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Stummer 10 — 26 Jahrgang Smal wöch. v»-ugspr«is für Januar 3.00 «« einschi. SestrllgelS «nzel^npreise-Die larsp. Petitzelle »0L. Stellengesuch« «L. Die Petitreklamezeile. 80 Milli, meter breit. 1 X Offertrngrbühren für Selbstabholer -y L. bei Uebersendung durch die Post außerdem Porto-uschlag. Einzel-Nr. 10 L. Sonntags-Nr. 15 .Z. Geschästl. Teil: Friedrich Nieser in Dresden. Freitag, 14. Januar 1927 Im Falle höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzelgenauftriigen u. Leistung v Scl)ade»ersatz Für undeutl. u. d. Fern- ruf iibermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ver antwortung. Unverlangt eingefanüte u. m RUckporte nicht versehene Manuskripte rverd. nicht aufbewahrt. Sprechstunde der Redaktion 2 -3 Uhr nachmittags Hanptfchrislleit.: Dr. Joseph Albert. Gelchiiftsftellr, Truit »ud Verlag! Sarviiia- vuchdrillkerei GindH.. Dresden U. >. PoUcrstraire 17» Fernruf 21012. Püslscherktonto Dresden >1787. Baiitfouto: Dresdner Bank. Dresden. Für christliche Politik und Kullur Redaktion der Sächsischen V»lk«»ettuaa Dresdeu-UNitadt 1. PoNeistrabe l7. Fernruf AN II und iI0l2. PoMisches Neujahr in Oesterreich Von unserem Zg-Mitarbeiter. Wien, Anfang Januar. Das abgelaufene Jahr wird der Oesterreicher gern vergessen. Es war nicht vom besten. Eine verspätete Liquidation von Inflationserscheinungen hat viel Unrat zutage gefördert und den parteipolitischen Kampf oft in geradezu ekelerregende Formen gekleidet. Energisch ging Bundeskanzler Dr. Seipel an die Reinigung des volitischen Lebens, schonungslos wurden alle noch vor handenen Schlacken der Inflationszeit beseitigt, niemand wurde geschont, alle Parteien hatten den einen oder ande ren. der aus Politik und Geschäft ein Zwillingspaar ge macht hatte. Doch jene, die sich in besonderer Weise als Korruptionsriecher und Korruptionstöter hervortaten, mußten beschämt am Iahresschlutz sich sagen lassen, das; niemand so sehr bemakelt erscheine als sie selbst, die So zialdemokraten, auf denen kriminelle Verbrechen lasten, denen gegenüber die verfehlten Spekulationen einiger weniger bürgerlicher Politiker wie ein Scherz anmuten. Doch gern macht ein jeder den Strich darunter. Zuträg lich waren die „Enthüllungen" gewiß keinem, eine ge wisse Presse sorgte zudem für eine weitgehende Vergif tung der öffentlichen Meinung, so daß es nicht wunder- nehmen darf, daß das Ansehen der Volksvertretung stark gelitten hat. Wenn es noch nicht zu einer Krise des Par lamentarismus gekommen ist. obwohl er oft genug von den Sozialdemokraten in der unverantwortlichsten Weise mißbraucht wurde, so haben wir es dem Bundeskanzler Dr. Seipel zu verdanken, der als erster Repräsentant Träger eines unbeschränkten Vertrauens ist. Das neue Jahr bringt Oesterreich Neuwahlen, sie, wenn nicht unvorhergesehene Ereignisse eintreten, was kaum zu erwarten ist. termingemäß i in Herbst stattfinden. In Regierungskreisen ist man voller Zuver sicht, mit wesentlichen Kräfteverschiebun gen rechnet man nicht. Jedenfalls sind Ueber- raschungen, wie deutsche Wahlen sie bisher brachten, nicht zu gewärtigen, dazu sind die Geister bereits zu streng geschieden. Die große entscheidende Frage bei österreichi schen Wahlen lautet immer: schwarz oder rot, was dazwischen liegt ist nicht von sonderlicher Bedeutung für das Wahlergebnis selbst. Die Sozialdemokraten werden zwar nichts unversucht lassen, die Mehrheit zu erlangen, worauf all ihre Anstrengungen hinauslaufen. Ihre na türlichen Reservoirs sind jedenfalls erschöpft, ob ihnen ihre Landagitation ein Plus von 300 000 Stimmen bringt, die ihnen zur Mehrheit fehlen, darf schier angezweifelt werden. Zudem hat sich ihre Position in den leßten Wo chen wesentlich verschoben. Aus ihrer Offensive im Zentralbank-Untersuchungsausschuß sind sie gänzlich in »ine schon mehr als peinliche Defensive ge drängtworden. Es