem im nachbarlich freiheitlichen Schwyzerlande um vieles besser horstenden Herr» Vetter und Hotelwirt Joseph Häbcrle einen Besuch abstatten wollte, um die Brosamen, die von den Hoteltischcn in Rorschach fielen, mit heimzunehmen ins arme österreichische Alpenstädtchen, dann benutzte der Herr Ma gistratsrat Katzenzagel das Frachtschiff von Hard aus. da dies um soundsoviel billiger war als die umständliche Bahnfahrt. Nur im Winter vertraute sich der Herr Magistratsrat nicht dem wilden Meere an, sondern fuhr im Schlitten mit Händlern und derlei nutzbringend verwendbaren Leuten ins nahe Schweizer- land hinüber. Da es sich hier um ein wirkliches, wenn auch schon vor ein paar Jahren geschehenes Begebnis handelt, so haben wir uns Herrn Magistratsrat Katzenzagel im schellenklingendcn Schlitten, dick eingcpackt in Pelze, mit gefütterten hohen Stiefeln und zollfreiem Tabaksqualm, das Gesicht voller Kummerfalten, vorzustellen. Der gröhte Kummer des Herrn Katzcnzagel war außer dem unverhältnismäßig miiszigen Gehalt die Grenzsperre mit ihren kritischen Beamtenblicken, Zoll mrd Paragraschendrohreden. Der liebe Herr Vetter Joseph Häbcrle besaß, wie gesagt, im arg gesegneten nachbarlichen Schweizcrlande einen großen, stolz „Hotel" betitelten Gasthof, und war infolgedessen im Laufe der Zeit, oder richtiger gesagt, seit dem Hungerkriege, dem Herrn Magistratsrat aus Oesterreich recht ans Herz gewachsen. Der Vetter in der Schweiz hals dem Vetter im Vorarlberg ver wandtschaftlich, soviel es ihm möglich war und einem so wohlproportionierten Wirt war es direkt ein Vergnügen, recht viel zu helfen. Seine Wirtschaft besaß alles, was für einen in ermüdender Amtstätigkeit Ausgehungerten jenseits der Grenze Vas Ziel sehnlicher Träume bildete. Ja. alles war in schönster Ordnung. Allein die Grcn,z- sperre träufelte mit ihrem hohen.Zoll ab und zu einige Tropfen Bitternis in den Becher der Freude. Wenn es auch meist die Stube, erzählten die Gesellen, daß heute Nacht dir Kölellies beinah« evsoffen wäre. Sie war am klitschigen Damm aus gerutscht und kopfüber in die Rodach gestürzt: »u ihrem Glück verfingen sich im Vorbeitreiben ihr« Röcke an einem Weiden» stumpf. So fand sie der Nachtwächter, der ihr Schreien gehört hatte. Der alte Weißgerber sah das grüngraue Gesicht seines Einzigen mit zugeknifsenen Augen, dann jagte er, als er mit ihm allein war. als hätten sie die ganze Zeit von nichts anderem geredet: „Heute Mittag nach dem Essen machst dich fertig und spannst ein, wir sahren nach Selbitz zum Scham berger und fragen an, ob er dir jetzt seine Luis geben will." * Sie kenn davon, die Kösellies, wenn sie auch wochenlang darniederlag, bis sie zum erstenmal wieder durchs Städtchen gehen konnte. Es war kein Tanzen mehr, ihr Gang, es war ein Schleichen. Zwei Monate später bezog sie die Giebelstube tni Torbeck haus. das dem des Weißgerbers gerade gegenüberlag. Der Hochzeitszug des Ludwig >var so laug wie der ganze Marktplatz, und die Lies hörte den fröhlichen Hoch.zeitsmarsch der Musikanten. Sie saß droben am Fenster ihres Stübchen und sah herunter, aber ihre Augen waren trocken. Wie der Bräutigam die Kirchentreppe hinaufging, fing sie einen Blick auf. der über ihr Fenster glitt. Da tat ihr Herz ein zwar rasche harte Schlüge. Einen tiefen Blick tat sie ins Leben an diesem Tag, die einsame Schneiderin, von der sich bald die Leute erzählten, sie habe das zweite Gesicht, denn sie sähe und wisse mehr als andere. Es sei, als sähe sie in den Nächten, in denen sic am Fenster ihrer finsteren Stube hockte, in die Häuser und in die Menschen hinein. Befoiiders aber in der Christnacht, während