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Christabend mit leise hernieberschwebenben Schnee flocken... Wie feierlich bricht da die Dämmerung herein! Ueber alle hastigen Geräusche der Großstadntraße breitet sich der weiche Watteslaiim des Schnees, verwisch» klingt das Lauten der Straßeubahnglocken. Hinter den Gardinen aber wird es licht, nicht in der Helligkeit anderer Abende . . . gelb- schimmcrnde Punkte lassen die Kerzen des Christbaumü ahnen, der mit seiner funkelnden Pracht neben dem Gaben tisch steht, und vvn den Kirchen Dresdens schwingen hallend Glockenschlägc über die weihen Dächer. Und eS ist, als ob dieser einzige Abend auch in allen Men- schenseelen die lauten SliItagSgeräiische des ErwerbenmüssenS und des Daseinskampfes mit einein weichen Schleier der Liebe verhüllt habe . . . Da gibt cS wvhl kein Gesicht, aus dem nicht die Freude spräche, da gibt es wohl kein Männer und Frauenherz, in dem nicht leise eine Glocke zu läuten anhSbe, die in seeltgen Kindhettstage» gegossen wurde und die mitschwtngt in dem Hellen Freiidengeläut der eigenen Ktnderschar. Kinderaugen spähen durch das Schlüsselloch, kleine Herzen pochen in stürmischem Schlag der Erwartung, aus der Küche dringen verheißende Düste, und alles ist so ganz anders als an anderen Abenden. Fast undenkbar scheint es den meisten, den Christabend nicht zu Hause zu verleben . . . Doch des Alltags zwingen der Bann hält auch nicht vor diesem einen Abend im Jahre Rast . . . Und wenn auch allüberall ans der Erde, wo deutsche Herzen schlagen, am 24. Dezember Christabend ist, so kehren doch auch alle diese Herzen im raschen Flug der Phantasie in die Familie zurück, und mit aller Macht bricht sich die tiefe Sehnsucht nach der Heimat Bahn . , , Mett vor »en koren . .. Man mag es ein gewisses BSlkchen sonderbarer Kauze nennen, das am liebsten den Heiligen Abend unter dem ge stirnten Himmel der Weihenacht verbringen möchte. Aber wer den eigenartigen Zauber solcher stadtfernen Weihnachts feier schon einmal erlebt hat, den wird eü vielleicht doch wieder hinaus in die Berge ziehen. Sv ist's den Dresdner Bergsteigern und Skifahrern ein Brauch, in den vielen Hütten auf den nahen Bergen des Erzgebirges die heilige Nacht zu verleben. In der Ztnnwaldhütte des Dresdner SktklubS, in der Paradiessundgrubenhütte des Dresdner Nudervereins am Kahleberg, in- der Rothwasserhütte der Sektion des Deutsch-Oe st errei cht schen Alpenvereins — um nur drei zu nennen —, geht es am Christabend hoch her. Schon in den Mittagsstun den wird von Dresden Abschied genommen. Von dem näch sten Standplatz wird ein Christbaum besorgt. Den jedoch schmücken allein weifte oder rote Kerzen. Ist aber die Hütte erreicht, liegt hinter dem Bcrgvvlklein bereits der erwar tungsfrohe Wandcrweg durch tiefvcrschneite Dörfer, an Kirchen und Häusern mit Hellen Fenstern vorbei. Vielleicht schimmerten hinter den zugesrvrenen Scheiben die Kerzen, vielleicht war es, als erstünde ein Ludwtg-Rtchter-Bild zur Gegenwart und Helligkeit . . . Die Zeit verging rasch genug. Holz gab es zu spalten, Feuer im Oeschen zu machen, Wasser auszusetzen, die Hütte mit Tannenzweigen ausziischmiickcn. Ein paar Nadelzwetge aus den heißen Herdplatten ließen den harzigen Weil,nachtsdust durch die Hütte schweben. Einer brachte ein Reisegrammophon mit, andere wieder packten Zithern und Lauten aus, alle aber hatten einen gut gefüllten Rucksack voller kleiner Geschenke, voller Stollen, Nüsse und Aepsel und sonstiger Wcihnachtsherrlichkeiten . . . Und wenn bann die Lichter brennen, singt eS wie überall in den Herzen und glänzt Freude wie überall in jungen, ge sunden Augen. Um die Mitternachtsstunde herum aber läßt es sich kein Skiläufer nehmen, zur Weihcnacht eine Ausfahrt