wurden in der sozialdemokra tischen Häuslichkeit Dinge aufgedeckt, die einem gewöhn lichen Sterblichen mehrere Jahre die Freilieit kosten würde. Wie peinlich die Sozialdemokraten die Dinge berühren, geht schon daraus hervor, daß eine Reihe sozialdemokratischer Führer in der Versenkung verschwin den und die Neuwahlen mit einer Reihe neuer Män ner gemacht werden sollen. Ob diese in der Lage sein werden, den steten Rückgang der Partei, der gerade im letzten Jahre beobachtet werden konnte, aufzuhalten oder gar einen Aufstieg hervorzuzaubern, darf in Anbetracht der gegenwärtigen Volksstimmung füglich angezweifelt werden. Bisher war Deutschösterreich vor der Parteizersplit- terung, wie sie in Deutschland besteht, bewahrt geblieben. Nur vier Parteien warben um die Gunst der Wähler, und zwar nach ihrer Stärke geordnet: Christlichsoziale s82 Nationalratsmandate), Sozialdemokraten (68), Groß deutsche (10) und Landbiindler (6), die zwei Monarchisten parteien — Konservative Volkspartei und die Kaiser treue Volkspartei — von denen die erste bei den Wahlen im Jahre 1923 erfolglos kandidierte, haben gar keine Be deutung. Nun sind in letzter Zeit eine Reihe von Par teigebilden entstanden, die kein erfreuliches Zeichen sind. Es sind vorläufig nur Protestparteien, die allein durch ihre Existenz auf di« großen Parteien eine« Druck aus- üben wollen. Kandidieren wird von diesen Zwergpar teien nur der österreichische Wirtschaftsverein, den der Nrazer Universitätsprofessor Dr. Ude führt. Sein Man dat erscheint wohl heute schon sicher u. wird er nach seiner Wahl mit den Christlichsozialen gehen. Sein Auftreten lraim in Steiermark die bürgerliche Mehrheit reiten, da br. Ude nicht nur den christlichen Stimmenabfall in der Steiermark' auffangen dürfte, er dürfte sogar manche vzialdemokratische Stimme erhalten. Auch die übrigen Karteien, so vor allem die Mittelständische Volkspartei, Der Versuch -es Dr. Curlius must als fehlgeschlagen belrachlel «erden - Die Bedenken -er Zenlrumsfrakkion nichl behoben Berlin, 13. Januar. Bei einer nnvaremgenommene» Betrachtung der Be mühungen, Sie Neich--mirtsch'.istsininister Dr. Curtius ii» Auf träge des Reichspräsidenten von Hindenburg in bezug auf die Bildung einer neuen Reichsregierung unternimmt. Immun man zu der Auffassung. Sah noch geraume Zeit »ergehen wird, bevor von einer Lösung der Krisis gesprochen werden bau». Seit Montag ist so gut wie nichts zu verzeichnen, das in positiver Hin sicht gewertel werden könnte. Zirxrr wurde eine Besprechung von der anderen gejagt. Die Unterredungen überstürzien sich beinahe. Zu offiziellen und offiziösen Anstrengungen, wurde viel Kraft aufgewandt. Doch über alle» Geschehnissen liegt ein ge wisser Schleier, da der Oesseiulichkeit von dem Enlwurs des Regieruiigsprogramms des Herrn Cnriius. das doch eigenliich die Grundlage bilden mühte, nicht bekannt ist. Auch der gestrige Tag hat in dieser Beziehung nichts neues ergeben, obgleich er mit Besprechungen völlig ausgesüilt war. Dr. Curtius hat zunächst die Vertreter der christlichen Gewerkschaften, dann die freien und die Hirsch-Dundcr- schen Gewerkschaften empfangcn. Dabei Hot es sich für Dr. Curtius im wesentlichen darum gehandelt <wenigstens läßt er das der Desfentllchkeit mitteilenj die Ansicht der Gewerkschaften über die schwebenden Fragen kennenznlernen. Nach Berichten ans Gewerkschaftskreisen freilich hat sich bei diesen Unter redungen ergeben, das; die Ansichten des Wftlschaftsmimsters und der Gewerkschaftsvertreter ln wesentliche» Punkien ans- einandergehen.. ' Auch die Fühl u n g n a h m e in i t d e n Wirt s ch afts- verbänden hat Dr. Curtius gestern ausgenommen. Zunächst hat er die Vertreter des Reichslandbundes, und zwar die Herren Graf Kalchreuth. Kricgsheim und Säbel empfangen, uni sich über die Auffassungen der Landwirtschaft zu »»tercichten. Auher- Sem sind Besprechungen init Vertretern des