der Mette, soll sie aus all den Häusern, in denen im kommenden Jahr der Tod cinkehrt, Särge sehen. So hat sie den Tod der jungen Weißgerberin voraus gesagt, die in ihrem zweiten Wochenbett blieb. Wie sic's dem Ludwig erzählten, soll sich sein Gesicht verzerrt haben Es war ein halbe Jahr später, in einer stürmischen Novem bernacht, in der er ihr begegnete. Der weiche Schnee, der in großen Flockenfetzen herunteriaumelte, zersuppte in Schmutz und Wasser Mit leise rauschenden Röcken ging sie vor ihm, da holte er sie ein mit drei Sprüngen. Sie blieb stehen und sah ihn an, als müsse sie sich besinnen, wer er sei. — ..Lies", stößt er bittend heraus und hebt die Hände, „kannst du mir's net vergessen?" — „Nein!" sagt ft« hart und rafft ihre Rocke an sich. „Auf was wartest du?" Sie schweigt und sieht an ihm vorbei. „Boarum sitzt du Nacht sür Nacht da droben und starrst Aus dem Inhalt. Kuni T r e me l - E g g e r t: Ihre Rache Karl Lütge: Herr Katzenzagel schmuggelt Michael Kosyrew: Ein echter Armer. Gerhard Schäke: Die Nippes. «WWWMU!UWWMIVWM«W!lWM»»^ herüber aus mein Haus? Betest du das Unglück herunter aus mich?" „Glaubst du, daß sich unser Herrgott dazu hergäbe?" fragt sie hart. Da murmelte er: „Beim Dornhöfer drunten werden zwei schöne Zimmer frei, mit einem kleinen Küchlein, ich gäb' gern was dazu, wenn du's nicht erschwingen " Ihr schepperndes Lachen platzt ihm ins Gesicht: „Aus dem Weg? Ich soll dir aus dem Weg?" Sie jchreit's fast kreischend. „Ich bleib' in deinem Weg. das ist meine Rache! Du kannst mich nicht entfernen, hast's schon einmal umsonst probiert, der da droben will s nicht, der will's nicht, sonst hält' er's seinerzeit zugclasjen." * Zwei Jahre später spielte der kleine Ludwig Weißgerber drunten am Marktplatz mit seinen Spielkameraden. Sie bauten einen Schneemann. Es war um Drcikönig. Unter seinem Haus tor stand sein Vater und sah lachend zu, da huscht ein Schatten > über seinen Weg und sie sagt: ..Du lachst? Und dabei sah ich in der Christnacht einen Sarg auf deinem Haus " Er verjärbie sich bis zur Unkenntlichkeit, seine Faust hob sich, dann brach ihm die Kraft des Armes jäh nieder, rasch drehte er sich um und ging ins Haus. An der Halsbräune starb nn Juli sein Bub. Sie wußlt . ihm zu begegnen und fragte: ..Nicht wahr, du wolltest doch kein Kind?" - Grau und dünn wurde allmählich der blonde Zopf der Lies grau die Haare dessen, der ihr einst Treue schwur und der lang schon einsam war wie sie. Sic hatte keinen Haß mehr sür ihn, sie war gerächt. Aus sich heraus erkannte sie die Weit, eine Welt, in der jeder das Seine lebte und leben mußte, der eine rasch, der andere durch Jahre. Sie war längst außer Angst und Banguis, wer nichts mehr fordert, dem ist alles gegeben. In der letzten M'ihnacht war's, als hätte der Himmel dop pelt so viel Sterne als sonst. Wie die Kösellies am andern ! Morgen in ihrem weiten, schwarzen, hartsalligen Sonntagskleid zum Hochamt ging, traf sie unterm Hauptportal mit dem Weiß- gerbcr zusammen. Er trat rasch beiseite, um sie vorbeizulassen, da sagte sie im Vorübergeben: „Wir geh'» miteinander in diesem Jahr!" Ihn schauerte, doch er zwang sich zum Lachen, er glaubte glückte, den Herren als alten Bekannten ein leichtes Schnippchen zu schlagen oder einem freundlich zugedrückten Auge zu be gegne», jo war doch oft ein Griff in den Beutel des leidigen Zolls wegen zu tun. Einmal hatte nun der Herr Vetter in der Schweiz einen immerhin noch sehr achtbaren Wein, an den die Gäste, da sie verwöhnt waren, nicht so recht Hern» wollten Dieser Götter trank stak dem Herrn Vetter von drüben ein Tüchtiges in der Nase. Da der