ins Gelände zu machen . . . Den Alpinisten zieht es in wette, südliche Fernen. Er krarelt himmelan, um vor der Dämmerung über der Baum grenze zum Staunen der Talbewohner die Hütten in etwa 2500 Meter Höhe zu erreichen . . . Dann mag der Grog auf dem Petroleumkocher brauen . . . Alleinsein wett über der Welt . . . Die Sehnsucht ist erfüllt. Und bricht in dem ersten Festtagsmorgen nach einsamer Weihenacht über den Wolken ein sonniger erster Feiertag an, hat der Himmel dem Berg steiger das schönste Weihnachtsgeschenk gemacht. Cbrtsta-en- im Sifenbahn-uy Wer eine dringende Geschäftsreise vor dem Weihnacht», fest erledigen oder sie bis nach den Festtagen ausschieben kann, tut das gewiß . . . Auch die vielen, vielen, die in kurzem Weihnachtsurlaub heimwärts eilen, sind ja zu allererst be strebt, am Christabend schon im Familienkreis zu weilen. So hält es auch der Luftverkehr. Die wichtigsten deutschen Verkehrsflugzeuge sind noch vor Anbruch der Dämmerung im Hafen eingetroffen. Von Dresden startete das 11,35-Uhr- Flugzeug nach Wien und traf in der österreichischen Haupt stadt um 3,40 Uhr nachmittags ein. daS Berliner Flugzeug ver ließ 1F5 Uhr mittags den Heller und langte in der Reichs hauptstadt um 3,10 Uhr an. Selbst die beiden großen inter nationalen Fluglinien Berlin—London und Berlin—Parts weisen solche Flugzeiten aus. daß die Piloten den Christabend zu Hause feiern konnten. „Parts ab 8,40 Uhr WEZ. vor mittags. Berlin an 5,10 Uhr nachmittags MEZ." und um gekehrt: „Berlin ab 9,00 Uhr und Parts an 3,30» heißt es auf der französischen und „Berlin ab 8,40 Uhr, London an 3,15 Uhr nachmittags" heißt es auf der englischen Linie, daS Gegenflugzeug flog in London 9,55 Uhr ab und war um 0,15 Uhr nachmittags in Berlin. Bet der Eisenbahn ist da» ander». Nach den gewohn ten Fahrplanzeiten verkehren hier die Züge. Mögen auch an den Fenstern Tausende von Hütten und Häusern vorbei- huschen, an deren Fenstern die Hellen Lichterkreise der Kerzen ausschimmern, da muß der Lokomotivführer, da muß der Hetzer nLe immer vor dem Hebelwerk und dem lohenden Feuer stehen, vielleicht daß ein Tannenrets an diesen beson- deren Abend gemahnt. Weichensteller, Zugführer, Schaffner fordert der schwere Dienst in der genügenden Zahl, der grobe und verzweigte und doch so seine Organismus will, wie an jedem andere» Tage, baft Räder »nd Rädchen sich drehen, auch wenn die Zahl der Reisenden gerade in den Abend» und Nachtzügen aus ein Minimum zusammenschrumpft . . . Noch nicht einmal in den rollenden Hotels der Speise wagen ist vvn besonderer Chrtstabendstimmung viel zu spüren. Tannenzweige und Lamettastlber schmücken Tische und Wände . . . Ein Bäumchen würde Feuerögesahr be deuten. aber dafür weist die Speisekarte als weihnachtlichen Nachtisch den Christstvllen aus . . . Auch hier muß das Per sonal wie an jedem anderen Tage seinen Dienst tun, genau so wie weiter vorn im Postwagen am Heiligen Abend fast noch mehr als an anderen Tagen gearbeitet wird. Die Flut der Weihnachtspakete hat zwar ihren Höhepunkt überschritten, aber der Nachzügler, die als Eilsendungen oder gewöhnliche Pakete wenigstens noch an den Festtagen etntreffen sollen, sind gewiß nicht wenige . . . Ganz abgesehen vvn der Fülle in den Brtessäcken, die das Meer der Wethnachtskarten nicht magerer an diesem Abend auösehen läßt. Auf boker See Stolz zieht der Riesendampfer gen West. Un seinem Bug brechen sich leise rauschend die Wellen de» Atlantischen Ozeans, unermüdlich pocht daS Herz der Riesenmaschinen im Gleichtakt. Stolz spiegeln sich die Ltchterrethen des schwim menden Palastes in der Dünung. Wie an jedem anderen Tage späht der Lngpvsten im AuSguck, steht der Steuermann am Ruder, der Wachofftzter aus der Kommandobrücke, der