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1 Nummer 265 — 26. Jahrgang Erscheint rinnt wöchentlich mit den Illustrierten NrattSbeilage» „Die Welt" n»t> „Mir nntere kleinen Leute", sowie de» Leit- betlngcn „Tt. 7'enno-BIati". „llnlerhaltung und Wissen". „Die Weil der grau". „Acrzilicher Natgeber". „DaS pule Buch", „gilmnindschau". Monailtcher BczupSPrets S. MI. einschk. Bestellgeld. Einzelnummer IN 4. Sonntagnummer »<» 4. Hauptlchrtitleiter: Dr. (S. DeSczyk, Dresden. Mittwoch. 16. November 1827 «nzetaenpr'ilei Die Igeivalteue Petttzetle »N 4. szamilte». an,eigen und Stelle,,gesuche »«> 4. Die Pettlreklamezetl«. 89 Millimeler breit. I Offerlcngeblihr »N 4 bet lieber, sei,düng durch die Post außerdem Porto,»schlag. Im ssalle höbecer Mewalt erlischt jede VerpNichtung aus Liet-rung towte Erfüllung i>. Anzcigeii-ilui,rügen „. Leistung v Schadenersatz. Geschäftlicher Teil: Artur Lenz, Dresden. «»eschitstSftelle, Druck«. Aerla,: Germania.«.-«. stirBeriag und Drucherei.Filtale Dresden. Dresden-«, l. PolierllrntzelV. gernrusei0>2. Postscheck,ontoDresden r7aa Banfkonto Stadtba»' Dresden Rr NI71S Für christliche Politik und Kullnr Nedaktton der Siichsttchen tUolkSzettuus DreSden-AItstad, t Polie, strafte 17. ^ernru« 2MII und r,o>2. Der Staatsbesuch in Wien Seipel und Marx feiern die deutsch-österreichische Freundschaft Deutschland und Oesterreich (Von unserem Korrespondenten^ O. I. Wien, 12. November. Zwölfter November 1918 — ganz Wien war auf den Beinen: Menschenmasscn wogten entlang der Ring straße und stauten sich vor dem Parlament. Eine rot-weitz- rote Fahne ging am Mast empor: im gleichen Augenblick knallten Schüsse, Gedränge und Panik entstand, putschartig zufassende Hände hatten nach der Fahne gegriffen, der weiße Mittelstreifen war verschwunden und Halbmast wehte ein schmaler und beschädigter, roter Fahnenteil. Doch der Eegeneingriff mar rascher vollzogen, als man an nehmen konnte: die ein einseitiges Symbol bezeugenden roten Streifen wurden augenblicklich wieder eingeholt und von neuem blühte sich Rot-Weiß-Rot als Embleme des neuen Staates im Winde, während drinnen im Volkshaus die Resolution wiederholt wurde: „Deutschösterreich ist «in Bestandteil der deutschen Republi k." Heute nach neun Jahren scheint es nicht überflüssig an diese Eeburtsstunde des neuen Staates zu erinnern, weil den damaligen Vorgängen eine seither teils bswiesene, teils vorausschauende Bedeutung dreifacher Art zukommt: auch am Stammboden des siebenhundertjährigen Habsburgerreiches wird am 12. November 1918 Alt- Oesterreich begraben: gerade auf diesem Stanim- boden aber wurde der Versuch zurückgeschlagen, an Stelle des demokratischen Freistaates eine wesensfremde Klassen- Nepublik zu begründen: das Wiederhochziehen der neu erwählten Stnatssarben, die einst das Banner der deut schen Ostmark waren, bezeugte, daß der deutsch-öster reichische Nachfolgestaat ein nationaler Freistaat sein und bleiben wollte. Viele Fährnisse zogen seither durchs Land: in Ver sailles und St. Eermain wurde durch Siegerdiktat die Durchführung des Beschlusses der ersten Volksvertretung Deutsch-Oesterreichs verhindert: selbst der freigewählte Name „D e u t s ch - Oestererich" wurde durch Sieger- entschluß abgeändert. Donauföderationspläne intra st oxtra IINN-08 versuchten in den ersten Lebensjahren, das Alte wieder aufzurichten. Zahlreich waren auch die inneren Mühen, die das neue Staatswesen zu lockern oder an den Rand des Abgrundes zu bringen schienen. Den Währungs verfall des Jahres 1922 als wirklich ernstes Symptom, die Revolte des heurigen Sommers als einen unernsten Wie derholungsversuch des Griindungstages nennen, heißt be- ondere Klippen auch erkennen, durch