Vetter diesseits ein ausnehmend gutmütiger Mensch war, so gedachte er dem österreichischen Verwandten fünf Flaschen abzulassen. Blieb nur die leidige Zollsrage. „Weißt', ich probier' die Sache", schmunzelte der Herr Ma gistratsrat, „weißt', das nächste Mal " Der Schweizer war es zufrieden. Ai» nächsten Male lag wieder hoher Schnee, und der Herr Vetter kam aus dem Vorarlbcrgischen herüber wiederum mit einem dieser nützlichen Schlitten. Das ganze blaugesrorene schmächtige Gesicht strahlte. Er rief gleich von weitein dem Herrn Schweizer Vetter entgegen: „Gemacht wird's! Daß Du's weißt!" Der Häberlc schmunzelte. Er hatte, um das Lager mit dieser Marke, die niemand mochte, zu räumen, den heroischen Entschluß gefaßt, anstatt der beabsichtigten fünf Fläschli dem armen Herrn Vetter 10 (zehn) Fiäschli ins arme Oesterreich hinüber zu schenken! Als der Magistratsrat Katzcnzagel dies vernahm, hüpfte er vor Vergnügen und führte sich auf, als habe er ein gewisses Quantum des Weins schon in sich ausgenommen. „Und wie ischt's mit dem Zoll?" horchte der Häberle. Der Oesterreichcr nahm den Schweizer beiseite und flüsterte: „Weißt', die Flaschen kann man nicht so verstecken, daß sie nicht gefunden werden. Und dem Händler möcht' ich's auch nicht grad aus die Nase binden — aber wenn wir den Wein in unsere Wärmeflaschen füllen — ich habe die größten mit gebracht. de es drüben bei uns hat — dann komm' ich ohne Zoll über di« Grenze. Denn wer guckt denn in die Wärme- flaschcn?" Der Herr Vetter lachte. „Schon recht! Gut lschl" Damit niemand etwa» »errat«, unterzog«» sich di« beiden Herren Beller höchsteigeichändig der Arbeit, die dickbäuchigen Flaschen mii dem kostbaren Stoff zu füllen und tranken schied- lich-sriedlich nach Beendigung der anstrengenden Arbeit die zehnte Flasche gemeinsam vollends aus. da ihr Inhalt trotz allem guten Zureden nicht mehr den Warmeflajche» einzuverleiben war. Bo» beste>i Ncifemüi ickzen begleitet, fuhr der Magistralsrat Katzenzagel gegen Abend dann durch das dichtverschneite Ufer land der Grenze zu. Er saß behaglich und warm in feinem »ach Dornbirn fahrenden Hündlerichlitten. und selbst an die Füße fror ihn merkwürdigerweise nicht, obwohl sie auf zwei großen, mit kühlendem Wein gefüllten Wärmeflafchen ruhien. Aber diese Wärme — dein Herrn Magistratsrat wurde schwül — kein Zweifel, die wohlig ärgerliche Wärme kam un zweifelhaft von den Wärmeflafchen! Boshaft er weise schien der Herr Vetter die Flaschen von den Kücheuvienstbolen zu wärmen befohlen haben — damit die Zollrevision glatt gehen sollte, oder aus Schabernack Dem Herrn Magistratsrat wurde es bis zur Grenze bald heiß, bald kalt, und allein die diesmal außerordentlich genaue Zollrevision, die natürlich resnltatlos verlief, versöhnte ihn etrvas. Als man daheim anlangte, waren die drei Flaschen — eine besaß der ahnungslose Handelsmann nebst zwei Zigarren für die Beförderung — längst kalt geworden. Der Herr Magistrats rat machte sich mit seiner Gattin eiligst daran, den Wein wieder in di« ihnen zustehenden Behältnisse zu füllen und aus feinen Ge schmack nach der iiberstandenen Heizperiode zu prüfen. Allein wie hellfüssig war jetzt der erst so göldgelbe LUein?! „Du", sagte die Frau Magistratsrat Katzenzagel, „du. das ist Wasser! Hineingefallen bist du! Dein schöner Herr Vetter hat dir einen Possen gespielt!" Der Herr Magistratsrat hielt sich den Kopf und das Glas gegen das Licht — und sah wirklich Wasser. — Doch hatte er nicht selbst — mit dem Herrn Vetter gemeinsam — und rvar e» da nicht Wein gewesen — als sie ihn kosteten ab und zu „Es mutz Wein sein!" schrie er erbost. „Trink. Theres !"