Ehrlstabendfeler an Bord eines Dampfers Ingenieur im Maschtnenraum und der Heizer vor den Kesseln . . . Die unbändigen Kräfte sind ohne Menschen un- gebändigt, ohne menschliche Aufmerksamkeit wäre die Fahrt eine Reise ins Verderben. Und doch wurde für diesen Tag gesorgt und an ihn ge dacht. Die Köche haben es sich nicht nehmen lasten, Pfeffer kuchenhäuser uud Kirchen herzustellen. Eine ganze Schau solcher leckerer Spielzeuge ist in der ersten Kaiüte auf dem weißgedeckten Tisch zu bestaunen.... Und den deutschen Tanncnbaum vergißt kein Schiss unter deutscher Flagge, das am Christabend auf der weiten Wasserwüste schwimmt. Festlich geschmückt, ltchtersunkelnd und glänzend steht er da, und um ihn scharen sich die Passagiere und die Ossizterc, die nur irgendwie dienstlich abkömmlich sind. Unter den Deut schen aber gibt es ein Schenken und wieder ein Schenken, wie nur zur Weihnacht zu HauS. Die Ausländer jedoch staunen über dieses deutsche Fest und werden in den Zauberbann deutschen Gemütes und EhristerlebenS gezwungen .. . Einen Lichterbaum gibt es in jeder Kajütenklaste, auch dort strahlen die Weihnachtskerzen und klingen die WethnachtSlteder, und auch dort erfreuen die Gaben die Herzen . . . Die Stewards, die Heizer, die seemännische Besatzung, alle Gruppen und Grüppchen haben ihren Tannenbaum. Selbst oben auf der Kommandobrücke, im Hetzraum und im Ausguck erinnern Tanncnzwetge an das deutsche Weihnachtsfest. Wenn es allerdings die Werstleitung nur irgendwie ein- rtchten kann, sorgt sie dafür, daß ihre Dampfer am Heiligen Abend in einem Hafen liegen. So ist es auch mit den beiden größten Dampfern des Norddeutschen Lloyd. Die „Colum- b u s" trat ihre Ausreise am 14. Dezember an und landete am 21. Dezember in Neuyork. Die „Bremen" hat ihre östliche Transozeansahrt noch vor dem Christabend beendet und liegt am Heimatkat. Der Ltckterbaum -er Seimattofen Der Wanderer gibt eS viele, die ferne und nahe Ziele auf verschneiten Wegen suchen, aber es gibt ihrer auch so manche, die auf mühsamem Pfad zum Christabend überhaupt nur ein Dach über dem Kops begehren . . „ ein Dach, das ihnen im Sommer der Himmel war. So ist auch für die Herbergen und die Obdachlosenheime der Christabend ein ganz besonderer Tag. Eine Weihnachtsfeier in der „Herberge zur Hei mat" ist von erschütternder Feierlichkeit. Gefüllt ist der Raum von so vielen, die an der Straße des Lebens mühsam einen verschlungenen Seitenpfad suchen müssen. Der Chrtst- baum brennt wie überall, der Jugendbund spielt mit seinem Mandolinenorchester Wethnachtslieber, der Pfarrer der Inneren Mission hält eine Ansprache. Jeder Gast erhält eine kleine Gabe, zumeist Kleidungsstücke, und dann ein war mes Esten . . . Und allüberall sitzen sie und sind, wie jeder von uns, an diesem Tage andere Menschen. Manches Herz wurde hier von der WeihnachtSf.immung und Erinnerung gepackt und bekehrte sich z«r Reue, die über den nächsten Morgen hinaus, an dem es Kassee und Stollen gab, anhält... Auch in den Obdachlosenheimen ist das Bild ein anderes als am Alltag. Schon um 5 Uhr dürfen sich di« Gäste im AusenthaltSraum in der Bodelschwtnghstrafte einftnben. Wie an jedem Tage werden sie „abgebadet" und in ihre grauen Schlafktttel etngekletdet. Aber dann gibt e» an diesem Abend ein warmes Esten, so Heuer Nudeln und Rindfleisch, und um 8 Uhr beginnt die Chrtstfeter mit Liedern des Ge» sangveretnS der Städtischen Beamten, der Dezernent, Stadt rat Förster, hält eine kurze Ansprache, und auch hier ist für bescheidene Gaben gesorgt. Strümpfe, Hosenträger, Taschen tücher, Hemden und Unterhosen . . .1 Es ist an das Praktische gedacht. Zwei Lichterbäume brennen und aus der Tafel sind die kleinen Geschenke schön angeordnet. . . Und ein besehet- deneS