Volltext Seite (XML)
Nummer 188 — 26. Jahrgang «mal milch. v«zu-«preis für Juni 3,00 Mk. elnschl. vestellgel». «nzelgenpreiserDIe Igesp. Petitzeile »0^. Stellengesuche 9» Die Petitreklamezette. 89 Milli, neter breit, L ^l. Offertengebllhren slir Selbstabholer W bei Uebersendung durch die Post außerdem Portozuschlag. Einzel-Nr. l« I. Gonntags-Nr. S9 Beschäftlicker Teil: Artur Lenz In Dresden. ÄöülsiMe Sonnavend, den 18.Junl 1927 Im Fall« höherer Bemalt erlischt jebe Berpfllchtun, auf Lieferung sowie Erfüllung v. Anzeigenausträge» u. Leistung v Schadenersatz. Für undeutl. u. d. Fern, ruf iibermitt. Anzeigen übernehmen wir keine Ne« antworlung. Unverlangt eingesandte u. m. Rückporto nicht versehene Manuskripte werd. nicht aufbewahrt. Sprechstunde der Redaktion L—3 Uhr nachmittag» Hauptschriftleiter: Dr. G. Descznk. Dresden. «eschitftsftelle, Denckn Verlag: «ecnmnia. für «erlag »,id Druckerei, FUtale Dresden.Dc-rde,,-«. l, Polierstmh«17. FernrufSioi». BosNchecklonIs Dresden »70Z. «anklsnlu: «tadtbank Dre»d«n Nr. «I7w Für chrtslllche Politik, und Kultur «edaltlaa der «schgsch.» vairszeltna» Dresden,ANIladi l. Polierslratze 17. Kernr«! S0711 und »wir. Der Kurzschluss tn Genf Die plötzliche Abreise des französischen Autzenminislers — Keule Abschluß der Tagung des Dölkerbundsrales G. n 17 J .ni. Die Regelung der Memelfrage Um die Vormacht auf dem Balkan yle Bedeutung der Vorgänge in Rumänien. Bukarest Mitte Juni. Die Vorgänge ln Rumänien lenken neuerlich in ver stärktem Maße die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Ter nichts weniger als freiwillig erfolgte Rücktritt des Generals Averescu und die Bildung einer sogenann ten nationalen Negierung durch den Prinzen Burbu Stirbey, dem Berater und Freund der königlichen Fa milie. jedenfalls aber Vertrauensmann der Königin Marie, bedeutet weit mehr als ein innerpolitisches Ereig nis. als die Tatsache, daß die Brüder Bratianu. des un folgsamen Averescu müde, jetzt durch den Prinzen Stirbey jene Akte durchführen lassen werden, die sie für gut lei ten. Tas wären aber politisclze Geschäfte, die das Ausland im allgemeinen nicht weiter berühren und die man auch in Bukarest nach balkanil'chen Methoden abwickelt. In teressanter erscheint der Regierungswechsel in Bukarest erst, wenn man die hochpolitischen Hintergründe kennt, die König Ferdinand veranlaßt l>atten. General Averescu den Abschied zu geben, eine Entlassung, die in nicht gerade ehrenvollen Formen erfolgte und mit der Bezeichnung „schlichter Abschied" sehr nachsichtig bezeichnet wäre. Tat sächlich hat König Ferdinand General Averescu. den Schöpfer des Freundschaftsvertrages mit Italien, den Mann, dem es gelungen war, di« Ratifizierung des bessa- .abischen Protokolls in Rom zu erwirken, direkt zum Rücktritt gezwungen: während eines Ministerrates empfing Averescu durch den Hofminister eine königliche Botschaft mit der Aufforderung, zu demissionieren, was der General auch sehr formlos vollzog, mit wenigen Wor ten auf ein Blatt Pavier, das gerade zur Hand war. Gleichzeitig wurde verlautbart. Averescu sei zum Rück tritt veranlaßt worden, weil er Diktaturpläne zur Aus führung bringen wollte. Man ließ über diese Pläne Ave- rescus wahre 'V ' 'a-«schichten verbreiten, wobei dem verbannten und abgelebten Kronprinzen Karol eine Hauptrolle zugeteilt wurde. Was die Pläne Averescus angeht, so steht soviel fest, daß er für den Fall eines Aktuellwerdens der Thronfolge gewisse Vorsichtsmaßregeln militärischer Natur treffen zu müssen