Reichsverbandes der deutschen Industrie und des Deutschen Industrie- und Handels- tages svnne der Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände in Aussicht genommen. Angesichts der Tatsache, das; durch die Verhandlungen des Wirtschaftsministers die Lage seit der Stellungnahme des Vor standes der Zentrnmsfraktion in keiner Weise verändert worden ist, hat die Zentrum sfraktion des Reichstages, die sich gestern abend zum ersten Male nach der Weihnochtspause ver sammelt hatte, keine andere Haltung einnchmen können, wie der Fraktionsvorstand. Die Fraktion hat nach zweieinhalbstün diger Beratung einstimmig folgenden Beschluß gefaßt: „Die Zentrumsfraktion des Reichstages teilt die schweren.außenpolitischen und innenpoliti schen Bedenke» des Fraktionsvorstandes hinsichtlich der von Dr. Curtius beabsichtigten Kabinettsbildung. Der Vorstand wird beauftragt, diese Bedenken dem Herrn Dr. Curtius und dem Vorsitzenden der Deutschen Volkspartei Herrn Dr. Strese - mann erneut darzulegen." Die Besprechungen, mit denen der Vorstand der Zentrums fraktion dem gestrigen Beschluß entsprechend Herrn Dr. Curtius und Dr. Slresemann die Bedepken der Fraktion gegen die von Curtius beabsichtigte Regierungsbildung übermittelt, sind erst für den heutigen Spätnachmittag vorgesehen. In parlamentarischen Kreisen nimmt »rqn an, daß die weitere» informatorischen Be sprechungen mit den Vertretern der Spitzenverbände der Wirt scl>aft verschoben werde», bis sich nach dem Empfang des Vor standes der Zcntrumsfraktion ein Bild der weiteren Entwicke lung gewinnen läßt. Der Beschluß der Zentrumsfraktion findet in der Presse eine geteilte Aufnahme. Während in de» üemokraiischen und sozialdemokratischen Blättern von einem Scifeiiern der Mission Curtius gesprochen wird, sehen die deutschnattonalen uno vorks- parteilichcn Blätter im Beschluß keine unbedingte Absage an Dr. Curtius. Die „Germania" schließt ihre Betrachtung mit den Worten: Was den äußeren Fortgang der Verhandlungen betrisst, so nimmt man in parlamentarischen Kreise» an. daß Curtius heute seinen Auftrag dem Reichspräsidenten zurürkgrben wird. Das B. T. findet es ebenso wie mehrere andere Blätter äußerst bemerkenswert, daß der ZenlrnnrssraktioiisvorstanS beanftrau worden sei, die Bedenken des Zentrums neben Cunius auch Stre > cmaiin und nicht etwa dem Fraktionsvo:sitzenden dec Voldspartei Dr. Scholz darzulegen. Der sozialdemokratische Pressedienst glaubt, de» Zentrumsbeschlnß dahin auslcge» an können, daß die Fraktion des Zentrums ebenso wie ihr Vor stand als beste Lösung der Krise sie Bildung ein e r R e» g i e r n n g von de r B o ! kspa > t e i b i s z n r Sozial demokratie oder wenigstens mii deren Unierstnkun.' betrachte. Dieser Beschluß der Zenlrumssraktion war voranszuieäcn. Wir haben mehrfach auseinandcrgejetzt. daß die Dmnsch- nationalen in keiner Weise eine sichere Gewähr bieten für eine Klare, ziclle.vnßte Fortführung unserer bisherigen Außen- und Innenpolitik. Die Teutschnalionalen haben den Locar »o-P.rlrl abge'ehnt. und sehen in seiner Annahme durch den Reichstag heute noch einen ungültigen Abi Nichts, aber auch rein par- nichts, kann ais Beweis anaesichrt werde», daß sich der Sinn der Deutschnaltonale» i» eine andere Baku gewandt hätte: sie bekämpfen heute »och genau so wie in der vergangenen Ze:t die von Zentrnmsüanzier» emgeieitele und van Strssemann svrlgenthrle Berstäiidtgnngspoitttk. Oder betrachten wir >>ft wirtschaftspoltitscheu und sozialpolitische!! Gesetze'voriage-n welche in den nächsten Monate» unbedingt erledigt we.d n müssen. Man muß an diese Prcbicmc nur erinnern um sich sofort darüber im klaren z» sein, daß mit de» Denlich»'licm >i ni keiner dieser Cntwinse zu einein den Erfordernissen d'r Zeit entsprechenden Abschluß gebracht werden kann. Man hat daher im Zentrum die lleber.engrng. don -»s van Dr. Curtius e>strebte Kabinett zni Losung dieser F m nicht