Glück wartet auf die vielen Schicksale, die in den Her-, zen derer etngegrabcn sind, die da vor den Tischen stehen .., Cbeistoben- tm Dienst Im Dienst sein, heißt ja ebenfalls nicht zu Hanse wellen. Der komplizierte technische Apparat der Großstadt muß auch am Heiligen Abend in Betrieb gehalten werden. Wege, die sonst zum strengen TageSplan gehören, werden da sehr schwer, wenn an den Fenstern die Weihnachtskerzen aufleuchten. Aber wäre eS auszudenken, wenn auch am Christabend nicht die Straßenbahner vor dem Führerstand oder aus der Plattform stünden?! Möchten wir etwa die Petroleumlam pen oder die Wachskerzen anzünden, weil in den GaS- und Elektrizitätswerken niemand die Maschinen über wacht . . . Für lichtscheues Gesindel wäre sogar der Weih. nachtSabend ein ganz besonderer Festabend, wüßte e». di« Polizei hätte nur unter dem Tannenbaum zu sitzen . . . Und schließlich hat auch der Soldat an einem solchen Abend seinen Dienst. Jeder entbehrliche Mann wird zwar beur laubt, für die wenigen, die im Standort bleiben, sind Gaben tische gerichtet und Ltchterbäume angebrannt . . . Aber eine Feier im Familienkreis ist doch noch etwas Schönere». Denken wir weiter, daß auch am Christabend Unglücksfälle und Er- krankungen eintretcn können . . . Wie verderblich müßte e» sich auswtrken, wenn die Sanitätswachen geschlossen wären, in den Krankenhäusern keine Hilfe bereit stünde oder die Nachtglockeu der Apotheken vergeblich ertönten ... Allerdings soll e» auch vorgekommen sein, daß so ein kleiner Schlaumeier von Dreikäsehoch hier mit Mühe und Not den elektrischen Kltngelknops in der Christnacht erreichte und auf die Frage des Apothekers, was er begehre, stammelte: „Mein Vater hat mir eine Dampfmaschine geschenkt und den Spiritus vergessen . . Auch in den Theatern und Lichtspielhäusern wirb nicht gespielt. Die Gaststätten halten zumeist ihre Pforten ge- schloffen, nur ganz wenige locken die hartgesottenen Jung gesellen beiderlei Geschlecht» zu einer Chrtstbaumfeier und einem Tänzchen an. Bei der Feuerwehr gehl e» am Christabend oft be- sonders lebhaft zu. Nadeln, Tannenzweige und Gardinen brennen leicht, der schwanke Baum gerät ins Fallen . . . und schon ist ihre Hilfe vonnöten . . . Ja, eS scheint, als ob gerade am Heiligen Abend viel weniger Vorsorge gegen Feuersgefahr als sonst walte. Die Statistik beweist e». DaS .Feine Ruh' bei Tag und Nacht" gilt auch für die Post. Der Nachtdienst geht hier wie an jedem Alltag vor sich . . . Schon Wochen vorher wird eifrig der Dienstplan studiert, und es gibt manches Feilschen um Tauschmöglich- keiten. Man nimmt auf die Verheirateten Rücksicht.... Und geht es gar nicht, nun, dann hilft man sich, so gut man kann, schmückt die Dtensträume mit Tannengrün aus und tröstet sich bei dem vom Kantinenverwalter oder AmtSvor- stehcr gestifteten WcthnachtSpunsch, daß auch diese besondere Nacht schließlich einmal ein Ende hat und der Stollen am ersten Feiertag noch ebensogut schmeckt. Da haben es die Rundfunkleute bester, daS Programm am Christabend ist schließlich um Mitternacht erledigt, und die Christnacht ist noch lang . . . Hochkonjunktur haben die Kraftdrosch kenlenker. Auch die Nachtportierö in den Hotels und den Betrieben müssen wie an jedem andern Tag auf dem Posten sein, genau so wie die Beamten der Wach- und Schließgesellschast wie immer ihre Runden gehen... Deshalb soll sich schließlich keiner, der unter den grünen Tannenzweigen daheim sitzt, den Christabend vergällen lasten . . . Wenn aber allen zu guter Letzt ein „Frohes Fest I" zugerufen werden soll, so sei doch denen, die auch am Heiligen Abend im Dienste der Oefsentlichkeit wirken, ein besonders sroher, erster Weihnachtstag gewünscht. Ü. I» 4L ////^ Le»«- ////«§ -/»»ZL,/-