welche das Staats chiffchen Oesterreichs gesteuert werden mußte. Doch Oesterreich blieb, was es am 12. November 1918 zu sein »eschloß: eine demokratische und nationale Republik! Alt-Oesterreich ist begraben. „Was vergangen kehrt nicht wieder: aber ging es leuchtend nieder, leuchtet's lange noch zurück" — dieser Anfang von Försters „Erinnerung und Hoffnung" scheint wirklich dem Schicksal des alten Staates angepaßt zu sein, der Jahrhunderte lang ein Bollwerk europäischer und deutscher Kultur war. Daß des Donaustaates gerade am Boden der alten Reichshauptstadt mit Paetät gedacht wird, ist nist wunderlich: das gebrochene Gefäß jedoch durch im Ausland aus egoistischen Gründen erdachte Förderations-Eedanken wieder zusammen zu kleben, es konnte nicht gelingen, weil es am geschlossenen Willen der Oesterreicher scheitern mußte, die ihres Natio nalstaates Selbständigkeit zu lvahren entschlossen waren, gerade weil die Ausübung des nationalen Selbstbestim mungsrechtes ihnen zeitweilig verwehrt ist. Doch auch die Abwehr innerer Krisen gelang. Dr. Seipels Sanierung rettete nicht nur das Staatswesen über internationale Aufteilungspläne hinweg, sondern bildete auch die Basis, daß für Mte- und Klassendiktaturen in Oesterreich ab und zu vielleicht ein Saatboden, aber kein Erntebodon vor handen ist. Und wenn gerade in der letzten Zei Nachrichten die Welt durchflatterten, als stände Oesterreich abermals wieder am Rande eines Umsturzes und eines „unvermeid lichen" Bürgerkrieges, so kann inan sowohl den Interessen ten als den leichtgläubigen Nachbetern dieser Alarm gerüchte nur sagen: „Kommt her und seht: aber genau und schürft nicht wit wenig Witz und viel Behagen an einer Oberfläche, sondern lchürft etwas tiefer: dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und absehen von der Verbrei tung von Gerüchten, die — im Deutschen Reich verbreitet — das Gegenteil einer diesfalls allzu aufdringlich be tonten brüderlichen Sorge sind." Keule r Unterhaltung und Wissen Die Welt der Frau Aerztlicher Ratgeber Am lk. November (Duhlaa). -er als staatlicher Feier las Sil», bann die„S«chs. Dolkszlg." nicht erscheinen Wien. 16. November. Reichskanzler Dr. Marx und Reichsaußenminister Dr. Stresemann, die gestern vormittag in Wien eingetroffen sind, haben sofort ihre Besprechungen mit Bundeskanzler Dr. Seipel ausgenommen. Am Vormittag fand der Gedanken austausch beim Bundeskanzler statt. Am Nachmittag stattete Dr. Seipel auf der deutschen Gesandtschaft dem Reichskanzler Dr. Marx und dem Reichsminister des Auswärtigen Dr. Stre semann seinen Gegenbesuch ab. Hierbei wurde die am Vor mittag begonnene Aussprache fortgesetzt und zu Ende geführt. An ihr nahmen von österreichischer Seite auch der General sekretär für auswärtige Angelegenheiten Peter und Sek tionschef Dr Schüller, von deutscher Seite Staatssekre tär Dr. Pander und Gesandter Gras Lerche »seid teil. Im Anschluß daran fand ein Tee und ein im engeren Nahmen gehaltener Empfang auf der deutschen Gesandtschaft statt. Zu Ehren des Reichskanzlers Dr. Marx und des Neichs- außenministers Stresemann gab Bundeskanzler Dr. Seipel gestern abend ein Abendessen, zu dem eine große Anzahl von politischen Persönlichkeiten, darunter der deutsche Gesandte in Wien, sowie die Präsidenten des Rationalrates und Bundesrates geladen waren. Bundeskanzler Dr. Seipel gal, seiner herzlichen Freude über die Anwesenheit der deut schen Muttster Ausdruck. „Wir hoffen", sagte er. „daß es uns gelingen möge, Sie in diesen Tagen ein wenig fühlen zu lassen, wie groß die freundschaftliche Hochachtung, wie leben dig die ivarme Sympathie ist, die Oesterreich den politischen Führern des Deutschen Reiches entgegenbringt. Wenn wir