geeignci sein dürste. Da man ans der rechten Len - ,ne Kühle Tckltfter des Zenlnims sich!!, wird natürlich sofort an, „Quertreibereien" des Zentrums geredet. Wir wollen es un - > r dieser Stelle versagen, zu untersuchen, wo die Quertreiber n Wer hat ein Recht, gegen das Zentrum einen Vorwurf zu erheb. >. weil es zur Bewältigung der bereits vorhandenen und der nach komnieiideri Schwierigkeiten ein Kabinett iür richtig nrineüt, t-as sich auf das Zusammenwirken der Parteien vn» der So'i ! demokratic bis zu der Deutschen Volkspartei stützen kan»? Wenn inan die Gewähr dafür hätte. Saß die Deulschnationale.i in bezug aus die R-egelung der innerpalitischcn Fragen denwkr-b ich und sozial zu Handel» bereit seien, und wenn eine Sicherheit gegeben wäre, daß die -Herren uni den Grasen Westarp die Ber- stündigttngspolftik »och außen nicht zu sabotieren versuchten: lüge überhaupt nur ein Benins dafür vor, daß die DeutsZ- nalionaien die Weimarer Verfassung ohne Umschweife o!s Staalsgrundgesc!; anerkennen, dann wäre die Situation sojort geklärt. Ta aber die Dinge ganz anders liege», so ist das Zentrum verpflichtet, tu Rübe jeden einzelne» Punkt zu prüft», dann aber auch mit Entschlossenheit den als notwendig aner kannten Schritt zu tun. Bon heule uns morgen wird dos vor aussichtlich nichl geschehen. Die Kobinellssrage braucht nicht zur Auslösung des Reichstags zu sichren, denn nur die Parteien, die für ein zum Dienste am Gemeinwohl geeignetes Kabin u in Betracht kommen, nicht durch überspannte Sondrrwünsch: der» Zentrum letzten Endes eine Entscheidung nnsdrängen. u der cs nur schweren Herzens Kantinen könnte. werden ohne eiqene Kandidatur Dr. Seipel Gefolgschaft leisten. Eine Zersplitterung wird dadurch diesmal noch vermieden werden. Als Vorbote für die Wahlen wurde am Neujahrstag das neue christlichsoziale Parteipro gramm publiziert. Wenn man daran gegangen ist, das Parteiprogramm neu zu kodifizieren, so nicht aus dein Grunde, weil das alte, dessen Verfassung noch in die Vor kriegszeit fällt, etwa überholt, oder sonstwie der Revision bedürftig gewesen wäre. Es sollte im Gegenteil durch die Neukodifizierung gezeigt werden, daß die Grundsätze der Partei trotz Umsturz unverrückbar feststehen, wie zu Zei ten der Gründung der Partei durch Dr. Karl Lueger. Die Partei ist das geblieben, was sie von Anbeginn war, eine Weltanschauungspartei, die unverrückt mit beiden Füßen auf dem Boden des Debaloges steht, sie brauchte in ivesentllchen Dingen nicht umlernen, wie etwa die Sozialdemokraten. Das Programm zeichnet sich gegenüber anderen Parteiprogrammen durch präg nante Kürze und unzweideutige Klarheit aus und ist der Ausdruck einer geschlossenen Einheit, die durch kein Kompromiß erkauft wurde. Auf die Einzelheiten komme ich in einem gesonderten Artikel zurück. Heute sei nur kurz tan. das Schlußkapitel des Programms Erwähnung ge das das Verhältnis Deutschen Reiche klarstellt. der Partei zum Es heißt dort: „Als nationalgesiunte Partei fordert die christlich- soziale Partei . . . insbesondere . . . auch die Gleich berechtigung des deutschen Volkes in der europäischen Völkerfamilie und die Ausgestaltung des Verhältnisses zum Deutschen Reiche auf Grund des Sclbstbestim- mungsrechtes." Damit ist den steten Angriffen auf die Partei die Spitze abgebrochen. Die Textierung dieser Forderung, wie auch der diesbezügliche Wille der Deutschösterreicher ist so klar, daß ein Koininentar dazu völlig überflüssig erscheint. Mit diesen, Programm, das dem Sinn nach sicq mit den Vorgängern vollkommen deckt, ziehen die Christlich- sozialen in den Wahlkampf, der dein neuen Jahr seinen besonderen Stempel aufdrückt. Oesterreichs weitere Zu kunft steht wieder einmal zur Entscheidung. Wenn auch die Aussichten für die Sozialdemokraten gegenwärtig gar nicht günstig stehen, so darf man anderseits die Gefahr nicht verkennen, die Oesterreich stets von dieser Seit-« ZI