glaubte. Hierbei handelte er offenbar ohne Zu stimmung des Königs und der Brüder Bratianu. von denen er sich in der letzten Zeit — seine Macht überschät zend — emanzipiert hatte. Sicherlich hat dieses Verhalten Averescus, eines Soldaten mit schroffen Umgangsformen und typischen Generalsallüren, viel dazu beigetragen, seine Stellung auch zu erschüttern und insbesondere den kranken und sehr mißtrauisch gewordenen König gegen sich einzunehmen . Die Hauptgründe für den Regierungs wechsel sind aber in den Ereignissen der großen Politik zu suchen, in dem K a m p f z w i s ch e n F r a n k r e i ch u n d Italien um die B o r m a ch t auf dem Balkan, einem Ringen, dessen Auswirkung die ständige Unruhe im nahen Orient ist. Rumänien war bis vor 13 Monaten, dem Zeitpunkt ver Regierungsübernahme durch Averescu, in seiner Außenpolitik vollständig französisch orientiert ge wesen, dies ganz im Sinne der Politik der Liberalen. Dos von Bratianu noch paraphierte Bündnis mit Frank reich wurde z warvon Averescu endgültig unterzeichnet, kurz darauf aber kam es zu einer bedeutsamen Wendung in der rumänischen Außenpolitik, die (im Herbst 1926) zur Unterzeichnung des Freundschaftsvertrages mit Ita lien führte. Mussolini, dem Bukarest ein wichtiger Platz bei seinem Fußfassen auf dem Balkan schien, ratifizierte jetzt das Protokoll über Bessarabien, ein Entgegenkom men, das er den Liberalen stets verweigert hatte. Es war vorgesehen, daß demnächst ein ausgedehntes rumä nisch-italienisches Wirtschaftsabkommen folgen sollte. Ave- rescu wollte Rumänien ganz an die Seite Italiens führen und er hatte auch im Verhältnis zu Deutschland einiges aus der Tradition der früheren konservativen Partei übernommen. Wie man in Paris diese Politik Averes cus — intime Freundschaft mit Italien, freundschaftliche Beziehungen zu Deutschland — aufnabm, ist klar. Auch Bratianu hatte längst erkannt, daß ihm Averescu jede Ge folgschaft verweigerte, und es galt nun. den unbequem Beworbenen zu beseitigen. Der Ansgang des Kampfes zwischen der französi schen Partei, geführt von den beiden Brüdern Bratianu Die heutig« Nummer eiitbält die Beils«« „Die Welt »er Frau" Der frmiz-flsche Außenminister Briand hat gestern milta« gegen 1 Uhr Genf verlassen, «m infvlge einer plöüliche» Erkrankung nach Paris znrückznkehrr». Wischer Art diese plötzliche Erkrankung Brimws ist. »ariitzer gehen die Meldungen uierkwiirdigeriveiie erheblich »nseinandcr. Es wirb von einer schweren Enlzünduiig des linken Auges und der Ge fahr einer Gehirnhautentzündung gesprochen. Nach anderen Mel dungen ist die Krankheit weit harmloser. ES soll sich um einen sogenannten NesselanSschlag handeln, der aus Genuß von Erdbeeren zurückzuführen sei. Eine dritte Lesart ist die, Briand leide an einer einfachen Halserkrankung, die die Folge einer Erkältung sei. Die Ratstagung wird infolge der Abreise Brtands schon heirte zu Ende gehen. Man hält es in Gens für möglich, daß die Bespre chungen im Kreise der Locarno-Mächte bei nächster Gelegenheit wie der anfgenouunen werden sollen, wobei auch eine Erweiterung des europäische» Konzertes für bestimmte Frage» nicht ausgeschlossen wäre. Wohl nicht nur in Teutschland wird man der Meinung sein, das; die plötzliche Erkrankung Brlauds diplomatischer Natur ist. Daß man sich Halsentznndimgen und alle Arten von Grippe in diesem merkwürdigen Sommer leicht hole» kann, ist allgemein bekannt. Daß man aber eine solche Krankheit benutzt, um eine internationale Konferenz zn sprengen, ist etwas