unsere Augen auf die Zukunft wenden, dann sehen wir, welche ungeheure Arbeit noch zu leisten ist. Starrer Egoismus oder gar politischer Zynismus werden uns nicht den Weg in die sonnigen Täler des Friedens weisen. Sittlich« Werte müssen wieder das Ziel und der Inhalt aller Politik werden, Daß das, was der November 1918 symbolisierte: die demokratische und nationale Republik in Oesterreich besteht und erhalten wird, davon werben sich auch die beiden Staatsmänner des Reiches Dr. Marx und Dr. Strese mann anläßlich ihres Freundschaftsbesuches überzeugen. Neunzig Prozent aller Oesterreicher sind für den Anschluß: niemand aber denkt daran, diesen via tuet! durchzusühren, nm vollzoaene Tatsachen zu schaffen, denn man weiß allzu gut: die Zeit im Zeitalter des Selbstbrstimmungsrechtes arbeitet dafür. Der Besuch der deutschen Staatsmänner ist ein Gegen besuch für jene Aufwartung, die Bundeskanzler Ramek im März 1926 in Berlin machte. Damals konnte an dieser Stelle festgestellt werden, daß niemand hüben und drüben eine Hasardpolitnk wolle, daß sich aber die Welt daran ge wöhnen müsse, daß es in Mitteleuropa zwei deutsche Staa ten gäbe, deren Kulturgemeinschaft.unzertrennbar und un zerreißbar ist. mögen auch Grenzpfühle den einheitlichen Staatsbegriff trennen: damals wurde betont, daß gegen das gesunde Empfinden für Belange des gesamten deut schen Sprachgebietes niemand in Oesterreich Politik machen könne oder auch nur wolle. Heute nach eineinhalb Jahren kann man feststellen: Europa hat sich daran gewöhnt. Man ge wöhnte sich an die Kulturgemeinschaft, trotzdem man 1918 nur eine österreichische Nation und nicht einen deutsch- vsterreichisclsen Stamm gelten lasten wollte. Man gewöhnte sich sogar an den Begriff Anschluß, den man nicht mehr — wie einst — als Machwerk von Agenten charakterisieren kann, worüber nunmehr selbst in der französischen Oeffent- lichkeit die Schuppen von den Augen fallen. Der Besuch der deutschen Staatsmänner vollzieht sich in voller Freiheit und Oeffentlichkeit und bringt keine Sensation sondern ist eine Selbstverständlichkeit des Ver kehres der beiden deutschen Staaten, deren Kultur, Ge schichte und Schicksalsgemeinschaft eben unyzertrennbar und unzerreißbar ist. Daß diese gegenseitigen Besuche reicks- beutscher und deutschösterreichischer Staatsmänner nicht nur keine Sensation, nicht nur Selbstverständlichkeit, sondern Normalerscheinung des politischen Jahres kalenders Eurooas werden mögen, das sei der, dem dies maligen Besuch entgegengebrachte, Wunsch, weil dadurch dazu beigetragen würde, das beiderseitige Verständnis zu vertiefen, die gegenseitige Ausgleichung zu verbreitern und dem deutschen Volk des Reiches zu beweisen, daß die am 12. November 1918 geschaffene demokratische und natio nale Oesterreichische Republik nicht nur die Fährnisse der Kindersahre üverwand sondern feststeht, um in ruhiger Entwicklung nach dem Gesetz historischer Logik heimzu linden ins Reich. nicht mehr bloß ihr gefälliges Mäntelchen sein. Solange nicht die Rücksicht auf das Ganz« und das Vertrauen in die Nackt barn die Grundlage der europäischen Politik sind, gibt e» keinen gesicherten Frieden, keine Abrüstung, keine Wirt schaftserholung, keinen wahren Fortschritt der Kultur in Europa. Dieser Wahrheit können wir nicht besser zur all. gemeinen Anerkennung verhelfen, als wenn wir immer wie der ein ganz vorbehaltloses Bekenntnis zu dieser Politik des praktischen Idealismus ablegen. Wer ist berufener Führer zu sein in diesem Kreuzzug als Sie meine lieben Gäste, die Sie gemeinsam mit de» hervorragendsten Männern der an deren Völker in London und Locarno die Saat der Ver söhnung ausstreuten. Daß wir in naher Zukunft das große