ungewöhnlich. Man zerbricht sich i» den europäischen Hauptstädten infolge dessen jetzt die Köpfe darüber, welches wohl die wirklichen Gründe für die plötzliche Abreise des französischen Außenministers gewesen seien. Und man kommt zu dem Schlust, daß in den großen, wichtigen Fragen eine Einigung überhaupt nicht zn erzielen war. Gewiß bat die Memelfrage eine Lösung gesunden, deren Wert sich allerdings erst in der Praris ergeben wird. Auch in bezug auf Danzig Ist manches — wenn auch keineswegs befriedigend geklart worden. Wie steht es aber mit der Haltung der Genier Mächte gegen über Rußland? Hat man nicht von englischer Seite versucht, eine gemeinsame Erklärung der Mächte gegen Moskau zn erreichen? Aber es ist kein Ergebnis der Sechs-Mächte-Beratungen an die Oei fentlichkeit gelangt. Wohl hat man gehört, daß Deutschland seine freundschaftlichen Beziehungen z» Rußland benutzt hat, um in Moskau ernste Vorstellungen wegen der neuen Terror-Justiz und der englandfeindlichcn Propaganda zu erheben. Ein positives Ergebnis haben diese Vorstellungen aber nicht erzielt. Andererseits war Deutschland zu "einem weiteren Vorgehen jedenfalls nicht zu bewegen. Ebensowenig vorwärts gekommen sin- -ie zwischen Deutschland und -en ehemals Alliierten schwebenden Fragen. Deutschland hat eine Kontrolle für -ie zerstörten Befesti gungen im Osten zugegeben unter der Voraussetzung, -aß aus dieser einmaligen Kontrolle kein Präzedenzfall konstruiert wird. Auf -er andern Seite aber ist es zu einer Klarheit darüber ob und wie eine Besatzungsver Minderung im Rheinland eintreten soll, nicht gekommen. Wenn hier nicht der letzte Tag der Konferenz eine Klärung bringt, darf man sagen, daß für Deutschland aus der Iunitagung des Völ kerbundes so gut wie keine Ergebnisse erzielt worden sind. Es hat also den Anschein, als sei die Konferenz durch die Abreise Brionds regelrecht gesprengt worden. In keiner wichtigen Frage ist ein wirklicher Fortschritt erzielt worden. Eher könnte man von Rückschritten rede», und die internatio nale Lage ist nach dieser Tagung des Völkerbundsrates ge spannter als vorher. und den „Italienern" konnte nicht zweifelhaft sein, ivenn man die starbe Stellung der Liberalen nicht nur am Hofe, sondern auch ihren unleugbar großen Einfluß im Lande kennt. Die französische Diplomatie bot in Bukarest alles ans, um Averescus Stellung zu untergraben. Auch der jugoslawische König Alexander. der Schwiegersohn König Ferdinands, hat eine entscheidende, vielleicht die größte Nolle bei der Entfernung Averescus gespielt, da die italiensreundliche Politik des Generals die Lage Jugo slawiens sehr erschwerte und in weiterer Hinsicht das Ge füge der Kleinen Entente zu erschüttern drohte, was sich in Ioachimsthal gezeigt hatte. König Ferdinand konnte sich den von ollen Seiten auf ihn einstürmenden Forderun gen nach Absetzung Averescus nicht mehr entziehen, nicht zuletzt ans samiliä,-«',, Gründen Fulekt legte man dem Gens. IS. Jank. Jur Memelfrage gab heut« im Bölkerbunvsrat der litauisch« Ministerpräsident Woldemaras folgend« Erklärung ab: „Die litauische Regierung legt Werk darauf, schon jetzt zu erklären, daß es keinesfalls in ihrer Absicht liegt, da» Memclge- biel ohne Volksvertretung zu lassen. St« ist sich ihrer Pflicht uns ihrer Verantwortung vollauf bewußt. Die Regierung wird daher die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit die Wah len für den Landtag spätestens gegen Septem, der > 827 stattfinden. Die litauische Regierung kann za ihrer Freud« stststellen. daß die Hauptschwierigkeit, die die Wahlen verzögert halt«, glücklich überwunden ist. Meinungsverschiedenheiten, besonder» bezüglich des Umfanges der Wählerschaft, hatten sich herausge stellt. Jetzt ist di« Frag« geklärt. Die Wählerschaft für die bevorstehenden Wahlen setzt sich aus den litauischen Staatsangehörigen zusammen, di« sich im Sinne der Bestiw- mnngen der Art. 7 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches im Gebiet von Memel niedergelassen haben. Es ist selbstverständlich, daß die Wählersckwst für vi« späteren Wahlen durch ein Gesetz, wie es im Ariikel 8 des Memelstatut» vorgesehen ist. geändert wer. den kann. Hinsichtlich der Autonom tr des Memelgebietes. wie sic im Statut festgesetzt ist, ist die litauische Regierung fest entschlossen, alles, was an ihr liegt, zu tun. damit die Autonomie wirksam wird und sich bezüglich Wählerschaft. Zusammensetzung des Landtages und Bildung des Direktoriums auf demokratischer Grundlage entwickelt. Die litauische Regierung hofft, dieses Werk in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Landtage und dein Direktorium, das das Vertrauen des Landtages genießt und ihni verantwortlich ist, durchzusühren. Ich Hab« nicht die Alsichl, bei dieser Gelegenheit alle für das Memelgebiet wichtigen Fragen zu erörtern. Aber im Na men der Regierung, der ick vorstehe, kann ich das eine erklären: Die politischen und sonstigen Rechte des Memelgebietes, die Rechte der juristischen und natürlichen Personen werden in die» jen in vollem Maße gewährleistet werden." Daraus erklärte der deutsche Außenminister Dr. Stresr- mann: „Aus di« einleitenden Worte, die der Herr Ministerpräsident von Litauen über di« srühere Behandlung von Memelfrage» gesprochen hat. möchte ich nicht näher eingehen. Ich darf mei nerseits auf die Erklärung verweisen, die ich hierüber in der Ta gung des Bölkerbundsrats vom September vorigen Jahres ach- gegeben habe. Angesichts der von dem Herrn Ministerpräsidenten Wolde maras nunmehr im Namen seiner Regierung abgegebenen Er klärung glaube ich meinerseits auf der jetzigen Ratstagung darauf verzichten zu können, daß die A n g « l eg e n h e i- weiter behandelt wird. Ich hoffe, daß durch die in Aussicht gestellten Maßnahmen der litauischen Regierung mit größter Beschleunigung im Memelgebiet der jetzige Zustand sichergestellt wird, der deip Statut entspricht." Der Ratsvorsthende Chamberlain erklärte zum Schluß. Der Rat nimmt mit Freuden Kenntnis von der Erklärung des litauischen Ministerpräsidenten. Er beglückwünscht ihn zu dein Entschluß, der den Rat der Notwendigkeit enthebt, die vorlie gende Frage zu behandeln und hofft, daß die Herstellung nor maler Verhältnisse im Memelgebiet für all« Zukunft die Be- kandluna dieses Problems im Nölkerbundsrat -riillriot König Beweise dafür vor, daß Averescu eineu Putsch plane, um eine Militärdiktatur nach spanischem Muster zu errichten und den König kalt zu stellen. Gewisse Befehle, die Averescu in den letzten Wochen hinausgegeben batte waren allerdings geeignet, Mißtrauen zu erregen- Der Sturz Averescus bedeutet die Rückkehr der Außenpolitik Rumäniens in das rein sranzö« sischeFahrwasser. Mussolini hat damit eine schwere diplomatische Schlappe auf dem Balkan erlitten. Auch die deutschfreundliche Stimmung in Bukarest wird wahr scheinlich erkalten. Darin liegt die groß« Bedeutung der jüngsten Vorgänge in Rumänien, deren Auswirkungen auf der Bühne der Weltpolitik in don näcksten Monaten sichtbar werden dürsten