Erntefest des wirklichen Friedens feiern mögen, daß ist unser innigster Wunsch." Reichskanzler Dr. Marx erwiderte mit herzlichen Worten des Dankes für den warmen liebenswürdigen Empfang in Wien. Wir fühlen, so erklärte er, daß beide Staaten sich Schritt für Schritt vom Abgrund entfernen und daß sichere Grundlagen erstehen für die Wie deraufrichtung im Inneren und zur Wiedererstarkung nach außen. Die Zuneigung und das Verstehe» zwischen Ihnen nnd uns, zwischen Oesterreich und Deutschland ist von allem politischen Wechsel in den vergangenen Jahren unberührt ge blieben. Zwischen unseren Herzen, unserer Freundschaft gibt es keinen Trennungsstrich, Gemeinsam ist unsere Sprache, gemeinsam unsere Kultur, gemeinsam auch der Lebensweg, den wir zu wandern haben. So sind wir zu Ihnen gekommen, als treuer Freund zum treuen Freunde. Gewiß, wir haben manck-es gemeinsam zu regeln, manche Frage zu klären, auch manche Schmierigkeit aus dem Wege zu räumen. Aber der vornehmste Zweck unseres Besuches ist unsere Freundschaft auch äußerlich zu betonen, und sie durch unser Wiedersehen zu bekräftigen. — Der Reichskanzler schloß mit einer Einladung an den Bundeskanzler zu einem Gegenbesuch in Berlin Riesenexplosion in Amerika Pittsburg. 16. November. Im Nordteile der Stadt ereignete sich eine folgenschwere Explosion eines großen Gastanks der Eguitable- Gasgesellschast. Zahlreiche Personen sind getötet worden. Die Explosion war so gewaliig, daß die Erschütterung in öcr ge samten Umgebung gehört wurde. Metallleile des riesigen Tanks wurden viele Straßen weit geschleudert. Zahlreiche Gebäude erlitten Beschädigungen, sogar in dem entkernt ge legenen Geschäftsviertel gerieten die Häuser ins Schwanken, so daß man zunächst an ein Erdbeben glaubte. Nach elnezz späteren Meldung haben über 2V Personen den Tod gesunden. Mehrere Hundert sind verletzt worden. Die Wirkung der Explosion war furchtbar. Die Decke des Behälters löste sich los und ftog in die Lust. Der Behälter glich einem ungeheuren glühenden Ballon und verbreitete eine Riesenhitze um sich. Die Erde erbebte-, zahllose Fensterscheiben zersprungen, Häuserdächcr und Mauern stürzten ein. Unter den Einwohnern brach eine Panik aus. sie flüchteten ans die Straße. Alles glaubte zu nächst an ein Erdbeben. Besonders schwer gelitten hat das untere Geschüftsviertel der Stadt. Sechs Häuserblocks glet- chen einem Trümmerhaufen. Die gesamte Feuerwehr ist auf- geboten, um die Toten uns Verwundeten zu bergen. Alle Krankenhäuser von Pittsburg sind überfüllt. Die Aerztc der Krankenhäuser schützen die Zahl der infolge der Explosion als verletzt gemeldeten Personen aus '00 bis 000. Die betroffene Gasanstalt beschäftigte im ganzen MO Arocfter, doch ist noch nicht bekannt, wieviel Personen im Augenblick der Katastrophe an der Arbeit waren. Bon fachmännischer Seite wird behauptet, daß der explodierte Tank fünf Mil lionen Kubikfuß faßte und der größte der Welt war, Die Wahlen zur AngeskeMenversicherung Das Ergebnis sür Berlin. Berlin. 16. November. Wie der Gewerksck)astsbund der Angestellte» milteilt, ist das endgültige Gesamtergebnis der Wahlen zur Angestell- tenvcrsicherung für Berlin einschließlich Eharlolienburg folgendes: Liste A 3100!. Liste B 33 222. Liste C 16 Mg. Liste D MV71. Liste E 7318, Liste F 0767. Liste G OMI. Liste H 1671. Liste I 630. Liste K 876. Liste L 774. Liste M 0611, Liste N 813. Ungültig 260. Liste A war eingereicht vom Deutschnationalen Hand- lungsgehilfenverband. Liste B vom Gewerksck)aflsbund der Angestellten, Liste C von den vereinigten Frauenvcrbänden, Liste D vom Zentralvcrbanü der Angestellte». Liste E vom Bund der technischen Angestellten. Liste F vom Deutschen Werkipeisterverbaiid.